VwGH Ra 2017/22/0218

VwGHRa 2017/22/02184.10.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der S Y Y in W, vertreten durch Dr. Georg Kahlig und Mag. Gerhard Stauder, Rechtsanwälte in 1070 Wien, Siebensterngasse 42/3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 3. Oktober 2017, VGW- 151/063/11480/2017-5, betreffend Bescheinigung des Daueraufenthalts (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art16 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs1 litb;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7 Abs1;
62002CJ0160 Skalka VORAB;
62010CJ0424 Ziolkowski VORAB;
62012CJ0140 Brey VORAB;
62013CJ0333 Dano VORAB;
AVG §56;
BFA-VG 2014 §9;
EURallg;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
MRK Art8;
NAG 2005 §51 Abs1 Z2;
NAG 2005 §53 Abs2;
NAG 2005 §53a Abs1;
NAG 2005 §54 Abs2;
NAG 2005 §55 Abs3;
NAG 2005 §55 Abs4;
NAG 2005 §55;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017220218.L00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (belangte Behörde) vom 17. Juli 2017 wurde der Antrag der Revisionswerberin, einer bulgarischen Staatsangehörigen, vom 7. April 2017 auf Ausstellung einer Bescheinigung des Daueraufenthaltes gemäß § 53a Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.

Die Revisionswerberin habe sich zwar seit über fünf Jahren ununterbrochen in Österreich aufgehalten, jedoch die Voraussetzung des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG nicht erfüllt, weil sie seit dem Jahr 2010 Ausgleichszulage in einer wesentlichen Höhe und nicht bloß vorübergehend beziehe. Die Ausgleichszulage sei nach der Rechtsprechung des EuGH als Sozialhilfeleistung im Sinn des Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG zu qualifizieren. Die Voraussetzungen des § 53a NAG seien somit nicht erfüllt. Die ausgestellte Anmeldebescheinigung sei weiterhin aufrecht, weil keine aufenthaltsbeendende Maßnahme getroffen worden sei.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 3. Oktober 2017 wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.

3 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung im Wesentlichen folgenden Sachverhalt zugrunde:

Der Revisionswerberin, die sich seit 28. Oktober 2009 in Österreich aufhalte, sei am 8. Februar 2010 eine Anmeldebescheinigung (nach § 53 Abs. 1 NAG) ausgestellt worden. Laut Mitteilung der Pensionsversicherungsanstalt habe die Revisionswerberin (zusätzlich zu ihrer ausländischen Pension in Höhe von EUR 114,39) ab 4. März 2010 eine Ausgleichszulage (zunächst in Höhe von EUR 444,15, ab dem 1. Jänner 2017 in der Höhe von EUR 635,39 (richtig: 695,39)) bezogen. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2014 habe die belangte Behörde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 55 Abs. 3 NAG davon in Kenntnis gesetzt, dass auf Grund des Bezuges der Ausgleichszulage die Voraussetzung nach § 51 (Abs. 1 Z 2) NAG weggefallen sei. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2014 habe das BFA mitgeteilt, gegen die Revisionswerberin seien keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen angedacht.

4 In seinen rechtlichen Erwägungen verwies das Verwaltungsgericht auf die mit 1. Jänner 2011 in Kraft getretene Neufassung des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG (in der Fassung BGBl. I Nr. 111/2010), der zufolge EWR-Bürger über ausreichende Existenzmittel verfügen müssen, "so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen". Mangels entsprechender Übergangsregelung könne ab diesem Zeitpunkt (anders als zuvor) nicht mehr von einem rechtmäßigen Aufenthalt der Revisionswerberin im Bundesgebiet gesprochen werden. Zwar sei ab der Mitteilung des BFA vom 31. Oktober 2014 betreffend das Unterbleiben einer Aufenthaltsbeendigung unter Berücksichtigung des § 55 Abs. 4 NAG wieder von einem rechtmäßigen Aufenthalt auszugehen. Dadurch sei für die Revisionswerberin aber nichts gewonnen, weil ein fünfjähriger durchgehend rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht vorliege.

