VwGH Ro 2015/06/0008

VwGHRo 2015/06/000827.9.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Dr. Bayjones, Mag.a Merl und Mag. Rehak sowie Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber, BA, über die Revision der Bürgerinitiative „s“ in F, vertreten durch Heinzle ‑ Nagel Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. April 2015, W193 2012935‑1/10E, betreffend Feststellung der Parteistellung in einem vereinfachten UVP‑Genehmigungsverfahren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorarlberger Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. Stadt Feldkirch, 2. V GmbH in B, 3. Land Vorarlberg, alle vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 12), zu Recht erkannt:

Normen

EURallg
UVPG 2000 §19
UVPG 2000 §19 Abs1 Z6
UVPG 2000 §19 Abs2
UVPG 2000 §19 Abs4
UVPG 2000 §3 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
32005D0370 AarhusKonvention Art6
32005D0370 AarhusKonvention Art6 Abs1 lita
32005D0370 AarhusKonvention Art6 Abs1 litb
32005D0370 AarhusKonvention Art9 Abs2
32011L0092 UVP-RL Art1 Abs2 lite
32011L0092 UVP-RL Art11
32011L0092 UVP-RL Art11 Abs1
32011L0092 UVP-RL Art11 Abs3
62009CJ0115 Bund Umwelt / Naturschutz Deutschland VORAB
62013CJ0570 Gruber VORAB
62015CJ0664 Protect Natur-, Arten- und Landschaftschutz Umweltorganisation VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RO2015060008.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Über Antrag des Landes Vorarlberg vom 4. Jänner 2010 wurde mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung (in der Folge: Landesregierung) vom 11. März 2010 gemäß § 2, § 3 Abs. 1, Abs. 4 und Abs. 7 und § 39 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang 1 Z 9 lit. h (Spalte 3) des Bundesgesetzes über die Prüfung der Umweltverträglichkeit (Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 ‑ UVP‑G 2000) festgestellt, dass für das im Antrag des Landes Vorarlberg dargestellte und in den mit diesem Antrag vorgelegten Projektunterlagen näher ausgeführte Vorhaben „Verkehrssystem F“ der Tatbestand des Anhanges 1 Z 9 lit. h UVP‑G 2000 erfüllt werde und somit eine Umweltverträglichkeitsprüfung (in der Folge: UVP) im vereinfachten Verfahren durchzuführen sei.

2 Mit Schreiben vom 9. Juli 2013 stellten die mitbeteiligten Parteien den Antrag auf Erteilung einer Genehmigung gemäß den §§ 3 Abs. 3 und 17 sowie Anhang 1 Z 9 lit. h UVP‑G 2000 für die Errichtung und den Betrieb des gegenständlichen Vorhabens.

3 Innerhalb der Auflagefrist reichte die revisionswerbende Bürgerinitiative am 17. Juli 2014 eine Stellungnahme gemäß § 19 Abs. 4 iVm § 9 Abs. 5 UVP‑G 2000 ein und stellte einen Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung im UVP‑Verfahren.

4 Unter Spruchpunkt I. des Bescheides der Landesregierung vom 9. September 2014 stellte diese fest, dass der revisionswerbenden Bürgerinitiative gemäß § 19 Abs. 1 Z 6 und Abs. 2 sowie § 39 UVP‑G 2000, BGBl. Nr. 697/1993 idF BGBl. I. Nr. 14/2014, in Verbindung mit § 57 AVG die Parteistellung im zugrunde liegenden vereinfachten UVP‑Genehmigungsverfahren zukomme.

5 Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der mitbeteiligten Parteien vom 6. Oktober 2014 wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) der Beschwerde stattgegeben und Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides dahingehend abgeändert, dass der revisionswerbenden Bürgerinitiative im zugrunde liegenden vereinfachten UVP‑Genehmigungsverfahren Beteiligtenstellung zukomme.

6 Begründend führte das BVwG nach Darstellung der relevanten Rechtslage zusammengefasst aus, die revisionswerbende Bürgerinitiative habe während der öffentlichen Auflagefrist eine Stellungnahme samt Unterschriftenliste bei der Landesregierung eingereicht; diese sei von 800 Personen, welche zum Zeitpunkt der Unterstützung in der Standortgemeinde beziehungsweise in einer angrenzenden Gemeinde für Gemeinderatswahlen wahlberechtigt gewesen seien, unterstützt worden. Sie habe sich daher ordnungsgemäß konstituiert. Der Umstand, dass die Einreichunterlagen aufgrund eines Formalfehlers im Rahmen der ersten Kundmachung erneut kundgemacht und zur öffentlichen Einsichtnahme bereitgehalten worden seien, ändere nichts an der Tatsache der rechtmäßigen Konstituierung (Hinweis US 9.5.2007, US 4B/2007/6‑7).

