VwGH Ra 2016/11/0007

VwGHRa 2016/11/000730.6.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des F L in R, vertreten durch die Hofbauer & Wagner Rechtsanwälte KG in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 30. November 2015, Zl. LVwG-S-1177/001-2015, betreffend Übertretung des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Melk), zu Recht erkannt:

Normen

AVRAG 1993 §7i Abs3;
AVRAG 1993 §7i Abs4;
AVRAG 1993 §7i;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVRAG 1993 §7i Abs3;
AVRAG 1993 §7i Abs4;
AVRAG 1993 §7i;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 18. März 2015 wurde der Revisionswerber als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit gemäß § 9 Abs. 1 VStG Vertretungsbefugter der I. GesmbH für schuldig erkannt, dass diese Gesellschaft vom 1. Juni 2014 bis 10. Juli 2014 eine namentlich genannte Arbeitnehmerin beschäftigt hat, ohne dieser den zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien geleistet zu haben. Wegen Übertretung des § 7i Abs. 3 AVRAG wurde über den Revisionswerber eine Geldstrafe in Höhe von EUR 1.000,-- sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt.

1.2. In der dagegen erhobenen Beschwerde wiederholte der Revisionswerber sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren, dass die Einstufung der Arbeitnehmerin nach dem Kollektivvertrag und somit die Höhe des Lohnes ordnungsgemäß festgesetzt worden sei (Gegenteiliges sei ihm nicht angelastet worden). Jedoch habe der Lohn der genannten Arbeitnehmerin "infolge einer Zahlungsstockung", an deren Behebung er arbeite, nicht ausgezahlt werden können. Der Revisionswerber habe den Lohnanspruch dieser Arbeitnehmerin bereits in einem Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht anerkannt. Das Verhalten des Revisionswerbers stelle seines Erachtens keine Übertretung der §§ 7 ff AVRAG dar, weil diese Bestimmungen unter dem Titel "Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz" beschlossen worden seien und lediglich die nicht kollektivvertragsmäßige Einstufung inkriminierten.

1.3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 30. November 2015 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass dagegen eine ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Verwaltungsgericht führte in der Begründung nach kurzer Darstellung des Verfahrensganges und Zitierung des § 7i Abs. 3 AVRAG lediglich aus, der Verwaltungsgerichtshof habe im Beschluss vom 26. Februar 2015, Zl. Ra 2015/11/0008, zum Ausdruck gebracht, dass § 7i Abs. 3 AVRAG sehr wohl die "bloße" Nichtzahlung eines allfällig auch durch korrekte Einstufung ermittelten Grundlohns erfasse.

Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Das Verwaltungsgericht legte die Akten des Verfahrens vor, eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit zutreffend aus, dass Rechtsprechung zur Frage, ob gemäß § 7i Abs. 3 AVRAG (hier noch in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 94/2014) auch das Nichtauszahlen von (der Höhe nach ordnungsgemäß festgesetzten) Löhnen infolge von wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Arbeitgebers strafbar ist, fehlt; diese Frage wurde auch durch den zitierten Beschluss, Zl. Ra 2015/11/0008, nicht beantwortet. Die Revision ist daher zulässig.

2.2. Das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, BGBl. Nr. 459/1993 in der für den gegenständlichen Tatzeitraum noch maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 138/2013 (AVRAG), lautet auszugsweise:

"§ 7i. ...

(3) Wer als Arbeitgeber/in ein/en Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. Sind von der Unterentlohnung höchstens drei Arbeitnehmer/innen betroffen, beträgt die Geldstrafe für jede/n Arbeitnehmer/in 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall 4 000 Euro bis 50 000 Euro.

(4) Stellt die Bezirksverwaltungsbehörde fest, dass die Unterschreitung des Grundlohns gering oder das Verschulden des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin geringfügig ist, hat sie von der Verhängung einer Strafe abzusehen, sofern der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in die Differenz zwischen dem tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt binnen einer von der Behörde festzusetzenden Frist nachweislich leistet und eine solche Unterschreitung des Grundlohns durch den/die Arbeitgeber/in das erste Mal erfolgt. Hat das Kompetenzzentrum LSDB, der zuständige Krankenversicherungsträger oder die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse bei erstmaliger Unterschreitung des Grundlohns von einer Anzeige abgesehen oder hat die Bezirksverwaltungsbehörde von der Verhängung einer Strafe abgesehen, ist bei der erstmaligen Wiederholung der Unterschreitung zumindest die Mindeststrafe zu verhängen. Im Fall des ersten und zweiten Satzes ist § 21 Abs. 1 VStG nicht anzuwenden. Weist der/die Arbeitgeber/in der Bezirksverwaltungsbehörde nach, dass er/sie die Differenz vom tatsächlich geleisteten und dem dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelt geleistet hat, ist dies bei der Strafbemessung strafmildernd zu berücksichtigen.

..."

2.3. In der Revision wird ausgeführt, aus den vorgelegten Gesetzesmaterialien zum "Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz" (RV 1076 BlgNR XXIV. GP ), konkret aus dem Vorblatt und den Erläuterungen zu § 7i Abs. 3 AVRAG, ergebe sich, dass diese Strafnorm zwar auf das Herbeiführen und Aufrechterhalten eines rechtswidrigen Zustandes abziele, jedoch Fälle wie den vorliegenden, in dem es um "eine bloße Unmöglichkeit der Zahlung" gehe, nicht erfasse. In Fällen der Zahlungsunmöglichkeit gebe es ohnedies die Möglichkeit, die Forderung gerichtlich geltend zu machen sowie gegebenenfalls Schutz durch das Insolvenzentgeltsicherungsgesetz.

Auch aus dem Wortlaut des zweiten Satzes des § 7i Abs. 3 AVRAG, der von "Unterentlohnung" im Zusammenhang mit dem "zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien" spreche, ergebe sich, dass die Bestimmung die wissentliche und willentliche Benachteiligung des Arbeitnehmers und nicht die Zahlungsunfähigkeit zum Gegenstand habe. Abgesehen davon hätte gegenständlich eine Bestrafung auch im Hinblick auf § 7i Abs. 4 AVRAG nicht erfolgen dürfen.

2.4. Zunächst ist festzuhalten, dass für den Revisionswerber aus dem Wortlaut des § 7i Abs. 3 erster Satz AVRAG nichts zu gewinnen ist, wird doch das Tatbild durch die Beschäftigung eines Arbeitnehmers sowie durch das Nichtleisten des "zustehenden Grundlohnes" (der sich nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien ergibt) verwirklicht (vgl. dazu auch den hg. Beschluss vom 23. Oktober 2014, Zl. Ra 2014/11/0063). § 7i Abs. 3 erster Satz AVRAG erfasst somit auch den Fall des gänzlichen Unterbleibens einer Lohnzahlung. Daran ändert § 7i Abs. 3 zweiter Satz AVRAG nichts, weil der dort verwendete Begriff "Unterentlohnung" in seinem äußersten Wortsinn auch den gänzlichen Entfall der Entlohnung (als extremste Form der Unterentlohnung) erfasst.

2.5. Die Bestimmung des § 7i AVRAG wurde gemeinsam mit weiteren Bestimmungen durch das bereits erwähnte Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz, BGBl. I Nr. 24/2011, geschaffen, und zwar, wie die Gesetzesmaterialien zeigen, im Zuge der (Ost-)Öffnung des Arbeitsmarktes.

Die Regierungsvorlage (RV 1076 BlgNR XXIV. GP ) des zitierten Gesetzes lautet auszugsweise (Hervorhebung durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Vorblatt

Problem:

Lohn- und Sozialdumping ist eine sozialpolitisch unerwünschte Erscheinung, die nicht nur Arbeitnehmer/innen das ihnen zustehende Entgelt für die erbrachte Arbeitsleistung vorenthält, sondern auch einen fairen Wettbewerb zwischen den Unternehmen untergräbt. Gerade im Zuge der Öffnung des Arbeitsmarktes kann es zu einer Verstärkung dieses negativen Phänomens kommen.

