VwGH Ra 2016/18/0335

VwGHRa 2016/18/033518.1.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin MMag.a Ortner, über die Revision des H A in W, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 29. Februar 2016, Zl. LVwG 20.3-3364/2015-5, betreffend die Zurückweisung einer Maßnahmenbeschwerde (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Steiermark), zu Recht erkannt:

Normen

BFA-VG 2014 §22a Abs1 Z1;
BFA-VG 2014 §22a Abs1 Z2;
BFA-VG 2014 §7 Abs1 Z3;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
VwGVG 2014 §7 Abs4;
BFA-VG 2014 §22a Abs1 Z1;
BFA-VG 2014 §22a Abs1 Z2;
BFA-VG 2014 §7 Abs1 Z3;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
VwGVG 2014 §7 Abs4;

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahingehend abgeändert, dass die mit Schriftsatz vom 16. November 2015 erhobene Beschwerde des Revisionswerbers gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG iVm Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gegen die Umstände seiner Anhaltung vom 30. September 2015 bis zum 5. Oktober 2015 wegen Unzuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark zurückgewiesen wird.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein staatenloser Palästinenser aus dem Libanon, reiste nach eigenen Angaben im September 2015 mit seiner Ehefrau und vier minderjährigen Kindern in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 30. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Nach dem Vorbringen in der Revision seien er und seine Familienmitglieder in weiterer Folge gemäß § 40 Abs. 2 BFA-VG festgenommen und in das Anhaltezentrum Vordernberg gebracht worden, wo sie bis zum 5. Oktober 2015 aufhältig gewesen seien.

2 Mit Schriftsatz vom 16. November 2015 brachten der Revisionswerber und seine Familienangehörigen gegen ihre Festnahme am 30. September 2015, die Anhaltung bis zum 5. Oktober 2015 sowie die Umstände ihrer Anhaltung eine auf § 22a Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG sowie Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein.

3 Das BVwG leitete die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Umstände der Anhaltung richtete, mit Beschluss vom 24. November 2015, W190 2117309-1/3E, gemäß § 6 AVG iVm § 17 VwGVG (u.a.) an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) zuständigkeitshalber weiter.

4 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das LVwG die ihm übermittelte Beschwerde gemäß § 7 Abs. 4 iVm § 31 VwGVG zurück und erklärte die Revision für unzulässig.

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die Beschwerde sei zwar fristgerecht im Sinne des § 7 Abs. 4 Z 3 VwGVG beim BVwG eingebracht worden, aber erst nach Ablauf der Beschwerdefrist postalisch an das LVwG weitergeleitet worden. Sie erweise sich daher als verspätet und sei deshalb zurückzuweisen. Als obiter dictum werde noch angeführt, dass das LVwG in der Sache selbst nicht zuständig wäre, weil die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde in die Zuständigkeit des BVwG falle.

6 Gegen diesen Beschluss wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit und in der Sache unter anderem geltend gemacht wird, dass das LVwG die Beschwerde zu Unrecht wegen Verspätung zurückgewiesen habe. Es wäre - ausgehend von seiner Rechtsansicht über die eigene Unzuständigkeit - vielmehr verpflichtet gewesen, einen Unzuständigkeitsbeschluss zu fassen.

7 Die Landespolizeidirektion Steiermark erstattete - trotz Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof - keine Revisionsbeantwortung, weil sie die Rechtsansicht vertrat, nicht als belangte Behörde in Anspruch genommen werden zu können. Gleichzeitig brachte sie jedoch mit Datum vom 17. November 2016 eine Stellungnahme ein, in der sie argumentierte, die gegenständliche Amtshandlung sei ausschließlich dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zuzurechnen und die dagegen erhobene Beschwerde vom BVwG zu entscheiden.

 

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Revision ist zur Klärung der Rechtslage im Sinne der Zulassungsbegründung zulässig und begründet.

9 Mit Erkenntnis vom 17. November 2016, Ro 2016/21/0016, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass (u.a.) die Zuständigkeit zur Entscheidung über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG, wozu auch die gegenständliche Festnahme und die darauf folgende Anhaltung zählt, gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG dem BVwG zukommt. Dies gilt auch insoweit, als sich diese Beschwerde nicht (nur) gegen die Maßnahme als solche, sondern gegen die Modalitäten ihrer Durchführung richtet. Allerdings können die Modalitäten der Durchführung einer anderen Behörde zuzurechnen sein als die Maßnahme als solche; im Verfahren vor dem BVwG wären daher auch unterschiedliche belangte Behörden zu bezeichnen und beizuziehen. Auf die nähere Begründung dieser Entscheidung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

10 Im vorliegenden Fall ist daher für die gegenständliche Beschwerde des Revisionswerbers auch in Bezug auf die Umstände bzw. Modalitäten seiner Anhaltung das BVwG zuständig. Das LVwG hat seine Unzuständigkeit auch zutreffend erkannt, sie jedoch nicht wahrgenommen, sondern die Beschwerde wegen Verspätung zurückgewiesen. Die Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerde wegen Versäumung der Beschwerdefrist nach § 7 Abs. 4 VwGVG kam dem unzuständigen LVwG aber nicht zu, wurde der Revisionswerber dadurch doch um die Möglichkeit gebracht, das Verfahren vor dem tatsächlich zuständigen BVwG (bei dem die Beschwerde nach dem Vorbringen des Revisionswerbers und den Annahmen des LVwG auch rechtzeitig eingebracht worden war) zu führen.

11 Der angefochtene Beschluss erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig. Da sich die Sache als entscheidungsreif darstellt, kann der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Sache selbst entscheiden und die angefochtene Entscheidung entsprechend abändern (vgl. zur Form der Unzuständigkeitsentscheidung etwa VwGH vom 18. Februar 2015, Ko 2015/03/0001).

12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 18. Jänner 2017

Stichworte