Der Ansicht der vor dem BVwG belangten Behörde, § 19 Abs. 2 UVP‑G 2000 verstoße gegen das derzeit maßgebliche Unionsrecht und habe daher unangewendet zu bleiben, sowie Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (in der Folge: UVP‑RL) sei unmittelbar anwendbar, könne sich das BVwG jedoch nicht anschließen. Voraussetzung dafür, dass die revisionswerbende Bürgerinitiative unmittelbare Rechte aus Art. 11 UVP‑RL geltend machen könne, sei dessen inhaltliche Unbedingtheit sowie hinreichende Genauigkeit. Diese Voraussetzungen könne Art. 11 UVP‑RL (und auch der bis zum Inkrafttreten der UVP‑RL geltende Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG ) jedoch nicht in ausreichendem Maße erfüllen.

Aus dem Urteil des EuGH vom 12. Mai 2011, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, C‑115/09, gehe deutlich hervor, dass dieser die Sätze 2 und 3 des Art. 10a Abs. 3 der RL 85/337/EWG für inhaltlich unbedingt und hinreichend genau halte, dem Art. 10a leg. cit. beziehungsweise dem nunmehr geltenden Art. 11 UVP‑RL darüber hinaus aber einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum zuerkenne. Die Sätze 2 und 3 des zitierten Artikels enthielten jedoch ausschließlich konkrete Regelungen betreffend Nichtregierungsorganisationen (in der Folge: NGO), weshalb auch deren unmittelbare Anwendbarkeit NGOs vorbehalten bleibe. Im Sinne des UVP‑G 2000 handle es sich bei Umweltorganisationen im Gegensatz zu ad hoc auftretenden Bürgerinitiativen um NGOs. Zumal die UVP‑RL den Begriff der Bürgerinitiative nicht kenne und es sich sohin bei Bürgerinitiativen jedenfalls nicht um NGOs handle, räumten die Sätze 2 und 3 des Art. 11 UVP‑RL einer Bürgerinitiative keine sich unmittelbar daraus ergebenden Rechte ein.

Nach dem UVP‑G 2000 sei Bürgerinitiativen im Genehmigungsverfahren gemäß § 19 Abs. 1 Z 6 leg. cit. Parteistellung, im vereinfachten Genehmigungsverfahren jedoch nur Beteiligtenstellung mit dem Recht auf Akteneinsicht eingeräumt. Nach Art. 1 Abs. 2 lit. d UVP‑RL sei die betroffene Öffentlichkeit als die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Art. 2 Abs. 2 leg. cit. betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran definiert. Es überzeuge, dass Bürgerinitiativen als Bestandteil der betroffenen Öffentlichkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 UVP‑RL anzusehen seien, weil sie nur von Personen unterstützt werden könnten, welche in der Standort‑ beziehungsweise in einer Nachbargemeinde wahlberechtigt seien. Diese Personen seien daher regelmäßig von Entscheidungsverfahren gemäß Art. 2 Abs. 2 UVP‑RL betroffen oder wahrscheinlich betroffen oder hätten ein subjektives Interesse daran. Jedoch kenne die UVP‑RL den Begriff der Bürgerinitiative nicht und enthalte folglich keine Vorgaben an die Mitgliedstaaten; das Institut der Bürgerinitiative sei daher unionsrechtlich nicht geboten. Art. 11 Abs. 1 UVP‑RL überlasse es den Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer Rechtsvorschriften die Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit zu regeln. Ebenso sei es diesen überlassen zu regeln, was als ausreichendes Interesse oder Rechtsverletzung im Sinne des Art. 11 Abs. 1 lit. a beziehungsweise lit. b leg. cit. zu gelten habe. Den Mitgliedstaaten komme nach Art. 11 Abs. 1 UVP‑RL bezüglich der Wahl der Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung und deren verfahrensrechtlicher Ausgestaltung ein Gestaltungsspielraum zu. Es sei nicht zu erkennen, dass die in § 19 Abs. 2 UVP‑G 2000 festgelegte Beteiligtenstellung der Bürgerinitiative im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht mit Art. 11 UVP‑RL in Einklang stehe. Für diese Unterscheidung habe sich der Gesetzgeber unter Ausnützung seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes entschieden.

