Normen
B-VG Art144 Abs3;
Verwaltungsgerichtsbarkeits-Nov 2012;
VwGG §26 Abs4;
VwGG §46 Abs1;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015040098.L00
Spruch:
I. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Revision an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.
II. Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Mit Erkenntnis vom 18. März 2015 hat das Landesverwaltungsgericht Tirol die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck, mit dem die Ausübung des angemeldeten Gewerbes "selbständiger Berufskraftfahrer (ohne Beistellung eines Fahrzeuges und kann von jedem auf Rechnung beauftragt werden)" gemäß § 340 Abs. 3 GewO 1994 untersagt wurde, als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, die er mit einem Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof verband.
Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Juni 2015, E 970/2015, wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Die Zustellung dieses Beschlusses erfolgte mittels Web-ERV - laut Angabe des Revisionswerbers - am 22. Juli 2015.
Mit der Zustellung des Abtretungsbeschlusses begann gemäß § 26 Abs. 4 VwGG die Revisionsfrist zu laufen (vgl. auch den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 19.867/2014). Die (sechswöchige) Revisionsfrist endete sohin am 2. September 2015.
2. Ausgehend von einer verspäteten Revisionserhebung brachte der Revisionswerber am 19. November 2015 beim Landesverwaltungsgericht Tirol (zur Post gegeben am 17. November 2015) unter einem mit der außerordentlichen Revision einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 VwGG ein.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wird vorgebracht, die Konzipientin des den Revisionswerber vertretenden Rechtsanwaltes sei hinsichtlich der Frist zur Einbringung der außerordentlichen Revision einem Irrtum unterlegen. Sie habe zwar die Revision zum Großteil vorbereitet, den Akt aber nicht wie vorgesehen auf "Einbringung a.o. Revision" kalendiert. Die Konzipientin sei nach einem Telefonat mit einem Mitarbeiter des Verfassungsgerichtshofes der Ansicht gewesen, dass der Verfassungsgerichtshof "automatisch immer an den VwGH abtritt". Dem Revisionswerber sei am 3. November 2015 auf seine Anfrage hin vom Verfassungsgerichtshof mitgeteilt worden, dass die Frist zur Einbringung einer Revision im vorliegenden Fall abgelaufen sei. Der Revisionswerber habe dies seinem Rechtsanwalt am 4. November 2015 mitgeteilt.
Es liege kein relevantes Verschulden und somit ein Versehen minderen Grades vor, wenn durch eine sonst immer zuverlässige und erfahrene Konzipientin (mit Rechtsanwaltsprüfung) eine Frist einmalig nicht vermerkt wurde. Im vorliegenden Fall habe die Konzipientin nicht nur die Rechtsanwaltsprüfung absolviert, sondern sei auch mit Juni 2015 eintragungsfähig gewesen. Eine Nachkontrolle durch den Rechtsanwalt sei unter Berücksichtigung des Ausbildungsstandes für die richtige Kalendierung einer Frist nicht erforderlich gewesen. In der Kanzlei des ausgewiesenen Vertreters werde durch ihn eine den Sorgfalts- und Überwachungspflichten entsprechende Kontrolle seinen Angestellten und Auszubildenden gegenüber gehandhabt. Der ausgewiesene Vertreter habe seine Sorgfalts- und Überwachungspflichten in der vorliegenden Konstellation in keiner Weise vernachlässigt. Eine solche Fristversäumnis sei bisher auch noch nie vorgekommen.
