VwGH Ra 2017/19/0069

VwGHRa 2017/19/006919.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tanzer, über die Revision des K N in W, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Jänner 2017, W121 2119815-1/9E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 15. September 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Als Fluchtgrund gab er im Wesentlichen an, dass seine Mutter zweimal von den Taliban, mit der Aufforderung, ihre Arbeit in einem Büro mit Ausländern zu beenden, bedroht worden sei. Beim zweiten Mal hätten die Taliban seinen Vater geschlagen. Diese Drohungen seien ca. zwei Jahre vor der Flucht ausgesprochen worden. Der Revisionswerber selbst sei in der Schule durch bewaffnete Personen, wahrscheinlich Taliban, bedroht worden, die nicht gewollt hätten, dass er sich weiterbilde und in weiterer Folge für die Behörden arbeite. Ende Sommer 2014 hätten er und sein Vater die Präsidentschaftswahlen gesichert. Sein Vater sei dann von den Taliban entführt worden. Da er in derselben Dienststelle wie sein Vater gearbeitet habe, sei er sicher gewesen, dass die Taliban auch ihn mitnehmen würden.

2 Mit Bescheid vom 1. Dezember 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 zu und erteilte die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 30. November 2016.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber soweit ihm der Status des Asylberechtigten versagt wurde Beschwerde und brachte unter anderem vor, als junger Mann im wehrfähigen Alter, der für die Regierung gearbeitet habe, zu den Personen zu gehören, bei denen vermutet werde, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen. Darüber hinaus sei er gefährdet, als "Bacher Bazi" (Tanzjunge) eingesetzt zu werden. Seine Mutter habe mit Ausländern zusammengearbeitet und sei daher Zielscheibe der Taliban geworden. Der Vater selbst sei als Kriminalbeamter und Wachmann für die Regierung tätig gewesen und sei aus diesem Grund von den Taliban bedroht, zusammengeschlagen und schließlich entführt worden. Auf Grund der Tätigkeit seiner Eltern sei er wegen der ihm jedenfalls unterstellten religiösen und politischen Überzeugung von den Taliban verfolgt worden.

4 In der mündlichen Verhandlung vom 19. Mai 2016 vernahm das Bundesverwaltungsgericht den Revisionswerber und räumte ihm am Ende der Verhandlung eine vierzehntägige Frist zur Einbringung einer Stellungnahme zu den Länderberichten ein. In der ergänzenden Stellungnahme vom 2. Juni 2016 beantragte der Revisionswerber die Einvernahme seiner Eltern sowie der älteren Schwester, die via Griechenland nach Österreich gereist waren.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Mit näherer Begründung führte es aus, dass der Revisionswerber sein Fluchtvorbringen im Rahmen der Beschwerdeverhandlung und insbesondere auf Grund des persönlichen Eindrucks nicht habe glaubhaft machen können. So habe es insofern Widersprüche zu zeitlichen Angaben gegeben, als der Revisionswerber angegeben habe, dass die (zu sichernde) Präsidentschaftswahl in Afghanistan im Monat Sonbulla in der Zeit vom 23. August bis 22. September 2014 gewesen wäre. Tatsächlich habe die Präsidentschaftswahl in Afghanistan jedoch nicht im Herbst, sondern am 5. April 2014 stattgefunden. Die diesbezüglich neuerlich sehr oberflächlichen sowie falschen Angaben des Revisionswerbers zum Zeitpunkt der Präsidentschaftswahl seien auf Grund der sehr großen Zeitspanne zwischen Anfang April und Herbst völlig unglaubwürdig. Auch das Vorbringen des Revisionswerbers, wonach er im Fall einer Rückkehr als sogenannter "Bacher Bazi" (Tanzjunge) missbraucht werden könnte, sei aus Sicht der erkennenden Richterin nicht nachvollziehbar, weil der Revisionswerber bereits volljährig sei und von einer derartigen Praxis zumeist jüngere Knaben betroffen wären. Im Übrigen habe der Revisionswerber kein konkretes Ereignis glaubhaft machen können, das auf einen drohenden Missbrauch als Tanzjunge hindeuten würde. Auf Grund der zahlreichen Widersprüche und Ungereimtheiten sowie den überwiegend allgemein gehaltenen Angaben des Revisionswerbers hinsichtlich seiner Ausreisegründe werde sein Fluchtvorbringen auch auf Grund des persönlichen Eindrucks im Rahmen der Beschwerdeverhandlung als unglaubwürdig bewertet. Auch seien die Behauptungen des Revisionswerbers teilweise auf Informationen gestützt gewesen, die er angeblich vom Hörensagen erfahren hätte. Der Revisionswerber habe weder glaubhaft machen können noch sei auf Grund des Ermittlungsverfahrens hervorgekommen, dass ihm asylrelevante Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention drohe, sodass die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen sei. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.