Soweit sich die Bürgerinitiative auf das Übereinkommen von Aarhus (Aarhus-Konvention) stütze, so sei dieses nicht direkt anwendbar. Subjektive Rechte könnten daher aus der Aarhus‑Konvention nicht abgeleitet werden. Hinsichtlich Art. 9 Abs. 3 leg. cit. habe der EuGH zudem festgestellt, dass diese Bestimmung keine klare und präzise Verpflichtung enthalte, die die rechtliche Situation Einzelner unmittelbar regeln könne sowie, dass die Durchführung und Wirkung dieser Vorschrift vom Erlass eines weiteren Rechtsaktes abhänge (Hinweis auf EuGH 8.3.2011, Slowakischer Braunbär, C‑ 240/09).

Einen Widerspruch zwischen § 19 Abs. 2 sowie § 19 Abs. 1 Z 6 UVP‑G 2000 mit Art. 11 UVP‑RL könne das BVwG nicht erkennen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil es zur Frage der Beteiligtenstellung von Bürgerinitiativen im vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß § 19 Abs. 2 UVP‑G 2000 an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mangle.

7 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, in welcher die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in der Sache, in eventu die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, Kostenersatz sowie in eventu ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH zu näher genannten Fragen einzuleiten, beantragt wird.

8 Das BVwG legte die Akten des Verfahrens vor. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig, weil es zur Frage der unionsrechtlichen Vereinbarkeit der Differenzierung der verfahrensrechtlichen Stellung von Bürgerinitiativen nach § 19 Abs. 1 Z 6 und Abs. 2 UVP‑G 2000 an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mangelt. Sie ist auch berechtigt.

10 Die im Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen des Unionsrechts sowie der nationalen Vorschriften sind folgende:

11 Art. 6 Abs. 1 bis 6 und Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 Aarhus‑Konvention haben folgenden Wortlaut:

„Art. 6

Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten

(1) Jede Vertragspartei

a) wendet diesen Artikel bei Entscheidungen darüber an, ob die in Anhang I aufgeführten geplanten Tätigkeiten zugelassen werden;

b) wendet diesen Artikel in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht auch bei Entscheidungen über nicht in Anhang I aufgeführte geplante Tätigkeiten an, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können. Zu diesem Zweck bestimmen die Vertragsparteien, ob dieser Artikel Anwendung auf eine derartige geplante Tätigkeit findet;

...

(2) Die betroffene Öffentlichkeit wird im Rahmen umweltbezogener Entscheidungsverfahren je nach Zweckmäßigkeit durch öffentliche Bekanntmachung oder Einzelnen gegenüber in sachgerechter, rechtzeitiger und effektiver Weise frühzeitig ... informiert ...

...

(3) Die Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung sehen jeweils einen angemessenen zeitlichen Rahmen für die verschiedenen Phasen vor, damit ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um die Öffentlichkeit nach Absatz 2 zu informieren, und damit der Öffentlichkeit ausreichend Zeit zur effektiven Vorbereitung und Beteiligung während des umweltbezogenen Entscheidungsverfahrens gegeben wird.

(4) Jede Vertragspartei sorgt für eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Optionen noch offen sind und eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden kann.

(5) Jede Vertragspartei sollte, soweit angemessen, künftige Antragsteller dazu ermutigen, die betroffene Öffentlichkeit zu ermitteln, Gespräche aufzunehmen und über den Zweck ihres Antrages zu informieren, bevor der Antrag auf Genehmigung gestellt wird.

(6) Jede Vertragspartei verpflichtet die zuständigen Behörden, der betroffenen Öffentlichkeit ‑ auf Antrag, sofern innerstaatliches Recht dies vorschreibt ‑ gebührenfrei und sobald verfügbar Zugang zu allen Informationen zu deren Einsichtnahme zu gewähren, die für die in diesem Artikel genannten Entscheidungsverfahren relevant sind und zum Zeitpunkt des Verfahrens zur Öffentlichkeitsbeteiligung zur Verfügung stehen; das Recht der Vertragsparteien, die Bekanntgabe bestimmter Informationen nach Artikel 4 Absätze 3 und 4 abzulehnen, bleibt hiervon unberührt. ...

