Normen
WaffG 1996 §12 Abs1
WaffG 1996 §8 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019030080.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 19. September 2018 verhängte die Bezirkshauptmannschaft (BH) Tulln über den Mitbeteiligten ein Waffen- und Munitionsverbot gemäß § 12 Abs. 1 Waffengesetz 1996 (WaffG).
2 Dem lag eine Anzeige der Polizeiinspektion Langenlois vom 8. Juli 2018 zugrunde, in der ausgeführt worden war, die Polizeibeamten seien am selben Tag um 21:31 Uhr von einem näher bezeichneten Zeugen davon verständigt worden, dass auf der Bundesstraße B 218 ein Mann mit einem Gewehr auf der Fahrbahn herumlaufe bzw. (nach den Worten des Zeugen) "herumtanze". Bei Eintreffen der Polizeistreife sei der Mitbeteiligte mit einem Gewehr über die rechte Schulter hängend gehend angetroffen worden. Ihm sei die Langwaffe abgenommen und es sei festgestellt worden, dass das Gewehr geladen gewesen sei. Im Lauf habe sich eine Patrone befunden, eine zweite Patrone sei im angesteckten Magazin gewesen. Da der Mitbeteiligte aus dem Mund nach alkoholischen Getränken gerochen habe, sei er einem Test mit dem Alko-Vortestgerät unterzogen worden. Dieser Test habe einen Messwert von 1,55 mg/l Alkoholgehalt in der Atemluft ergeben. In der Folge sei gegen den Mitbeteiligten ein vorläufiges Waffenverbot verhängt und die Langwaffe sichergestellt worden.
3 In einem Bericht vom 19. September 2018 hatte die Polizeiinspektion außerdem festgehalten, der Mitbeteiligte sei zum Alko-Vortest aufgefordert worden, weil bei ihm deutliche Anzeichen einer Beeinträchtigung durch alkoholische Getränke (schwankender Gang, lallende Aussprache, gerötete Augenbindehäute, Geruch nach alkoholischen Getränken aus dem Mund) festgestellt worden seien. Auch habe sich der Mitbeteiligte bei der Wahrnehmung durch den Zeugen, der die Polizei informiert habe, bzw. bei der Anhaltung durch die Polizeistreife als Fußgänger mit umgehängtem Gewehr mitten auf einer vierspurigen Bundesstraße befunden bzw. sei am ersten Fahrstreifen in Richtung Langenlois gegangen. 4 Aus diesem als erwiesen angenommenen Sachverhalt folgerte die BH Tulln rechtlich, dass beim Mitbeteiligten die Gefahr des Missbrauches von Waffen gegen die Schutzgüter Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gegeben sei, der nur mit einem Waffenverbot begegnet werden könne.
5 Gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG). Dieses hob die bekämpfte Entscheidung mit dem angefochtenen Erkenntnis (ersatzlos) auf und erklärte die Revision für nicht zulässig.
6 In einer sehr kurz gehaltenen Begründung der Entscheidung, deren Beweiswürdigung sich in dem Satz erschöpft, der Sachverhalt ergebe sich aus dem Akteninhalt und den Angaben der Polizeibeamten aufgrund des vorliegenden Polizeiberichts, traf das LVwG wörtlich folgende Feststellungen:
"Zum Vorfallszeitpunkt marschierte der Beschuldigte entlang der Bundesstraße und führte dabei ein geladenes Gewehr mit. Es wurde ein Alkovortest durchgeführt, welcher einen Messwert von 1,55 mg/l ergab. Von der Polizei wurde eine Personenkontrolle durchgeführt und die geladene Langwaffe abgenommen. In weiterer Folge wurde ein vorläufiges Waffenverbot verhängt."
7 In rechtlicher Hinsicht führte das LVwG aus, der Mitbeteiligte sei zum Führen der Waffe grundsätzlich berechtigt gewesen sei. Zum Ausmaß seiner Alkoholisierung lägen keine zuverlässigen Angaben vor. Nach Ansicht des LVwG ließen die festgestellten Tatsachen noch nicht den Schluss zu, dass beim Mitbeteiligten die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung von Waffen im Sinne des § 12 WaffG gegeben sei.