 

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach eine unmittelbare Einvernahme des Zeugen zu erfolgen habe, wenn diese von Relevanz für das asylrelevante Vorbringen sei. Die freie Beweiswürdigung habe erst nach einer vollständigen Beweiserhebung einzusetzen, wovon das Bundesverwaltungsgericht erkennbar durch das Ignorieren der Beweisanträge des Revisionswerbers abgewichen sei. Im Fall des Revisionswerbers sei verkannt worden bzw. vom Bundesverwaltungsgericht nicht ausreichend gewürdigt worden, dass seine Fluchtgründe untrennbar mit jenen seiner Eltern verbunden seien, dass die Verfolgung der Familie durch die Taliban auf die berufliche Tätigkeit sowohl seiner Mutter als auch seines Vaters zurückgehe und dass sowohl die Eltern als auch die Schwester nicht nur selbst unmittelbar Opfer von Verfolgung durch die Taliban geworden seien, sondern auch die dem Revisionswerber drohende und von ihm erlittene Verfolgung als Zeugen bestätigen könnten. Die Eltern des Revisionswerbers und dessen Schwester seien als "zentrale Zeugen" für sein asylrelevantes Vorbringen nicht gehört worden. Die Beweiswürdigung sei revisibel, wenn sie in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen werde, wie dies im Fall des Revisionswerbers geschehen sei. Ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Angaben der Eltern des Revisionswerbers sei eine umfassende Beurteilung der Gefährdungssituation des Revisionswerbers nicht möglich. Jedenfalls sei es unzulässig, die Informationen seiner Eltern einerseits als solche vom Hörensagen nicht zu würdigen, zum anderen die unmittelbare Zeugenbefragung trotz deren Möglichkeit und Zumutbarkeit zu unterlassen. Somit ergebe sich, dass im Fall des Revisionswerbers die Voraussetzungen für das Absehen von der Durchführung der beantragten Zeugeneinvernahme und damit beantragten mündlichen Verhandlung nicht vorgelegen seien.

8 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2017, Ra 2016/19/0229, mwN). Die begründungslose Unterlassung der Vernehmung von Zeugen stellt einen relevanten Verfahrensmangel dar, es sei denn, dass die Zeugenaussagen von vonherein nicht geeignet wären, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2014, Ro 2014/21/0047).

10 Das Bundesverwaltungsgericht hat die Nichtdurchführung der in der ergänzenden Stellungnahme vom 2. Juni 2016 beantragten Beweisaufnahme im angefochtenen Erkenntnis nicht näher begründet. Tragend stützt das Verwaltungsgericht die Erwägungen in seiner Beweiswürdigung auf die Unglaubwürdigkeit der Angaben des Revisionswerbers zu seinen Fluchtgründen, die zumindest seinen Aussagen nach eingebettet in einen seine Eltern und Geschwister betreffenden Geschehensablauf sind. Das Verwaltungsgericht geht weiter davon aus, die Behauptungen des Revisionswerbers seien teilweise auf Informationen gestützt worden, die er vom Hörensagen erfahren hätte.

11 Den in der Stellungnahme vom 2. Juni 2016 beantragten Einvernahmen der nunmehr im Inland befindlichen Zeugen und den jeweils genannten Beweisthemen kann eine Relevanz bei der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts nicht abgesprochen werden. Die Unterlassung der Vernehmung der Eltern des Revisionswerbers und einer seiner Schwestern stellt daher einen relevanten Verfahrensmangel dar.

12 Demnach war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. Juni 2017

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