 

Artikel 9

Zugang zu Gerichten

...

(2) Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit,

(a) die ein ausreichendes Interesse haben und

(b) eine Rechtsverletzung geltend machen,

sofern das Verwaltungsverfahrensrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell‑rechtliche und verfahrensmäßige Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Artikel 6 und ‑ sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet des Absatzes 3 ‑ sonstige einschlägige Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten.

Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmt sich nach den Erfordernissen innerstaatlichen Rechts und im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation, welche die in Artikel 2 Nummer 5 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne des Buchstaben a. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne des Buchstaben b verletzt werden können.

Absatz 2 schließt die Möglichkeit eines vorangehenden Überprüfungsverfahrens vor einer Verwaltungsbehörde nicht aus und lässt das Erfordernis der Ausschöpfung verwaltungsbehördlicher Überprüfungsverfahren vor der Einleitung gerichtlicher Überprüfungsverfahren unberührt, sofern ein derartiges Erfordernis nach innerstaatlichem Recht besteht.

(3) Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.“

12 Art. 1, Art. 2 und Art. 11 UVP‑RL lauten auszugsweise:

„Artikel 1

(1) Gegenstand dieser Richtlinie ist die Umweltverträglichkeitsprüfung bei öffentlichen und privaten Projekten, die möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.

(2) Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

...

d) ‚Öffentlichkeit‘: eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen;

e) ‚betroffene Öffentlichkeit‘: die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran. Im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse;

...

 

Artikel 2

(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vor Erteilung der Genehmigung die Projekte, bei denen unter anderem aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Genehmigungspflicht unterworfen und einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden. Diese Projekte sind in Artikel 4 definiert.

(2) Die Umweltverträglichkeitsprüfung kann in den Mitgliedstaaten im Rahmen der bestehenden Verfahren zur Genehmigung der Projekte durchgeführt werden oder, falls solche nicht bestehen, im Rahmen anderer Verfahren oder der Verfahren, die einzuführen sind, um den Zielen dieser Richtlinie zu entsprechen.

...

 

Artikel 11

(1) Die Mitgliedstaaten stellen im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die

a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ

b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert,

Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten.

...

(3) Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation, welche die in Artikel 1 Absatz 2 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a dieses Artikels. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne von Absatz 1 Buchstabe b dieses Artikels verletzt werden können.

...“

13 § 19 UVP‑G 2000, BGBl. Nr. 697/1993 in der Fassung BGBl. I. Nr. 14/2014, lautet auszugsweise:

„Partei‑ und Beteiligtenstellung sowie Rechtsmittelbefugnis

§ 19. (1) Parteistellung haben

...

6. Bürgerinitiativen gemäß Abs. 4, ausgenommen im vereinfachten Verfahren (Abs. 2) und

...

(2) Im vereinfachten Verfahren können Bürgerinitiativen gemäß Abs. 4 als Beteiligte mit dem Recht auf Akteneinsicht am Verfahren teilnehmen.

...

(4) Eine Stellungnahme gemäß § 9 Abs. 5 kann durch Eintragung in eine Unterschriftenliste unterstützt werden, wobei Name, Anschrift und Geburtsdatum anzugeben und die datierte Unterschrift beizufügen ist. Die Unterschriftenliste ist gleichzeitig mit der Stellungnahme einzubringen. Wurde eine Stellungnahme von mindestens 200 Personen, die zum Zeitpunkt der Unterstützung in der Standortgemeinde oder in einer an diese unmittelbar angrenzenden Gemeinde für Gemeinderatswahlen wahlberechtigt waren, unterstützt, dann nimmt diese Personengruppe (Bürgerinitiative) am Verfahren zur Erteilung der Genehmigung für das Vorhaben und nach § 20 als Partei oder als Beteiligte (Abs. 2) teil. Als Partei ist sie berechtigt, die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften als subjektives Recht im Verfahren geltend zu machen und Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und Revision an den Verwaltungsgerichtshof sowie Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof zu erheben.

