VwGH Ra 2015/22/0143

VwGHRa 2015/22/014317.3.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, in der Revisionssache des B K in Wien, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 8. April 2015, VGW- 151/V/084/2580/2015-1, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §38;
AVG §56;
AVG §68 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
AVG §38;
AVG §56;
AVG §68 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1.1. Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, heiratete am 8. November 2000 eine österreichische Staatsbürgerin und stellte am 21. Dezember 2000, 8. November 2001 und 15. Oktober 2002 Anträge auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner Ehefrau. Den Anträgen wurde entsprochen und die Niederlassungsbewilligung - zuletzt unbefristet - erteilt.

1.2. Am 16. Juni 2008 beantragte der Revisionswerber bei der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht (im Folgenden nur: belangte Behörde) die Erteilung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG". Er legte dabei ein in Rechtskraft erwachsenes Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 16. November 2004 vor, mit dem seine Ehe gemäß § 23 EheG für nichtig erklärt worden war.

1.3. Auf Grund der Nichtigerklärung der Ehe nahm die belangte Behörde mit Bescheid vom 18. November 2008 die eingangs angeführten Verfahren von Amts wegen wieder auf und wies unter einem die Anträge vom 21. Dezember 2000, 8. November 2001 und 15. Oktober 2002 wegen Vorliegens einer Aufenthaltsehe und unzulässiger Erstantragstellung im Inland gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 und § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Der dagegen erhobenen Berufung des Revisionswerbers gab die Bundesministerin für Inneres mit Bescheid vom 15. Jänner 2009 keine Folge. Gegen die Rechtsmittelentscheidung erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (vgl. näher Punkt 1.6.).

1.4. Mit Bescheid vom 4. Februar 2009 wies die belangte Behörde den Antrag vom 16. Juni 2008 ab. Sie führte dazu aus, infolge der Nichtigerklärung der Ehe und der Antragsabweisung in den wiederaufgenommenen Verfahren liege eine unzulässige Erstantragstellung im Inland vor, es sei auch kein im Gesetz vorgesehener Ausnahmetatbestand gegeben.

Der dagegen erhobenen Berufung des Revisionswerbers gab die Bundesministerin für Inneres mit Bescheid vom 30. April 2009 keine Folge. Die Rechtsmittelentscheidung blieb unbekämpft.

1.5. In der Folge begehrte der Revisionswerber im Rahmen eines am 16. Juni 2009 in der Türkei gestellten Erstantrags die Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus".

1.6. Über die Beschwerde gegen den Bescheid vom 15. Jänner 2009 sprach der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 26. Februar 2013, 2009/22/0081, dahingehend ab, dass er die Beschwerde gegen die Wiederaufnahme als unbegründet abwies, der Beschwerde gegen die Abweisung der Anträge vom 21. Dezember 2000, 8. November 2001 und 15. Oktober 2002 hingegen Folge gab und den angefochtenen Bescheid insoweit aufhob. Die Aufhebung wurde damit begründet, dass bei Erlassung des angefochtenen Bescheids die Aufenthaltsehe nicht mehr vorgelegen und daher der Versagungsgrund nicht mehr gegeben (gewesen) sei.

1.7. Mit Beschluss vom 1. Juli 2014 gab das Verwaltungsgericht Wien der Berufung gegen den Bescheid vom 18. November 2008 - im Umfang der vorangehenden Aufhebung der Rechtsmittelentscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - Folge, hob den Bescheid insoweit auf und verwies die Sache zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurück.

1.8. Mit weiterem Beschluss vom 1. Juli 2014 sprach das Verwaltungsgericht "in der Beschwerdesache (...) gegen den Bescheid (...) vom 04.02.2009 (...), mit welchem der Antrag vom 16.06.2008 (...) abgewiesen wurde", aus, dass das Verfahren "bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die mit Bescheid (...) vom 18.11.2008 (...) wiederaufgenommenen Verfahren (...) ausgesetzt" werde.

Das Verwaltungsgericht führte aus, auf Grund des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofs seien die Anträge in den wiederaufgenommenen Verfahren offen. Da es sich dabei um Vorfragen für die Entscheidung über den Antrag vom 16. Juni 2008 auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG" handle, sei das diesbezügliche Verfahren über Antrag des Revisionswerbers auszusetzen gewesen.

