VwGH Ra 2018/08/0238

VwGHRa 2018/08/023829.1.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der I GmbH in Wien, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2017, Zlen. W147 2157682-1/9E, W147 2157684-1/9E, betreffend Streichung von Arzneispezialitäten aus dem Erstattungskodex (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, vertreten durch die Preslmayr Rechtsanwälte OG, Universitätsring 12, 1010 Wien), zu Recht erkannt:

Normen

31989L0105 Transparenz-RL Arzneimittel Art6 Z2;
ASVG §31 Abs3 Z12;
ASVG §351c Abs10 Z1;
ASVG §351c Abs10;
ASVG §351g Abs2;
ASVG §351h Abs4;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §52;
AVG §53;
B-VG Art18;
VwGVG 2014 §10;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §24;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018080238.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht gemäß § 351c Abs. 10 Z 1 ASVG die Streichung der von der Revisionswerberin vertriebenen Arzneispezialitäten Subutex 2 mg und Subutex 8 mg aus dem Erstattungskodex verfügt. Es handle sich um im gelben Bereich des Erstattungskodex gelistete Originalprodukte. Mit 1. November 2016 sei es durch Aufnahme des wirkstoffgleichen Nachfolgeprodukts Buprenorphin "Ratiopharm" 2 mg und 8 mg in den gelben Bereich des Erstattungskodex zu einer dritten Preisreduktion und zu einem Streichungsbegehren der belangten Behörde gekommen. Die Revisionswerberin habe ein erhebliches Interesse der Versicherten am Verbleib ihrer Produkte im Erstattungskodex geltend gemacht, weshalb für sie höhere Preise gerechtfertigt seien. Die Behauptung der Revisionswerberin, Substitutionspatienten (die die gegenständlichen Arzneispezialitäten wegen ihrer Suchtgiftabhängigkeit erhielten) würden Generika ablehnen bzw. ihre Substitutionsbehandlung abbrechen oder auf andere, weniger geeignete und letztendlich teurere Wirkstoffe umgestellt, wenn sie die gegenständliche Arzneispezialität nicht mehr erhalten könnten, sei nicht durch belastbare Daten belegt. Die Revisionswerberin habe zwar umfangreiche Daten zu Therapiedauer, Abbruchraten, Beikonsum sowie Mortalität während und nach Beendigung der Substitutionstherapie mit verschiedenen Opioiden vorgelegt. Allerdings habe sie keine Daten vorgelegt, aus denen hervorgehen würde, welcher Anteil der Substitutionspatienten tatsächlich so große Vorbehalte gegen Generika hegen würde, dass diese einen Therapieabbruch oder einen Wechsel auf einen anderen Wirkstoff einer Behandlung mit einem Generikum vorziehen würden. Dass Subutex auch nach Einführung verschiedener Generika einen großen Anteil an den Verordnungen habe, sei angesichts der Verfügbarkeit eines gut eingeführten Produktes nicht verwunderlich. Allerdings sei der Vergleich auf Basis der Umsatzentwicklung irreführend, weil die Generika wesentlich kostengünstiger seien als Subutex. Aus einer französischen Publikation aus dem Jahr 2012 gehe hervor, dass die Argumente und die Ablehnung der Patienten nicht immer begründet, sondern oft auf unzureichende Informationen zurückzuführen seien. Bei der von der Revisionswerberin vorgelegten Publikation aus dem Jahr 2011 handle es sich um eine beschreibende Zusammenfassung von (nicht systematisch) zusammengestellten Studien und Fallberichten zu klinischer Verschlechterung bei Wechsel auf Generika. Es handle sich weder um eine Metaanalyse, die die Ergebnisse von mehreren Studien kombinieren und einen mittleren Effekt einschätzen würde, noch um einen systematischen "Review", der eine umfassende systematische Literaturrecherche und eine kritische Evaluierung der wissenschaftlichen Evidenz in Bezug auf die Fragestellung voraussetzen würde. Die Publikation würde auf Grund der eingeschränkten Methodik ein hohes Verzerrungspotenzial aufweisen. Die Aussagekraft sei gering, die "Validität der Evidenz" niedrig. Zudem würden Studien und Fallberichte zu verschiedenen Psychopharmaka zusammengefasst, nicht jedoch zur gegenständlichen Arzneispezialität Buprenorphin, weshalb aus dieser Publikation keine Umstellungsschwierigkeiten weg von den gegenständlichen Arzneispezialitäten belegt werden könnten. In ähnlicher Weise ging das Verwaltungsgericht beweiswürdigend auf die weiteren von der Revisionswerberin vorgelegten Studien ein, verneinte die behaupteten Umstellungsschwierigkeiten und verwies darauf, dass eine ausführliche ärztliche Beratung für eine "positive Auswirkung auf die Compliance" wesentlich sei. Nur so könnten negative Erwartungshaltungen der Patienten positiv beeinflusst werden. Die Revisionswerberin habe keine Interessen der Versichertengemeinschaft nachweisen können, die als Ausnahme von der geforderten Preisreduktion einen höheren Preis als jenen des "dritten Generikums" rechtfertigen würde. Eine Einigung auf eine Reduktion der Preise der gegenständlichen Arzneispezialitäten auf den Preis der genannten Nachfolgeprodukte sei nicht erzielt worden.