...“

14 Die revisionswerbende Bürgerinitiative bringt zusammengefasst vor, der Gesetzgeber sei, weil er die Rechtsform der Bürgerinitiative geschaffen und ihr Parteistellung gewährt habe, hinsichtlich der Art und Weise, wie er diese im UVP‑Verfahren beteilige, an die unions- und völkerrechtlichen Vorgaben der UVP‑RL, der Aarhus- sowie der Espoo-Konvention gebunden. Die Differenzierung im UVP‑G 2000 zwischen Partei- und Beteiligtenstellung sei sachlich nicht zu rechtfertigen.

Der nationale Gesetzgeber habe sich entschlossen, konkret die Parteistellung von Einzelpersonen, ad-hoc Personengruppen und NGOs zu normieren. Aufgrund der räumlichen Nähe zum Projekt, welche die Mitglieder einer Bürgerinitiative nachweisen müssten, sei eine solche unzweideutig als betroffene Öffentlichkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 lit. e UVP‑RL und damit im Sinne der Aarhus-Konvention anzusehen. Auch wenn die Rechtsform der Bürgerinitiative in der UVP‑RL nicht ausdrücklich vorgesehen sei, habe der Gesetzgeber einer solchen Personengruppe auch eine effektive Beteiligung zu ermöglichen.

Hinsichtlich des Vorliegens einer qualifizierten Betroffenheit habe der österreichische Gesetzgeber das Kriterium „Rechtsverletzung“ gewählt. Das österreichische Recht habe mit der Einräumung subjektiver Rechte an die Bürgerinitiative die faktische Betroffenheit ihrer Mitglieder hinsichtlich ihrer Gesundheit und ihr damit begründetes Interesse am Umweltschutz als rechtliches Interesse bereits anerkannt. Die Bürgerinitiative sei somit Teil der tatsächlich betroffenen Öffentlichkeit und erfülle das Erfordernis der qualifizierten Betroffenheit.

Zum Verhältnis von Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen führt die revisionswerbende Bürgerinitiative aus, nach dem Implementation Guide2 zur Aarhus-Konvention seien nicht nur NGOs, sondern auch zivilgesellschaftliche Gruppierungen von der Definition der betroffenen Öffentlichkeit erfasst. Aufgrund der expliziten Nennung von Umweltorganisationen in der UVP‑RL könne nicht geschlossen werden, es reiche zur Umsetzung aus, nur diesen, aber nicht Bürgerinitiativen einen Zugang zu Gericht zu gewähren (wird näher begründet). Für Personen, die sich zu einer Bürgerinitiative zusammenschließen, bestehe nach dem österreichischen UVP‑G 2000 auch nicht die Möglichkeit, eine auf lokaler Ebene organisierte Umweltorganisation zu gründen, weil diese unter anderem seit mindestens drei Jahren bestehen müsse.

Das entscheidende Tatbestandsmerkmal, das die UVP‑Pflicht begründe, sei die Erheblichkeit der Umweltauswirkungen. Dieses sei in allen UVP‑Verfahren gleichermaßen gegeben. Die Einstufung in einerseits die erste und andererseits die zweite und dritte Spalte des Anhanges 1 des UVP‑G 2000 sei rein von einem Schwellenwert abhängig, nicht aber von den Umweltauswirkungen. Nach Art. 2 Abs. 1 UVP‑RL müssten sämtliche Projekte ein UVP‑Verfahren durchlaufen, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen sei. Es dürfe nicht geschlossen werden, dass Projekte, die nicht in der Liste des Anhanges I, sondern in Anhang II UVP‑RL enthalten seien, ein Verfahren mit abgeschwächter Öffentlichkeitsbeteiligung durchlaufen könnten. In beiden Verfahren nach dem UVP‑G 2000 sehe sich die betroffene Öffentlichkeit in vergleichbarer Weise mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt konfrontiert und habe somit das gleiche Interesse, sich vor diesen zu schützen. Dies gelte insbesondere für Infrastrukturprojekte wie den vorliegenden „Stadttunnel F“, der in einem Luftsanierungsgebiet nach dem Immissionsschutzgesetz ‑ Luft liege und deshalb die Gesundheit der Bevölkerung gefährde.

