VwGH Ra 2016/06/0054

VwGHRa 2016/06/005427.1.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofrätinnen Dr. Bayjones, Mag.a Merl und Mag. Rehak und Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Revision 1. des W W und 2. der E W, beide in O, beide vertreten durch Mag. Karl Peter Resch, Rechtsanwalt in 8720 Knittelfeld, Parkstraße 4/II, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 29. Jänner 2016, Zl. LVwG 50.37-1254/2015-6, betreffend einen baupolizeilichen Auftrag (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Marktgemeinde Pölstal (vormals: Gemeinderat der Marktgemeinde Oberzeiring), vertreten durch die Neger / Ulm Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Parkstraße 1), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §59 Abs1;
AVG §60;
BauG Stmk 1995 §119j;
BauG Stmk 1995 §4 Z12 idF 2003/078;
BauG Stmk 1995 §4 Z13 idF 2011/013;
BauG Stmk 1995 §41 Abs3;
MRK Art6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §63 Abs1;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
VwGVG 2014 §24;
VwGVG 2014 §28;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Die Marktgemeinde Pölstal hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Mai 2008, 2006/06/0285, verwiesen.

2 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde O. vom 9. Mai 2000 wurde den revisionswerbenden Parteien die Baubewilligung für den Neubau eines Einfamilienhauses auf dem Grundstück Nr. 2/5, KG O., unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. In Auflage 4. war Folgendes angeordnet:

"4.) Das Urgelände bzw. die Höhendifferenz zwischen Nord und Süd ist im Schnitt A:A falsch codiert bzw. dargestellt (eine Höhendifferenz von 2,0 m stellt sich in der Natur nicht dar, sondern erscheint laut Natur ein Gefälle von ca. 1,0 m aufzuweisen). Als Bezugspunkt für den Paragraph 13 zum Bebauungsplan (Höhe des EG-Fußbodens gegenüber ursprünglichem Niveau) wird der südlichste Punkt der Terrasse herangezogen, welcher maximal genannte 0,5 m über Urniveau zu liegen kommen darf. Das Urniveau im Norden des Objektes hat unverändert zu bleiben."

3 Bereits im erwähnten hg. Erkenntnis 2006/06/0285 wurde ausgeführt, dass im Einreichplan sowohl in der Schnittdarstellung als auch in der Darstellung der Ansicht ersichtlich ist, dass die im südöstlichen Bereich vorgesehene Terrasse gegenüber dem angrenzenden Geländeniveau angehoben werden sollte, darüber hinaus jedoch keine Geländeveränderungen am Grundstück geplant waren. Der Bewilligungsbescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

4 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde O. vom 25. Mai 2005 wurde den revisionswerbenden Parteien gemäß § 41 Abs. 3 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) aufgetragen, die auf ihrem Grundstück Nr. 2/5 südlich und südöstlich des Wohnhauses bis zur Grenze der Grundstücke Nr. 2/7 und 2/5 konsenslos durchgeführten Geländeveränderungen, wie im beiliegenden - einen integrierenden Bescheidbestandteil bildenden - Lageplan ersichtlich, binnen drei Wochen nach Rechtskraft dieses Bescheides zu beseitigen.

5 Begründend wurde u.a. ausgeführt, am 2. Oktober 2003 sei festgestellt worden, dass auf dem Grundstück der revisionswerbenden Parteien eine Geländeveränderung zum Nachbargrundstück Nr. 2/7 (im Eigentum von K.) durchgeführt worden sei. Diese Aufschüttungen seien durch die Baubewilligung vom 9. Mai 2000 nicht gedeckt und es liege auch keine anderweitige Baubewilligung oder eine Baufreistellung vor. Veränderungen des natürlichen Geländes von nach dem Flächenwidmungsplan im Bauland gelegenen Flächen - wie im vorliegenden Fall - seien gemäß

6 § 19 Z 5 Stmk. BauG bewilligungs- bzw. nach § 20 Z 4 Stmk. BauG zumindest anzeigepflichtig. Gemäß § 41 Abs. 3 Stmk. BauG habe die Behörde hinsichtlich vorschriftswidriger baulicher Anlagen einen Beseitigungsauftrag zu erlassen.

