VwGH Ra 2018/22/0063

VwGHRa 2018/22/006318.4.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, in der Revisionssache des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 18. Dezember 2017, VGW-151/063/9595/2017-15, betreffend Aufenthaltskarte (mitbeteiligte Partei: M S, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 10), den Beschluss gefasst:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art27;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
AVG §56;
EURallg;
NAG 2005 §54 Abs1;
NAG 2005 §55 Abs3;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §27;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220063.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 1. August 2016 im Hinblick auf seine Ehe mit der slowakischen Staatsangehörigen L M einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Nachdem bis dahin keine Entscheidung des Landeshauptmannes von Wien (belangte Behörde) ergangen war, erhob er am 23. Juni 2017 Säumnisbeschwerde.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien dieser Säumnisbeschwerde statt und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung der beantragten Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 NAG vorlägen. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.

Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung - unter Bezugnahme auf die Aussagen des Mitbeteiligten und seiner Ehefrau in der mündlichen Verhandlung - zugrunde, dass es sich bei der Ehe des Mitbeteiligten mit L M nicht um eine Aufenthaltsehe handle.

Die belangte Behörde habe weder eine Aufenthaltskarte ausgestellt noch gemäß § 55 Abs. 3 NAG das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst. Die Säumnisbeschwerde sei zulässig und berechtigt.

Der Mitbeteiligte habe den Nachweis der Ehe mit L M erbracht, seine Ehefrau sei in Österreich selbständig erwerbstätig und verfüge über eine Anmeldebescheinigung. Der Mitbeteiligte sei daher gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) unionsrechtlich zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Den Umstand, dass der Mitbeteiligte zuvor unrechtmäßig in Italien und Österreich aufhältig gewesen sei, erachtete das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (Verweis auf das Urteil EuGH 25.7.2008, Metock u.a., C-127/08 ) als nicht entscheidungserheblich. Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Sinn des Art. 27 der Freizügigkeitsrichtlinie, aus denen eine Beschränkung des Aufenthaltsrechts des Mitbeteiligten zulässig wäre, seien im Verfahren nicht hervorgekommen.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

5 Der Revisionswerber verweist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (insbesondere VwGH 18.6.2013, 2012/18/0005), wonach die Niederlassungsbehörde, wenn sie zum Ergebnis komme, dass die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht (mehr) vorlägen, die in § 55 Abs. 3 NAG vorgesehenen Verfahrensschritte zu setzen habe. Damit vermag er für den vorliegenden Fall aber kein Abweichen von dieser Rechtsprechung aufzuzeigen, weil eine Befassung des BFA nur dann zu erfolgen hat, wenn die Niederlassungsbehörde (bzw. das Landesverwaltungsgericht) bei ihrer (seiner) Überprüfung zum Ergebnis kommt, dass die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht (mehr) vorliegen. Der Umstand, dass für einen Eingriff in die unionsrechtliche Berechtigung der in § 55 Abs. 3 NAG vorgezeigte Weg der Befassung des BFA einzuschlagen ist (vgl. VwGH 13.10.2011, 2009/22/0330), ändert nichts daran, dass im Fall des Bestehens des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts die Aufenthaltskarte von der Niederlassungsbehörde auszustellen ist. Eine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlerhaftigkeit bzw. Unvertretbarkeit der diesbezüglich vorgenommenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, wonach keine Gründe hervorgekommen seien, die eine Beschränkung des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts des Mitbeteiligten rechtfertigen (und somit ein Vorgehen nach § 55 Abs. 3 NAG erfordern) würden, zeigt die Revision nicht auf.

6 Der Revisionswerber macht in diesem Zusammenhang zwar unterbliebene Ermittlungen geltend, allerdings wird die Relevanz des damit behaupteten Verfahrensmangels für den Verfahrensausgang in der Zulassungsbegründung nicht dargelegt (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2018/22/0037, mwN). Daran vermag der bloße Verweis auf die "SIS Ausschreibung" Italiens für sich genommen nichts zu ändern, zumal die in § 55 Abs. 3 NAG angesprochene Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinn des Art. 27 der Freizügigkeitsrichtlinie (nur) dann vorliegt, wenn das persönliche Verhalten des Fremden eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151; 26.6.2014, Ro 2014/21/0024). Zudem ist - soweit der Revisionswerber auf ein (an ihn ergangenes) Schreiben des Bundeskriminalamtes sowie ein mittlerweile beim BFA anhängiges Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verweist - auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach die belangte Behörde Tatsachenvorbringen, das sie im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht erstattet hat, im Revisionsverfahren auf Grund des Neuerungsverbotes nicht mehr vorbringen kann (siehe VwGH 20.12.2017, Ra 2016/10/0109, mwN).

7 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

8 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 18. April 2018

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte