Normen
AuslBG §12b Z1;
MRK Art6 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24 Abs3;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwRallg;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 19. April 2016 versagte die im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen der Republik Kosovo, im Hinblick auf seinen Antrag vom 9. Februar 2016 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte", die Zulassung als "sonstige Schlüsselkraft" gemäß § 12b Z 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) für die Beschäftigung bei Ing. E.P.
2 In der dagegen vom Revisionswerber sowie Ing. E.P. erhobenen Beschwerde wurde dem Vorhalt der belangten Behörde, dass an einer reellen Ersatzkraftstellung kein tatsächliches Interesse bestanden habe, widersprochen. Tatsächlich habe sich nur eine Person von den 20 zugewiesenen Mitbeteiligten beworben und sei diese auf Grund fehlender Berufspraxis nicht eingestellt worden. Ing. E.P. habe keine weiteren Bewerbungsunterlagen erhalten und auch die belangte Behörde vermöge es nicht, die vermeintlichen Bewerber namentlich zu nennen.
3 Mit Bescheid vom 14. Juli 2016 wies die belangte Behörde die Beschwerden mittels Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab. Nach Wiedergabe der rechtlichen Grundlagen und Darstellung der Anlage C führte sie aus, dass laut Diplom des "Zentrums für die Überprüfung der beruflichen Qualifikation Artesimi/Prishtina" vom 11. Juli 2005 der Revisionswerber einen Kurs besucht und am 14. Juli 2008 die Abschlussprüfung als Tischler abgelegt habe. Das Ausstellungsdatum 11. Juli 2005 finde sich auf dem Diplom in Originalsprache. Dazu sei eine Bestätigung des "Zentrums für die Überprüfung der beruflichen Qualifikation Artesimi/Prishtina" vorgelegt worden, wonach der Revisionswerber vom 11. Juli 2005 bis 14. Juli 2008 eine Ausbildung als Tischler absolviert habe. Auf dieser Bestätigung habe sich kein Ausstellungsdatum befunden. Es sei nicht glaubwürdig, dass das Diplom bereits vor Absolvierung der Ausbildung ausgestellt worden sei, weswegen nicht von der Echtheit der Urkunde auszugehen sei. Dieses Diplom könne nicht als Ausbildungsnachweis anerkannt werden. Es gebe auch keine sonstigen Nachweise darüber, welche Kenntnisse der Revisionswerber im Rahmen dieser Ausbildung ebenfalls erworben habe. Weiters sei vom Revisionswerber eine Urkunde vom 19. September 2014 über den Besuch eines Kurses für Bautischler vorgelegt worden. Über die Dauer des Kurses und die einzelnen Ausbildungsmodule würden ebenso keine Unterlagen vorliegen. Ebenso sei nicht nachvollziehbar wie der Revisionswerber im Jahr 2014 eine umfangreichere Ausbildung in Mitrovice, ca. 980 km von Wien entfernt, absolvieren haben können, da er in der Zeit vom 14. Oktober 2013 bis 24. Februar 2015 bei Ing. E.P. beschäftigt gewesen sei und laut EDV-Dokumentation des AMS an der Universität für Bodenkultur in Wien studiert habe. Somit könne diese Urkunde ebenfalls nicht als Nachweis einer abgeschlossenen Berufsausbildung herangezogen werden. Aktuelle Unterlagen betreffend das Studium des Revisionswerbers in Österreich würden nicht vorliegen, sodass hinsichtlich der Zulassung und des Vorliegens der Universitätsreife keine Aussagen getroffen werden können. Insgesamt hätten somit für das Kriterium "Qualifikation" keine Punkte vergeben werden können. Dadurch habe auch in der Kategorie "Ausbildungsadäquate Berufungserfahrung" keine Punkte vergeben werden können. Ein Nachweis über Sprachkenntnisse sei nicht vorgelegt worden, weshalb keine Punkte in dieser Kategorie vergeben werden konnten. Auf Grund des Alters des Revisionswerbers von 29 Jahren habe er in dieser Kategorie einen Anspruch auf 20 Punkte. Insgesamt hätte somit die Mindestpunkteanzahl von 50 Punkten nicht erreicht werden können. Es sei aus der Aktenlage darüber hinaus nicht ersichtlich, dass der Revisionswerber selbst über die erforderliche berufliche Erfahrung oder Sachkenntnisse verfüge. Darum sei davon auszugehen, dass von einer allfälligen Ersatzkraft Kenntnisse und Qualifikationen verlangt würden, die der Revisionswerber selbst nicht nachweisen könne.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das über Vorlageantrag des Revisionswerbers und des Ing. E.P. angerufene Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
5 Nach Darstellung des Verfahrensganges traf das Bundesverwaltungsgericht insbesondere hinsichtlich der vom Revisionswerber vorgelegten Unterlagen die gleichen Feststellungen wie die belangte Behörde und führte in der Beweiswürdigung aus, sich den Ausführungen im angefochtenen Bescheid anzuschließen, wonach es sich beim vorgelegten Diplom offensichtlich um ein Gefälligkeitsdokument handle. Es sei nicht glaubwürdig, dass das Diplom bereits vor Absolvierung der Ausbildung ausgestellt worden sei. Auch die Bestätigung des "Zentrums für Überprüfung der beruflichen Qualifikation Artesimi/Prishtina" könne lediglich als Gefälligkeitsdokument gewertet werden, zumal sich auf dieser Bestätigung kein Ausstellungsdatum befinde. Darüber hinaus sei auch die Urkunde über die berufliche Ausbildung im Bauwesen für Möbeltischlerei und Herstellung von Türen aus Massivholz (vom 19. September 2014) kein Nachweis für eine abgeschlossene Berufsausbildung. Weiters teilte das Bundesverwaltungsgericht die Ausführungen der belangten Behörde bezüglich der Ausbildung in Mitrovice und dem Studium an der Universität für Bodenkultur in Wien und führte aus, es hätten keine Aussagen über das Vorliegen einer Universitätsreife getroffen werden können, weil der Revisionswerber keine aktuellen Unterlagen betreffend das Studium vorgelegt habe. Da für das Kriterium "Qualifikation" keine Punkte zu vergeben gewesen seien, seien auch keine Punkte für die "Ausbildungsadäquate Berufserfahrung" vergeben worden. Zwischen der angegebenen Tätigkeitsbeschreibung (Montagetischler) und der bisher durchgeführten geringfügigen Tätigkeit (Kraftfahrer) hätte kein Zusammenhang gesehen werden können, wodurch keine Punkte für die ausbildungsadäquate Berufserfahrung vergeben werden konnten. Auch beim Punkt "Sprachkenntnisse" seien mangels Vorlage von entsprechenden Unterlagen keine Punkte vergeben worden. Lediglich hinsichtlich der Antragsstellung von 29 Jahren sei hier die Höchstpunkteanzahl von 20 vergeben worden. Da der Revisionswerber bei Berücksichtigung aller in der Anlage C aufgelisteten Kriterien für sonstige Schlüsselkräfte lediglich eine Punkteanzahl von insgesamt 20 Punkten erreicht habe, sei die gemäß § 12b Z 1 AuslBG erforderliche Punkteanzahl nach der Anlage C (50 Punkte) nicht gegeben gewesen. Daher lägen die Voraussetzungen für die beantragte Rot-Weiß-Rot - Karte des Revisionswerbers nicht vor.