2 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht u. a. aus, es sei zu untersuchen, ob die Revisionswerberin (gemäß § 351c Abs. 10 Z 3 ASVG) eine angemessene Preisreduktion angeboten habe bzw. die Ablehnung dieses Angebotes durch die belangte Behörde fachlich begründet gewesen sei. Es sei grundsätzlich konsequent, im System des Erstattungskodex für wirkstoffgleiche Produkte gleiche Preise vorzusehen. Habe sich jedoch auf Grund bestimmter Eigenschaften des Originalproduktes oder der damit zu therapierenden Erkrankung z.B. eine Umstellung von Patienten auf ein Generikum als nur erschwert möglich erwiesen, könne ein "erhebliches" Interesse der Versicherten am Verbleib des Originalproduktes im Erstattungskodex gegeben sein. Die Revisionswerberin habe indes keine Nachweise erbracht, die im Rahmen einer Interessenabwägung ein Absehen von der geforderten Preisreduktion auf das Niveau des "dritten Generikums" rechtfertigen würden. Ein aus nachprüfbaren Fakten ableitbares Problem bei der Umstellung von PatientInnen von Subutex auf Generika sei nicht dargetan worden. Die von der Revisionswerberin vorgelegten "Expertenstatements" seien "hinsichtlich der Evidenzhierarchie der VO-EKO (§ 24 Abs. 3) einzuordnen" und somit nicht geeignet, ohne weitere Evidenz den Nachweis der therapeutischen Gleichwertigkeit von Generika und Subutex zu widerlegen. Soweit die Revisionswerberin vermeine, die belangte Behörde habe die Transparenzrichtlinie verletzt, sei durch die Beschwerde und die inhaltliche Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichtes mit den Argumenten der Revisionswerberin ein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz gewährleistet worden.

3 Die Revisionswerberin habe die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Für das Beschwerdeverfahren betreffend den Erstattungskodex gelte ein Neuerungsverbot (§ 351h Abs. 4 ASVG). Der Sachverhalt sei durch die belangte Behörde vollständig erhoben worden und weise nach wie vor die "gebotene Aktualität" auf. Das Verwaltungsgericht habe die Beweiswürdigung der belangten Behörde bestätigt. Das Anführen weiterer, das Gesamtbild lediglich abrundender (für die Beurteilung jedoch nicht ausschlaggebender) Argumente schade nicht. Im Übrigen sei das Beschwerdevorbringen unsubstantiiert, enthalte kein neues Tatsachenvorbringen und sei nicht geeignet, die erstinstanzliche Entscheidung in Frage zu stellen. Der maßgebliche Sachverhalt sei aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen. Eine mündliche Erörterung lasse keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung habe somit gemäß § 24 VwGVG unterbleiben können.

4 Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 24. September 2018, E 4056/2017-18, die Behandlung der Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Die Revisionswerberin führte daraufhin die vorliegende Revision aus. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung bzw. Abweisung der Revision beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen:

6 Die Revisionswerberin erblickt entgegen dem Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung u.a. darin, dass das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewichen sei. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht sei es vor allem um die Frage gegangen, ob die Umstellung von Suchtpatienten von Subutex auf Buprenorphin-Generika zu den bereits im erstinstanzlichen Verfahren behaupteten Schwierigkeiten führen werde (höhere Wahrscheinlichkeit eines Therapieabbruchs, erhöhte Mortalität, Preissteigerungen etc.). Dazu habe die Revisionswerberin eine Vielzahl wissenschaftlicher Dokumente vorgelegt und außerdem zur Untermauerung dieser Behauptungen einen Zeugen- bzw. Sachverständigenbeweis beantragt. In der Beschwerde sei es im Wesentlichen um Sachverhaltsfragen gegangen. Daher hätte das Verwaltungsgericht jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchführen müssen. Das Recht der Revisionswerberin auf Listung und Vertrieb von Subutex zu einem bestimmten Preis sei ein "civil right" iSd Art. 6 EMRK. Die Relevanz des Verfahrensmangels des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung sei nicht zu prüfen. Des Weiteren fehle es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage des "Beweiswertes von Stellungnahmen einzelner Experten iSd § 24 Abs. 3 Z 6 VO-EKO". Insbesondere erscheine fraglich, ob das Verwaltungsgericht solchen Stellungnahmen jeglichen Beweiswert absprechen dürfe. Das Verwaltungsgericht habe sich über diese Stellungnahmen einfach hinweggesetzt, ohne einen wissenschaftlichen Nachweis für seine eigene Meinung zu zitieren. Schließlich müsse gemäß Art. 6 Z 2 Richtlinie 89/105/EWG ("Transparenzrichtlinie") die Entscheidung, ein Arzneimittel nicht in die Liste der unter das Krankenversicherungssystem fallenden Erzeugnisse aufzunehmen, eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende Begründung entfalten. Gegebenenfalls seien zu Grunde liegende Stellungnahmen oder Empfehlungen von Sachverständigen anzugeben. Es sei unklar, wovon die Erwägungen der belangten Behörde bzw. des Verwaltungsgerichtes ausgingen bzw. inwieweit sie auf einer Stellungnahme der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission (HEK) beruhten. Weder die belangte Behörde noch das Verwaltungsgericht hätten die sich aus Art. 6 Z. 2 der Transparenzrichtlinie ergebende Verpflichtung eingehalten, die der Entscheidung zu Grunde liegende Stellungnahme der HEK klar und nachvollziehbar zu zitieren. Im Übrigen sei zweifelhaft, dass ein unbemerktes (elektronisches) Ablegen einer Stellungnahme der HEK (gemäß § 11 VO-EKO) den Vorgaben der Transparenzrichtlinie entspreche.

7 Die Revision ist aus den von der Revisionswerberin genannten Gründen zulässig und berechtigt.

8 Soweit die Revisionswerberin allerdings eine Missachtung des rechtlichen Gehörs (gemäß Art. 6 Z 2 der Richtlinie 89/105/EWG bzw. im Sinne des § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG) rügt, weil sich das Verwaltungsgericht auf die Empfehlung der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission (HEK) gestützt habe, die ihr tatsächlich nicht bekannt gewesen und nicht zur Äußerung vorgehalten worden sei, ist ihr zunächst entgegenzuhalten, dass ihr die Empfehlung der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission (HEK) im Weg der für das vorliegende Verfahren vorgesehenen elektronischen Kommunikation gemäß § 11 VO-EKO zugänglich gewesen ist, was für eine Wahrung des rechtlichen Gehörs auch iSd. Art. 6 Z 2 der Transparenz-RL ausreicht (vgl. VwGH 7.4.2016, Ra 2015/08/0198).

9 § 351c Abs. 10 ASVG in der gemäß § 705 Abs. 2 ASVG in Anbetracht der Einleitung des Verfahrens durch den Hauptverband vor dem 2. April 2017 für den vorliegenden Fall noch anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 33/2009 lautet auszugsweise:

"(10) Liegt für eine Arzneispezialität ein wirkstoffgleiches Nachfolgeprodukt (Generikum) vor, so gilt zur Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit Folgendes:

1. Der Hauptverband hat mit dem vertriebsberechtigten

Unternehmen des Originalprodukts eine Preisreduktion von 30% zu vereinbaren, womit die Arzneispezialität weiter im Erstattungskodex bleibt. Für die Aufnahme des Generikums in den Erstattungskodex vereinbart der Hauptverband mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen einen Preis, der um 25,7% unter dem abgesenkten Preis des Originalprodukts liegt. Alle weiteren Generika werden vom Hauptverband in den Erstattungskodex aufgenommen, wenn ein genügend großer Preisunterschied zum ersten Generikum besteht. Sobald durch ein Generikum eine dritte Preisreduktion erfolgt ist, kann der Hauptverband mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen des Originalprodukts eine neuerliche Preisreduktion vereinbaren. Kann eine Einigung nicht erzielt werden, so ist die Arzneispezialität aus dem Erstattungskodex zu streichen.