Zur unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 11 UVP‑RL führt die revisionswerbende Bürgerinitiative aus, der EuGH habe den darin enthaltenen Spielraum des nationalen Gesetzgebers eingeschränkt (Hinweis auf die Urteile 7.11.2013, Altrip, C‑72/12, und 16.2.2012, Solvay, C‑182/10). Es könnten auch nicht unmittelbar anwendbare Normen dazu verpflichten, Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit einen Zugang zum Gericht zu eröffnen. Dies ergebe sich bereits aus dem Urteil des EuGH vom 8. März 2011, Slowakischer Braunbär. Der EuGH habe festgestellt, dass Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention nicht unmittelbar anwendbar sei, jedoch sei es Ziel der Bestimmungen, die Gewährleistung eines effektiven Umweltschutzes und so auch die Kontrolle der Einhaltung des Umweltrechtes der Union zu ermöglichen. Art. 9 Abs. 3 Aarhus‑Konvention dürfe daher nicht so ausgelegt werden, dass die Ausübung der durch das Unionsrecht gewährleisteten Rechte praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werde. Zu beachten seien sowohl die Ziele nach Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention als auch das unionsrechtliche Ziel eines effektiven Rechtsschutzes.

Die Feststellung des EuGH, auch nicht unmittelbar anwendbare Bestimmungen verpflichteten Mitgliedstaaten dazu, ihr Recht im Einklang mit den Zielen aus unionsrechtlichen Bestimmungen und völkerrechtlichen Verpflichtungen der Union auszulegen, sei auch beim Rechtsschutz im UVP‑Verfahren zu beachten; dies auch hinsichtlich anderer Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, sofern sie sich ‑ wie die Bürgerinitiativen ‑ nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften konstituiert hätten.

Art. 11 UVP‑RL sei unmittelbar anwendbar, weil hinreichend unbedingt und genau. Denn die Vorgabe „die Mitgliedstaaten stellen sicher“ verpflichte die nationalen Gesetzgeber dazu, Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit einen Zugang zu einem Überprüfungsverfahren zu gewähren, sofern sie eine der beiden Voraussetzungen (des Art. 11 Abs. 1 UVP‑RL) erfüllten. Da der Gesetzgeber die Bürgerinitiative als ad-hoc Personengruppe geschaffen habe und sie eine Rechtsverletzung geltend machen könne, sei er in der Folge dazu verpflichtet, ihr auch einen Zugang zu Gericht zu eröffnen und die Parteistellung zuzuerkennen. Die Verpflichtung werde darüber hinaus verstärkt durch die Vorgabe in Art. 11 Abs. 3 UVP‑RL sowie durch Art. 47 Grundrechte‑Charta ‑ GRC.

§ 19 Abs. 2 sowie Abs. 1 Z 6 UVP‑G 2000 würden gegen das derzeit maßgebliche Unionsrecht verstoßen und die nationalen Behörden und Gerichte seien daher verpflichtet, diese Bestimmungen unangewendet zu lassen. Für den Fall, dass der Verwaltungsgerichtshof daran Zweifel haben sollte, werde die Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens beantragt. Auch werde die Einbringung eines Gesetzesprüfungsantrages gemäß Art. 140 B‑VG beim Verfassungsgerichtshof angeregt.

15 In der innerstaatlichen Rechtslage wird hinsichtlich der Verfahrensbeteiligung einer Bürgerinitiative zwischen der Einräumung der Parteistellung im „ordentlichen“ UVP‑Verfahren und der Einräumung einer bloßen Beteiligtenstellung mit Recht auf Akteneinsicht im vereinfachten Verfahren unterschieden. Verfahrensgegenständlich ist die Frage, ob die Einbeziehung einer Bürgerinitiative als Partei entgegen der nationalen Rechtslage auch in einem vereinfachten UVP‑Verfahren (gegenständlich „Verkehrssystem F“) geboten ist.

16 Die in Rede stehende nationale Regelung des § 19 UVP‑G 2000 ist in Umsetzung der RL 97/11/EG (erste Änderungsrichtlinie der ursprünglichen UVP‑RL 85/337/EWG , zur Historie der UVP‑RL vgl. weiterführend Bachl, Die [betroffene] Öffentlichkeit im UVP‑Verfahren. Sinn, Zweck und Reichweite ihrer Beteiligung, 100ff; sowie Ennöckl/Raschauer/Bergthaler, UVP‑G3 (2013), § 19, Rz 1) ergangen (vgl. den Initiativantrag des Nationalrates, 168/A, 21. GP ). Im gegenständlichen Revisionsfall sind die wiedergegebenen Bestimmungen der UVP‑RL 2011/92/EU einschlägig (vgl. den ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/92/EU ).

