VwGH 2011/06/0161

VwGH2011/06/016121.2.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Dr. Waldstätten, die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerden des H M in M, vertreten durch Dr. Jörg Lindpaintner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Templstraße 5B, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 10. August 2011, Zl. RoBau-8-1/617/4-2011, betreffend die Berichtigung eines Bescheides gemäß § 62 Abs. 4 AVG, (mitbeteiligte Partei: Gemeinde M), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §62 Abs4;
AVG §62 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde M. vom 3. November 2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 37 Abs. 1 Tiroler Bauordnung 2001 (TBO 2001) eine Frist bis zum 28. Februar 2009 eingeräumt, um die im Jahr 1998 baurechtlich genehmigte Garagenerweiterung auf Grundstück Nr. 3594/1 der KG M. abzubrechen. Begründend wurde ausgeführt, mit Bescheid vom 11. Mai 1998 sei dem Beschwerdeführer die Bewilligung zur Erweiterung der bestehenden Garage auf seinem Grundstück Nr. 3594/1 erteilt worden. Aus der am 22. Juli 2008 vorgelegten Planurkunde des Dipl. Ing. Dr. A. sei jedoch ersichtlich, dass der Garagenkomplex (bis 29 cm) über die Grundstücksgrenze hinausrage. Da nicht innerhalb der mit Schreiben vom 30. Juli 2008 eingeräumten Frist gemäß § 37 Abs. 1 TBO 2001 um nachträgliche Genehmigung der Bauführung angesucht worden sei, sei der Beseitigungsauftrag zu erlassen gewesen.

Dagegen brachte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18. November 2008 eine Berufung und gegen den diese abweisenden Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde M. vom 8. Februar 2010 eine Vorstellung vom 1. März 2010 ein. Sowohl in der Berufung als auch in der Vorstellung bestritt der Beschwerdeführer, dass überhaupt ein Fall für einen Beseitigungsauftrag gemäß § 37 Abs. 1 TBO 2001 vorliege, weil das Bauwerk entsprechend der seinerzeit bekannten Grundgrenze errichtet worden sei. Auch wenn sich nachträglich durch modernste elektronische Vermessungsmethoden herausstellen sollte, dass der seinerzeit als richtig angenommene Grenzverlauf - geringfügig - unrichtig sei, ändere dies nichts daran, dass der Bau seinerzeit (auf Grund des offensichtlich falsch gesetzten Grenzzeichens) konsensgemäß ausgeführt worden sei. Wenn die - unrichtige - Auffassung vertreten werde, dass § 37 Abs. 1 TBO 2001 anwendbar sei, hätte die Behörde als Vorfrage die zivilrechtliche Frage des Eigentums klären müssen. Sollte sich nämlich ergeben, dass der Beschwerdeführer durch die Bauführung Eigentümer des betroffenen Grundstreifens geworden sei, fehle jegliche Grundlage für einen Beseitigungsauftrag. Ein Auftrag, den konsensgemäßen Zustand herzustellen, dürfe nur hinsichtlich solcher Bauabänderungen erteilt werden, die sowohl zum Zeitpunkt ihrer Durchführung als auch zum Zeitpunkt der Erlassung des Beseitigungsauftrages von der Bewilligungspflicht umfasst gewesen seien.

Mit Bescheid vom 3. September 2010 hob die Tiroler Landesregierung den Bescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde M. vom 8. Februar 2010 auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Berufungsbehörde, weil die Leistungsfrist bereits vor Erlassen des Berufungsbescheides abgelaufen war.

Darauf wies der Gemeindevorstand der Gemeinde M. mit Bescheid vom 2. November 2010 neuerlich die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde M. vom 3. November 2008 als unbegründet ab und räumte dem Beschwerdeführer eine Frist bis 31. März 2011 ein, um die Garagenerweiterung auf Grundstück 3594/1 abzubrechen.

