VwGH Ro 2016/21/0013

VwGHRo 2016/21/00134.8.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag.a Ortner, über die Revision des D A, vertreten durch Mag. Stefan Errath, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Februar 2016, G311 2118091- 1/6E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs1;
BFA-VG 2014 §9 Abs4;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §61 Z4;
FrPolG 2005 §64 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §69 Abs2 idF 2011/I/038;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §34 Abs1a;
VwRallg;
AsylG 2005 §10 Abs1;
BFA-VG 2014 §9 Abs4;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §61 Z4;
FrPolG 2005 §64 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §69 Abs2 idF 2011/I/038;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §34 Abs1a;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der 1972 geborene Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, hielt sich seit seinem vierten Lebensjahr in Österreich auf und verfügte über einen unbefristeten Aufenthaltstitel.

2 Gegen den Revisionswerber wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 31. Oktober 2007 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dem lagen zwei in den Jahren 2002 und 2005/2006 begangene Straftaten nach dem Suchtmittelgesetz zugrunde. Wegen des zweiten Deliktes - gewerbsmäßiger Suchtgifthandel in Bezug auf insgesamt (brutto) ca. 21,5 kg Marihuana - wurde der Revisionswerber rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren verurteilt. Angesichts dessen kam damals der für zwei Fälle einer besonderen Aufenthaltsverfestigung - "wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG verliehen hätte werden können" (Z 3) oder "wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist" (Z 4) - die (generelle) Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes anordnende § 61 FPG (in der vom 1. Jänner 2006 bis 30. Juni 2011 geltenden Stammfassung) nicht zur Anwendung, weil diesbezüglich die Ausnahmeregelung galt, "es sei denn der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe" (Z 3) bzw. "zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe" (Z 4) verurteilt worden.

Die gegen den genannten Bescheid erhobene Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 12. April 2011, Zl. 2007/18/0910, als unbegründet ab.

Der Revisionswerber ist Mitte 2009 nach der Entlassung aus der Strafhaft nach Serbien ausgereist.

3 Das genannte Aufenthaltsverbot wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 26. November 2014 über Antrag des Revisionswerbers gemäß § 69 Abs. 2 FPG wieder aufgehoben. Dabei trug das BFA offenbar der vom Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom 7. November 2012, Zl. 2012/18/0052, begonnenen Judikaturlinie Rechnung, wonach die im § 64 Abs. 1 FPG (in der seit 1. Juli 2011 geltenden Fassung des FrÄG 2011) enthaltene Wendung "dass sich der Drittstaatsangehörige auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält" nur so verstanden werden könne, dass sie (auch) in einem Verfahren auf Aufhebung eines vor dem FrÄG 2011 erlassenen Aufenthaltsverbotes auf den Zeitpunkt seiner Erlassung zu beziehen sei. Anders als die Vorgängerregelung des erwähnten § 61 Z 3 und 4 FPG enthielt der dann bis 31. Dezember 2013 geltende § 64 Abs. 1 FPG keine Einschränkungen seiner Anwendbarkeit mehr; diese Bestimmung kam somit unabhängig davon zur Anwendung, zu welcher Freiheitsstrafe ein Fremder (allenfalls) verurteilt wurde. Im Hinblick auf diese Änderung der Rechtslage, die im Wesentlichen inhaltsgleich in den seit 1. Jänner 2014 geltenden § 9 Abs. 4 BFA-VG übernommen wurde, und die vom BFA im Ergebnis angenommene Erfüllung der Voraussetzung der Z 1 der genannten Bestimmung, nämlich dass dem Revisionswerber vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes (der Begehung seiner ersten Straftat) die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG hätte verliehen werden können, hielt das BFA somit den weiteren Bestand des Aufenthaltsverbotes für nicht mehr zulässig.

4 Angesichts dessen stellte der seit Mitte Jänner 2015 wieder in Österreich aufhältige Revisionswerber am 10. August 2015 den Antrag, ihm gemäß § 55 AsylG 2005 einen "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK" zu erteilen.

5 Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 20. November 2015 abgewiesen. Unter einem erging gegen den Revisionswerber - soweit für das vorliegende Verfahren noch relevant - gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei.

6 Die dagegen erhobene Beschwerde des sich mittlerweile wieder in Serbien befindenden Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 19. Februar 2016 als unbegründet ab. Diesbezüglich sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (ordentliche) Revision, zu der keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden. Über die Zulässigkeit der Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage gemäß § 30a Abs. 6 VwGG erwogen:

8 Nach der in Rz 6 genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem erwähnten Gesichtspunkt maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Das gilt auch dann, wenn sich die Revision zwar auf die Gründe, aus denen das BVwG die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, beruft, diese aber fallbezogen keine Rolle (mehr) spielen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2015, Ro 2014/21/0071).

