VwGH Ro 2017/21/0006

VwGHRo 2017/21/000611.5.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. Dezember 2016, W112 2143070-1/12E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: E O in W, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §34 Abs1a;
VwGVG 2014 §9;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §34 Abs1a;
VwGVG 2014 §9;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Fremder ungeklärter Staatsangehörigkeit, wurde am 29. November 2016 festgenommen. Gegen ihn wurde am nächsten Tag mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Sicherung seiner Abschiebung angeordnet und anschließend im Polizeianhaltezentrum in Wien vollzogen.

2 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 30. Dezember 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Mitbeteiligten gegen die Festnahme gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 BFA-VG iVm § 40 Abs. 1 Z 3 BFA-VG als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Hingegen wurde der Beschwerde gegen den Bescheid vom 30. November 2016 gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG stattgegeben und der genannte Bescheid aufgehoben. Unter einem wurde die Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft vom 30. November 2016 bis 30. Dezember 2016 für rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt A.II.). Das BVwG stellte dann allerdings gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.III.). Davon ausgehend wies es die Anträge der Parteien auf Kostenersatz gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG ab (Spruchpunkte A.IV. und A.V.). Anschließend sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG - wie sich aus der Begründung ergibt: - (nur) betreffend die Spruchpunkte A.II. bis A.V. - zulässig sei.

3 In Bezug auf Spruchpunkt A.II. ging das BVwG davon aus, dass das Vorliegen von Fluchtgefahr iSd § 76 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 3 FPG vom BFA nicht ausreichend begründet worden sei. Die in den Spruchpunkten A.IV und A.V. getroffene Kostenentscheidung begründete das BVwG dann ausgehend von dem in den Spruchpunkten A.I. und A.II. des angefochtenen Erkenntnisses erzielten Ergebnis damit, dass die Beschwerde zum Teil erfolgreich gewesen sei, sodass keiner der Parteien Aufwandersatz zustehe.

 

4 Gegen die Spruchpunkte A.II. und A.V. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende (ordentliche) Revision des BFA, zu der von Seiten des Mitbeteiligten keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit der Amtsrevision nach Aktenvorlage gemäß § 30a Abs. 6 VwGG erwogen:

5 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Auch in einer vom Verwaltungsgericht für zulässig erklärten (ordentlichen) Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem erwähnten Gesichtspunkt maßgeblichen Gründe für die Zulässigkeit der Revision aufzuzeigen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Ihre Grundsätzlichkeit vorausgesetzt können solche ergänzend ins Treffen geführten Rechtsfragen die Zulässigkeit der ordentlichen Revision auch dann begründen, wenn der vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführte Zulässigkeitsgrund nicht gegeben ist (vgl. den hg. Beschluss vom 11. November 2016, Ro 2016/12/0010, 0011 und 0013, Rz 16, u.a. mit dem Hinweis auf den Beschluss vom 4. August 2016, Ro 2016/21/0013, Rz 9, mwN).

7 Das BVwG begründete die Zulassung der (ordentlichen) Revision in Bezug auf Spruchpunkt A.II. und (den hier nicht gegenständlichen) Spruchpunkt A.III. (nur) damit, dass "es an einer Rechtsprechung zu § 76 Abs. 2 Z 1 und Abs. 3 FPG mangelt". Darauf beruft sich die Amtsrevision jedoch nicht. Das ist auch konsequent, weil sich das BFA nicht gegen die inhaltliche Begründung der mit Spruchpunkt A.II. vorgenommenen Beschwerdestattgebung wendet, sondern diesbezüglich nur Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit des BVwG geltend macht. Dazu behauptet das BFA ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, weil das BVwG den Umfang der Beschwerde insofern unrichtig beurteilt habe, als sich diese nicht gegen den mit Spruchpunkt A.II. aufgehobenen Schubhaftbescheid vom 30. November 2016 gerichtet habe.

8 Zu dieser Frage hatte das BVwG im angefochtenen Erkenntnis dargelegt, der Mitbeteiligte habe durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter Beschwerde "wegen: Unrechtmäßige Anhaltung in Schubhaft; Beschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung in Schubhaft, Mandatsbescheid des BFA RD Wien, GZ (...)" erhoben. In der Begründung sei ausgeführt worden, dass "mit nachstehenden Beschwerden (...) die Festnahme, Schubhaftnahme und Anhaltung in Schubhaft durch das BFA RD Wien, bekämpft" werde. Weiters finde sich dort der Satz "Eine gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung wurde von der belangten Behörde unterlassen." Schließlich sei beantragt worden, die "Festnahme, Schubhaftnahme und Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären." Angesichts dessen ging das BVwG in Orientierung an der zu § 63 AVG ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes davon aus, dass in der Beschwerde in erschließbarer Weise auch zum Ausdruck gebracht worden sei, "mit dem angefochtenen Bescheid nicht einverstanden zu sein".