Dagegen brachte der Beschwerdeführer neuerlich eine Vorstellung (vom 18. November 2010) ein und wiederholte darin im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen, ergänzt durch detailliertere Ausführungen zu den Eigentumsverhältnissen eines allfälligen Grenzüberbaus gemäß §§ 416 ff ABGB unter Zitierung diverser Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes.

Mit Bescheid vom 6. Dezember 2010 berichtigte der Gemeindevorstand der Gemeinde M. seinen Bescheid vom 2. November 2010 gemäß § 62 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) wie folgt:

"Die Berufung wird einstimmig als unbegründet abgewiesen. Herr (der Beschwerdeführer) wird eine Frist bis zum 31.3.2011 eingeräumt, um den sein Grundstück 3594/1 KG M… überragenden Teil der Garage abzubrechen."

In der Begründung führte die Berufungsbehörde aus, mit Bescheid vom 2. November 2010 sei versehentlich der Abbruch der Garagenerweiterung auf Grundstück 3594/1 angeführt worden. Tatsächlich handle es sich um jenen Teil der Garage, der auf Grundstück 3593/1 errichtet worden sei. Daher habe eine Berichtigung des Bescheides von Amts wegen durchgeführt werden müssen.

In der gegen den Berichtigungsbescheid gerichteten Vorstellung vom 23. Dezember 2010 brachte der Beschwerdeführer vor, mit Bescheid vom 2. November 2010 sei ihm aufgetragen worden, die Garagenerweiterung auf Grundstück 3594/1 abzubrechen. Auf Grund des Berichtigungsbescheides vom 6. Dezember 2010 sei er nun verpflichtet, den sein Grundstück 3594/1 überragenden Teil, also den nicht auf seinem Grundstück errichteten Garagenanteil abzubrechen. Der Beschwerdeführer sei jedoch zivilrechtlicher Eigentümer jenes Teiles des Nachbargrundstückes geworden, auf dem ein Teil seiner Garage - irrtümlich - errichtet worden sei. Es liege jedenfalls kein Berichtigungsfall vor. Der Auftrag zum Abbruch einer Garage auf dem eigenen Grundstück stelle etwas völlig anderes dar als ein Auftrag zum Abbruch des das eigene Grundstück überragenden Teiles der Garage. Es gehe keinesfalls bloß um die Berichtigung eines Schreibfehlers oder eines offenbaren sonstigen Versehens. Es gehe vielmehr um eine andere Sache. Ein Berichtigungsfall liege nur vor, wenn schon aus dem zu berichtigenden Bescheid selbst eindeutig hervorgehe, dass es sich um einen offenkundigen Schreibfehler oder ein sonstiges Versehen handle. Davon könne hier keine Rede sein.

Mit dem angefochtenen Bescheid (vom 10. August 2011) wies die belangte Behörde die Vorstellung des Beschwerdeführers als unbegründet ab. Begründend führte sie dazu unter Hinweis auf § 62 Abs. 4 AVG und die dazu ergangene hg. Judikatur aus, die Voraussetzungen für die Erlassung eines Berichtigungsbescheides seien im gegenständlichen Fall eindeutig gegeben gewesen, sodass der Berichtigungsbescheid zu Recht ergangen sei. Zu dem Vorbringen des Beschwerdeführers, es handle es sich um eine andere Sache, führte die belangte Behörde wörtlich aus, "dass auf Grund des gesamten Verfahrensablaufes, der Planunterlagen (insbesondere der Vermessungsurkunde von Herrn Dipl. Ing. Dr. A…) klar ist, dass vom Beseitigungsauftrag eindeutig der die Garage überragende Teil auf dem Grundstück 3593/10, KG M…, umfasst ist."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 62 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, lautet:

"Schreib- und Rechenfehler oder diesen gleichzuhaltenden, offenbar auf einem Versehen oder offenbar ausschließlich auf technisch mangelhaftem Betrieb einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten in Bescheiden kann die Behörde jederzeit von Amts wegen berichtigen."