5 Die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass sich die Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes der Revisionswerberin ab dem 1. Jänner 2011 aus dem eindeutigen Wortlaut des § 51 NAG ergebe. Zwar gebe es zur Frage, ob infolge der Mitteilung des BFA betreffend das Unterbleiben einer Aufenthaltsbeendigung im Hinblick auf § 55 Abs. 4 NAG in weiterer Folge von einem rechtmäßigen Aufenthalt im Sinn des § 53a Abs. 1 NAG auszugehen sei, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung. Dies sei im Hinblick auf den nicht vorliegenden fünfjährigen durchgehend rechtmäßigen Inlandsaufenthalt der Revisionswerberin aber nicht entscheidungserheblich.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Revisionsbeantwortung wurde keine erstattet.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, nur das BFA sei - wie sich aus § 55 Abs. 3 und 4 NAG ergebe - berechtigt, die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des unionsrechtlichen Aufenthaltes zu prüfen. Komme das BFA zum Ergebnis, dass keine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt werde, dann sei es jeder anderen Behörde untersagt, die Rechtmäßigkeit des unionsrechtlichen Aufenthaltes autonom zu prüfen. Daher wäre es der Niederlassungsbehörde und dem Verwaltungsgericht verwehrt gewesen, selbst eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Aufenthalt der Revisionswerberin rechtmäßig gewesen sei oder nicht. Sollte man der Ansicht sein, der Verwaltungsgerichtshof habe sich zu dieser Frage noch nicht abschließend geäußert, so fehle es an höchstgerichtlicher Rechtsprechung.

9 Die Revision ist im Hinblick darauf zulässig. 10 Die relevanten Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, lauten in der hier maßgeblichen Fassung auszugsweise:

"Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts

§ 9. (1) Zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate werden auf Antrag ausgestellt:

1. eine ‚Anmeldebescheinigung' (§ 53) für EWR-Bürger, die sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten, und

...

(2) Zur Dokumentation des unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts werden auf Antrag ausgestellt:

1. eine ‚Bescheinigung des Daueraufenthalts' (§ 53a) für EWR-Bürger, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, und

...

Ungültigkeit und Gegenstandslosigkeit von Aufenthaltstiteln und Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts

§ 10. (1) Aufenthaltstitel und Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts werden ungültig, wenn gegen Fremde eine Rückkehrentscheidung, ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar oder rechtskräftig wird. Solche Fremde verlieren ihr Recht auf Aufenthalt. ...

...

Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als

drei Monate

§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

...

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende

Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

...

Anmeldebescheinigung

§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:

...

2. nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;

...

Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern

§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

...

Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate

§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

...

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

11 Die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 77, lauten auszugsweise:

"Artikel 7

Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

...

b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende

Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

...

Artikel 8

Verwaltungsformalitäten für Unionsbürger

(1) Unbeschadet von Artikel 5 Absatz 5 kann der Aufnahmemitgliedstaat von Unionsbürgern für Aufenthalte von über drei Monaten verlangen, dass sie sich bei den zuständigen Behörden anmelden.

...

(4) Die Mitgliedstaaten dürfen keinen festen Betrag für die Existenzmittel festlegen, die sie als ausreichend betrachten, sondern müssen die persönliche Situation des Betroffenen berücksichtigen. Dieser Betrag darf in keinem Fall über dem Schwellenbetrag liegen, unter dem der Aufnahmemitgliedstaat seinen Staatsangehörigen Sozialhilfe gewährt, oder, wenn dieses Kriterium nicht anwendbar ist, über der Mindestrente der Sozialversicherung des Aufnahmemitgliedstaats.

...

Artikel 14

Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts

...

(2) Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen steht das Aufenthaltsrecht nach den Artikeln 7, 12 und 13 zu, solange sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen.

In bestimmten Fällen, in denen begründete Zweifel bestehen, ob der Unionsbürger oder seine Familienangehörigen die Voraussetzungen der Artikel 7, 12 und 13 erfüllen, können die Mitgliedstaaten prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Prüfung wird nicht systematisch durchgeführt.

(3) Die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch einen Unionsbürger oder einen seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat darf nicht automatisch zu einer Ausweisung führen.

...

Artikel 16

Allgemeine Regel für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen

(1) Jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, hat das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft.

...