9 Auch das BFA bezieht sich in der Revision auf die vom BVwG zitierten Passagen in der Beschwerde, leitet daraus jedoch ab, der Schubhaftbescheid vom 30. November 2016 sei unangefochten geblieben. Darauf sei auch das BVwG "aufmerksam geworden" und habe (u.a.) deshalb am 29. Dezember 2016 einen Mängelbehebungsauftrag erteilt. Dort habe das BVwG dem Mitbeteiligten vorgehalten, er erhebe zwar Beschwerde gegen den Mandatsbescheid vom 30. November 2016, stelle aber kein diesbezügliches Begehren, weshalb er aufgefordert werde, anzugeben, welcher Antrag "im Hinblick auf den Mandatsbescheid" gestellt werde. In der fristgerechten Stellungnahme habe der rechtskundig vertretene Mitbeteiligte sodann lediglich repliziert, in der Beschwerde seien die Anträge schon gestellt worden. Ein Begehren auf Aufhebung dieses Bescheides lasse sich somit auch diesem Schriftsatz nicht entnehmen. Obwohl der Mitbeteiligte ungeachtet des erteilten Mängelbehebungsauftrags kein Begehren formuliert habe, den Schubhaftbescheid "anzufechten", habe das BVwG dann trotzdem mit Spruchpunkt A.II. der Beschwerde gegen diesen Bescheid stattgegeben und ihn aufgehoben. Damit habe das hierfür unzuständige BVwG über nicht angefochtene "Akte" abgesprochen.

10 Dazu ist vorauszuschicken, dass die Beurteilung des Inhalts einer Beschwerde, insbesondere auch die Einschätzung ihres Anfechtungsumfangs, immer eine Frage der Auslegung im Einzelfall ist (siehe idS zur Auslegung des in einer Verhandlungsschrift protokollierten Vorbringens den hg. Beschluss vom 26. Februar 2014, Ro 2014/04/0022, und zur Auslegung eines Antrags den hg. Beschluss vom 26. Juni 2014, Ra 2014/04/0013; vgl. auch zur Auslegung eines Bescheides den hg. Beschluss vom 28. April 2016, Ra 2016/07/0009, Rz 6, und den hg. Beschluss vom 21. Dezember 2016, Ra 2016/12/0103, Rz 20 und 21). Wie auch bei anderen einzelfallbezogenen Beurteilungen läge eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nur dann vor, wenn die Auslegung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise, also krass fehlerhaft, vorgenommen worden wäre (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 25. Februar 2016, Ra 2016/21/0052, Rz 13, mwN).

11 Das ist vorliegend nicht der Fall. Schon dem Rubrum der Beschwerde lässt sich nämlich entnehmen, dass sie (u.a.) "gegen" den näher bezeichneten Mandatsbescheid des BFA erhoben wurde. Außerdem beziehen sich sowohl die Anfechtungserklärung als auch das Begehren neben der "Anhaltung in Schubhaft" überdies ausdrücklich auf die "Schubhaftnahme", womit bei verständiger Betrachtung offenbar die mit dem genannten Bescheid erfolgte Anordnung der (auch sofort vollzogenen) Schubhaft gemeint sein sollte. Im Übrigen hat das BVwG zu Recht darauf verwiesen, dass auch die Begründung der Beschwerde (u.a.) auf die Darlegung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides gezielt hatte. Schließlich steht der vom BVwG vorgenommenen Deutung nicht entgegen, dass nur insgesamt die Rechtswidrigerklärung beantragt wurde, ließ doch der vom Mitbeteiligten in der Beschwerde gestellte Antrag in Verbindung mit dem übrigen Beschwerdeinhalt ausreichend erkennen, mit dem die Schubhaft anordnenden Bescheid - wie das BVwG formulierte - "nicht einverstanden" zu sein. Vor diesem Hintergrund war es jedenfalls nicht unvertretbar, dass das BVwG den Inhalt der Beschwerde dahin verstand, dass sie (von Anfang an) auch gegen den Schubhaftbescheid gerichtet und diesbezüglich ein ausreichend nachvollziehbares Begehren gestellt worden war. Letzteres läuft darauf hinaus, dass der nur in Bezug auf das Begehren erteilte Mängelbehebungsauftrag des BVwG, in dem im Übrigen schon von der Erhebung einer Beschwerde auch gegen den Schubhaftbescheid ausgegangen worden war, nachträglich als überschießend angesehen wurde, was zulässig ist. Aus dem Mängelbehebungsauftrag und dessen Nichterfüllung durch den Mitbeteiligten lässt sich daher - entgegen der Meinung in der Revision - für den Standpunkt des BFA nichts gewinnen.

12 Das BVwG begründete die Zulässigkeit der (ordentlichen) Revision betreffend die Kostenentscheidung in den Spruchpunkten A.IV. und A.V. damit, dass es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehle, "ob es sich bei der Festnahme und Anhaltung im Rahmen der Festnahme einerseits und dem Schubhaftbescheid und der Anhaltung in Schubhaft andererseits um einen oder mehrere Verwaltungsakte handelt".

13 Auch darauf geht die Revision des BFA bei Bekämpfung des Spruchpunktes A.V., mit dem der Antrag des BFA auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG abgewiesen wurde, nicht ein. In der Revision wird vielmehr in Bezug auf diesen Spruchpunkt überhaupt keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG angesprochen. Die Rechtswidrigkeit dieser Kostenentscheidung leitet das BFA dann auch nur aus der (angeblichen) Rechtswidrigkeit der Beschwerdestattgebung mit Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses ab. Dieses Vorbringen geht aber ins Leere, weil schon die unterstellte Prämisse nicht zutrifft.

14 Aus den obigen Ausführungen folgt somit, dass die Revision mangels Geltendmachung hier zu klärender grundsätzlicher Rechtsfragen iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG in Anwendung des § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen war.

Wien, am 11. Mai 2017

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