§ 37 Abs. 1 Tiroler Bauordnung 2001, LGBl. Nr. 94 (Wiederverlautbarung - TBO 2001) lautet:

"§ 37

Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes

(1) Wurde eine bewilligungspflichtige bauliche Anlage ohne die nach diesem Gesetz erforderliche Baubewilligung errichtet oder geändert, so hat die Behörde dem Eigentümer der baulichen Anlage eine angemessene Frist zu setzen, innerhalb der nachträglich um die Erteilung der Baubewilligung anzusuchen ist. Verstreicht diese Frist ungenützt oder wird (bzw. wurde) die Baubewilligung versagt, so hat die Behörde dem Eigentümer der baulichen Anlage deren Beseitigung aufzutragen. Dies gilt auch, wenn eine solche bauliche Anlage abweichend von der Baubewilligung ausgeführt wurde und diese Abweichung eine Änderung der baulichen Anlage darstellt, zu deren selbstständigen Vornahme eine Baubewilligung erforderlich wäre. Dem Eigentümer der betreffenden baulichen Anlage kann jedoch auf sein begründetes Verlangen statt der Beseitigung der baulichen Anlage die Herstellung des der Baubewilligung entsprechenden Zustandes aufgetragen werden.

(2) …"

Die Beschwerde wiederholt u.a. das bisherige Vorbringen, dass es etwas völlig anderes sei, ob dem Beschwerdeführer der Abbruch der auf seinem Grundstück 3594/1 errichteten Garage oder eines nicht auf diesem Grundstück, sondern auf Grundstück 3593/10 errichteten Garagenteils aufgetragen werde. Es handle sich keineswegs bloß um die Berichtigung eines Schreibfehlers oder eines offenbaren sonstigen Versehens, das offenkundig sei, vielmehr handle es sich um eine andere Sache.

Dieses Vorbringen ist im Ergebnis berechtigt.

Gemäß § 62 Abs. 4 AVG kann die Behörde unter anderem offenbar auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeiten in einem Bescheid jederzeit von Amts wegen berichtigen. Nach ständiger hg. Rechtsprechung setzt die Anwendbarkeit des Rechtsinstitutes der Berichtigung nach § 62 Abs. 4 AVG einen fehlerhaften Verwaltungsakt mit der Maßgabe voraus, dass eine auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit sowie deren Offenkundigkeit gegeben sind (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2 (1998) E 180 zu § 62 wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Eine auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit in diesem Sinn liegt dann vor, wenn in der ursprünglichen Entscheidung der Gedanke, den die Behörde offenbar aussprechen wollte, unrichtig wiedergegeben wurde, wenn also die zu berichtigende Entscheidung dem Willen der Behörde offenbar so nicht entsprochen hat, sondern sich diese deutlich erkennbar (bloß) im Ausdruck vergriffen hat (vgl. dazu die in Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Rz 46 zu § 62 zitierte hg. Judikatur). Es muss nicht nur klar erkennbar sein, dass der Behörde ein Fehler unterlaufen ist, sondern auch, welchen Inhalt der Bescheid nach ihrem Willen haben sollte. Bei der Klärung der Frage, ob eine Unrichtigkeit klar erkennbar ist, kommt es letztlich auch auf den Inhalt der übrigen Bescheidteile sowie auf den Akteninhalt an (vgl. dazu die in Hengstschläger/Leeb, a. a.O., Rz 47 zu § 62 zitierte hg. Judikatur). Durch die Berichtigung eines Bescheides darf aber der Inhalt dieses Bescheides nicht verändert werden. Die genannte Bestimmung bietet weder eine Handhabe für eine inhaltlich berichtigende oder erklärende Auslegung des Spruchs oder der Begründung eines Bescheides, noch kann auf Grund dieser Gesetzesstelle eine unrichtige rechtliche Beurteilung eines richtig angenommenen Sachverhaltes oder ein unrichtig angenommener Sachverhalt berichtigt werden (vgl. dazu die in Hengstschläger/Leeb, a. a.O., Rz 49 zu § 62 zitierte hg. Judikatur).