6 Den Entfall der mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht damit, dass der Revisionswerber zwar in der Beschwerde einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt habe, diesen aber im Vorlageantrag nicht mehr wiederholt habe. In der vorliegenden Beschwerde seien keine Rechts- oder Tatsachenfragen aufgeworfen worden, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätten, weswegen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen worden sei (unter Darstellung unionsrechtlicher Judikatur und Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision aus den Gründen der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Abweisung der Revision beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Der Revisionswerber begründet die Zulässigkeit seiner Revision im Wesentlichen damit, dass die Voraussetzungen für den Entfall einer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK gebotenen mündlichen Verhandlung hier nicht vorgelegen seien und das Bundesverwaltungsgericht in diesem Punkt von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Dem Verwaltungsgericht könne auch nicht dahingehend gefolgt werden, dass die mündliche Verhandlung habe entfallen können, weil der darauf gerichtete Antrag im Vorlageantrag nicht wiederholt worden sei. Dies sei nicht erforderlich, da der Vorlageantrag ja gerade darauf abziele, die bereits erhobene Beschwerde dem Gericht zur Entscheidung vorzulegen, sodass die Beschwerde inhaltlich samt allen Anträgen natürlich weiterhin zu beachten gewesen sei.
9 Die Revision erweist sich aus den in der Zulassungsbegründung der Revision aufgezeigten Gründen als zulässig und berechtigt.
10 Nach § 24 Abs. 4 leg. cit. kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, entgegenstehen. Nach § 24 Abs. 4 VwGVG kommt ein Entfall der Verhandlung somit dann nicht in Betracht, wenn Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC die Durchführung einer solchen gebieten. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um "civil rights" oder "strafrechtliche Anklagen" iSd Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung von einer Person eingeräumten Unionsrechten (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird (vgl. VwGH 9.9.2014, Ro 2014/09/0049, und 17.2.2015, Ra 2014/09/0007, mwN).
11 Vorliegend handelt es sich beim Verfahren betreffend die Zulassung von Ausländern zu einer Beschäftigung als Schlüsselkraft um ein "civil right" im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (siehe die Rechtssachen Jurisic und Collegium Mehrerau gegen Österreich, Nr. 62539/00, sowie Coorplan-Jenni GmbH und Hascic gegen Österreich, Nr. 10523/02, jeweils vom 27. Juli 2006) und haben die Parteien bei einer solchen Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen grundsätzlich ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheit in einer - im vorliegenden Fall auch beantragten - öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem in der Sache entscheidenden Gericht erörtert wird, außer wenn weder eine Tatsachen- noch eine Rechtsfrage aufgeworfen wurde, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. VwGH 17.2.2015, Ra 2014/09/0007).
12 Es gehört gerade im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichtes, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer (bei Geltendmachung von "civil rights" in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden) mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa VwGH 25.9.2017, Ra 2016/08/0127).
13 Im vorliegenden Fall geht es um die Frage der Evaluierung einer Mindestpunkteanzahl für die in der Anlage C enthaltenen Kriterien und des hier nicht strittigen Mindestbruttoentgeltes. Schon angesichts der beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die vom Revisionswerber vorgelegten Urkunden aus näher dargelegten Gründen als Nachweise für eine Berufsausbildung nicht tauglich wären bzw. Gefälligkeitsdokumente seien, konnte nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgegangen werden. In diesem Zusammenhang wären die beantragten Einvernahmen in einer Verhandlung erforderlich gewesen.
14 Das Bundesverwaltungsgericht geht selbst davon aus, dass der Revisionswerber in der Beschwerde einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung gestellt hat, diesen aber nicht mehr im Vorlageantrag wiederholt hat. Unklar bleibt, welche Konsequenzen das Verwaltungsgericht daran knüpfen will. Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Die Bestimmung des § 24 Abs. 3 VwGVG 2014 stellt offensichtlich geleitet durch Überlegungen der Prozessökonomie die Einräumung der Möglichkeit, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu begehren, gleich an den Beginn des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht und ist daher für die Gestaltung dieses Verfahrens und seine Strukturierung von maßgeblicher Bedeutung (vgl. VwGH 17.12.2014, Ra 2014/03/0038). Daraus folgt jedoch nicht, dass der Verhandlungsantrag - zusätzlich zur Beschwerde - noch einmal auch im Vorlageantrag gestellt werden muss, zumal der in der Beschwerde gestellte Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wohl hinreichend den darauf gerichteten Parteiwillen zum Ausdruck bringt.
15 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
16 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 19. Dezember 2017
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