VwGH Ro 2018/01/0018

VwGHRo 2018/01/001828.1.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision der Salzburger Landesregierung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 6. September 2018, Zl. 405-11/81/1/34-2018, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: X Y in Z, vertreten durch Dr. Manfred Engl, Rechtsanwalt in 5202 Neumarkt am Wallersee, Hauptstraße 13/1), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §39 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
TourismusG Slbg 2003 §40 Abs2;
TourismusG Slbg 2003 §58 Abs1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018010018.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Vorgeschichte

1 Mit Bescheid der Salzburger Landesregierung (Behörde) vom 21. Februar 2018 wurde der näher bezeichnete Antrag des Mitbeteiligten, eines Staatsangehörigen des Iran, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) abgewiesen.

2 Begründend führte die Behörde zusammengefasst aus, der Mitbeteiligte biete auf Grund seines bisherigen Verhaltens keine Gewähr dafür, dass er keine Gefahr im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG darstelle.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Salzburg (Verwaltungsgericht). Angefochtenes Erkenntnis

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde dem Mitbeteiligten gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm § 20 Abs. 1 StbG die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass dieser innerhalb von zwei Jahren ab Zusicherung das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband (der islamischen Republik Iran) nachweist (Spruchpunkt 1.). Weiters wurde der Mitbeteiligte zur Zahlung einer näher bezeichneten Landesverwaltungsabgabe für die Zusicherung der österreichischen Staatsbürgerschaft verpflichtet (Spruchpunkt 2.) und eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für zulässig erklärt (Spruchpunkt 3.).

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der 1967 im Iran geborene Mitbeteiligte wohne seit 1982 in Österreich und habe 1993 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Seit 1997 betreibe der Mitbeteiligte als Geschäftsführer der P KEG erfolgreich eine näher bezeichnete Pizzeria, wo er als Pizzabäcker arbeite. 2011 sei ihm der Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" unbefristet erteilt worden. Seit 20. Juli 2016 sei der Mitbeteiligte getauft (römisch-katholisch).

6 Im Rahmen der Überprüfung der Verleihungsvoraussetzungen gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 StbG sowie § 10 Abs. 2 StbG sei festgestellt worden, dass bezüglich des Mitbeteiligten eine Finanzstrafe gemäß § 33 Abs. 1 iVm § 33 Abs. 2 lit. a Finanzstrafgesetz (FinStrG) aufscheine.

7 Im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z 6 StbG weise der Mitbeteiligte im Zeitraum 2008 bis 2015 insgesamt 22 Verwaltungsvorstrafen auf (11 Übertretungen gemäß § 103 Abs. 2 KFG, vier Übertretungen der StVO, eine Übertretung gemäß FinStrG, zwei Übertretungen gemäß ASVG, eine Übertretung gemäß AuslBG und drei Übertretungen gemäß Salzburger Tourismusgesetz 2003 (S.TG 2003)).

8 Nach den (in der rechtlichen Beurteilung disloziert getroffenen) Feststellungen zu den Verwaltungsübertretungen (im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z 6 StbG) wurde der Mitbeteiligte mit Bescheid des Finanzamtes Salzburg-Land vom 8. August 2013 wegen Abgabenhinterziehung gemäß § 33 Abs. 1 iVm § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG mit einer Geldstrafe von EUR 2.000,-- bestraft. Zur Tat wurde festgestellt: "Verkäufe von Zigaretten und Kaffee wurden nicht versteuert; Eigengebrauch von Getränken wurde dem tatsächlichen Verbrauch angepasst; Nichtabgabe der USt".

9 Ebenso (disloziert) wurde festgestellt, dass der Mitbeteiligte mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 17. Februar 2010, 19. Jänner 2011 und 14. Februar 2013 wegen Übertretungen gemäß § 9 Abs. 1 VStG iVm § 40 Abs. 2 bzw. § 58 Abs. 1 iVm § 40 Abs. 2 S.TG 2003 zu Geldstrafen in der Höhe von EUR 730,-- bzw. EUR 150,-- bzw. EUR 170,-- verurteilt worden sei. Zu den Taten wurde festgestellt: "siehe oben" bzw. "Hinterziehung oder Verkürzung eines Beitrages nach dem Salzburger Tourismusgesetz" bzw. "Verbands- bzw Tourismusbeitrag für das Jahr 2012 nicht entrichtet".