Artikel 19

Dokument für Unionsbürger zur Bescheinigung des Daueraufenthalts

(1) Auf Antrag stellen die Mitgliedstaaten den zum Daueraufenthalt berechtigten Unionsbürgern nach Überprüfung der Dauer ihres Aufenthalts ein Dokument zur Bescheinigung ihres Daueraufenthalts aus.

(2) Das Dokument zur Bescheinigung des Daueraufenthalts wird so bald wie möglich ausgestellt.

..."

12 Nach der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) sollen die Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38/EG betreffend das Erfordernis ausreichender Existenzmittel verhindern, dass Unionsbürger die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates unangemessen in Anspruch nehmen (vgl. EuGH, 21.12.2011, Ziolkowski ua., C-424/10 und C- 425/10 , Rn. 40, mit Hinweis auf den Erwägungsgrund 10 der genannten Richtlinie). Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG soll nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaates zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen (EuGH 11.11.2014, Dano, C-333/13 , Rn. 76).

13 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Revisionswerberin auf Ausstellung einer Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes abgewiesen, weil es von einem noch nicht fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt der Revisionswerberin in Österreich ausgegangen ist. Nach den dabei zugrunde gelegten (und in der Revision nicht bestrittenen) Feststellungen bezog die Revisionswerberin ab 4. März 2010 (und somit nicht nur vorübergehend) Ausgleichszulage in der Höhe von beginnend ca. EUR 444,- bis zuletzt deutlich über EUR 600,-.

14 Nach § 51 Abs. 1 Z 2 NAG (in der seit 1. Jänner 2011 geltenden Fassung BGBl. I Nr. 111/2010) müssen EWR-Bürger, um zum Aufenthalt in Österreich für mehr als drei Monate berechtigt zu sein, u.a. über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen. Die Erläuterungen (RV 981 BlgNR 24. GP , 160) führen dazu wie folgt aus:

"... Nunmehr liegt bei diesem Personenkreis auch dann kein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht mehr vor, wenn der EWR-Bürger während des Aufenthalts Ausgleichzulagenleistungen in Anspruch nimmt.

Die Ausgleichszulage stellt eine Mischleistung dar, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie zum Einen der sozialen Sicherheit dient und zum Anderen Sozialhilfecharakter aufweist. Auf Grund dieses ,hybriden Charakters' ist die Ausgleichszulage als Sozialhilfeleistung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG zu sehen und ist daher die vorgeschlagene Gleichbehandlung der Ausgleichszulage mit Sozialhilfeleistungen unionsrechtlich zulässig.

Mit dieser Bestimmung wird das Ziel des europäischen Aufenthaltsrechtes verfolgt, zu vermeiden, dass dieser Personenkreis übermäßig das Budget des jeweiligen Aufenthaltstaates belastet, unabhängig von der nationalen Systematik sämtlicher sozialer Hilfeleistungen."

15 Der EuGH hat in seinem Urteil vom 29.4.2004, Skalka, C-160/02 , Rn. 26, festgehalten, dass die österreichische Ausgleichszulage Sozialhilfecharakter hat, soweit sie dem Empfänger im Fall einer unzureichenden Rente ein Existenzminimum gewährleisten soll. Im Urteil vom 19.9.2013, Brey, C-140/12 , Rn. 60 ff, hat der EuGH dargelegt, dass die Ausgleichszulage als "Sozialhilfeleistung" (im Sinn des Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG ) angesehen werden kann. Der Umstand, dass ein EWR-Bürger zum Bezug dieser Leistung berechtigt ist, könne einen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (Rn. 63).

16 Nach den Ausführungen des EuGH im bereits zitierten Urteil C-424/10 und C-425/10 ist unter dem in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG bezogenen rechtmäßigen Aufenthalt ein im Einklang mit den in dieser Richtlinie - insbesondere in deren Art. 7 Abs. 1 - vorgesehenen Voraussetzungen stehender Aufenthalt zu verstehen (Rn. 46). Ein Aufenthalt, der nicht die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG erfüllt, könne nicht als ein "rechtmäßiger" Aufenthalt im Sinn des Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie angesehen werden (Rn. 47).