7 Die von den revisionswerbenden Parteien gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde O. (belangte Behörde) vom 7. Februar 2006 als unbegründet abgewiesen.

8 Mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 29. September 2006 wurde die von den revisionswerbenden Parteien gegen den Berufungsbescheid erhobene Vorstellung als unbegründet abgewiesen.

9 Der Vorstellungsbescheid vom 29. September 2006 wurde auf Grund einer von den revisionswerbenden Parteien erhobenen Beschwerde mit dem bereits erwähnten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Mai 2008, 2006/06/0285, wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

10 In seinen Erwägungen hielt der Verwaltungsgerichtshof u. a. fest, dass eine Geländeveränderung in der Form der Aufschüttung nur dann als eine bauliche Anlage im Sinne des § 4 Z 12 Stmk. BauG (LGBl. Nr. 59/1995 idF der Novelle LGBl. Nr. 78/2003) qualifiziert werden kann, wenn für sie bautechnische Kenntnisse erforderlich sind und sie wegen ihrer Beschaffenheit die öffentlichen Interessen zu berühren geeignet ist. Das weitere Kriterium der Verbindung der Anlage mit dem Boden ist im Falle einer solchen Geländeveränderung jedenfalls zu bejahen. Sie wird durch die Aufschüttung auf dem bisherigen Gelände bzw. Boden hergestellt. Es kann somit - so der Verwaltungsgerichtshof weiter - der Ansicht der Steiermärkischen Landesregierung wie der Baubehörden nicht gefolgt werden, dass eine Geländeveränderung jedenfalls eine bauliche Anlage darstellt, wenn sie sich als vorschriftswidrig im Sinne des § 41 Abs. 3 Stmk. BauG erweist. Mit der Frage, ob die verfahrensgegenständliche Geländeveränderung bautechnischer Kenntnisse bedurfte bzw. sie öffentliche Interessen im Sinne des § 4 Z 12 Stmk. BauG zu berühren geeignet ist, hatte sich die Steiermärkische Landesregierung wie die Baubehörden zu Unrecht nicht auseinandergesetzt.

11 Ferner hielt der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis mit näherer Begründung fest, dass die Schlussfolgerung der Steiermärkische Landesregierung - wie der Gemeindebehörden -, dass im südlichen bzw. südöstlichen Bereich des verfahrensgegenständlichen Grundstückes von der Terrasse aus eine Geländeveränderung stattgefunden hat, nicht zu beanstanden ist.

12 In weiterer Folge hob die Steiermärkische Landesregierung mit Bescheid vom 19. Juni 2008 den Bescheid der belangten Behörde vom 7. Februar 2006 auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde.

13 Nach Einholung eines Gutachtens des bautechnischen Sachverständigen Arch. DI G. vom 31. Juli 2011 wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 17. Oktober 2012 die von den revisionswerbenden Parteien gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde O. vom 25. Mai 2005 erhobene Berufung als unbegründet ab.

14 In der Begründung dieses Bescheides wurde

u. a. festgehalten, dass die gegenständliche Geländeveränderung bautechnische Kenntnisse erfordere und bautechnische Maßnahmen, die die Baulichkeit auf dem Nachbargrundstück Nr. 2/7 (Eigentümer K.) vor Eindringen von Feuchtigkeit schützten, erforderlich gewesen seien.

15 Auf Grund einer von den revisionswerbenden Parteien gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung wurde der Bescheid der belangten Behörde vom 17. Oktober 2012 mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 2. Mai 2013 behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde verwiesen.