17 Das gegenständliche Projekt ist dem Feststellungsbescheid der Vorarlberger Landesregierung (siehe Rz. 1) zufolge einer UVP zu unterziehen. Für das vorliegende Verfahren ist daher Art. 11 UVP‑RL einschlägig. Dieser übernimmt in weiten Teilen fast wortgleich Art. 9 Abs. 2 der Aarhus‑Konvention und ist daher im Lichte der Ziele dieses Übereinkommens auszulegen (vgl. EuGH 16.4.2015, Gruber, C 570/13 , Rn. 34; sowie EuGH 12.5.2011, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, C‑115/09, Rn. 41).

18 Gemäß Art. 11 Abs. 1 und 3 UVP‑RL sowie Art. 9 Abs. 2 Aarhus‑Konvention ist für Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit bei ausreichendem Interesse oder Geltendmachung einer Rechtsverletzung eine Anfechtungsmöglichkeit aufgrund materiellrechtlicher oder verfahrensrechtlicher Rechtswidrigkeit umweltbezogener Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Sinne der UVP‑Richtlinie bzw. des Art. 6 der Konvention vorzusehen. Mit dem Verweis auf Art. 6 leg. cit. ist klargestellt, dass die Verpflichtung, einen weiten Zugang zu Gericht (Art. 9 Abs. 2 zweiter Unterabs. leg. cit.) zu gewähren, für Vorhaben gilt, die entweder in Anhang I der Aarhus‑Konvention angeführt sind oder eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können (EuGH 20.12.2017, C‑664, Protect Rn. 64).

19 UVP‑Verfahren stellen grundsätzlich umweltbezogene Entscheidungsverfahren in diesem Sinn dar. Daher müssen sowohl das „ordentliche“ Genehmigungsverfahren als auch das vereinfachte Genehmigungsverfahren (§ 3 Abs. 1 UVP‑G 2000) diesen unionsrechtlichen Anforderungen entsprechen, zumal auch jene Vorhaben, die nach dem vereinfachten Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können (Art. 1 Abs. 1 UVP‑RL).

20 Gemäß Art. 1 Abs. 1 lit. e UVP‑RL ist unter der „betroffenen Öffentlichkeit“ jene Öffentlichkeit zu verstehen, die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Art. 2 Abs. 2 leg. cit. betroffen oder wahrscheinlich betroffen ist, oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran. NGOs, wenn sie alle innerstaatlichen Voraussetzungen erfüllen, wird ein solches Interesse ex lege zuerkannt.

21 Um das Recht auf Zugang zu Gericht nach Art. 11 UVP‑RL geltend machen zu können, reicht es nicht aus, „nur“ zum Kreis der betroffenen Öffentlichkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. e leg. cit. zu gehören. Vielmehr wird eine qualifizierte Betroffenheit gefordert, welche entweder in einem ausreichenden Interesse oder der Geltendmachung einer Rechtsverletzung bestehen kann (vgl. lit. a und lit. b des Art. 11 Abs. 1 UVP‑RL).

22 Aus der jüngeren Rechtsprechung des EuGH (Urteile 16.4.2015, C‑570/13, Gruber, und 20.12.2017, C‑664/15, Protect) ergibt sich, dass sich der den Mitgliedstaaten eingeräumte Gestaltungsspielraum bei der Festlegung, was als „ausreichendes Interesse“ oder als „Rechtsverletzung“ gilt, nur auf die Verfahrensmodalitäten der Rechtsbehelfe (Gruber Rn. 37) bezieht, nicht jedoch darauf, dass Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit der Zugang zu Gericht aus anderen Gründen versagt werden könnte. Der Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers umfasst somit nicht das „Ob“ des Gerichtszugangs, sondern nur die verfahrensrechtliche Ausgestaltung desselben.

23 Der EuGH setzte sich in seiner jüngsten Rechtsprechung (insbesondere im Urteil vom Dezember 2017, C 664/15 , Protect) zur Aarhus‑Konvention und zur UVP‑RL ausführlich mit der Frage des Zuganges zu Gericht und der Parteistellung ‑ fallbezogen betreffend Umweltorganisationen ‑ auseinander. Daraus lassen sich jedoch auch für das hier vorliegende Rechtsproblem relevante Schlüsse ziehen.