3.1. Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand muss sich die Partei das Verschulden des sie vertretenden Rechtsanwaltes zurechnen lassen. Ein Verschulden, das den Bevollmächtigten einer Partei trifft, ist so zu behandeln, als wenn es der Partei selbst unterlaufen wäre. Hingegen ist ein Verschulden eines Kanzleiangestellten für sich allein nicht relevant und der Partei nicht zurechenbar. Entscheidend ist in einem solchen Fall ausschließlich, ob den Rechtsanwalt ein Verschulden trifft. Daher schließt auch ein weisungswidriges Verhalten von Kanzleiangestellten eine Wiedereinsetzung nicht aus, wenn dabei nicht den Rechtsanwalt selbst ein eigenes relevantes Verschulden trifft (vgl. den hg. Beschluss vom 29. Juli 2004, 2004/16/0058 ua., sowie die bei Mayer/Muzak, B-VG5 (2015) § 46 VwGG IV.1. wiedergegebene Judikatur).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne der obigen Ausführungen dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Vertreter verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind (vgl. den hg. Beschluss vom 28. Februar 2013, 2013/16/0011, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass die kalendarische Vormerkung einer Rechtsmittelfrist kein manipulativer Vorgang, sondern eine juristische Tätigkeit ist und stichprobenartige Überprüfungen im Allgemeinen nicht reichen (vgl. den zitierten hg. Beschluss 2004/16/0058 ua.). Auch entspricht ein Parteienvertreter seiner Sorgfaltspflicht beispielsweise dann nicht, wenn er Schriftsätze - einschließlich der Vermerke in den Rubriken - unterfertigt, die eine unrichtige oder unvollständige Anweisung an die Kanzlei zum Ausdruck bringen, weil er in einem solchen Fall damit rechnen muss, dass seine Kanzleikraft in Befolgung der im Vermerk zum Ausdruck gebrachten Anweisung diesen Schriftsatz einbringt (vgl. den zitierten hg. Beschluss 2013/16/0011).
Selbiges gilt auch, wenn es sich - wie im gegenständlichen Fall - um das ausführende Verhalten einer Rechtsanwaltsanwärterin handelt. Das Verschulden der beim bevollmächtigten Rechtsanwalt tätigen Rechtsanwaltsanwärterin kann nicht dem Verschulden des Rechtsanwaltes selbst und damit der Partei gleichgesetzt werden. Es ist vielmehr auch im Falle eines die Versäumung einer Antragstellung verursachenden Verhaltens einer Rechtsanwaltsanwärterin zu prüfen, ob den bevollmächtigten Rechtsanwalt selbst ein Verschulden im zuvor genannten Sinn trifft (vgl. den hg. Beschluss vom 27. Mai 2014, 2014/16/0002, mwN).
3.2. Ausgehend davon ist dem Vertreter des Revisionswerbers aus folgenden Gründen ein über das Ausmaß der leichten Fahrlässigkeit hinausgehendes Organisationsverschulden vorzuwerfen:
Der Vertreter hat keinerlei Vorsorge dafür getroffen, dass im Fall der Nichtkalendierung der Frist für ihn eine Kontrolle der Rechtzeitigkeit der Revisionserhebung möglich bleibt. Der Vertreter ist vielmehr davon ausgegangen, dass unter Berücksichtigung des Ausbildungsstandes der Konzipientin eine Nachkontrolle für die richtige Kalendierung einer Frist nicht erforderlich sei. Die Konzipientin hat im vorliegenden Fall übersehen, dass seit Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeit-Novelle 2012 (BGBl. I Nr. 51/2012) nicht mehr die vom Verfassungsgerichtshof an den Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde - nach allfälliger Durchführung eines Ergänzungsverfahrens - in Behandlung genommen werden kann, sondern dass durch die Zustellung des Abtretungsbeschlusses lediglich der (erneute) Lauf der Frist zur Einbringung einer Revision gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts ausgelöst wird (vgl. nochmals den zitierten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 19.867/2014). Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet somit über die neu und erstmals einzubringende Revision und nicht mehr - wie die Konzipientin offenbar vermeint hat - über die abgetretene Beschwerde.
Angesichts dieser rezenten und für den Rechtsschutzsuchenden in prozessualer Hinsicht erheblichen Änderung im Gefüge des Rechtsschutzsystems ist dem Vertreter des Revisionswerbers anzulasten, in derartigen Fällen - ungeachtet des Ausbildungsstandes seiner Mitarbeiterin - keine entsprechenden Kontrollmaßnahmen vorgesehen und insbesondere eine Nachkontrolle für die richtig erfolgte Kalendierung einer Frist als nicht erforderlich angesehen zu haben.
Da das Versehen des Vertreters des Revisionswerbers somit den minderen Grad des Verschuldens übersteigt, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
4. Bei diesem Ergebnis war die Revision wegen Versäumung der Revisionsfrist gemäß § 34 Abs. 1 VwGG durch Beschluss in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 20. Jänner 2016
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