16 Begründend führte die Steiermärkische Landesregierung in diesem Bescheid u.a. Folgendes aus:

"Im gegenständlichen Gutachten von Hrn. Arch. Dipl.-Ing. (G.) finden sich in der Befundaufnahme keine Angaben über den Umfang und die Ausführung der Anschüttung. In diesem Gutachten wird auch nicht angeführt, welche Grundlagen zur Beurteilung der Anschüttung zur Verfügung standen. Die gutachtliche Begutachtung, dass es sich bei der Anschüttung um eine bauliche Anlage handelt, stützt sich darauf, dass auf Grund der Anschüttung bis direkt zur Grundstücksgrenze das benachbarte Grenzobjekt nun eines Feuchtigkeitsschutzes bedarf.

Für die Vorstellungsbehörde ist diesbezüglich die Nachvollziehbarkeit des Gutachtens auf Grund fehlender Informationen hinsichtlich der Anschüttung nicht gegeben. Dementsprechend ist das gegenständliche Gutachten auf Grund des oben angeführten Aspektes als formal mangelhaft zu beurteilen, weshalb es nicht als Grundlage für die Beurteilung der gegenständlichen Geländeanschüttung als bauliche Anlage herangezogen werden kann. Offen bleibt nämlich die Frage, ob der im Gutachten angeführte erforderliche Feuchtigkeitsschutz (Feuchtigkeitsisolierung) des Nachbarobjektes als Teil der Anschüttung anzusehen ist. Festzuhalten gilt es nämlich, dass für die Anschüttung an sich kein Feuchtigkeitsschutz erforderlich ist, da dieser vielmehr als Trennung zwischen der Anschüttung und dem benachbarten Grenzobjekt dient. Über den erforderlichen Feuchtigkeitsschutz liegen allerdings ebenso keine konkreten Informationen vor. Dementsprechend ist eine Nachvollziehbarkeit auf Grund der fehlenden Unterlagen über die Art und den Umfang der (behaupteten) Geländeveränderung nicht möglich.

17 Die belangte Behörde holte ein weiteres Gutachten des bautechnischen Sachverständigen vom 11. September 2014 ein, in dem dieser zum Ergebnis kam, dass die im Gutachten dargestellte Änderung der Höhenlage des Geländes auf dem Grundstück Nr. 2/5 im Bereich zwischen dem Wohnhaus der revisionswerbenden Parteien und der Garage K. "als bauliche Anlage im Sinne der Bestimmungen des § 4 Z. 13 des Stmk. BauG" zu klassifizieren sei.

18 Mit Spruchpunkt I. des Bescheides der belangten Behörde vom 18. Dezember 2014 wurde der Spruch des Bescheides des Bürgermeisters der Marktgemeinde O. vom 25. Mai 2005 gemäß § 66 Abs. 4 AVG idgF wie folgt geändert:

"(Den revisionswerbenden Parteien) wird gemäß § 41 Abs 3 Stmk BauG aufgetragen, die auf dem Grundstück-Nr 2/5 (...) südlich und süd-östlich des Wohnhauses bis zur Grenze der Grundstücke-Nr 2/7 (...) und 2/5 (...) konsenslos durchgeführten Geländeveränderungen, wie im beiliegenden - einen integrierenden Bescheidbestandteil bildenden - Lageplan ersichtlich, nämlich jene Höhenunterschiede, die mindestens 25 cm (Steinschlichtung Ost), stellenweise jedoch mehr als 40 cm groß sind und jedenfalls die Fläche zwischen der Terrasse im Norden, der Grundstückseinfahrt im Westen, der Linie der Steinschlichtung im Osten und der Nachbargrenze mit Einfriedung bzw Gebäude mit Brandwand, umfassen, binnen 6 Wochen nach Rechtskraft dieses Bescheides zu beseitigen."

19 Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde die Berufung der revisionswerbenden Parteien gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde O. vom 25. Mai 2005 im Übrigen als unbegründet abgewiesen.

20 In der Bescheidbegründung wurde u.a. dargelegt, dass der bautechnische Sachverständige die an ihn gerichteten Fragen wie folgt beantwortet habe:

- Ein Feuchtigkeitsschutz des benachbarten Grenzobjektes

der Familie K. sei erforderlich.