10 Zu den festgestellten Übertretungen führte das Verwaltungsgericht aus, es verkenne nicht, dass die Gesamtanzahl der Verwaltungsstrafen hoch sei. Die Anzahl der Verstöße alleine reiche allerdings noch nicht aus, um daraus generell den Schluss zu ziehen, dass der Mitbeteiligte auch noch zum jetzigen Zeitpunkt "ua" eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle. 11 der 22 Verwaltungsübertretungen seien Verstöße gegen die Auskunftspflicht im Sinne des § 103 Abs. 2 KFG gewesen, aus denen eine ablehnende Einstellung zur Republik oder eine Gefährlichkeit nicht abgeleitet werden könne.

11 Durch das Bekenntnis des Mitbeteiligten, sich in Zukunft mehr Zeit für bürokratische Belange seines Betriebes zu nehmen (unter anderem Einführung eines Ruhetages seit Jänner 2018) und dem Umstand, dass seit der letzten Strafverfügung im August 2015 keine Vormerkungen mehr aktenkundig seien, gehe das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall davon aus, dass der Mitbeteiligte aus seinen diesbezüglichen Fehlern in der Vergangenheit gelernt habe.

12 Im Hinblick auf die vier Übertretungen der StVO sei festzuhalten, dass drei dieser Übertretungen aus dem Jahr 2015 nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes als Gesamtkomplex zu betrachten seien, bei dem nicht übersehen werden dürfe, dass die jeweiligen Strafen von EUR 50,-- unabhängig vom dreieinhalbjährigen Wohlverhalten kein solches Gewicht aufwiesen, um eine negative Zukunftsprognose zu rechtfertigen.

13 Bereits nahezu fünfeinhalb Jahre liege unter anderem ein unter § 10 Abs. 1 Z 6 StbG (und nicht unter § 10 Abs. 2 Z 1 StbG) zu subsumierendes Finanzvergehen zurück, dessen Tilgung voraussichtlich am 2. Jänner 2019 eintrete. Straffreiheit habe damals nicht eintreten können, weil der Mitbeteiligte den beantragten Verkürzungszuschlag gemäß § 30a FinStrG und die damit in Verbindung stehenden Abgabennachforderungen nicht rechtzeitig und vollständig entrichtet habe.

14 Der Behörde sei im Zusammenhang mit den Übertretungen des S.TG 2003 beizupflichten, dass dem Mitbeteiligten nicht zuletzt bei diesen Übertretungen große Sorglosigkeit vorzuwerfen sei, weil ihn als einem am Wirtschaftsleben teilnehmenden Gewerbetreibenden eine besondere Sorgfaltspflicht treffe. Diese Form der Sorglosigkeit sei jedoch kein Indiz für ein von ihm ausgehendes Gefahrenpotential.

15 Dazu komme, dass der Mitbeteiligte seit der verfahrensgegenständlichen Antragsstellung am 26. Jänner 2016 keine weiteren Verwaltungsvormerkungen zu verzeichnen habe. Im Übrigen zeichne sich durch die neu geschaffenen Strukturen (Einführung eines Ruhetages, Wechsel in der steuerlichen Vertretung, anwaltliche Unterstützung etc.) die "Wiederherstellung der für die Teilnahme am Wirtschaftsleben/öffentlichen Verkehr relevanten Änderung der Einstellung zu bezughabenden Vorschriften ab".

16 Anders als die Behörde komme das Verwaltungsgericht in einer einzelfallbezogenen Beurteilung zum Ergebnis, dass der Mitbeteiligte die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG erfülle, weil der gefestigt wirkende Mitbeteiligte unter anderem aus seinen in der Vergangenheit begangenen Fehlern gelernt habe, was letztlich auch durch das zwischenzeitig nahezu dreieinhalbjährige Wohlverhalten belegt werde.

17 Im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z 7 iVm § 10 Abs. 5 StbG (hinreichende Sicherung des Lebensunterhaltes) führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte bestreite seinen Lebensunterhalt bzw. den seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen im Beurteilungszeitraum unter anderem durch Entnahmen aus dem Unternehmen (welche aus dem "Cash-Flow" finanziert worden seien).

18 Die Einkommensermittlung durch Heranziehung der Privatentnahmen aus dem Betrieb von selbständig Erwerbstätigen sei in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) zur Ermittlung des Kindes- und des Ehegattenunterhaltes bekannt. Ob Privatentnahmen feste und regelmäßig eigene Einkünfte aus Erwerb und Einkommen gemäß § 10 Abs. 5 StbG seien, sei durch den Verwaltungsgerichtshof jedoch noch nicht "ausjudiziert".

