VwGH Ra 2018/17/0187

VwGHRa 2018/17/018722.1.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und die Hofrätinnen Mag.a Nussbaumer‑Hinterauer sowie Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision der U s.r.o. in B, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 16. Mai 2018, LVwG‑S‑768/001‑2017, betreffend Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Gmünd), zu Recht erkannt:

Normen

GSpG 1989
MRK Art6
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §44
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018170187.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmünd vom 20. Februar 2017 wurde gegenüber der revisionswerbenden Partei die Beschlagnahme näher bezeichneter Glücksspielgeräte gemäß § 53 Abs. 1 Z 1 lit. a Glücksspielgesetz (GSpG) angeordnet.

2 Gegen diesen Bescheid erhob die revisionswerbende Partei Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, in welcher sie unter anderem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht die Beschwerde ‑ ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und/oder Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie sich den Ausführungen der revisionswerbenden Partei zur Verhandlungspflicht anschließt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 Die Revision ist schon in Bezug auf die im Zulässigkeitsvorbringen aufgeworfene Rechtsfrage zur Verletzung der Verhandlungspflicht gemäß Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC zulässig und berechtigt.

In der beim LVwG erhobenen Beschwerde beantragte die revisionswerbende Partei, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Das LVwG hat begründungslos von einer Verhandlung abgesehen.

Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder „strafrechtliche Anklagen“ im Sinne des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. z.B. VwGH 29.6.2017, Ra 2017/04/0036). Schon im Hinblick auf die behauptete Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des Glücksspielgesetzes wegen Verletzung von Grundfreiheiten wäre daher im vorliegenden Beschlagnahmeverfahren nach dem Glücksspielgesetz die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich gewesen.

In der Beschwerde wurden auch Tatsachenfragen aufgeworfen, sodass kein Entfall der Verhandlungspflicht eingetreten ist, weil Verfahrensgegenstand nur die Lösung einer Rechtsfrage gewesen wäre (vgl. VwGH 25.9.2018, Ra 2018/17/0141).

6 Allerdings wäre auch nach den Bestimmungen des VwGVG eine Verhandlung durchzuführen gewesen:

7 Das Landesverwaltungsgericht sah trotz entsprechenden Antrages der revisionswerbenden Partei in der erhobenen Beschwerde ohne nähere Begründung von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit § 53 Abs. 2 GSpG bereits mehrmals ausgesprochen, dass die Bestimmungen über die Beschlagnahme im Glücksspielgesetz als Regelungen des Verwaltungsstrafverfahrens zu verstehen sind, weshalb die Vorschriften über das Verfahren in Verwaltungsstrafsachen des VwGVG (§§ 37ff VwGVG) zur Anwendung zu gelangen haben. Im Hinblick auf die in Frage stehende Verhandlungspflicht bedeutet dies im vorliegenden Fall, dass § 44 VwGVG anzuwenden war (vgl. VwGH vom 14.6.2018, Ra 2017/17/0641).

9 Das Verwaltungsgericht hat gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. So entfällt die Verhandlung nach Abs. 2 leg. cit., wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Beide Voraussetzungen lagen im Revisionsfall nicht vor. Da das Landesverwaltungsgericht mit Erkenntnis entschieden hat, kam auch ein Absehen von der Verhandlung nach § 44 Abs. 4 VwGVG, das voraussetzt, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat, nicht in Betracht (vgl. VwGH 6.9.2018, Ra 2018/17/0057, mwN).

10 Die revisionswerbende Partei hatte in ihrer Beschwerde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausdrücklich beantragt. Ein nachfolgender Verzicht wurde nicht festgestellt und ist auch nach der Aktenlage nicht ersichtlich. Aus diesem Grunde konnte das Landesverwaltungsgericht das Unterbleiben der Verhandlung auch nicht auf § 44 VwGVG Abs. 3 oder Abs. 5 stützen.

11 Indem das Landesverwaltungsgericht daher im Revisionsfall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen hat, erweist sich das angefochtene Erkenntnis infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften als rechtswidrig. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

12 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. Jänner 2019

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