17 Ausgehend davon ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht für die Beurteilung des Vorliegens eines rechtmäßigen fünfjährigen Aufenthaltes gemäß § 53a Abs. 1 NAG die Erfüllung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 (hier: Z 2) NAG als maßgeblich angesehen hat. Ebenso ist es dem Grunde nach nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn der (kurz nach der Einreise beginnende, seit über sieben Jahren andauernde) Bezug der Ausgleichszulage als mit der Voraussetzung nach § 51 Abs. 1 Z 2 NAG nicht in Einklang stehend erachtet wurde (siehe auch VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0177, mwN).

18 Darüber hinaus ist zunächst zu prüfen, ob die Regelung des § 55 NAG für sich genommen der Antragsabweisung durch das Verwaltungsgericht (bzw. zuvor durch die Niederlassungsbehörde) entgegenstand.

19 Die Richtlinie 2004/38/EG unterscheidet zwischen dem unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate (siehe Art. 7) und dem Recht auf Daueraufenthalt (siehe Art. 16 ff). In der Stammfassung des NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, fanden sich demgegenüber nur einheitliche Regelungen für den mehr als dreimonatigen Aufenthalt. § 55 NAG enthielt in der damaligen Fassung nähere verfahrensrechtliche Regelungen im Zusammenhang mit dem (so die Überschrift) "Fehlen des Niederlassungsrechts".

20 Seit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009, BGBl. I Nr. 122, wird auch innerstaatlich ausdrücklich zwischen dem Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate (siehe insoweit die Anmeldebescheinigung nach § 53 NAG) und dem Daueraufenthaltsrecht von EWR-Bürgern (siehe dafür die Bescheinigung nach § 53a NAG) unterschieden und es wurden entsprechende Dokumentationen eingeführt (siehe § 9 Abs. 1 und 2 NAG; vgl. die Erläuterungen in RV 330 BlgNR 24. GP , 6, 42, 51). Im Hinblick auf diese Neuformulierung des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts wurde die Überschrift des § 55 NAG in "Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate" geändert (siehe RV 330 BlgNR 24. GP , 53). Auf die den Daueraufenthalt bescheinigenden Dokumentationen nach den §§ 53a und 54a NAG wird in § 55 NAG nicht verwiesen.

21 Der Regelung des § 55 NAG lässt sich somit nicht entnehmen, dass auch über das Fehlen einer fünfjährigen, ununterbrochenen Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes (im Sinn des § 53a Abs. 1 NAG) in einem Verfahren nach § 55 Abs. 3 NAG abzusprechen wäre. Dies ist auch aus systematischen Erwägungen nicht anzunehmen, weil die dem Verfahren nach § 55 Abs. 3 NAG immanente mögliche Aufenthaltsbeendigung in Fällen, in denen nicht das aktuelle Vorliegen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, sondern nur die Frage der hinreichenden rechtmäßigen Aufenthaltsdauer in Rede steht, von vornherein nicht in Betracht kommt.

22 Ausgehend davon ist es in einer Konstellation wie der vorliegenden nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Frage des Bestehens eines fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthaltes eigenständig beurteilt hat.

23 Daran vermag fallbezogen auch die im Jahr 2014 ergangene Mitteilung des BFA über das Unterbleiben einer Aufenthaltsbeendigung nichts zu ändern.

24 Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar bereits wiederholt festgehalten, dass die Niederlassungsbehörde, sollte sie der Ansicht sein, dass die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nachträglich weggefallen sind, nach § 55 NAG vorzugehen hat und nicht zur Antragsabweisung berechtigt ist (siehe VwGH 20.8.2013, 2012/22/0039, mwN). Eine gesetzliche Grundlage für den feststellenden Ausspruch durch die Niederlassungsbehörde, wonach der Fremde auf Grund des Gemeinschaftsrechts nicht (mehr) über ein Aufenthaltsrecht in Österreich verfüge, existiere nicht. Die Fremdenpolizeibehörde (nunmehr das BFA) habe - auch für den Fall des nachträglichen Wegfalls der Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts - die Frage des Bestehens des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts und die Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung zu beurteilen (siehe zu allem VwGH 17.11.2011, 2009/21/0378). Die damit entschiedenen Konstellationen zeichneten sich allerdings dadurch aus, dass es stets um die Frage ging, ob einem Fremden überhaupt ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukam.

25 Vorliegend hat die Niederlassungsbehörde - nach den mit dem Akteninhalt in Einklang stehenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtes - im Jahr 2014 ein Verfahren nach § 55 Abs. 3 NAG eingeleitet. Nach der Mitteilung des BFA über das Unterbleiben einer Aufenthaltsbeendigung war - da die Revisionswerberin bereits über eine Dokumentation, nämlich eine Anmeldebescheinigung, verfügte - nichts weiter zu veranlassen (siehe § 55 Abs. 4 NAG). Eine daran anschließende, eigenständige Beurteilung der Niederlassungsbehörde darüber, ob dem EWR-Bürger aktuell ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, ist somit nicht vorgesehen (sollte eine Änderung der Sachlage eintreten, wäre ein neuerliches Verfahren nach § 55 Abs. 3 NAG einzuleiten). Im nunmehr zugrunde liegenden Verfahren stellte das Verwaltungsgericht aber das (aktuelle) Vorliegen eines rechtmäßigen Aufenthaltes der Revisionswerberin nicht in Frage, sondern es verneinte lediglich einen durchgehenden rechtmäßigen Aufenthalt in der für das Recht auf Daueraufenthalt erforderlichen Dauer von fünf Jahren.

26 Der Verwaltungsgerichtshof hat festgehalten, dass § 55 Abs. 3 NAG hinsichtlich der Einleitung eines aufenthaltsbeendenden Verfahrens nicht nur auf das Fehlen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes aus Gründen der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit Bezug nimmt, sondern auch auf das Fehlen des Aufenthaltsrechts, weil die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder 54 Abs. 2 NAG nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen (VwGH 18.6.2013, 2012/18/0005). Zudem verweist § 55 Abs. 4 NAG im Zusammenhang mit dem Unterbleiben der Aufenthaltsbeendigung auf § 9 BFA-VG, der wiederum eine Regelung betreffend den zu beachtenden Schutz des Privat- und Familienlebens enthält. Die Entscheidung des BFA, keine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu erlassen, kann daher unterschiedliche Ursachen haben. Sie bezieht sich aber nur auf den jeweiligen Entscheidungszeitpunkt. Somit kann der hier vorliegenden Mitteilung aus 2014 auch keine Aussage dahingehend entnommen werden, dass der Aufenthalt der Revisionswerberin seit ihrer Einreise nach Österreich durchgehend - unionsrechtlich - rechtmäßig war. Ausgehend davon ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die für die Behandlung des Antrags auf Bescheinigung des Daueraufenthaltes maßgebliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes für den Zeitraum vor der Mitteilung des BFA selbst vorgenommen hat.

27 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf das - eine Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) in Verbindung mit § 55 Abs. 3 NAG betreffende - Erkenntnis vom 15. März 2018, Ra 2017/21/0191, in dem der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht hat, dass im Aufenthaltsbeendigungsverfahren, in dem verbindlich über das Weiterbestehen der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht entschieden werde, für die Vergangenheit in Bezug auf den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nicht (jedenfalls) vom Vorliegen dieser Voraussetzungen auszugehen sei; vielmehr habe die Behörde (das BFA) in diesem Verfahren eigenständig zu beurteilen, bis zu welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht vorgelegen seien und ob ausgehend davon bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben worden sei. Auch wenn es dort um eine in die Zuständigkeit des BFA fallende Beurteilung des Maßstabs der Gefährlichkeitsprognose ging, lässt sich diesem Erkenntnis jedenfalls entnehmen, dass die Entscheidung in einem nach § 55 Abs. 3 NAG eingeleiteten Aufenthaltsbeendigungsverfahren und die Prüfung des Bestehens eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts im Zeitraum davor voneinander zu unterscheidende Beurteilungen darstellen.

28 Somit war das Verwaltungsgericht auch durch die Mitteilung des BFA aus dem Jahr 2014 nicht daran gehindert, für den Zeitraum davor die unionsrechtliche Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes der Revisionswerberin zu beurteilen.

29 Aus diesen Erwägungen war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 4. Oktober 2018

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