Normen
AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs2e;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §17;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018020307.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 22. Mai 2018 wurde dem Mitbeteiligten mit näheren Konkretisierungen eine Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO zur Last gelegt, da er auf der Autobahn schneller als die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h gefahren sei (209 km/h gefahrene Geschwindigkeit nach Abzug von 12 km/h Messtoleranz). Über den Mitbeteiligten wurde gemäß § 99 Abs. 2e StVO eine Geldstrafe von EUR 700,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 323 Stunden) verhängt.
2 Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis insofern statt, als es die Geldstrafe auf EUR 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 140 Stunden) herabsetzte. Weiters sprach es aus, dass in der Tatbeschreibung der Wert der gefahrenen Geschwindigkeit mit "177 km/h" neu bestimmt werde und die anzuwendende Strafbestimmung von "§ 99 Abs. 2e StVO" auf "§ 99 Abs. 2d StVO" abgeändert werde. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, "mit den Angaben des (Mitbeteiligten) laut Anzeige vom 27. Februar 2018 (...) (sei) zunächst zu entnehmen, dass eine Überschreitung des 130 km/h Tempolimits auf der A1 Westautobahn, welche durch Nachfahrt mit einem Polizeifahrzeug dienstlich wahrgenommen" worden sei, dem Grunde nach seitens des Mitbeteiligten zugestanden werde.
Der verwendete Tachometer des Dienstfahrzeuges sei dabei geeicht gewesen, der Eichschein liege dem Akt bei. In dieser Hinsicht habe die Bezirkshauptmannschaft den Wert der festgestellten Geschwindigkeit unter Berücksichtigung der Messtoleranz von 5 % mit 209 km/h angenommen (dabei handle es sich jedoch nur um den vom Tachometer des Dienstfahrzeuges abgelesenen Geschwindigkeitswert des nachfahrenden Fahrzeuges). In der Anzeige vom 27. Februar 2018 stehe zu lesen, dass der entsprechende Geschwindigkeitswert bei annähernd gleichbleibendem Abstand und annähernd gleichbleibender Geschwindigkeit für die gegenständliche Tatörtlichkeit abgelesen habe werden können. Werde die Geschwindigkeit eines Fahrzeuges - wie im Gegenstand - durch Nachfahren in etwa gleichbleibendem Abstand mit etwa gleicher Geschwindigkeit durch Ablesen der Geschwindigkeit vom Tachometer des verfolgenden Fahrzeuges festgestellt, handle es sich aber nicht um eine Messung, wie etwa mit einem Radargerät, sondern um eine Schätzung (Hinweis auf VwGH 27.5.1988, 87/18/0069). Dazu sei entsprechend der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 18.12.1987, 5 Ss (OWi) 187/86 - 43/86 IV, ein Sicherheitsabzug von 15 % zu Gunsten des Mitbeteiligten vorzunehmen, wenn nicht mit gleichbleibender Geschwindigkeit in einem dem halben Tachometerwert entsprechenden Abstand über eine Strecke nachgefahren werde, die mindestens das 10-fache des halben Tachometerwertes betrage.
Da diese Voraussetzungen entsprechend der Anzeige der Polizei nicht erfüllt worden seien, indem bei der Nachfahrt kein gleichbleibender Abstand habe eingehalten werden können und auch keine gleichbleibende Geschwindigkeit, sondern der abgelesene Höchstwert (vom Tachometer des nachfahrenden Dienstfahrzeugs) zur Anzeige gebracht werde, erscheine es notwendig, zu Gunsten des Mitbeteiligten bei der gegebenen Schätzung mit einem entsprechenden Sicherheitsabzug vorzugehen, was entsprechend der dargestellten Rechtsprechung konkret einen rechnerischen Wert von wenigstens 177 km/h tatsächlich gefahrener Geschwindigkeit des Fahrzeuges des Mitbeteiligten ergebe.
Zu Gunsten des Mitbeteiligten sei festzuhalten, dass somit die Strafbestimmung nach § 99 Abs. 2e StVO keine Anwendung erlange, sondern dagegen die geringere Strafbestimmung des § 99 Abs. 2d StVO anzuwenden sei. In dieser Hinsicht erfolge spruchgemäß zu Gunsten des Mitbeteiligten eine entsprechende Bescheidpräzisierung nebst Strafherabsetzung.
4 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision der Bezirkshauptmannschaft Amstetten mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die revisionswerbende Behörde rügt in ihrer Zulässigkeitsbegründung zunächst, die Sachverhaltsfeststellung des Verwaltungsgerichts, wonach die im vorliegenden Fall gemessene Geschwindigkeit 209 km/h betragen habe, sei aktenwidrig und unrichtig. Die gemessene und vom Tachometer des Dienstfahrzeuges abgelesene Geschwindigkeit habe 221 km/h betragen. Das Verwaltungsgericht habe seiner Entscheidung sodann 177 km/h zugrunde gelegt und den Sachverhalt unter die Strafbestimmung des § 99 Abs. 2d StVO subsumiert, die eine geringe Strafe als § 99 Abs. 2e StVO darstelle. Nach Abzug von 15 % Messtoleranz der gemessenen Höchstgeschwindigkeit von 221 km/h wäre jedoch die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit 188 km/h.