8 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zur Zulässigkeit geltend macht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Zitiert werden vier einschlägige Erkenntnisse zum Waffenverbot sowie ein weiteres Erkenntnis zur fehlenden waffenrechtlichen Verlässlichkeit bei Führen von Schusswaffen in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand. Im Folgenden bringt die Amtsrevisionswerberin vor, im behördlichen Verfahren sei eine nicht unbeträchtliche Alkoholisierung des Mitbeteiligten ausreichend dargelegt worden. In Kombination mit dem Führen einer geladenen Langwaffe außerhalb des Jagdgebietes mitten auf einer vierspurigen Straße liege ein mit den zitierten Judikaten des Verwaltungsgerichtshofes vergleichbarer Sachverhalt vor, der ein Waffenverbot gerechtfertigt habe.
9 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er zusammengefasst argumentiert, den von der Amtsrevision zitierten höchstgerichtlichen Judikaten lägen keine mit dem gegenständlichen Fall vergleichbaren Sachverhalte zugrunde. Die Amtsrevision könne auch nicht darlegen, welche festgestellten Tatsachen die Annahme einer missbräuchlichen Verwendung von Waffen im Sinne des § 12 WaffG rechtfertigen würden. Sie entferne sich vielmehr vom festgestellten Sachverhalt, wenn sie zum einen von einer erwiesenen Alkoholisierung des Revisionswerbers ausgehe und zum anderen behaupte, der Revisionswerber sei mitten auf der Bundesstraße gegangen (das LVwG habe vielmehr festgestellt, er sei entlang der Bundesstraße gegangen).
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revision ist zulässig und begründet.
11 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger
Rechtsprechung, dass die Verhängung eines Waffenverbots nach § 12 Abs. 1 WaffG die Prognose voraussetzt, dass aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, der Betroffene könnte durch missbräuchliches Verwenden von Waffen das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden. Hierbei ist nach dem dem WaffG allgemein innewohnenden Schutzzweck bei der Beurteilung der mit dem Besitz von Schusswaffen verbundenen Gefahr ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. etwa VwGH 4.9.2018, Ra 2018/03/0090, mwN). Schon ein einmaliger Vorfall vermag ungeachtet eines untadeligen Vorlebens die Verhängung eines Waffenverbots nach § 12 Abs. 1 WaffG zu rechtfertigen (vgl. VwGH 12.4.2019, Ra 2019/03/0028). 12 Die für ein Waffenverbot erforderliche qualifizierte Gefährdungsprognose ist weder mit der waffenrechtlichen Verlässlichkeitsprüfung (vgl. etwa VwGH 21.6.2017, Ro 2017/03/0007) noch mit der jagdrechtlichen Verlässlichkeit (vgl. etwa VwGH 22.2.2018, Ra 2018/03/0016) gleichzusetzen. Insofern ist der Hinweis der Amtsrevision auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur mangelnden waffen- und jagdrechtlichen Verlässlichkeit von Personen, die in alkoholisiertem Zustand eine Waffe führten, für den vorliegenden Fall nicht maßgeblich.
13 Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung vermag Alkoholmissbrauch für sich genommen ein Waffenverbot nicht zu begründen. Vielmehr wurden in der Judikatur die Voraussetzungen für die Verhängung eines Waffenverbots nur dann angenommen, wenn zum Alkoholkonsum noch zusätzliche Gefahrenmomente hinzutraten. Derartige zusätzliche Gefährdungsmomente lagen beispielsweise vor, wenn sich der Betroffene nach dem Genuss von Alkohol wiederholt aggressiv zeigte (vgl. etwa VwGH 22.11.2017, Ra 2017/03/0031, mwN). Sie können aber, wie zur Klarstellung hinzuzufügen ist, auch in anderen gefahrenerhöhenden Umständen gelegen sein. 14 Die Amtsrevision führt mehrere Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes an, nach denen die Alkoholisierung des Betroffenen in Verbindung mit zusätzlichen Gefahrenmomenten (wie etwa dem unbefugten Führen von Faustfeuerwaffen oder aggressivem Verhalten im alkoholisierten Zustand) ein Waffenverbot rechtfertigte (VwGH 23.11.1988, 88/01/0186, 29.11.1994, 94/20/0334, und 20.12.2010, 2007/03/0130). Diese Judikate sind, wie der Mitbeteiligte in der Revisionsbeantwortung zutreffend ausführt, mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht unmittelbar vergleichbar und daher auch kein Beleg dafür, dass die Entscheidung des LVwG von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht.