19 Im vorliegenden Fall gehe das Verwaltungsgericht davon aus, dass Privatentnahmen aus dem "Cash-Flow" (Überschuss der regelmäßigen betrieblichen Einnahmen über die regelmäßigen laufenden betrieblichen Ausgaben), bei denen der Bestand des Unternehmens durch diese Entnahme nicht gefährdet worden und außer dem Mitbeteiligten am Gewinn und Verlust des Unternehmens niemand beteiligt gewesen sei, Einkünfte im Sinne des § 10 Abs. 5 StbG darstellten, weil tatsächlich Vermögen vorhanden sei, das "flüssig" gemacht werden könne, nicht aber die Erhöhung der liquiden Mittel für die Bestreitung des Lebensbedarfs durch das Eingehen von Schulden finanziert werde. Daher sei (nach näher getroffenen Feststellungen zur Höhe des Einkommens) der Lebensunterhalt gemäß § 10 Abs. 5 StbG hinreichend gesichert.

20 Die ordentliche Revision sei zulässig, weil es an einer Rechtsprechung fehle, ob und unter welchen Voraussetzungen Privatentnahmen selbständig Erwerbstätiger als feste und regelmäßige Einkünfte im Sinne des § 10 Abs. 5 StbG zu verstehen seien.

21 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Amtsrevision der Behörde.

22 Diese wurde vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 6 VwGG mit der Revisionsbeantwortung des Mitbeteiligten (samt Antrag auf Kostenersatz) unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zulässigkeit

23 Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, die Behörde teile zunächst die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtes, wonach eine Rechtsprechung, ob und unter welchen Voraussetzungen Privatentnahmen selbständig Erwerbstätiger als feste und regelmäßige Einkünfte im Sinne des § 10 Abs. 5 StbG zu verstehen seien, fehle.

24 Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit weiter vor, das Verwaltungsgericht sei nach Auffassung der Behörde von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 10 Abs. 1 Z 6 StbG abgewichen, weil es bei der Beurteilung des Gesamtverhaltens des Mitbeteiligten nicht die Schwere der begangenen Übertretungen berücksichtigt habe.

25 Darüber hinaus sei die Revision zulässig, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle, ob und inwieweit Übertretungen gemäß § 58 Abs. 1 iVm § 40 Abs. 2 S.TG 2003 im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z 6 StbG relevant seien.

26 Der Mitbeteiligte sei wegen Abgabenhinterziehung gemäß § 33 FinStrG mit einer Geldstrafe von EUR 2.000,-- bestraft worden und diese Strafe sei "derzeit" noch nicht getilgt. Nach Auffassung der Behörde stelle auch ein Finanzvergehen eine Verwaltungsübertretung im Sinne von § 53 Abs. 2 Z 1 FPG dar und falle daher unter das Verleihungshindernis des § 10 Abs. 2 Z 1 StbG. Zu dieser Frage fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Auch deshalb sei die Revision zulässig.

27 Die Revision ist zulässig.

Verleihungshindernis des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG

28 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.

29 Zum zweiten Fall des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf das Gesamtverhalten des Verleihungswerbers, insbesondere auch auf von ihm begangene Straftaten, Bedacht zu nehmen. Maßgebend ist, ob es sich dabei um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Verleihungswerber werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten. In der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die - allenfalls negative - Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung solcher Gefahren erlassenen Gesetzen zum Ausdruck.

30 § 10 Abs. 1 Z 6 StbG knüpft nicht an eine gerichtliche Verurteilung, sondern an das Verhalten des Einbürgerungswerbers an. Zur Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Einbürgerungswerbers dürfen grundsätzlich auch getilgte Vorstrafen berücksichtigt werden (vgl. zu allem etwa VwGH 30.4.2018, Ra 2017/01/0417, mwN).

31 Ein längeres Wohlverhalten des Fremden seit einem nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG relevanten Fehlverhalten kann für eine Prognose nach dieser Bestimmung von Bedeutung sein (vgl. VwGH 14.12.2018, Ra 2018/01/0406, mwN). So hat der Verwaltungsgerichtshof eine negative Prognose nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG als rechtmäßig beurteilt, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht von längerem Wohlverhalten des Antragstellers seit dem zuletzt von ihm begangenen und für die negative Prognose als tragend angesehenen Fehlverhalten ausgegangen werden konnte (vgl. VwGH 18.6.2014, 2013/01/0120, zum Lenken eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand und der damit verbundenen Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO iVm § 99 Abs. 1 lit. b StVO).

