VwGH Ro 2016/15/0031

VwGHRo 2016/15/003118.10.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des R G in S, vertreten durch die 1A Steuerberatungs GmbH in 6130 Schwaz, Münchner Straße 26, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 15. Juni 2016, Zl. RV/3100035/2016, betreffend Einkommensteuer 2014 (Arbeitnehmerveranlagung), zu Recht erkannt:

Normen

32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit Art5 lita;
EStG 1988 §106a Abs1 idF 2009/I/151;
EStG 1988 §33 Abs3;
EStG 1988 §33 Abs4 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RO2016150031.J00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Bürger der Slowakischen Republik, der in Österreich über keinen Wohnsitz verfügt, war vom 1. Jänner bis zum 16. April 2014 und vom 26. bis zum 31. Dezember 2014 in Österreich als Saisonnier beschäftigt. Aus der Tätigkeit in Österreich erzielte er Einkünfte in der Höhe von 6.181,69 EUR. Seine in der Slowakischen Republik (Ansässigkeitsstaat) erzielten Einkünfte haben im Jahr 2014 5.114,52 EUR betragen. Die in der Slowakischen Republik ganzjährig beschäftigte, an der slowakischen Familienadresse (offenkundig im selben Haushalt) wohnhafte Ehefrau des Revisionswerbers bezog für zwei gemeinsame - ebenfalls an der Familienadresse in der Slowakischen Republik wohnhafte - Kinder die slowakische Familienbeihilfe. Die von der Ehefrau erzielten Einkünfte haben sich im Jahr 2014 auf 4.473,79 EUR belaufen.

2 In der elektronisch eingereichten (österreichischen) Abgabenerklärung für das Jahr 2014 übte der Revisionswerber gemäß § 1 Abs. 4 EStG 1988 die Option zur unbeschränkten Steuerpflicht aus und beantragte die Zuerkennung des Alleinverdienerabsetzbetrages für zwei Kinder gemäß § 33 Abs. 4 EStG 1988 sowie des Kinderfreibetrages gemäß § 106a EStG 1988.

3 Abweichend zur Erklärung berücksichtigte das Finanzamt im Einkommensteuerbescheid des Jahres 2014 den Alleinverdienerabsetzbetrag nicht und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Absetzbetrag nur zuerkannt werde, wenn ein Steuerpflichtiger für mindestens ein Kind mehr als sechs Monate den Kinderabsetzbetrag (Auszahlung mit der Familienbeihilfe) iSd § 33 Abs. 3 EStG 1988 beziehe. Diese Voraussetzung erfülle der Revisionswerber nicht.

4 Der Revisionswerber erhob gegen den Einkommensteuerbescheid Beschwerde und brachte in dieser u.a. vor, dass der vom Finanzamt vertretene Standpunkt "gemeinschaftswidrig" sei. Die Slowakische Republik sei seit 1. Mai 2004 Mitglied der Europäischen Union. Für seine Kinder, die in der Slowakei und nicht in einem Drittstaat lebten, sei für zwölf Monate die Familienbeihilfe bezogen worden. Dem Revisionswerber stehe der Alleinverdienerabsetzbetrag zu.

5 Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung ab, woraufhin der Revisionswerber deren Vorlage an das Bundesfinanzgericht beantragte.

6 Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde hinsichtlich des Alleinverdienerabsetzbetrages keine Folge und änderte den angefochtenen Einkommensteuerbescheid insoweit ab, als es die vom Finanzamt berücksichtigten Kinderfreibeträge gemäß § 106a EStG 1988 außer Ansatz ließ. Zur Begründung führte das Bundesfinanzgericht auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass die von § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 geforderte Eigenschaft eines Kindes iSd § 106 Abs. 1 EStG 1988 auf das im Kalenderjahr überwiegende Zustehen eines Kinderabsetzbetrages iSd § 33 Abs. 3 EStG 1988 und nicht auf das überwiegende Bestehen eines Anspruches auf slowakisches Kindergeld abstelle. Dem Revisionswerber seien für die Zeit seiner Beschäftigung in Österreich Familienbeihilfe (Differenzzahlungen zum slowakischen Kindergeld) und damit auch Kinderabsetzbeträge zuerkannt worden. Er behaupte nicht, dass ein weitergehender - den überwiegenden Teil des Jahres 2014 umfassender - Anspruch auf solche Leistungen bestanden habe. Stehe dem Revisionswerber - selbst nach unionsrechtlichen Vorschriften - kein Anspruch auf Differenzzahlungen und Kinderabsetzbeträge für mehr als sechs Monate zu, seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Alleinverdienerabsetzbetrages gemäß § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 und von Kinderfreibeträgen gemäß § 106a EStG 1988 nicht erfüllt.