- Der Feuchtigkeitsschutz sei auch als Teil der Anschüttung

zu sehen, weil bei bautechnisch korrekt hergestellten Geländeveränderungen bei Anschlüssen an Gebäuden unmittelbar wasserdurchlässige Materialien (Bruchschotter einheitlicher Körnung) zu verwenden seien, welche dazu führten, dass die Feuchtigkeit vom unmittelbar angrenzenden Mauerwerk weggeleitet werde. Dieses Wasser rinne dann nach unten ab und müsse im Fußbereich des Mauerwerkes mittels einer Drainage rückstaufrei abgeleitet werden.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

36 Die vorliegende außerordentliche Revision erweist sich sowohl aufgrund des Vorbringens, das LVwG habe seine Entscheidung auf eine unrichtige Rechtslage gestützt, als auch aufgrund des geltend gemachten Mangels, das LVwG habe trotz ausdrücklichen Antrages keine mündliche Verhandlung durchgeführt, als zulässig. Sie ist, wie im Folgenden dargelegt wird, auch begründet.

37 Das Stmk. BauG in der zum Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses am 11. Februar 2016 geltenden Fassung LGBl. Nr. 75/2015 lautet auszugsweise:

"§ 4

Begriffsbestimmungen

Die nachstehenden Begriffe haben in diesem Gesetz folgende

Bedeutung:

(...)

13. Bauliche Anlage (Bauwerk): eine Anlage, die mit dem Boden in Verbindung steht und zu deren fachgerechter Herstellung bautechnische Kenntnisse erforderlich sind.

Eine Verbindung mit dem Boden besteht schon dann, wenn die Anlage

(3) Die Behörde hat hinsichtlich vorschriftswidriger baulicher Anlagen einen Beseitigungsauftrag zu erlassen. Der Auftrag ist ungeachtet eines Antrages auf nachträgliche Erteilung einer Baubewilligung oder einer Anzeige gemäß § 33 Abs. 1 zu erteilen.

(...)

§ 61

Schutz vor Feuchtigkeit

(1) Bauwerke müssen entsprechend ihrem Verwendungszweck gegen das Aufsteigen von Feuchtigkeit und gegen das Eindringen von Wasser dauerhaft gesichert werden. Dabei ist sowohl auf das Grundwasser als auch auf das vorhersehbare Oberflächenwasser (z. B. Hangwasser und Hochwasserereignisse) Bedacht zu nehmen.

(...)

§ 88

Anforderungen

Bei Veränderungen des Geländes gemäß den §§ 19 oder 20 dürfen damit verbundene Änderungen der Abflussverhältnisse keine Gefährdungen oder unzumutbaren Beeinträchtigungen verursachen.

(...)

§ 119j

Übergangsbestimmung zur Novelle LGBl. Nr. 13/2011

(1) Die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle LGBl. Nr. 13/2011 anhängigen Verfahren sind nach den bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle geltenden Bestimmungen zu Ende zu führen.

(...)"

38 In der gegenständlichen Angelegenheit erging der erste baupolizeiliche Auftrag gegenüber den revisionswerbenden Parteien mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde O. vom 25. Mai 2005. Der zu diesem Zeitpunkt geltende § 41 Abs. 3 Stmk. BauG 1995 in der Fassung LGBl. Nr. 78/2003 ist inhaltlich ident mit dem oben zitierten § 41 Abs. 3 Stmk. BauG 1995 in der Fassung LGBl. Nr. 75/2015.

39 § 4 Z 12 Stmk. BauG in der Fassung LGBl. Nr. 78/2003 unterscheidet sich hingegen von der vom LVwG herangezogenen Bestimmung des § 4 Z 13 Stmk. BauG (in der Fassung LGBl. Nr. 13/2011) und lautet:

"§ 4

Begriffsbestimmungen

(...)

12. Bauliche Anlage (Bauwerk): jede Anlage,

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