Ziele:

2.6. Die zitierten Gesetzesmaterialien zeigen, dass es der Gesetzgeber, anders als der Revisionswerber meint, nicht allein den Arbeitnehmern überlassen wollte, sich im Falle der nicht ordnungsgemäßen Zahlung des zustehenden Lohnes mit (u.a.) zivilgerichtlichen Schritten zur Wehr zu setzen. Vielmehr soll den Arbeitnehmern, weil diese "aus Angst vor Verlust ihres Arbeitsplatzes erfahrungsgemäß nur selten rechtliche Schritte im Falle einer Unterentlohnung" setzen oder "Beratungsangebote ... betreffend das ihnen zustehende Mindestentgelt" in Anspruch nehmen, auch durch den Verwaltungsstraftatbestand des § 7i Abs. 3 AVRAG Schutz geboten werden.

Gleichzeitig dient diese Norm, wie die wiedergegebenen Materialien zeigen, auch der Sicherung eines fairen wirtschaftlichen Wettbewerbs zwischen den Unternehmen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 10. Juni 2015, Zl. 2013/11/0121).

Diese beiden ausgewiesenen gesetzlichen Ziele (Schutz der Arbeitnehmer und Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs) sind nur dann effektiv erreichbar, wenn der Arbeitgeber die Löhne seiner Arbeitnehmer im zustehenden Ausmaß tatsächlich ausbezahlt. Daraus ergibt sich, dass insbesondere der deklarierte Wille des Gesetzgebers dafür spricht, dass der - objektive -Tatbestand des § 7i Abs. 3 AVRAG dann erfüllt ist, wenn das dem beschäftigten Arbeitnehmer zustehende Mindestentgelt, gleich aus welchen Gründen, nicht ausbezahlt wird.

Die Beweggründe und allfälligen Hindernisse für das Unterbleiben der Ausbezahlung des zustehenden Mindestentgelts sind jedoch nicht unbeachtlich, allerdings erst bei der fallbezogenen Beurteilung des subjektiven Tatbestandes (Verschulden) des Arbeitgebers zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall hat es das Verwaltungsgericht gänzlich unterlassen, sich im angefochtenen Erkenntnis mit der subjektiven Tatseite auseinander zu setzen und dieses daher mit Rechtswidrigkeit behaftet.

2.7. Zutreffend ist auch das Revisionsvorbringen, dass gegenständlich nicht geprüft wurde, ob die Voraussetzungen für das Absehen von der Strafe (§ 7i Abs. 4 AVRAG) erfüllt sind:

Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber schon in seiner schriftlichen Äußerung vom 25. Februar 2015 gegenüber der belangten Behörde ausgeführt, dass es ihm "infolge einer Zahlungsstockung" nicht möglich sei, den Lohn der genannten Arbeitnehmerin zur Auszahlung zu bringen, und dass er "an der Behebung der Zahlungsstockung" arbeite. Die belangte Behörde durfte daher nicht schon von vornherein davon ausgehen, dass der Revisionswerber das ausstehende Mindestentgelt seiner Arbeitnehmerin überhaupt nicht leisten werde (insoweit anders der dem zitierten hg. Erkenntnis, Zl. 2013/11/0121, zugrunde liegende Fall).

Dem Revisionswerber kann nach dem Gesagten geringfügiges Verschulden iSd § 7i Abs. 4 AVRAG nicht von vornherein abgesprochen werden. Deshalb hätte ihm die belangte Behörde nach der letztgenannten Bestimmung ausdrücklich eine Frist zur Begleichung des noch ausstehenden Mindestentgelts einräumen müssen, um dem Revisionswerber Gelegenheit zu geben, durch fristgerechte Bezahlung das Absehen von der Bestrafung gemäß § 7i Abs. 3 iVm Abs. 4 AVRAG herbeiführen zu können. Auch nach den zitierten Erläuterungen soll mit dem genannten Verwaltungsstraftatbestand nämlich ausdrücklich nicht die Pönalisierung der Arbeitgeber, sondern die Sicherstellung des Mindestlohnes der Arbeitnehmer bezweckt werden.

Der Revisionswerber ist somit im Recht, wenn er einwendet, dass seine Bestrafung im Hinblick auf § 7i Abs. 4 AVRAG rechtswidrig war.

2.8. Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. Juni 2016

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