VwGH Ra 2019/21/0173

VwGHRa 2019/21/017319.9.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des I S in W, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. Mai 2019, W195 1406988-3/8E, betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10 idF 2012/I/087
AsylG 2005 §58 Abs9 Z1
AVG §56
AVG §68 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2
MRK Art8
NAG 2005 §44b Abs1 Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210173.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Bangladesch, reiste spätestens im Februar 2009 nach Österreich ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde letztlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11. April 2013 - in Verbindung mit einer Ausweisung des Revisionswerbers nach Bangladesch - abgewiesen.

2 Der Revisionswerber verblieb in Österreich und stellte - zunächst postalisch und dann am 12. April 2018 auch persönlich - beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Das BFA wies diesen Antrag im Hinblick darauf, dass sich der Revisionswerber "in einem Verfahren nach dem NAG" befinde - er hatte bei der Niederlassungsbehörde einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt -, mit Bescheid vom 24. April 2018 gemäß § 58 Abs. 9 Z 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück.

3 Am 25. Mai 2018 zog der Revisionswerber den erwähnten, bei der Niederlassungsbehörde anhängigen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG zurück. Er stellte dann am 26. Juni 2018 einen neuen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005, den er im Wesentlichen mit seinem mittlerweile mehr als neunjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet, seinen Deutschkenntnissen und seinem

österreichischen Freundeskreis begründete.

4 Das BFA wies mit Bescheid vom 4. Oktober 2018 auch diesen Antrag zurück, nunmehr gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 7. Mai 2019 - mit einer hier nicht näher darzustellenden Maßgabe - als unbegründet ab, wobei es aussprach, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

 

5 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

6 Der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses liegen - wie unten noch im Detail darzustellen sein wird - zwei nicht aufeinander abgestimmte Entscheidungsstränge zu Grunde, die weder für sich noch gemeinsam eine auf § 58 Abs. 10 AsylG 2005 gestützte Zurückweisung des gegenständlichen Antrags vom Juni 2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zu tragen vermögen. Die Revision ist daher zulässig und berechtigt. 7 Vorauszuschicken ist, dass gegen den Revisionswerber durch den Asylgerichtshof 2013 eine Ausweisung nach dem (damaligen) § 10 AsylG 2005 erlassen worden war (siehe oben Rn. 1). Diese Ausweisung gilt gemäß § 75 Abs. 23 AsylG 2005 als Rückkehrentscheidung.

8 An das Bestehen einer Rückkehrentscheidung knüpft der im vorliegenden Fall herangezogene Zurückweisungstatbestand nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 an; demnach sind Anträge gemäß § 55 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründenden Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

9 Der dargestellte Zurückweisungstatbestand ist der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildet. Nach der - ausdrücklich auch für § 58 Abs. 10 AsylG 2005 als maßgeblich erklärten - Judikatur zur Vorgängerbestimmung (§ 44b Abs. 1 NAG) liegt ein im Sinn des Vorgesagten (Rn. 8) maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitels erteilt werden müsste. Vielmehr liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt schon dann vor, wenn die geltend gemachten Umstände nicht von vornherein eine zu Gunsten des Fremden vorzunehmende neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK als ausgeschlossen erscheinen lassen (siehe zuletzt VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0102, Rn. 10).

10 In seinem ersten der beiden oben genannten Begründungsstränge ging das BVwG der Sache nach davon aus, dass ein maßgeblich geänderter Sachverhalt in diesem Sinn nicht vorliege. Es führte aus, der Revisionswerber habe nicht dargelegt, welche wesentlichen Änderungen sich in seinem Privat-, Familien- und Arbeitsleben ergeben hätten. Dann heißt es - im Folgenden wörtlich - weiter:

"Vielmehr werden in der Beschwerde ‚neue' Tatsachen wiedergegeben, welche bereits dem Bescheid des BFA vom 24.04.2018 zu Grunde lagen und welche in weiterer Folge keinerlei Neuigkeitswert besaßen oder zu einem wesentlichen neuen

Sachverhalt führten. ... Es gibt somit keinerlei Anhaltspunkte

dafür, dass sich die Lebenssituation des (Revisionswerbers) seit dem 24.04.2018 wesentlich geändert hat."

11 Im Anschluss daran wird dann auch noch in Bezug auf eine soziale Verankerung des Revisionswerbers in Österreich festgehalten, es sei vom Revisionswerber nicht glaubwürdig dargelegt worden, "welche Veränderungen seit April 2018 diesbezüglich stattgefunden hätten".

12 Diese Ausführungen lassen klar erkennen, dass das BVwG bei der Frage einer maßgeblichen Sachverhaltsänderung als Beurteilungsgrundlage auf den Zurückweisungsbescheid des BFA vom 24. April 2018 nach § 58 Abs. 9 Z 1 AsylG 2005 abstellte. Damit hat es allerdings übersehen, dass im Rahmen einer Zurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005, die wie erwähnt (siehe oben Rn. 9) einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildet ist, immer nur der letzte materiell rechtliche Abspruch (fallbezogen also die Ausweisungsentscheidung aus dem Jahr 2013) Vergleichsmaßstab sein kann; nur darauf bezogen kommt eine Identität der Sach- und Rechtslage, die zu einer Zurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 führen könnte, in Betracht, während das hinsichtlich des auf § 58 Abs. 9 Z 1 AsylG 2005 gestützten Zurückweisungsbescheides vom 24. April 2018, der nur über eine Formalvoraussetzung abspricht und nicht mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist, nicht der Fall ist (siehe in diesem Sinn etwa VwGH 19.10.1995, 93/09/0502; ähnlich Hengstschläger/Leeb, AVG (3. Ausgabe 2018) § 68 Rz 42). Indem das BVwG demgegenüber Veränderungen seit Erlassung dieses Bescheides vom 24. April 2018 prüfte, hat es somit die Rechtslage verkannt. 13 Das BVwG hat sich dann aber auch - und das ist im Ergebnis die schon angesprochene zweite Begründungslinie - insgesamt mit der Situation des Revisionswerbers vor dem Hintergrund des § 9 BFA-VG bzw. des Art. 8 EMRK beschäftigt, wobei es zu dem Ergebnis gelangte, es lägen insgesamt keine Umstände vor, die die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 rechtfertigen würden. 14 Diese Überlegungen, die auf eine materielle Prüfung des gestellten Antrags hinauslaufen, gehen am Thema des Beschwerdeverfahrens vorbei. Denn wie aufgezeigt (siehe abermals oben Rn. 9) kommt eine Zurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 nur dann in Betracht, wenn eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK von vornherein ausgeschlossen ist. Eine Prüfung dahingehend, ob es konkret zur Erteilung des beantragten Titels nach § 55 AsylG 2005 zu kommen habe, ist im Rahmen des § 58 Abs. 10 AsylG 2005 dagegen nicht vorzunehmen.

15 Letzteres hat das BVwG aber getan und damit auch insoweit die Rechtslage verkannt. Dass in Anbetracht des seit der seinerzeitigen Ausweisungsentscheidung verstrichenen Zeitraums von rund sechs Jahren das Vorliegen eines maßgeblich geänderten Sachverhalts indiziert ist, was der Anwendung des § 58 Abs. 10 AsylG 2005 nach dem Gesagten entgegensteht, sei nur der Vollständigkeit halber angemerkt (siehe etwa das zu § 44b Abs. 1 NAG ergangene Erkenntnis VwGH 17.10.2016, Ra 2016/22/0029). 16 Angesichts der aufgezeigten Verkennung der Rechtslage war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. 17 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. September 2019

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