10 Das BVwG begründete die Zulassung der Revision damit, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehle, "inwieweit" dessen Judikatur zu § 64 Abs. 1 FPG idF des FrÄG 2011 (siehe oben Rz 3) auch bei der Erteilung eines "Aufenthaltstitels gemäß Art. 8 EMRK" nach § 55 AsylG 2005 herangezogen werden könne. Das BVwG hatte diese Frage - entgegen dem Standpunkt des Revisionswerbers im Verwaltungsverfahren und in der Beschwerde - mit der Begründung verneint, diese Judikatur sei "explizit" zur Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes nach § 69 Abs. 2 FPG ergangen und könne daher nicht ohne Weiteres auf das gegenständliche Aufenthaltstitelverfahren "umgelegt" werden. Die Erteilung eines "Aufenthaltstitels gemäß Art. 8 EMRK" habe daher nicht schon deshalb zu erfolgen, weil der Revisionswerber zum Zeitpunkt der Erlassung des (seinerzeitigen) Aufenthaltsverbotes aufenthaltsverfestigt und das Aufenthaltsverbot nach der "ab 01.11.2011" (offenbar gemeint: "ab 01.07.2011") geltenden Rechtslage zu beheben gewesen sei.

11 In der Revision wird der Zulässigkeitsausspruch des BVwG aus den von ihm angenommenen Gründen für zutreffend erachtet. Diesbezüglich wird aber inhaltlich der Standpunkt vertreten, die gesetzgeberische Wertung, jene Personen, bei denen das nach ihrer Staatsangehörigkeit bestimmte Heimatland aufgrund ihres (nahezu) ausschließlichen Aufenthalts in Österreich tatsächlich keine "Heimat" darstelle, vor einer Aufenthaltsbeendigung zu schützen und den weiteren Aufenthalt in Österreich zu ermöglichen, gebiete auch die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels.

12 Diesen Ausführungen ist allerdings zu entgegnen, dass die im Erkenntnis vom 7. November 2012, Zl. 2012/18/0052, und in der Folgejudikatur für die Rechtslage nach dem FrÄG 2011 vorgenommene, auf den Zeitpunkt der vor dem 1. Juli 2011 erfolgten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes abstellende Auslegung der Wendung im § 64 Abs. 1 FPG "dass sich der Drittstaatsangehörige auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält" im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0050, für die nunmehr geltende Nachfolgeregelung des § 9 Abs. 4 BFA-VG ausdrücklich abgelehnt wurde. Die seinerzeitige Rechtfertigung für die vergangenheitsbezogene Deutung des erwähnten Tatbestandsmerkmals, dass andernfalls auch solchen Fremden, die der Gesetzgeber nunmehr "absolut" vor einer Aufenthaltsbeendigung schützen wolle, die Außerlandesschaffung in ein Land drohen würde, das nicht als ihre "Heimat" betrachtet werden könne, sei auf die gegenwärtige Rechtslage nicht zu übertragen. Mit näherer Begründung legte der Verwaltungsgerichtshof dann in diesem Erkenntnis dar (siehe Rz 17), dass für ein über den Wortlaut des § 9 Abs. 4 BFA-VG hinausgehendes Verständnis dieser Bestimmung kein Bedürfnis bestehe, sodass sich auf die dort normierten Verfestigungstatbestände nur berufen könne, wer sich "auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält". Das könne allerdings im Rahmen eines Verfahrens nach § 69 Abs. 2 FPG bei gesetzeskonformem Vollzug nie der Fall sein, weil ein Aufenthaltsverbot gemäß § 10 Abs. 1 NAG die Ungültigkeit eines allenfalls davor Bestand habenden Aufenthaltstitels zur Folge gehabt habe.

13 Vor diesem Hintergrund stellt sich die vom BVwG und vom Revisionswerber als grundsätzlich iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG angesehene Frage, ob es in Bezug auf die "absolute" Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 4 BFA-VG und in Bezug auf die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels genügen würde, dass sich der Revisionswerber im Zeitpunkt der Erlassung des seinerzeitigen Aufenthaltsverbotes vom 31. Oktober 2007 auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe, nicht (mehr).

14 Andere Rechtsfragen, denen iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte, werden in der Revision nicht angesprochen. Die Revision, in der im Übrigen die nach § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung argumentativ nicht bekämpft wird, war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 4. August 2016

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte