Normen
AuslBG §12b Z1;
AVG §62 Abs4;
MRK Art6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017090006.L00
Spruch:
1. Das angefochtene Erkenntnis vom 14. Dezember 2016 wird wegen Rechtswidrigkeit infolge seines Inhalts aufgehoben.
2. Der angefochtene Beschluss vom 20. Dezember 2016 wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
1 Die erstmitbeteiligte Partei stellte am 30. Mai 2016 beim AMS M einen Antrag auf Beschäftigungsbewilligung mit Beginn ab 5. September 2016 für den zweitmitbeteiligten kroatischen Staatsangehörigen für eine berufliche Tätigkeit als Lehrer für ein Beschäftigungsausmaß von 40 Wochenstunden. Mit Bescheid vom 29. Juni 2016 wies die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde diesen Antrag mit der Begründung ab, dass der Regionalbeirat die Erteilung der Beschäftigungsbewilligung nicht einhellig befürwortet habe.
2 Der dagegen erhobenen Beschwerde der beiden Mitbeteiligten des Inhalts, der Arbeitgeber beabsichtige, den kroatischen Staatsangehörigen als Schlüsselkraft zu beschäftigen und dieser habe die Voraussetzungen des § 12b Z 1 AuslBG erfüllt, gab das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 14. Dezember 2016 Folge und sprach aus: "Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Das Arbeitsmarktservice M hat der nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zuständigen Behörde unverzüglich schriftlich zu bestätigen, dass Herr Mag. X die Voraussetzungen für die Zulassung als sonstige Schlüsselkraft gemäß § 12b Z 1 AuslBG iVm § 41 Abs. 2 Z 2 NAG bei der Arbeitgeberin X erfüllt".
3 Zusammengefasst erwog das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht, dass auf den Zweitmitbeteiligten als kroatischen Staatsangehörigen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Z 11 AuslBG zuträfen. In § 32a Abs. 9 AuslBG sei geregelt, dass Arbeitgebern, die EU-Bürger als Fach- oder Schlüsselkraft zu beschäftigen beabsichtigen, auf Antrag eine Beschäftigungsbewilligung zu erteilen sei, wenn die Zulassungskriterien gemäß Abschnitt III erfüllt seien. Auch die Erstmitbeteiligte habe darauf hingewiesen, dass es sich beim gegenständlichen Antrag um ein Schlüsselkraftverfahren gemäß § 12b Z 1 AuslBG handle. Unter Zugrundelegung der Anlage C verfüge der Zweitmitbeteiligte über einen Abschluss eines Studiums an einer tertiären Bildungseinrichtung mit dreijähriger Mindestdauer, welches durch ENIC NARIC Austria begutachtet und als Lehramtsstudium aus dem Fach Physik in Österreich entsprechend festgestellt worden sei. Es seien dafür 30 Punkte zu vergeben. Der Arbeitnehmer verfüge über Berufserfahrung im Ausland im Ausmaß von 12 Jahren, dafür seien 10 Punkte gemäß Anlage C anrechenbar. Darüber hinaus verfüge er über Deutschkenntnisse B1 und habe im Juli 2016 einen Intensivsprachkurs B 2/1 am V absolviert. Für diese Sprachkenntnisse seien daher 15 Punkte zu vergeben. Zusammengefasst erreiche der Zweitmitbeteiligte eine Punkteanzahl von 55 Punkten. Das weitere Kriterium bezüglich des monatlichen Bruttogehalts sei mit EUR 2.916,-- erfüllt. Der Arbeitnehmer erfülle daher insgesamt die in § 12b Z 1 AuslBG geforderten Voraussetzungen für die Beschäftigung als sonstige Schlüsselkraft. Zudem habe die belangte Behörde ein Ersatzkraftverfahren gemäß § 4b Abs. 1 AuslBG durchgeführt. Dabei sei eine Person als geeignet für die zu besetzende Stelle als Lehrer befunden worden, dies sei der Erstmitbeteiligten zugewiesen worden, diese Person habe sich jedoch nie bei der potentiellen Dienstgeberin gemeldet. Somit sei spruchgemäß zu entscheiden und die beantragte Beschäftigungsbewilligung zu erteilen gewesen.
4 Mit Beschluss vom 20. Dezember 2016 berichtigte das Bundesverwaltungsgericht den Spruch des oben genannten Erkenntnisses vom 14. Dezember 2016 dahingehend, dass er wie folgt zu lauten habe: "I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der X-Schule (Anm.: Erstmitbeteiligte) für Herrn Mag. X (Anm.: Zweitmitbeteiligter) für die berufliche Tätigkeit als Lehrer für Physik eine Beschäftigungsbewilligung mit Geltungsdauer vom 15. Dezember 2016 bis 14. Dezember 2017 erteilt. II. Die Beschäftigungsbewilligung wird mit der Auflage verbunden, dass der Ausländer nicht mit schlechteren Lohn- und Arbeitsbedingungen beschäftigt wird, als sie für die Mehrzahl der bezüglich der Leistung und Qualifikation vergleichbaren inländischen Arbeitnehmer des Betriebes gelten."
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es sich bei dem ursprünglichen Spruch um ein offensichtliches Versehen handle, wie dies aus dem vorgelegten und im Erkenntnis zugrunde gelegten Antrag und den Unterlagen sowie den Ausführungen im rechtlichen Teil des Erkenntnisses eindeutig hervorgehe.
5 Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Bundesverwaltungsgericht in beiden Entscheidungen für nicht zulässig.
6 Gegen beide Entscheidungen richtet sich die vorliegende rechtzeitige außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch das Verwaltungsgericht - die Mitbeteiligten erstatteten keine Revisionsbeantwortung - erwogen hat:
7 Zum Berichtigungsbeschluss vom 20. Dezember 2016:
8 Die Anwendung des § 62 Abs. 4 AVG iVm § 17 VwGVG setzt einen fehlerhaften Verwaltungsakt mit der Maßgabe voraus, dass eine auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit sowie deren Offenkundigkeit gegeben ist. Die Berichtigung ist auf jene Fälle der Fehlerhaftigkeit eingeschränkt, in denen die Unrichtigkeit eine offenkundige ist, wobei es allerdings ausreichend ist, wenn die Personen, für die der Bescheid bestimmt ist, die Unrichtigkeit des Bescheides hätten erkennen können und die Unrichtigkeit ferner von der Behörde - bei entsprechender Aufmerksamkeit - bereits bei der Erlassung des Bescheides hätte vermieden werden können. Bei der Beurteilung einer Unrichtigkeit als offenkundig im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG kommt es letztlich auf den Inhalt der übrigen Bescheidteile (z.B. Begründung) bzw. auf den Akteninhalt an. Eine Berichtigung im Sinne des § 62 Abs. 4 AVG ist überall dort ausgeschlossen, wo sie eine nachträgliche Änderung des Spruchinhaltes des berichtigten Bescheides oder die Sanierung eines unterlaufenen Begründungsmangels bewirkt (vgl. VwGH 25.9.2014, 2011/07/0177, mwN); insbesondere bietet die genannte Bestimmung keine Handhabe für eine inhaltlich berichtigende oder erklärende Auslegung des Spruchs eines Bescheides (vgl. etwa VwGH 21.2.2013, 2011/06/0161, dazu die in Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Rz 49 zu § 62 zitierte hg. Judikatur).
9 Im Revisionsfall besteht die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Änderung des Spruches des Erkenntnisses vom 14. Dezember 2016 darin, dass dieser von einer Anordnung an die Revisionswerberin, der Aufenthaltsbehörde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zulassung als Schlüsselkraft zu bestätigen - offenbar in zutreffender Erkennung, dass tatsächlich ein Beschäftigungsbewilligungsverfahren vorliegt - auf die Erteilung der Beschäftigungsbewilligung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst geändert wird.
10 Schon im Hinblick auf den geänderten Verfahrensgegenstand im Spruch kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass mit dem angefochtenen Beschluss eine Veränderung des normativen Gehalts des vermeintlich bloß berichtigten früheren Erkenntnisses erfolgt ist.
11 Da das Bundesverwaltungsgericht somit eine Änderung des Erkenntnisses vom 14. Dezember 2016 vorgenommen hat, für die § 62 Abs. 4 AVG keine Deckung bietet, war der angefochtene Berichtigungsbeschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
12 Zum angefochtenen Erkenntnis vom 14. Dezember 2016:
13 Die Revisionswerberin rügt in ihrem Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision im Zusammenhang mit der Verletzung des Rechts auf Parteiengehör das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung.
Damit erweist sich die Revision als zulässig. Sie ist auch begründet.
14 Anknüpfend an die vorstehenden Ausführungen, wonach die Berichtigung des Spruches des Erkenntnisses vom 14. Dezember 2016 nicht zulässig war, bleibt der Widerspruch zwischen Spruch und Begründung bestehen, wonach das Bundesverwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen zwar die Voraussetzungen einer Beschäftigungsbewilligung geprüft hat, aber im Spruch über die Zulassung als sonstige Schlüsselkraft gemäß § 12b Z 1 AuslBG abgesprochen hat.
Bereits damit erweist sich die angefochtene Entscheidung mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes belastet.
15 Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) entgegenstehen. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um "civil rights" oder "strafrechtliche Anklagen" im Sinne des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird (VwGH 20.10.2015, Ra 2015/09/0051 und 19.12.2017, Ra 2017/09/0003, mwN). Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. VwGH 29.6.2017, Ra 2017/04/0036).
16 Vorliegend handelt es sich beim Verfahren betreffend Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung um ein "civil right" im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (siehe dazu 27.7.2006 Jurisic und Collegium Mehrerau/Österreich, 62539/00, sowie Coorplan-Jenni GmbH und Hascic/Österreich, 10523/02, VwGH 14.10.2016, Ra 2016/09/0052) und haben die Parteien bei einer solchen Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen grundsätzlich ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheit in einer - im vorliegenden Fall auch beantragten - öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem in der Sache entscheidenden Gericht erörtert wird, außer wenn weder eine Tatsachen- noch eine Rechtsfrage aufgeworfen wurde, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. VwGH 17.2.2015, Ra 2014/09/0007, sowie das bereits zitierte Erkenntnis vom 19.12.2017). Das Verwaltungsgericht hätte sohin nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen.
17 Da das Verwaltungsgericht all dies verkannt hat, ist das angefochtene Erkenntnis somit - prävalierend - mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 1 VwGG aufzuheben war. Auf das weitere Vorbringen in der Revision war daher nicht mehr einzugehen.
Wien, am 22. Februar 2018
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