VwGH Ra 2019/18/0362

VwGHRa 2019/18/036218.11.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, der Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des S A, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Februar 2019, Zl. W163 2141197- 1/36E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
FlKonv Art1 AbschnA Z2
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180362.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 27. Oktober 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er mit einem Mädchen eine Beziehung geführt habe und das Mädchen schwanger geworden sei. Seine Mutter habe daraufhin um die Hand des Mädchens angehalten, jedoch sei dies abgelehnt worden, weil der Revisionswerber Paschtune und das Mädchen Tadschikin sei. Daraufhin seien die beiden nach Kandahar gezogen und hätten dort 2012 traditionell geheiratet. Der Vater des Mädchens habe den Revisionswerber angezeigt, weil der Revisionswerber - wie vom Vater behauptet - seine Tochter entführt habe.

2 Mit Bescheid vom 16. November 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte das BFA mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) fest. 3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 21. Februar 2019 als unbegründet ab (Spruchpunkt A I.), gab der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. statt und erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt A II.). Weiters erteilte das BVwG ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt A III.). Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

4 Begründend führte das BVwG aus, es sei glaubhaft, dass der Revisionswerber vor seiner Heirat eine unentdeckte geschlechtliche Beziehung mit seiner nunmehrigen Ehefrau gehabt habe, seine Mutter für ihren Sohn auch um die Hand der Ehefrau angehalten und der Revisionswerber seine Frau mit ihrer Zustimmung nach Kandahar gebracht und dort vor einem Mullah entsprechend den gesetzlichen und religiösen Vorgaben geheiratet habe. Bei einer Rückkehr könne der Revisionswerber durch dieses Verhalten zwar der Gefahr einer privaten Verfolgung durch die Familie seiner Ehefrau ausgesetzt sein, jedoch sei diese nicht asylrelevant. Das BVwG begründete dies damit, dass die außereheliche Beziehung unentdeckt geblieben und die Ehe unmittelbar nach dem Weggang aus Kabul, noch bevor die Schwangerschaft für Außenstehende sichtbar gewesen sei, geschlossen worden sei. Aus den Länderfeststellungen ergebe sich nicht, "dass Ehepaare mit einem Kind im Kleinkindalter einer Verfolgung ausgesetzt wären, weil sie ihr gemeinsames Kind vor der Eheschließung" gezeugt hätten. Auch habe das Verfahren nicht ergeben, dass die Eheschließung ohne Zustimmung der Eltern ein strafrechtlich deliktisches Verhalten darstelle.

5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 11. Juni 2019, E 1256/2019-6, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie mit Beschluss vom 12. Juli 2019, E 1256/2019-8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat. 6 Die vorliegende außerordentliche Revision richtet sich nur gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten. Sie macht zusammengefasst geltend, dass die Verfolgung durch Private asylrelevanten Charakter haben könne, wenn der Herkunftsstaat aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit sei, Schutz zu gewähren. Eine Schutzgewährung durch den Staat sei jedenfalls dann nicht anzunehmen, wenn dieser wegen des Verhaltens, von dem Verfolgung durch Private zu erwarten sei, selbst einen Strafverfolgungsanspruch erhebe und sich die staatlichen Strafverfolgungsmaßnahmen als unverhältnismäßig darstellen würden. Zudem habe das BVwG keine Feststellungen zur Frage des staatlichen Umgangs mit außerehelichem Geschlechtsverkehr getroffen.

7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 11 Unter "Verfolgung" im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als "Verfolgung" im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. zu alldem VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350, mwN).

12 Insofern die Revision auf zwei Judikate des Verwaltungsgerichtshofes verweist, aus denen sich eine Notwendigkeit der Asylgewährung bei vorgebrachter Verfolgung aufgrund "Zina" ergeben soll (Hinweis auf VwGH 28.4.2015, Ra 2014/18/0141 und 8.9.2015, Ra 2014/18/0113), so ist dem entgegen zu halten, dass die dort zugrundeliegenden Sachverhalte sich von dem vorliegenden insofern unterscheiden, als in jenen Fällen die männlichen Revisionswerber wegen Verletzung der Ehre und unterstellten "unislamischen" Verhaltens von den Familien der Mädchen verfolgt wurden, nachdem die außereheliche geschlechtliche Beziehung bekannt geworden war und die Mädchen daraufhin von den eigenen Familien getötet worden waren. Demgegenüber ergibt sich aus dem angefochtenen Erkenntnis, dass einerseits die geschlechtliche Beziehung unentdeckt blieb, die Ehe bereits 2012 noch in Afghanistan geschlossen wurde und sich die Ehefrau des Revisionswerbers seit 2017 wieder in Afghanistan aufhält. 13 Soweit die Revision vorbringt, dass dem Revisionswerber asylrelevante Verfolgung durch Privatpersonen drohe, so ist dazu Folgendes auszuführen: Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt auch einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 20.5.2019, Ra 2019/20/0071, mwN).

14 Mit nachvollziehbarer Begründung kam das BVwG zum Ergebnis, dass dem Revisionswerber fallbezogen aus seiner außerehelichen Beziehung nicht mit einer für eine Asylgewährung notwendigen maßgeblichen Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohe. Staatliche Verfolgung sei nicht glaubhaft vorgebracht worden, die mögliche private Bedrohung durch die Familie stehe im gegenständlichen Fall nicht in Zusammenhang mit einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe. Die mangelnde Schutzfähigkeit des afghanischen Staates sei ebenso nicht auf einen in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Grund zurückzuführen, sondern ergebe sich aus der mangelnden Effektivität der afghanischen Polizei.

15 Soweit die Revision vorbringt, dass das BVwG keine Feststellungen zum Umgang mit außerehelichem Geschlechtsverkehr in Afghanistan und dem seit 2017 bestehenden Strafverfolgungsanspruch des afghanischen Staates getroffen habe und damit zusammenhängend auch die Beweiswürdigung des BVwG angreift, so ist einerseits darauf hinzuweisen, dass das BVwG auf Basis der von ihm herangezogenen Länderberichte in Bezug auf den Zeitraum der Beziehung des Revisionswerbers vor der Eheschließung im Jahr 2012 festgestellt hat, dass grundsätzlich eine außereheliche Beziehung ("Zina") als Verbrechen gegen die Scharia in Afghanistan grundsätzlich zu strafrechtlichen Sanktionen führen könne, eine Verfolgung aufgrund von "Zina" aber im gegenständlichen Fall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe.

Soweit die Revision die Beweiswürdigung des BVwG dazu bekämpft, ist darauf hinzuweisen, dass eine im Einzelfall vorgenommene, nicht als grob fehlerhafte erkennbare Beweiswürdigung im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwirft (vgl. etwa VwGH 22.11.2018, Ra 2017/15/0002). Dass die vom BVwG getätigte Würdigung, dass die Beziehung vor der Hochzeit unentdeckt geblieben sei und sich vor diesem Hintergrund fallbezogen keine Anhaltspunkte für eine drohende asylrelevante Verfolgungsgefahr ergeben, an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leidet, vermag die Revision nicht aufzuzeigen (vgl. VwGH 14.8.2019, Ra 2019/18/0251, mwN). 16 In der Revision wurden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 18. November 2019

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