(...)."

10 Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 14. März 2012, B 970/09, VfSlg. 19.631, zu § 351c Abs. 10 ASVG idF BGBl. I Nr. 33/2009 ausgeführt, dass das Verlangen einer neuerlichen Reduktion des Preises des Originals, sobald auf diese Weise durch ein Generikum eine dritte Preisreduktion erfolgt sei, ungeachtet der Verwendung des Wortes "kann" nicht im freien Ermessen des Hauptverbandes liege. Dem Hauptverband stehe es weder frei, manche Unternehmen im Gegensatz zu anderen von einer Forderung nach einer weiteren angemessenen Preisreduktion auszunehmen, noch im Falle der Ablehnung einer angemessenen Preisreduktion von einer Streichung des Originalprodukts aus dem Erstattungskodex abzusehen. Die Streichung der Arzneispezialität aus dem Erstattungskodex sei die zwingende Folge einer Nichteinigung zwischen dem Hauptverband und dem vertriebsberechtigten Unternehmen im Rahmen dieser gesetzlichen, durch die VO-EKO näher präzisierten Vorgaben. Es entspreche § 351g Abs. 2 ASVG, sich dabei an den Empfehlungen der ökonomischen Beurteilungskriterien der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission (HEK) zu orientieren.

11 Im Erkenntnis vom 11. März 2014, B 1451/2011, VfSlg. 19.857, hob der Verfassungsgerichtshof hervor, dass weiterhin ein "erhebliches" Interesse der Versicherten am Vorhandensein des Originalproduktes im Kodex der im Rahmen der sozialen Krankenversicherung verschreibbaren Arzneispezialitäten gegeben sein könne, wenn sich auf Grund bestimmter Eigenschaften des Originalproduktes oder der damit zu therapierenden Erkrankung z. B. eine Umstellung von Patienten auf ein Generikum als nur erschwert möglich erweise. Wenngleich es grundsätzlich konsequent sei, für wirkstoffgleiche Produkte im System des Erstattungskodex gleiche Preise vorzusehen, habe der Hauptverband ein derartiges (aus Umstellungsschwierigkeiten resultierendes) Interesse im Zuge der nach § 351c Abs. 10 Z 1 vorletzter Satz ASVG zu führenden Verhandlungen mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen des Originalprodukts zu berücksichtigen und mit den wirtschaftlichen Interessen der Sozialversicherung abzuwägen. Der Spielraum des Hauptverbandes sei durch die vom Gesetzgeber vorgesehenen Kriterien im Lichte des Art. 18 B-VG ausreichend bestimmt. Der erforderliche Rechtsschutz für das vertriebsberechtigte Unternehmen sei dadurch gewährleistet, dass bei der Kontrolle der Streichungsentscheidung die Angemessenheit der Forderungen des Hauptverbandes bzw. der Angebote des vertriebsberechtigten Unternehmens im Rahmen der genannten gesetzlichen Kriterien nachprüfbar sei. Es sei nicht zu beanstanden, von der Vermutung auszugehen, dass eine Absenkung des Preises auf das Niveau des die dritte Preisreduktion auslösenden Generikums den ökonomisch angemessenen Preis darstelle. Diese Vermutung könne aus medizinischen oder sonstigen inhaltlichen Gründen (wie z.B. die genannten Umstellungsschwierigkeiten) widerlegt werden.

12 Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich - jedenfalls für die hier zu beurteilende Rechtslage des § 351c Abs. 10 ASVG idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 49/2017 - diesen zur Maßgeblichkeit von Umstellungsschwierigkeiten von Originalprodukten auf Generika vertretenen Auffassungen an.

13 § 351 h Abs. 3 und 4 ASVG lautet auszugsweise:

"§ 351h. (1) (...)

(2) (...)

(3) Beschwerden nach Abs. 1 und 2 sind binnen vier Wochen nach Zustellung der Entscheidung des Hauptverbandes beim Hauptverband über das Internetportal www.sozialversicherung.at einzubringen. Eine Beschwerdevorentscheidung und eine Nachholung des Bescheides nach den §§ 14 bis 16 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, sind unzulässig. Der Hauptverband hat dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich die Beschwerde unter Anschluss der Verfahrensakten vorzulegen. Dem Hauptverband steht es frei, binnen vier Wochen ab Einbringung der Beschwerde eine Stellungnahme an das Bundesverwaltungsgericht abzugeben. (...).

(4) In der Beschwerde oder in der Stellungnahme nach Abs. 3 können sich das vertriebsberechtigte Unternehmen und der Hauptverband nur auf Tatsachen und Beweise beziehen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Hauptverbandes vom vertriebsberechtigten Unternehmen oder vom Hauptverband bereits eingebracht worden sind. Das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweise im Beschwerdeverfahren ist nur zur Stützung oder zur Widerlegung der in der ersten Instanz rechtzeitig vorgebrachten Tatsachen und Beweise zulässig. Solche neuen Tatsachen und Beweise dürfen überdies nur dann berücksichtigt werden, wenn diese entweder in der Beschwerde oder der Stellungnahme des Hauptverbandes nach Abs. 3 bereits eingebracht wurden.(...)"

(5) (...)."

14 Aus § 351 h Abs. 4 ASVG ergibt sich - in Abweichung vom VwGVG (vgl. insbesondere dessen § 10) - ein auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Hauptverbandes (der belangten Behörde) bezogenes Neuerungsverbot. Neue Tatsachen und Beweise können nur zur Stützung oder zur Widerlegung der in der ersten Instanz rechtzeitig vorgebrachten Tatsachen und Beweise vorgebracht werden.

15 Soweit sich der Hauptverband in der

Revisionsbeantwortung auf diese Regelung Bezug nimmt, ist ihm zu entgegnen, dass er in seinem Bescheid vom 18. April 2017 die von der revisionswerbenden Partei vorgebrachten Umstellungsschwierigkeiten samt den diesbezüglichen Dokumenten (amtswegig) inhaltlich behandelt und damit zum Prozessgegenstand gemacht hat.

16 Ziel der erstinstanzlichen medizinisch-

therapeutischen Evaluation durch die Heilmittel-Evaluierungs-Kommission (HEK) ist es, den Nutzen für eine bestimmte Gruppe von Patienten durch die Behandlung mit einer bestimmten Arzneispezialität im Vergleich zu therapeutischen Alternativen in näher bestimmter Weise zu quantifizieren (§ 35 Abs. 2 iVm § 24 Abs. 1 und 2 VO-EKO), wobei allerdings bei - wie hier - wirkstoffgleichen Produkten gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VO-EKO grundsätzlich davon auszugehen ist, dass kein zusätzlicher therapeutischer Nutzen vorliegt, und die gesundheitsökonomische Evaluation nach § 25 Abs. 2 Z 1 VO-EKO zu erfolgen hat (vgl. VwGH 28.3.2017, Ro 2016/08/0023). Nur ausnahmsweise können diesfalls medizinisch-therapeutische Gründe - wie die oben beschriebenen Umstellungsschwierigkeiten - letztlich doch einen Verbleib im Erstattungskodex rechtfertigen. Dabei hat die HEK die "Validität der Evidenz" (die Aussagekraft der Unterlagen) nach dem - von prospektiven Studien bis zu den Stellungnahmen von ExpertInnen - abgestuften Qualitätskatalog des § 24 Abs. 3 VO-EKO zu bemessen. Die Beurteilung der HEK, deren - nicht bindenden - Empfehlung an den Hauptverband zB betreffend eine Streichung der Arzneispezialität aus dem Erstattungskodex zu Grunde liegt (§ 35 Abs. 2 iVm 26 Abs. 3 VO-EKO), hat den Kriterien der Wissenschaft, der Transparenz und der gesundheitsökonomischen Bewertungen zu entsprechen (§ 351g Abs. 2 letzter Satz ASVG; 26 Abs. 4 VO-EKO). Ist sie schlüssig, so kommt ihr hinsichtlich der einzelnen festzustellenden Tatsachen die Beweiskraft eines Sachverständigengutachtens zu.Der Hauptverband (bzw. im Beschwerdeverfahren das Bundesverwaltungsgericht) darf sich bei der Beweiswürdigung nur dann darüber hinwegsetzen, wenn die Beurteilung der HEK nicht schlüssig ist bzw. wenn ihr andere, entsprechend valide sachverständige Äußerungen widersprechen (VwGH 6.7.2016, Ro 2016/08/0012, VwSlg 19415 A).

17 Bei der Frage, ob im vorliegenden Fall die behaupteten Umstellungsschwierigkeiten zu erwarten sind, handelt es sich um eine Fachfrage, die erforderlichenfalls im Rahmen eines Sachverständigengutachtens zu beantworten ist. Das VwGVG enthält keine eigenen Bestimmungen betreffend die Beiziehung von Sachverständigen im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten. Gemäß § 17 VwGVG kommen die Bestimmungen der §§ 52 und 53 AVG zum Tragen. Die zu diesen Bestimmungen des AVG ergangene hg. Judikatur kann auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten übertragen werden. Werden von den Parteien Gutachten anderer Sachverständiger oder andere sachverständige Stellungnahmen vorgelegt, so sind diese erforderlichenfalls einer Überprüfung durch amtliche bzw. nichtamtliche Sachverständige als Hilfsorgan des Verwaltungsgerichts iSd § 52 AVG zu unterziehen ("Plausibilitätsprüfung"), wobei gegebenenfalls dann aber nicht noch ein (zusätzliches) Gutachten eines Sachverständigen iSd § 52 AVG notwendig ist (VwGH 6.7.2016, Ro 2016/08/0012, VwSlg. 19415 A; 24.11.2016, Ra 2016/08/0142).

18 Dass die "Validität der Evidenz" (die Aussagekraft der Unterlagen) nach dem - von prospektiven Studien bis zu den Stellungnahmen von ExpertInnen - abgestuften Qualitätskatalog des § 24 Abs. 3 VO-EKO zu bemessen ist, bedeutet nicht, dass nicht auch "nachrangigen" Unterlagen ein entscheidender Beweiswert zukommen kann.

19 Die Revisionswerberin hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Verwaltungsgericht beantragt. Das Verwaltungsgericht durfte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Verhandlung nur dann absehen, wenn die Akten hätten erkennen lassen, dass durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstanden.

20 Im vorliegenden Fall hatte das Verwaltungsgericht im Rahmen des oben beschriebenen Ermittlungsverfahrens die Frage zu klären, ob bei Suchtgiftpatienten (die uU zusätzlich unter psychischen Erkrankungen leiden) bei ordnungsgemäßer ärztlicher Beratung und Behandlung Umstellungsschwierigkeiten zu erwarten sind. Dabei sind allenfalls auch die diesbezüglich im Ausland gemachten Erfahrungen zu berücksichtigen (vgl. § 31 Abs. 3 Z 12 ASVG).

21 Der vorliegende Fall liegt in Anbetracht der Richtlinie 89/105/EWG betreffend die Transparenz im Anwendungsbereich des Unionsrechts und damit auch in dem des insoweit dem Art. 6 EMRK gleichenden Art. 47 der EU-Grundrechte-Charta (GRC) (VfGH 29.6.2013, B 938/2010, VfSlg. 19.773).

22 Es gibt keinen Hinweis darauf, dass bei Ermittlung allfälliger Umstellungsschwierigkeiten der von der Revisionswerberin behaupteten Art von vornherein angenommen werden könnte, dass die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung nichts zur Klärung der Rechtssache beitragen könnte, zumal es sich nicht bloß "um eine Frage technischer Natur", sondern um die Aufnahme bzw. Erörterung eines Sachverständigenbeweises vor kontroversiellem Hintergrund handelt (vgl. VwGH 8.7.2015, Ra 2015/11/0036). Es gehört gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen, um sich als Gericht - unter Beachtung des Rechts der Parteien, Fragen zu stellen oder maßgebliche sachliche oder rechtliche Gesichtspunkte zu erörtern - einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen oder Parteien und eben auch von der Nachvollziehbarkeit einer Stellungnahme durch einen Sachverständigen zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. VwGH 17.3.2016, Ra 2016/08/0007). Ist eine Verhandlung nach Art. 6 EMRK bzw. nach Art. 47 GRC geboten, dann ist eine Prüfung der Relevanz eines Verfahrensmangels, der in der Unterlassung einer solchen Verhandlung besteht, nicht durchzuführen (VwGH 25.9.2017, Ra 2016/08/0127).

23 Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

24 Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am 29. Jänner 2019

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