Weiters wird vorgebracht, es sei keine österreichische Rechtsprechung vorhanden, dass eine Messtoleranz von 15 % oder 20 % bei Nachfahrt mit einem geeichten Tachometer abzuziehen sei. Bei ungeeichten Tachometern gehe der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass eine Übertretung vorliege, wenn die erlaubte Geschwindigkeit erheblich überschritten werde (Hinweis auf VwGH 30.5.2007, 2003/03/0155; 19.4.2017, Ra 2017/02/0043). Die Grenze zur Heranziehung des § 99 Abs. 2e StVO liege im gegenständlichen Fall bei 181 km/h. Diese Geschwindigkeit sei durch die gemessene Geschwindigkeit von 221 km/h erheblich überschritten worden. Wenn es beim Ablesen von einem ungeeichten Tachometer ausreichend sei, dass die Überschreitung erheblich war, müsse dies auch bei einer wesentlich genaueren Messung mit einem geeichten Tachometer zutreffen.
Das Verwaltungsgericht sei außerdem von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes VwGH 19.4.2017, Ra 2017/02/0043, abgewichen, wonach die Messtoleranz von der tatsächlich abgelesenen Geschwindigkeit abzuziehen sei.
7 Die Revision ist aufgrund der von der revisionswerbenden Behörde zutreffend aufgezeigten Aktenwidrigkeit zulässig und auch berechtigt.
8 Das Verwaltungsgericht ist erkennbar von einer gemessenen Geschwindigkeit von 209 km/h ausgegangen, obwohl aus den Verwaltungsakten hervorgeht, dass die tatsächlich gemessene Geschwindigkeit 221 km/h betragen hat und es sich bei den 209 km/h um die von der Behörde bereits um 5 % Messtoleranz verringerte Geschwindigkeit gehandelt hat. Diese Aktenwidrigkeit betraf einen für den gegenständlichen Fall wesentlichen Punkt, weshalb das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit belastet ist (vgl. etwa VwGH 4.9.2018, Ra 2018/02/0084).
9 Zudem erweist sich das angefochtene Erkenntnis auch im Hinblick auf die abgezogene Messtoleranz als rechtswidrig.
10 Gemäß der hg. Rechtsprechung muss im Rahmen des ermittelten Sachverhaltes festgestellt werden, wieviel von der mit einem Verkehrsgeschwindigkeitsmessgerät gemessenen Geschwindigkeit abzuziehen ist. Als taugliche Beweismittel, um verlässliche Rückschlüsse und damit Feststellungen über die Messtoleranz des konkreten Gerätes machen zu können, sind etwa die Gebrauchsanweisung bzw. Betriebsanleitung des Verkehrsgeschwindigkeitsmessgerätes, allenfalls die Beiziehung eines verkehrstechnischen Sachverständigen, anzusehen. Die Messgenauigkeit von Geschwindigkeitskontrollsystemen stellt keine Rechtsfrage, sondern eine Tatfrage dar (vgl. etwa VwGH 27.11.2018, Ra 2018/02/0252).
11 Wie sich den Verfahrensakten entnehmen lässt, wurde die gegenständliche Geschwindigkeitsüberschreitung nicht - wie vom Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen - durch Nachfahren und Ablesen des Tachometers, sondern mit einem Geschwindigkeitsmessgerät ("Videospeed 250") gemessen. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die hg. Entscheidung Ra 2017/02/0043, welche einen nicht vergleichbaren Sachverhalt betraf, geht daher schon deshalb ins Leere.
12 Aus dem im Verfahren vorgelegten Eichschein dieses Messgerätes ergibt sich, dass eine Messunsicherheit von 5 % zu berücksichtigen ist. Das Verwaltungsgericht hat sich zur Begründung der von ihm angewendeten Messtoleranz auf eine aus dem Jahr 1987 stammende deutsche Rechtsprechung gestützt, ohne jedoch näher zu begründen oder auch nur ansatzweise - fachlich untermauert - darzulegen, wie es zu dieser Messtoleranz gelangt und weshalb es von der im gegenständlichen Eichschein angegebenen Messtoleranz abgewichen ist. In Anbetracht dieser Umstände erweist sich die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, dass eine 5 % übersteigende Messtoleranz abzuziehen sei, als nicht nachvollziehbar.
13 Zuletzt ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Begründung einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichts auf dem Boden des § 29 VwGVG 2014 mit Blick auf § 17 leg. cit. den Anforderungen zu entsprechen hat, die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach dieser Rechtsprechung bestehen die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung, und drittens in der rechtlichen Beurteilung (vgl. VwGH 10.1.2017, Ra 2016/02/0230). Das angefochtene Erkenntnis genügt diesen Anforderungen nicht.
14 Das angefochtene Erkenntnis war schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit a und c VwGG aufzuheben. Auf das weitere Vorbringen der revisionswerbenden Behörde war bei diesem Ergebnis nicht mehr einzugehen.
15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
Wien, am 26. Februar 2019
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