1.9. In der Folge nahm die belangte Behörde - im Sinn des Aufhebungsbeschlusses des Verwaltungsgerichts vom 1. Juli 2014 - die nachstehende Verfahrensergänzung vor:

Mit Schreiben vom 9. Dezember 2014 forderte sie - unter Hinweis auf die offenen Anträge vom 21. Dezember 2000, 8. November 2001 und 15. Oktober 2002 sowie die "am 16.6.2008, und nun 16.6.2009" gestellten Anträge - den Revisionswerber zur Bekanntgabe auf, welcher Antrag weiter behandelt werden solle bzw. welche Anträge zurückgezogen würden. Sie wies dabei auf § 19 Abs. 2 NAG hin, wonach der Grund des Aufenthalts genau zu bezeichnen und ein Antrag nicht zulässig sei, aus dem sich verschiedene Aufenthaltszwecke ergäben; für den Fall, dass dem Verbesserungsauftrag nicht entsprochen werde, kündigte sie die Zurückweisung der Anträge an.

Der Revisionswerber gab daraufhin mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2014 bekannt, dass er den Antrag "vom 16.06.2008" aufrecht erhalte, und ersuchte, diesen weiter zu bearbeiten.

Mit Schreiben vom 5. Jänner 2015 forderte die belangte Behörde den Revisionswerber auf, in Ansehung des "am 16.6.2008" gestellten Antrags den genauen Aufenthaltszweck mitzuteilen, und wies neuerlich auf § 19 Abs. 2 NAG sowie eine mögliche Zurückweisung hin.

Daraufhin wiederholte der Revisionswerber mit Schreiben vom 8. Jänner 2015 seine Bekanntgabe vom 23. Dezember 2014 und teilte mit E-Mail vom 13. Jänner 2015 ferner mit: "(...) Wenn nun der Antragsteller aufgefordert wird, den Aufenthaltszweck genau zu bezeichnen, dann ist dazu anzugeben, dass der Antrag vom 16.06.2008 auf Erteilung einer Daueraufenthalt-EU-Karte abzielte. Da die Verfahren vom 21.12.2000, 08.11.2001 und 15.10.2002 aufgrund Wiederaufnahme und der Entscheidung des Antragstellers, den Antrag vom 16.06.2008 aufrecht zu erhalten, nicht mehr vorliegen, hat der Antrag vom 16.06.2008 auf Erteilung einer Daueraufenthalt-EU-Karte seine rechtliche Grundlage verloren. Aus diesem Grund ist der Antragsteller verpflichtet, seinen Antrag vom 16.06.2008 dahingehend zu konkretisieren, dass er auf Erteilung einer Rot-Weiß-Rot - Karte plus zu lauten hat. Diesbezüglich wird angemerkt, dass dieser Antrag auf Erteilung einer Rot-Weiß-Rot - Karte plus am 16.06.2008 gestellt zu gelten hat (...)"

1.10. Mit Bescheid vom 23. Jänner 2015 wies die belangte Behörde den Antrag "vom 16.6.2008" mit der Begründung zurück, dass darin trotz Verbesserungsauftrag und Hinweis auf die möglichen Rechtsfolgen unzulässiger Weise mehrere verschiedene Aufenthaltszwecke angeführt seien.

2.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die gegen den Zurückweisungsbescheid vom 23. Jänner 2015 erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab.

Das Verwaltungsgericht führte aus, der Revisionswerber habe mit E-Mail vom 13. Jänner 2015 die Anträge vom 21. Dezember 2000, 8. November 2001 und 15. Oktober 2002 zurückgezogen, weiters habe er den ursprünglichen Antrag vom 16. Juni 2008 (auf "Daueraufenthalt - EG") dahin modifiziert, dass von dessen Zurücknahme und der gleichzeitigen Stellung eines neuen Antrags (auf "Rot-Weiß-Rot - Karte plus") auszugehen sei. Er habe dabei jedoch trotz Verbesserungsaufträgen und Androhung der Zurückweisung keinen Aufenthaltszweck im Sinn des § 19 Abs. 2 NAG genannt. Nach § 41a NAG könne der zuletzt begehrte Aufenthaltstitel ("Rot-Weiß-Rot - Karte plus") für mehrere Aufenthaltszwecke erteilt werden, wobei je nach dem Zweck unterschiedliche Voraussetzungen erfüllt sein müssten. Der Revisionswerber habe aber weder einen Aufenthaltszweck noch eine gesetzliche Bestimmung (etwa einen konkreten Tatbestand des § 41a NAG) angegeben, die belangte Behörde habe daher den Antrag nicht näher prüfen können, sondern das Begehren als unzulässig zurückweisen müssen.

Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht zulässig sei.

2.2. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 17. September 2015, E 1062/2015-9, ablehnte. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beantwortung der Frage, welche Auswirkungen das Außerachtlassen des Berufungsbescheids vom 30. April 2009 - mit dem das Verfahren über den Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG" rechtskräftig beendet worden sei - für das weitere Verfahren habe, nicht anzustellen.