24 So ergibt sich aus den Rn. 61ff (insbesondere aus Rn. 68) des Urteils in der Rechtssache Protect, dass gemäß Art. 9 Abs. 2 Aarhus‑Konvention in den unter Art. 6 Abs. 1 lit. a oder lit. b leg. cit. fallenden Verfahren Umweltorganisationen nicht nur das Recht zur Erhebung von Rechtsmitteln gegen die Verwaltungsentscheidungen (der Zugang zu Gericht) gewährleistet sein muss, sondern dass ihnen auch ein Recht auf Beteiligung ‑ als Partei des Verfahrens ‑ an einem solchen Verfahren einzuräumen ist (vgl. dazu auch VwGH 28.3.2018, Ra 2015/07/0055).

25 Eine Bürgerinitiative stellt nach § 19 Abs. 4 UVP‑G 2000 einen Zusammenschluss von natürlichen Personen dar, die zum Zeitpunkt der Unterstützung in der Standortgemeinde oder in einer an diese unmittelbar angrenzenden Gemeinde für Gemeinderatswahlen wahlberechtigt waren. Wie die revisionswerbende Bürgerinitiative zurecht vorbringt, wird in dieser Bestimmung eine örtliche Nahebeziehung vorausgesetzt und ist damit regelmäßig eine Betroffenheit oder zumindest eine wahrscheinliche Betroffenheit zu dem zur Genehmigung eingereichten Vorhaben zu bejahen (vgl. in diesem Sinne beispielsweise Bachl, aaO, 241; sowie bereits Pürgy, Die Bürgerinitiative im UVP‑Verfahren, in: Ennöckl/Raschauer, Rechtsfragen des UVP‑Verfahrens vor dem Umweltsenat [2008], 126; sowie Eisenberger/Dworak/Bayer, Die Aarhus‑Konvention. Ein Leitfaden für Projektanten, Behörden und Nachbarn [2018], 12). Dieses Ergebnis findet auch in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Deckung (vgl. VfGH 1.12.2014, V 124/03).

26 Demnach ist eine Bürgerinitiative, sofern sie die verfahrensrechtlichen Anforderungen des nationalen Gesetzgebers erfüllt, als Teil der betroffenen Öffentlichkeit im Sinne Art. 1 Abs. 2 lit. e UVP‑RL anzusehen. Nach der oben dargestellten Judikatur des EuGH kommt ihr daher in Verfahren gemäß Art. 9 Abs. 2 iVm Art. 6 Aarhus‑Konvention ein Recht auf Beteiligung als Partei zu, unabhängig davon, ob ein solches Verfahren innerstaatlich als „ordentliches“ Genehmigungsverfahren oder als vereinfachtes Verfahren ausgestaltet ist.

27 Damit erweist sich jedoch der in § 19 UVP‑G 2000 vorgesehene Ausschluss der Parteistellung von Bürgerinitiativen in vereinfachten Verfahren als nicht mit dem Unionsrecht vereinbar.

28 Belastendes nationales Recht, das in einer konkreten Konstellation im Widerspruch zu (unmittelbar anwendbarem) Unionsrecht steht, wird nur in jenem Ausmaß verdrängt, das gerade noch hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen (vgl. VwGH 10.2.2016, 2015/15/0001, mwN). Daraus ergibt sich, dass die Formulierung in § 19 Abs. 1 Z 6 UVP‑G 2000 „ausgenommen im vereinfachten Verfahren (Abs. 2)“, § 19 Abs. 2 leg. cit. als Ganzes und die Formulierung in § 19 Abs. 4 „oder als Beteiligte (Abs. 2)“ unangewendet zu bleiben haben.

29 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich somit im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zur UVP‑RL und der Aarhus‑Konvention (insbesondere im Urteil in der Rechtssache Protect) insofern als inhaltlich rechtswidrig, als es der Bürgerinitiative im vereinfachten Verfahren die Parteistellung im Bewilligungsverfahren und damit auch den Zugang zu Gericht verwehrt.

30 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

31 Von einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil der relevante Sachverhalt geklärt ist und in der vorliegenden Revision ausschließlich Rechtsfragen aufgeworfen wurden, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Art. 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen (vgl. VwGH 24.10.2017, Ro 2014/06/0061, mit weiteren Nachweisen zur Judikatur des EGMR). Dem von der Revisionswerberin angeregten Gesetzesprüfungsantrag war schon mangels Präjudizialität nicht nachzukommen.

32 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II NR. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 27. September 2018

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