VwGH Ra 2019/14/0461

VwGHRa 2019/14/046118.12.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Revisionssache des A B in C, vertreten durch Mag. Ingeborg Haller, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Markus-Sittikus-Straße 9/2/7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juli 2019, W125 1409728-2/21E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §52
MRK Art8

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019140461.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am 3. September 2009 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid des (damals zuständigen) Bundesasylamtes vom 18. Oktober 2010 wurde dem Antrag des Revisionswerbers gemäß § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) stattgegeben, ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass der Revisionswerber glaubhaft angegeben habe, seinen Herkunftsstaat verlassen zu haben, weil sich sein Vater 2007 tschetschenischen Widerstandskämpfern angeschlossen habe.

3 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 14. August 2018 wurde dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Weiters wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und ausgesprochen, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei. Es wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise festgelegt und ein Einreiseverbot für die Dauer von drei Jahren erlassen. 4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach mit näherer Begründung aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Die Aberkennung des Status als Asylberechtigter begründete es im Wesentlichen damit, dass dem Revisionswerber aufgrund geänderter Umstände im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung mehr drohe. Die Abschiebung sei im Hinblick auf den drohenden Eingriff in das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers trotz des knapp zehnjährigen Aufenthalts im Inland und vereinzelter Integrationsbemühungen zulässig, zumal sein weiterer Aufenthalt angesichts dreier näher dargestellter strafgerichtlicher Verurteilungen und insgesamt 18 Verwaltungsübertretungen bei nicht vorliegender positiver Zukunftsprognose eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle.

5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 24. September 2019, E 3354/2019-6, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das BVwG habe nicht begründet, warum die Revision nicht zulässig sei. Im Wesentlichen beschränke sich die Begründung formelhaft auf den Text des Art. 133 Abs. 4 B-VG. Das BVwG habe zudem die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen. Die Beweiswürdigung des BVwG sei insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit tatsächlich die Voraussetzungen für eine Asylaberkennung gegeben seien, in einer nicht zu vertretenden Art und Weise einseitig und willkürlich zum Nachteil des Revisionswerbers erfolgt, zumal nur grundlegende Veränderungen im Heimatstaat den herangezogenen Endigungsgrund erfüllten. Weites sei der Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers von über zehn Jahren im Zusammenhang mit der durchzuführenden Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG zu wenig Bedeutung beigemessen beziehungsweise eine unrichtige Abwägung vorgenommen worden. Schließlich habe das BVwG - entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - im Zusammenhang mit der zu erstellenden Gefährdungsprognose keine konkreten Feststellungen zum Gesamtverhalten des Fremden getroffen, um überhaupt eine allfällige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich beurteilen zu können, die mit dem weiteren Verbleib des Fremden im Bundesgebiet verbunden wäre.

10 Ungeachtet dessen, dass - anders als der Revisionswerber meint - das BVwG im vorliegenden Fall seinen Ausspruch, mit dem die Revision nicht zugelassen wurde, (in der nach dem Gesetz gebotenen Kürze) hinreichend begründet hat, würde selbst das Fehlen einer näheren Begründung des Ausspruches nach § 25a Abs. 1 VwGG für sich betrachtet nicht dazu führen, dass die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gegeben wären. Der Verwaltungsgerichtshof ist gemäß § 34 Abs. 1a VwGG an den nach § 25a Abs. 1 VwGG getätigten Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht gebunden, sondern überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision anhand der gemäß § 28 Abs. 3 VwGG dazu gesondert vorgebrachten Gründe. An der gesonderten Darlegung dieser Gründe, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird, war der Revisionswerber nicht gehindert (vgl. etwa VwGH 17.12.2018, Ra 2018/14/0253, mwN).

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 16.10.2019, Ra 2019/14/0487, mwN). Der Revision gelingt es nicht, eine solche - vom Verwaltungsgerichtshof - aufzugreifende Unvertretbarkeit aufzuzeigen. Entgegen dem Vorbringen in der Revision setzte sich das BVwG sowohl mit den individuellen Fluchtgründen, die ursprünglich zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten geführt hatten, als auch mit den geänderten Umständen im Heimatland des Revisionswerbers sowie dessen persönlicher Situation auseinander und kam gestützt auf aktuelle Länderberichte nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass dem Revisionswerber eine asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat nicht mehr drohe. Diesen Erwägungen setzt die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.

12 Der Revisionswerber moniert in der Zulässigkeitsbegründung ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden von einem regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei. Dabei übersieht die Revision aber, dass auch bei einem mehr als zehnjährigen Aufenthalt und dem Vorhandensein gewisser integrationsbegründender Merkmale gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können. Dazu zählen nach der Judikatur beispielsweise das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung, Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften, eine zweifache Asylantragstellung, unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren, sowie die Missachtung melderechtlicher Vorschriften (vgl. VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, mwN).

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 16.10.2019, Ra 2019/14/0487, mwN).

14 Dass die Interessenabwägung des BVwG, in welche einerseits der knapp unter zehnjährige (überwiegend rechtmäßige) Aufenthalt des Revisionswerbers im Inland, seine Erwerbstätigkeit und das Beherrschen der deutschen Sprache, andererseits aber zu dessen Lasten auch die drei strafgerichtlichen Verurteilungen sowie zahlreichen Verwaltungsübertretungen miteinbezogen wurden, unvertretbar erfolgt wäre, wird durch die gegenständliche Revision nicht dargetan.

15 Wenn Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt werden, muss auch schon in der abgesonderten Zulassungsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel - weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können - dargetan werden. Dies setzt in Bezug auf Feststellungsmängel auch voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 9.5.2019, Ra 2019/14/0195, mwN).

16 Insofern der Revisionswerber im Zusammenhang mit der zu erstellenden Gefährdungsprognose vorbringt, es seien keine konkreten Feststellungen zum Gesamtverhalten des Fremden getroffen worden, um überhaupt eine allfällige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich beurteilen zu können, die mit dem weiteren Verbleib des Fremden im Bundesgebiet verbunden wäre, unterlässt er die Relevanzdarlegung. 17 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 18. Dezember 2019

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