2.3. In der gegenständlichen außerordentlichen Revision macht der Revisionswerber - mit dem in der Folge angeführten Vorbringen (vgl. Punkt 3.2.) - Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend.

3.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

3.2. Der Revisionswerber macht als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geltend, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen. Die belangte Behörde sei zur Erteilung von Verbesserungsaufträgen in Bezug auf den Antrag vom 16. Juni 2008 nicht zuständig gewesen, weil das Verfahren vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 1. Juli 2014 ausgesetzt und nicht an die erste Instanz zurückverwiesen worden sei. Die belangte Behörde habe daher mangels Entscheidungskompetenz den Antrag nicht zurückweisen dürfen, das Verwaltungsgericht hätte den rechtswidrigen Bescheid aufheben müssen.

3.3. Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber jedoch keine Rechtsfrage auf, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

4.1. Voraussetzung für die Aussetzung des Verfahrens nach § 38 AVG ist die Präjudizialität der Entscheidung über eine Vorfrage in einem anderen Verfahren (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 1993, 92/09/0333 bis 0344). Ist im ausgesetzten Verfahren nichts (mehr) zu entscheiden, weil das Verfahren durch Entscheidung in der Sache bereits abgeschlossen ist (vgl. den hg. Beschluss vom 24. Februar 2011, 2009/10/0249), so ist die - bloß auf das vorübergehende Wegfallen der Entscheidungspflicht gerichtete (vgl. den hg. Beschluss vom 27. Juni 2006, 2006/06/0046) - Aussetzung ohne Wirkung, sie kann auch nicht mehr bekämpft werden (vgl. den hg. Beschluss vom 31. Mai 2000, 98/08/0359).

4.2. Wie aus der obigen Verfahrensübersicht hervorgeht, hat die belangte Behörde den Antrag des Revisionswerbers vom 16. Juni 2008 mit Bescheid vom 4. Februar 2009 abgewiesen; die Bundesministerin für Inneres hat der dagegen erhobenen Berufung mit Bescheid vom 30. April 2009 keine Folge gegeben, die Rechtsmittelentscheidung blieb unbekämpft. Davon ausgehend wurde aber - wie bereits der Verfassungsgerichtshof in seinem oben angeführten Beschluss hervorhob - das Verfahren über den Antrag vom 16. Juni 2008 auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG" durch den Berufungsbescheid vom 30. April 2009 rechtskräftig beendet. Diese abschließende Entscheidung in der Sache bewirkte, dass eine spätere Aussetzung des Verfahrens nicht mehr in Betracht kam. Der dennoch gefasste Aussetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 1. Juli 2014 entfaltet keine Rechtswirkungen und ist unbeachtlich.

4.3. Auf die Aussetzung kommt es ferner deshalb nicht an, weil sich diese auf den (ursprünglichen) Antrag vom 16. Juni 2008 bezog. Hingegen wurde - wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend erkannte - in der über Aufforderung der belangten Behörde erfolgten Bekanntgabe des Revisionswerbers (vom 13. Jänner 2015), wonach der Antrag auf Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" zu lauten habe, richtig gesehen ein neues Begehren gestellt. Die Zuständigkeit der belangten Behörde für das diesbezügliche Verfahren wird selbst vom Revisionswerber nicht substanziiert in Zweifel gezogen, zielt seine Argumentation doch ausschließlich auf den (ursprünglichen) Antrag vom 16. Juni 2008, nicht jedoch auf ein neues, mit der angeführten Bekanntgabe gestelltes Begehren ab.

4.4. In diesem Zusammenhang ist ergänzend festzuhalten, dass der inhaltlichen Behandlung des neuen Antrags durch die belangte Behörde auch die rechtskräftige Beendigung des Verfahrens über den (ursprünglichen) Antrag vom 16. Juni 2008 nicht entgegenstehen kann. Das aus § 68 Abs. 1 AVG abzuleitende Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache liegt nur dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich zudem das Parteibegehren mit dem früheren deckt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. April 2015, 2011/17/0244). Vorliegend ist freilich eine Identität der Sache im soeben erörterten Sinn nicht gegeben, ist doch das Vorliegen eines neuen Antrags (schon im Hinblick auf die verschiedenen Begehren mit unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen) evident.

4.5. Aus den aufgezeigten Erwägungen war daher die vom Revisionswerber behauptete Unzuständigkeit der belangten Behörde für den neuen Antrag und eine darauf zurückzuführende Rechtswidrigkeit des Zurückweisungsbescheids und infolge dessen auch des angefochtenen Erkenntnisses nicht gegeben.

5. In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG - durch einen gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.

Wien, am 17. März 2016

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