7 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, weil zur im Revisionsfall strittigen Frage, ob der ganzjährige Bezug des slowakischen Kindergeldes für die Gewährung des Alleinverdienerabsetzbetrages gemäß § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 und von Kinderfreibeträgen gemäß § 106a EStG 1988 ausreiche, keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliege.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. 9 Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

 

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 § 1 Abs. 4 EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 26/2009) lautet:

"(4) Auf Antrag werden auch Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anzuwenden ist, als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 98 haben. Dies gilt nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90% der österreichischen Einkommensteuer unterliegen oder wenn die nicht der österreichischen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nicht mehr als 11 000 Euro betragen."

12 § 33 EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 112/2012) lautet auszugsweise:

"(2) Von dem sich nach Abs. 1 ergebenden Betrag sind die Absetzbeträge nach den Abs. 4 bis 6 abzuziehen. (...)

(3) Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, steht im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu. Für Kinder, die sich ständig außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz aufhalten, steht kein Kinderabsetzbetrag zu. (...)

(4) Darüber hinaus stehen folgende Absetzbeträge zu:

1. Alleinverdienenden steht ein Alleinverdienerabsetzbetrag

zu. (...)

Alleinverdienende sind Steuerpflichtige mit mindestens einem Kind (§ 106 Abs. 1), die mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet oder eingetragene Partner sind und von ihren unbeschränkt steuerpflichtigen Ehegatten oder eingetragenen Partnern nicht dauernd getrennt leben oder die mehr als sechs Monate mit einer unbeschränkt steuerpflichtigen Person in einer Lebensgemeinschaft leben. Für Steuerpflichtige im Sinne des § 1 Abs. 4 ist die unbeschränkte Steuerpflicht des Ehegatten oder eingetragenen Partners nicht erforderlich. Voraussetzung ist, dass der (Ehe‑)Partner (§ 106 Abs. 3) Einkünfte von höchstens 6 000 Euro jährlich erzielt. Die nach § 3 Abs. 1 Z 4 lit. a, weiters nach § 3 Abs. 1 Z 10, 11 und 32 und auf Grund zwischenstaatlicher oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen steuerfreien Einkünfte sind in diese Grenzen mit einzubeziehen. Andere steuerfreie Einkünfte sind nicht zu berücksichtigen. (...)"

13 Gemäß § 106 Abs. 1 EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 26/2009) gelten als Kinder im Sinne dieses Bundesgesetzes Kinder, für die dem Steuerpflichtigen oder seinem (Ehe)Partner (Abs. 3) mehr als sechs Monate im Kalenderjahr ein Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs. 3 EStG 1988 zusteht.

14 Gemäß § 106a Abs. 1 EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 151/2009) steht für ein Kind im Sinne des § 106 Abs. 1 EStG 1988 ein Kinderfreibetrag zu. Dieser beträgt 220 EUR jährlich, wenn er von einem Steuerpflichtigen geltend gemacht wird.

15 Art. 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. EU Nr. L 166 vom 30. April 2004 in der durch ABl. EU Nr. L 200 vom 7. Juni 2004 berichtigten Fassung (im Folgenden: VO Nr. 883/2004 ), lautet auszugsweise:

"Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus

unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge:

an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus

denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach

den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine

selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der

Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit

ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den

widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste

Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die

Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten

Kriterien aufgeteilt;

ii) (...);

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst

werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird."