32 In der vorliegenden Rechtssache hat das Verwaltungsgericht seine positive Prognose nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG tragend auf das "zwischenzeitig nahezu dreieinhalbjährige Wohlverhalten" des Mitbeteiligten gestützt.

33 Diese Auffassung erweist sich jedoch nicht als tragfähig:

34 So verweist die Amtsrevision darauf, dass im Verwaltungsstrafregister noch zwei weitere Verwaltungsübertretungen des Mitbeteiligten aufscheinen, welche im Zeitraum zwischen der Erlassung des Bescheides der Behörde und Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses verhängt worden seien. Dabei handle es sich um zwei weitere Übertretungen nach § 58 Abs. 1 und § 40 Abs. 2 S.TG 2003. Mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 28. Februar 2018, rechtskräftig am 11. April 2018, seien Geldstrafen von jeweils EUR 100,-- verhängt worden.

35 Dieses Vorbringen wird durch die dem Verwaltungsgerichtshof vorliegende Aktenlage bestätigt. In dieser scheinen in einer Abfrage der vorgemerkten Verwaltungsstrafen des Mitbeteiligten vom 13. September 2018 zwei Übertretungen des § 58 Abs. 1 iVm § 40 Abs. 2 S.TG 2003, "festgesetzt" am 28. Februar 2018 und rechtskräftig am 11. April 2018, jeweils eine Geldstrafe von EUR 100,--, auf.

36 Der Mitbeteiligte bestreitet dieses Vorbringen der Amtsrevision nicht, sondern bringt in der Revisionsbeantwortung lediglich vor, für das Verwaltungsgericht gebe es keinerlei Verpflichtung, "permanent bis zur tatsächlichen Entscheidung alle möglichen Strafregisterauskünfte einzuholen". Die "gesetzwidrige Einholung einer Strafregisterauskunft durch die Revisionswerberin" könne nicht als Begründung für eine Rechtswidrigkeit "herhalten".

37 Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht, wenn es in der Sache selbst entscheidet, nach gefestigter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten hat und allfällige Änderungen des maßgeblichen Sachverhalts und der Rechtslage daher zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 16.1.2018, Ro 2017/03/0017, mwN). Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass die Verwaltungsgerichte zur amtswegigen Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes verpflichtet sind (vgl. ausführlich VwGH 18.2.2015, Ra 2015/04/0007, mwN).

38 Das bedeutet für die vorliegende Rechtssache, dass das Verwaltungsgericht im Verleihungsverfahren nach dem StbG verpflichtet war, den zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln.

39 In diesem Zusammenhang wirft die Amtsrevision jedoch die Rechtsfrage auf, ob und inwieweit Übertretungen gemäß § 58 Abs. 1 iVm § 40 Abs. 2 S.TG 2003 im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z 6 StbG relevant seien.

40 Dazu ist Folgendes festzuhalten:

Übertretungen gemäß § 58 Abs. 1 iVm § 40 Abs. 2 S.TG 2003 iZm

§ 10 Abs. 1 Z 6 StbG

41 Gemäß § 40 Abs. 2 S.TG 2003, LGBl. Nr. 43 idF LGBl. Nr. 105/2016, hat der Beitragspflichtige den Verbandsbeitrag entsprechend seiner Beitragserklärung zu entrichten.

42 Gemäß § 58 Abs. 1 S.TG 2003, LGBl. Nr. 43 idF LGBl. Nr. 118/2009, begeht eine Verwaltungsübertretung, wer durch Handlungen oder Unterlassungen einen Beitrag nach diesem Gesetz (Verbandsbeitrag, Tourismusbeitrag, Fondsbeitrag) hinterzieht oder verkürzt (Z 1) oder die Beitragserklärung gemäß § 40 Abs. 1 bzw. § 43 Abs. 1 nicht abgibt (Z 2).

43 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG ist für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft (unter anderem) maßgeblich, dass der Fremde Gewähr dafür bietet, dass er keine anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen gefährdet.

44 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass Finanzvergehen im Hinblick auf das wirtschaftliche Wohl des Landes nach Art. 8 Abs. 2 EMRK Bedeutung haben können (vgl. etwa VwGH 30.1.2001, 2000/18/0001).