Im gegenständlichen Fall trug der Bürgermeister der Gemeinde M. mit Bescheid vom 3. November 2008 dem Beschwerdeführer auf, innerhalb einer bestimmten Frist "die im Jahr 1998 baurechtlich genehmigte Garagenerweiterung auf Grundstück 3594/1 … abzubrechen." In der Begründung führte der Bürgermeister aus, dass die Garage auf Grundstück 3594/1 nicht entsprechend der Baubewilligung ausgeführt worden sei, sondern bis 29 Zentimeter über die Grundstücke hinausrage. Da der Beschwerdeführer nicht innerhalb der gesetzten Frist nachträglich für die geänderte Bauführung angesucht habe, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen. Auch aus der Begründung ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass die Behörde erster Instanz statt der Beseitigung der konsenswidrig errichteten Anlage das Herstellen des der Bewilligung entsprechenden Zustandes aufgetragen hätte.

Die Berufungsbehörde übernahm im Bescheid vom 8. Februar 2010 den Spruch der erstinstanzlichen Behörde, indem sie die Berufung als unbegründet abwies. In der Begründung führte sie unter Hinweis auf § 37 Abs. 1 TBO 2001 aus, dass die Behörde nach Verstreichen der Frist für ein nachträgliches Ansuchen um Erteilung der Baubewilligung "dem Eigentümer der baulichen Anlage deren Beseitigung aufzutragen hat". Nachdem dieser Bescheid durch die Tiroler Landesregierung (mit Bescheid vom 3. September 2010) aufgehoben worden war, begründete die Berufungsbehörde den zweiten Berufungsbescheid vom 2. November 2010 weitgehend gleichlautend; auch dieser enthält keinen Hinweis darauf, dass der Gemeindevorstand der Gemeinde M. nicht die Beseitigung der Garage auf Grundstück 3594/1, sondern nur den dieses Grundstück überragenden Teiles gemeint hätte.

Entgegen der im angefochtenen Bescheid geäußerten Ansicht der belangten Behörde war im gegenständlichen Fall nicht klar, dass die Bezeichnung in den Beseitigungsaufträgen sowohl vom 3. November 2008, vom 8. Februar 2010 und vom 2. November 2010 jeweils nicht den Abbruch der Garage auf dem eigenen Grundstück des Beschwerdeführers zum Gegenstand hatte, sondern nur des den Eigengrund überragenden Teiles. Die Vermessungsurkunde des Dipl. Ing. Dr. A. ist zur Beantwortung der gegenständlichen Frage nicht von Relevanz. Seine Aufgabe war es lediglich, die Lage der Grundgrenze bzw. der Grenzüberschreitung der Garage festzustellen. In welchem Umfang der Beseitigungsauftrag in den Bescheiden der Baubehörden ausgesprochen wurde, war hingegen nicht Gegenstand einer Vermessungsurkunde.

Die Baubehörden wären auch gar nicht berechtigt gewesen, dem Beschwerdeführer nur die Beseitigung des sein Grundstück überragenden Teiles der Garage aufzutragen. Gemäß § 37 Abs. 1 letzter Satz TBO 2001 kann die Behörde nur auf begründetes Verlangen des Eigentümers der betreffenden baulichen Anlage statt der Beseitigung derselben die Herstellung des der Baubewilligung entsprechenden Zustandes auftragen. Ein solches begründetes Verlangen stellte der Beschwerdeführer jedoch laut den dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Akten während des gesamten Verwaltungsverfahrens nicht. Vielmehr sprach er sich stets gegen die Anwendbarkeit des § 37 TBO 2001 aus.

Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Begehren auf Erstattung der Mehrwertsteuer war abzuweisen, weil diese in den Pauschalbeträgen der genannten Verordnung bereits enthalten ist.

Wien, am 21. Februar 2013

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