15 Einzig das angesprochene hg. Erkenntnis vom 18.5.2011, 2011/03/0001, lässt sich mit dem gegenständlichen Sachverhalt zumindest insoweit vergleichen, als der dort Betroffene seine Faustfeuerwaffe (ohne Hinzutreten aggressiver Handlungen) in stark alkoholisiertem Zustand geführt hatte. Hinzu kam, dass sich der Vorfall in einer (öffentlichen) Bar zugetragen und er die Waffe offen auf den Tisch gelegt hatte bzw. er die Kontrolle über die Waffe während des Aufenthalts in der Bar bereits verloren hatte, indem sie ihm zuvor aus der Kleidung gerutscht war. Weiters fiel ins Gewicht, dass beim Betroffenen im damals entschiedenen Fall auch eine psychische Labilität diagnostiziert worden war; ein Umstand, den der Mitbeteiligte in seiner Revisionsbeantwortung hervorhebt, um den Unterschied zum gegenständlichen Fall zu unterstreichen. Entscheidend war somit, dass die starke Alkoholisierung des Betroffenen und der Kontrollverlust über seine Waffe in der Öffentlichkeit die Annahme rechtfertigte, er könnte anderen Personen - wenn auch ungewollt - Zugang zur Waffe zu deren missbräuchlicher Verwendung gewähren. Seine psychische Labilität verstärkte die Prognose, dass sich Derartiges auch in Zukunft wiederholen könnte.
16 Im gegenständlichen Fall ist unbestritten, dass der Mitbeteiligte in den Nachtstunden des 8. Juli 2018 auf einer Bundesstraße mit einer geladenen Langwaffe angetroffen und einem Alko-Vortest unterzogen wurde, der auf eine starke Alkoholisierung des Mitbeteiligten hindeutete. Wäre davon auszugehen, dass diese Alkoholisierung tatsächlich vorlag und zu einem Kontrollverlust des Mitbeteiligten über seine (geladene) Waffe geführt hatte, ließe sich nicht ausschließen, dass damit der missbräuchlichen Verwendung von Waffen im Sinne des § 12 Abs. 1 WaffG Vorschub geleistet wurde.
17 Die Begründung des angefochtenen Erkenntnisse lässt diese Beurteilung aber nicht zu. Sie ist weder geeignet, die (von der BH Tulln angenommene) Gefahr einer qualifiziert missbräuchlichen Verwendung von Waffen zu bejahen noch sie zu verneinen. 18 So lassen die Feststellungen des LVwG und seine Beweiswürdigung nicht hinreichend deutlich erkennen, ob die starke Alkoholisierung des Mitbeteiligten vom LVwG nun als tatsächlich vorhanden angenommen worden ist oder nicht. In Ermangelung präziser Feststellungen zum Hergang des Geschehens bleibt auch offen, ob und allenfalls welches Verhalten des Mitbeteiligten in der damaligen Situation auf seinen Kontrollverlust im Allgemeinen und im Umgang mit der Waffe im Besonderen hindeuten konnte. Hier wäre etwa an das - von der Behörde behauptete - unkontrollierte Begehen einer mehrspurigen Bundesstraße in der Dunkelheit oder an ein (unkontrolliertes) Hantieren mit einer geladenen Waffe zu denken. Das angefochtene Erkenntnis lässt auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie es zu diesem Vorfall kommen konnte und ob es dementsprechend Anzeichen dafür gibt, dass sich ein solches Ereignis wiederholen könnte, vollständig vermissen. 19 Anhand der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses lässt sich somit nicht abschließend beurteilen, ob das LVwG mit seiner Entscheidung - wie die Amtsrevision geltend macht - von den rechtlichen Leitlinien in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Waffenverbot abgewichen ist oder ob es sich innerhalb dieser Leitlinien gehalten hat.
20 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 24. September 2019
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