45 Im Bereich des Staatsbürgerschaftsrechts hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass eine Tathandlung, die sich auf die Hinterziehung von Abgaben bezieht, den Betroffenen als gefährlich im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG erscheinen lässt (vgl. VwGH 13.12.2005, 2003/01/0586).

46 Bei in Form von Interessentenbeiträgen erhobenen Fremdenverkehrsabgaben, die von Erwerbsunternehmen erhoben werden, die aus dem Fremdenverkehr Vorteile ziehen, ist Besteuerungsobjekt der vom Gesetzgeber angenommene spezielle Fremdenverkehrsnutzen. Dieser Grundsatz gilt auch in jenen Fällen, in denen die Interessentenbeiträge nicht als Fremdenverkehrsabgaben, sondern - wie im Fall des S.TG 2003 - als an Fremdenverkehrsverbände zu entrichtende Pflichtbeiträge ausgestaltet sind (vgl. zu allem VwGH 28.6.2016, 2013/17/0836, mwN; vgl. zum Umstand, dass die Erhebung von Fremdenverkehrsabgaben dann sachlich gerechtfertigt ist, wenn und insoweit einem Unternehmer zumindest mittelbar durch Hebung des Fremdenverkehrs innerhalb eines Gebietes wirtschaftliche Vorteile erwachsen, auch VwGH 23.11.2016, Ro 2016/17/0010, 0012, mwN). Schon der solcherart angenommene spezielle Fremdenverkehrsnutzen zeigt, dass auch durch das S.TG 2003 das wirtschaftliche Wohl des Landes (im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK) berührt wird.

47 Daher sind grundsätzlich auch Übertretungen des § 58 Abs. 1 iVm § 40 Abs. 2 S.TG 2003 im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z 6 StbG relevant und in eine entsprechende Prognose miteinzubeziehen. Dabei ist zu beachten, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft den Abschluss einer (erfolgreichen) Integration des Fremden in Österreich darstellen soll (vgl. zu § 10 Abs. 5 StbG VwGH 11.10.2016, Ra 2016/01/0169, mwN). Einzelfallbezogene Beurteilung

48 Für die vorliegende Rechtssache bedeutet dies, dass das Verwaltungsgericht nicht mehr tragend von einem im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG maßgeblichen nahezu dreieinhalbjährigen Wohlverhalten des Mitbeteiligten ausgehen durfte. Ausgehend davon kann die - auf dieses Wohlverhalten gestützte - positive Prognose des Verwaltungsgerichtes nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht geteilt werden.

49 Angesichts der festgestellten hohen Anzahl von Verwaltungsübertretungen durfte das Verwaltungsgericht vielmehr zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr von einer positiven Prognose nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG ausgehen. Aus diesen Gründen erweist sich Spruchpunkt 1. des Erkenntnisses mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

50 Auf die weiteren von der Amtsrevision aufgeworfenen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung war nicht einzugehen, da das rechtliche Schicksal der Revision von diesen Fragen nicht mehr abhängt (vgl. VwGH 3.9.2018, Ro 2017/01/0004, Rn. 10, mwN).

51 Aus demselben Grund war der Anregung der Amtsrevision, die Bestimmung des § 10 Abs. 5 StbG gemäß Art. 135 Abs. 4 iVm Art. 89 Abs. 2 und Art. 140 Abs. 1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof anzufechten, nicht näher zu treten.

52 Diese Rechtswidrigkeit schlägt auch auf die Kostenentscheidung in Spruchpunkt 2. des angefochtenen Erkenntnisses durch (vgl. zur akzessorischen Beziehung jedes Kostenabspruches zur Hauptsache VwGH 29.11.2017, Ra 2017/04/0079, mwN; vgl. zu den Folgen einer Aufhebung der Hauptsache nach § 42 Abs. 3 VwGG auf die Kostenentscheidung etwa VwGH 22.5.2018, Ra 2017/17/0812, mwN).

Ergebnis

53 Das angefochtene Erkenntnis war daher insgesamt wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

54 Der Mitbeteiligte hat bei diesem Ergebnis gemäß § 47 Abs. 3 VwGG keinen Anspruch auf Kostenersatz (vgl. etwa VwGH 10.7.2018, Ra 2018/01/0094).

Wien, am 28. Jänner 2019

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