Normen
AVG §71 Abs1 Z1;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §33 Abs1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017220064.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 1. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Behörde) vom 5. Oktober 2016 wurde der Antrag des Revisionswerbers, eines tunesischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Studierender" nach § 64 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.
2 2. Mit dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 9. März 2017 wurde die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers gemäß § 7 Abs. 4 in Verbindung mit § 31 VwGVG als verspätet zurückgewiesen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 1 und 4 VwGVG wurde ebenso abgewiesen wie der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.
3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Rechtsmittelfrist gegen den bekämpften Bescheid der Behörde mit Ablauf des 8. November 2016 geendet habe. Der Revisionswerber habe seine Beschwerde am 9. November 2016 eingebracht. Nachdem das Verwaltungsgericht dem Revisionswerber die offensichtliche Verspätung seines Rechtsmittels zur Kenntnis gebracht hatte, habe dieser mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2016 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.
4 Unter Heranziehung des im Verwaltungsakt aufliegenden, als unbedenklich erachteten Rückscheins begründete das Verwaltungsgericht die Verspätung des am 9. November 2016 eingebrachten Rechtsmittels.
5 Zum Wiedereinsetzungsantrag führte das Verwaltungsgericht Folgendes aus: Der Rechtsvertreter des Revisionswerbers, der sich eines Rechtsanwaltsanwärters als Hilfskraft bedient habe, habe zwar den Rechenvorgang hinsichtlich der Beschwerdefrist kontrolliert, nicht jedoch das Zustelldatum des Bescheides selbst. Er habe den Rechtsanwaltsanwärter aufgefordert, Akteneinsicht zu nehmen, es sei aber nicht kontrolliert worden, ob dieser Auftrag ordnungsgemäß ausgeführt worden sei. Dass die Akteneinsicht erst am "vermeintlich letzten Tag der Beschwerdefrist" erfolgt sei, sei jedenfalls sorgfaltswidrig, weil das genaue Zustelldatum noch nicht bekannt gewesen sei. Der Umstand, dass der Rechtsanwaltsanwärter zwischendurch auf Urlaub gewesen sei, könne den Rechtsvertreter nicht entlasten, zumal er selbst Akteneinsicht nehmen oder eine andere Hilfskraft damit beauftragen hätte können. Der Rechtsanwaltsanwärter habe im Beschwerdeschriftsatz zwar das richtige Zustelldatum angegeben, aber keine Neuberechnung der Frist vorgenommen. Schließlich erachtete es das Verwaltungsgericht als unerklärlich, warum die Beschwerde erst an dem - nach den eigenen Berechnungen - letzten Tag der Frist eingebracht worden sei, obwohl der Rechtsvertreter angegeben habe, es sei Usus, Fristen aus Gründen der Vorsicht einen Tag vor dem eigentlichen Ablauf ins Fristenbuch einzutragen.
6 Das Zusammentreffen mehrerer Ungenauigkeiten und Schlampigkeiten lasse - so das Verwaltungsgericht - darauf schließen, dass es sich bei dem Rechtsanwaltsanwärter nicht um einen sehr verlässlichen Mitarbeiter handle und dementsprechend dessen Tätigkeit einer strengeren Kontrolle durch den Rechtsvertreter bedurft hätte. Mangels (insbesondere) Kontrolle der Vornahme der rechtzeitigen Akteneinsicht und mangels Überprüfung des Zustelldatums auf dem Rückschein könne das Verhalten des Rechtsvertreters nicht als bloß leicht fahrlässig angesehen werden. Die Versäumung der Beschwerdefrist beruhe somit nicht auf einem unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis im Sinn des § 33 VwGVG.
7 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
8 4. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 5. Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, es liege keine Rechtsprechung zur Frage vor, ob beim Zusammentreffen mehrerer Ungenauigkeiten bei Bearbeitung eines Falles von einem "einmaligen Versehen" ausgegangen werden könne, das die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertige.
12 6. Die Beurteilung, ob ein im Sinn des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG bzw. des § 33 Abs. 1 VwGVG unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden zur Versäumnis geführt hat, also die Qualifikation des Verschuldensgrades, unterliegt - als Ergebnis einer alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Abwägung - grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. den hg. Beschluss vom 26. Februar 2016, Ra 2016/03/0026, mwN).
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. den hg. Beschluss vom 26. Februar 2015, Ra 2014/22/0092, mwN). Der Rechtsanwalt muss gegenüber seinen Mitarbeitern (auch den juristischen) der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht nachkommen (vgl. den hg. Beschluss vom 5. November 2014, Ra 2014/18/0006, mwN). Für die richtige Beachtung der Rechtsmittelfrist ist grundsätzlich immer der Rechtsanwalt selbst verantwortlich (siehe das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2004, 2003/12/0166). Im Hinblick auf die Bedeutung für die Wahrung der Rechtsmittelfrist besteht in Bezug auf das Zustelldatum eine besondere Prüfpflicht (siehe den hg. Beschluss vom 27. April 2016, Ra 2016/05/0015, mwN).
14 7. Vorliegend wird weder aufgezeigt noch ist ersichtlich, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, wonach der Rechtsanwalt fallbezogen dem strengen Sorgfaltsmaßstab nicht gerecht geworden sei, unvertretbar wäre, zumal auch nicht dargelegt wird, dass eine Kontrolle der rechtzeitigen Durchführung der angeordneten Akteneinsicht bzw. der vom Rechtsanwalt ins Treffen geführten Eintragung ins Fristenbuch einen Tag vor dem eigentlichen Ablauf der Frist erfolgt wäre (vgl. zur Überwachungspflicht auch gegenüber Rechtsanwaltsanwärtern den hg. Beschluss vom 20. Jänner 2016, Ra 2015/04/0098, mwN). Das Verwaltungsgericht hat sich bei seiner Entscheidung an den vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Grundsätzen orientiert.
15 8. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
16 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen. 17 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte
gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 31. Mai 2017
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)