16 Art. 5 der Verordnung Nr. 883/2004 lautet auszugsweise:

"Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten oder Ereignissen

Sofern in dieser Verordnung nicht anderes bestimmt ist, gilt unter Berücksichtigung der besonderen Durchführungsbestimmungen Folgendes:

a) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen

Mitgliedstaats der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstiger Einkünfte bestimmte Rechtswirkungen, so sind die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährten gleichartigen Leistungen oder bei Bezug von in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünften anwendbar."

17 Strittig ist, ob für die Zuerkennung des Alleinverdienerabsetzbetrages gemäß § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 und von Kinderfreibeträgen gemäß § 106a EStG 1988 der Bezug eines Kinderabsetzbetrages iSd § 33 Abs. 3 EStG 1988 für mindestens sechs Monate erforderlich (so das Bundesfinanzgericht) oder ob der Bezug eines Kinderabsetzbetrages iSd § 33 Abs. 3 EStG 1988 für fünf Monate und der Bezug eines der österreichischen Familienbeihilfe vergleichbaren slowakischen Kindergeldes für weitere sieben Monate ausreichend ist (so der Revisionswerber).

18 Der Revisionswerber ist nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichtes - die sich mit dem in Punkt I. der Revision dargelegten Sachverhalt decken - ein Bürger der Slowakischen Republik, der im Jahr 2014 über einen Zeitraum von beinahe fünf Monaten in Österreich beschäftigt war. Seine an der slowakischen Familienadresse wohnhafte Ehefrau ging im Jahr 2014 ganzjährig einer Beschäftigung in der Slowakischen Republik nach und bezog für zwei gemeinsame - ebenfalls an der Familienadresse in der Slowakischen Republik wohnhafte - Kinder die slowakische Familienbeihilfe.

19 Vor dem Hintergrund, dass die Ehefrau des Revisionswerbers ganzjährig in der Slowakei beschäftigt war und die Kinder des Revisionswerbers an der Familienadresse in der Slowakischen Republik wohnhaft waren, ist nach den Prioritätsregeln des Art. 68 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 die Slowakische Republik vorrangig für die Gewährung von Familienleistungen zuständig.

20 Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen gemäß Art. 68 Abs. 2 der VO Nr. 883/2004 nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren (wobei allerdings der Unterschiedsbetrag, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird, nicht für Kinder gewährt werden muss, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen). Offensichtlich ausgehend davon hat der Revisionswerber für die Zeit seiner Beschäftigung in Österreich (fünf Monate) eine Differenzzahlung und den in § 33 Abs. 3 EStG 1988 normierten Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind bezogen.

21 Für den Fall, dass nach den Rechtsvorschriften des für die Gewährung von Familienleistungen zuständigen Mitgliedstaats der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstiger Einkünfte bestimmte Rechtswirkungen hat, sieht Art. 5 lit. a der VO Nr. 883/2004 vor, dass die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährten gleichartigen Leistungen oder bei Bezug von in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünften anwendbar sind. Daraus folgt, dass die Slowakische Republik als "zuständiger Mitgliedstaat" Zeiträume, in denen der Revisionswerber die österreichischen Differenzzahlungen bzw. den Kinderabsetzbetrag bezogen hat, gegebenenfalls zu berücksichtigen hätte. Dass hingegen in Österreich der Bezug von slowakischer Familienbeihilfe durch den Revisionswerber bzw. seine Ehefrau für die Frage des Anspruches auf den Alleinverdienerabsetzbetrag oder den Kinderfreibetrag einzurechnen seien, ergibt sich aus Art. 5 lit. a der VO Nr. 883/2004 nicht.

22 Schon deshalb erweist sich die Revision als unbegründet, weshalb nicht zu prüfen ist, ob der Kinderfreibetrag und der Alleinverdienerabsetzbetrag überhaupt als Familienleistungen iSd Verordnung (EG) Nr. 883/2004 angesehen werden können.

23 Die Revision war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen. 24 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Oktober 2018

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