VwGH Ra 2019/19/0393

VwGHRa 2019/19/039328.11.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des A A, in W, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Jänner 2019, Zl. I403 2142230- 1/17E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Normen

AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §58
AVG §60
MRK Art2
MRK Art3
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190393.L00

 

Spruch:

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde betreffend die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die übrigen Spruchpunkte (Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und die darauf aufbauenden Spruchpunkte) abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 29. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Begründung brachte er vor, die schiitische Miliz Asab'ib Ahl al-Haqq habe ihn anstelle seines geflohenen Bruders zwangsrekrutieren wollen. Er sei Angehöriger des schiitischen Stammes Ban Amir und daher nach Ansicht der Miliz verpflichtet, im Kampf gegen den IS teilzunehmen. Weil die Milizen ihn gesucht hätten, habe er sich zunächst einige Wochen bei einem Freund versteckt und dann den Herkunftsstaat verlassen. 2 Mit Bescheid vom 21. November 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, gewährte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak fest. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. 3 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 10. Jänner 2019 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen und die Revision für nicht zulässig erklärt.

4 Begründend führte es aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Revisionswerber einer Gefahr der Verfolgung oder Zwangsrekrutierung durch die Miliz Asab'ib Ahl al-Haqq oder einer Verfolgung wegen seiner säkularen Weltanschauung ausgesetzt sei. Ihm würde bei Rückkehr keine Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch "Akteure" drohen.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Zu I.:

6 In der Zulässigkeitsbegründung macht die Revision zunächst geltend, der Revisionswerber würde von den Milizen im gesamten Staatsgebiet verfolgt werden und der Staat nicht willens und in der Lage sein, ihn zu schützen.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 26.9.2019, Ra 2019/19/0390, mwN). 11 Die Revision übersieht mit ihrem Vorbringen, dass das BVwG der Fluchtgeschichte des Revisionswerbers die Glaubwürdigkeit abgesprochen hat. Dass die diesbezügliche Beweiswürdigung an einem vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangel leiden würde, wird von der Revision nicht aufgezeigt.

12 Die Revision war daher - soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde betreffend die Nichtzuerkennung von Asyl richtet - zurückzuweisen.

Zu II.:

13 Weiters wird in der Revision vorgebracht, das BVwG habe die Länderberichte zur Sicherheitslage im Irak nicht ausreichend berücksichtigt, insbesondere wäre es nicht auf die Situation im Heimatort des Revisionswerbers, Basra, eingegangen. Hinsichtlich der Annahme, für den Revisionswerber würde keine potentielle Gefährdung gemäß Art. 2 und 3 EMRK bestehen, liege ein Begründungsmangel vor, weil die Länderberichte etwas anderes indizieren. Eine sorgfältige Prüfung hinsichtlich § 8 AsylG sei komplett unterlassen worden.

14 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig, sie ist auch berechtigt.

15 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21. Mai 2019, Ro 2019/19/0006, dargelegt hat, dass eine Interpretation, mit der die Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit dem in der Judikatur des EuGH dargelegten Verständnis des subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie in Übereinstimmung gebracht würde, die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer - unionsrechtlich nicht geforderten - Auslegung contra lege führen würde. Infolge dessen ist an der bisherigen Rechtsprechung, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat - auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird - die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann, festzuhalten. Er wird insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. 16 Die Begründung von Entscheidungen der Verwaltungsgerichte hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Danach erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheids geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. zu alldem etwa VwGH 21.5.2019, Ra 2018/19/0510, mwN).

17 Das BVwG traf zur Heimatregion des Revisionswerbers auszugsweise folgende Feststellungen, die dem Länderinformationsblatt sowie einer Anfragebeantwortung zur Sicherheits- und Versorgungslage in Basra entnommen wurden:

"Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. (...) In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen. (...) Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist. Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Im August meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch. (...) Durch den Kampf gegen den IS in anderen Teilen des Irak wurden viele Sicherheitskräfte aus Basra abgezogen und hinterließen eine Art Sicherheitsvakuum. In diesem Kontext kam es zu einem Anstieg an Diebstählen, bewaffneten Raubüberfällen, Entführungen, Morden und Drogenhandel. Politische Auseinandersetzungen zwischen Regierungsbehörden und der wachsende Einfluss von Milizen trugen ebenfalls zum Mangel an Sicherheit in Basra bei. Auch die Stammesgewalt im Südirak gibt einer Quelle zufolge nach wie vor Anlass zur Sorge. Einer Quelle zufolge verschärften sich die Spannungen zwischen den meist bewaffneten Clans in letzter Zeit aufgrund von Trinkwasserknappheit zusätzlich."

18 Wie die Revision zu Recht aufzeigt, unterlässt das BVwG jegliche Auseinandersetzung mit diesen Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat und beschränkt sich bei der Prüfung des subsidiären Schutzes auf den lapidaren Hinweis, dass im Irak kein Bürgerkrieg herrschen würde. Die Beurteilung des BVwG, dass für den Revisionswerber keine Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt und keine Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK in seinem Herkunftsstaat bestehen würde, ist im Hinblick auf die genannten Feststellungen zur Lage im Herkunftsort Basra, jedenfalls ohne nähere Auseinandersetzung damit, ob der Revisionswerber von der festgestellten eskalierenden Gesetzeslosigkeit und der schlechten Sicherheitslage konkret betroffen sein würde, nicht nachvollziehbar. Auf das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative stützt sich das angefochtene Erkenntnis nicht. 19 Aus diesen Gründen war das angefochtene Erkenntnis wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

20 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. November 2019

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