VwGH Ra 2015/21/0187

VwGHRa 2015/21/018724.5.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des A S in L, vertreten durch Dr. Birgit Fetz, Rechtsanwältin in 8700 Leoben, Hauptplatz 11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. September 2015, Zl. L518 2013917-1/33E, betreffend Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2015, Ra 2015/21/0002, verwiesen. Damit hat der Verwaltungsgerichtshof das damals angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts insoweit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, als gegen den Revisionswerber ein Einreiseverbot in der Dauer von zehn Jahren verhängt wurde. In den Entscheidungsgründen führte der Verwaltungsgerichtshof u. a. Folgendes aus:

"Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesverwaltungsgericht - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Revisionswerbers - darauf abzustellen haben, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (vgl. das (...) Erkenntnis VwSlg. 18.295 A, mwN). Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen, wobei im Allgemeinen auch der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt (vgl. zu diesem Aspekt etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 2014, Ra 2014/21/0039, mwN). Darüber hinaus ist bei der Entscheidung über die Dauer des Einreiseverbots auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen. Im vorliegenden Fall wäre im Hinblick darauf, dass die Maßnahme grundsätzlich auf das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten bezogen sein soll, auch das in Deutschland geführte Familienleben des Revisionswerbers in den Blick zu nehmen (vgl. nochmals das Erkenntnis VwSlg. 18.295 A; s. auch den hg. Beschluss vom 28. Mai 2015, Ra 2014/22/0037), auch wenn das Einreiseverbot, wie das Bundesverwaltungsgericht dargelegt hat, die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung durch Deutschland nicht absolut ausschließt (vgl. insbesondere Art. 11 Abs. 4 der Rückführungsrichtlinie)."

2 Im nach dieser Aufhebung fortgesetzten Verfahren führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch und erließ in der Folge mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis abermals ein Einreiseverbot in der Dauer von zehn Jahren, wobei es sich auf § 53 Abs. 3 Z 1 FPG stützte. In der Begründung legte das Bundesverwaltungsgericht ausführlich dar, dass der Revisionswerber - trotz seiner anderslautenden Verantwortung - vier der sechs ihm angelasteten Straftaten bereits in Kenntnis der Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin begangen habe. "Demzufolge" seien die Anträge des Revisionswerbers auf Aufhebung bzw. Beschränkung des Einreiseverbotes als unbegründet abzuweisen und das vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) für die Dauer von acht Jahren verfügte Einreiseverbot letztlich in ein zehnjähriges Einreiseverbot umzuwandeln gewesen. Daran schließt folgende weitere Begründung an:

"Gerade das Verhalten des (Revisionswerbers) in der Beschwerdeverhandlung vermag (...) eine für ihn sprechende Gefährdungsprognose und sohin Verkürzung der Dauer des Einreiseverbotes nicht zu begründen. Ungeachtet des Umstandes, dass der (Revisionswerber) - wie bereits oben dargelegt - versuchte nur wenige Tathandlungen in die Zeit ab Kenntnis um die Risikoschwangerschaft einfließen zu lassen, versuchte der (Revisionswerber) auch folglich, seine Handlungen zu bagatellisieren, wenn dieser auf Nachfrage betreffend der Motivation seines strafrechtlich relevanten Handelns vermeinte, gefragt worden zu sein, ob er Auto(s) überstellen könne und er dies machte. Als er auf den Strafrechtsgehalt seines Tuns kam, machte er dies trotzdem. Tatsächlich muss jedoch angesichts des im Fahrzeug- bzw. Zulassungsschein ersichtlichen Zulassungsbesitzers (Autovermietungsfirmen) dem (Revisionswerber) zumindest latent von Anfang an bewusst gewesen sein, dass sein Handeln nicht der Rechtskonformität unterliegen kann. Auch der lange Tatzeitraum, die mehrfache Tatwiederholung und der hohe Wert der verhehlten Kfz vermag nicht zu Gunsten des (Revisionswerbers) zu sprechen. Die Motivation des (Revisionswerbers) lag wohl darin, rasch und einfach an Geld zu kommen. Eine Notsituation, weshalb sich der (Revisionswerber) veranlasst sah die strafrechtlich relevanten Sachverhalte zu verwirklichen, behauptete der (Revisionswerber) nicht."

3 Hinsichtlich des Familienlebens des Revisionswerbers mit seiner in Deutschland lebenden Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind referierte das Bundesverwaltungsgericht zunächst die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach auch dieses Familienleben in den Blick zu nehmen sei, und führte aus, dass es dem Revisionswerber freistehe, durch "Besuche, technische Hilfsmittel udgl" im Kontakt mit seiner Lebensgefährtin und dem Kind zu bleiben. "Darüber hinaus" erweise sich das Vorbringen betreffend das in Deutschland bestehende Familienleben als nicht zielführend, sei doch die Frage, inwieweit ein für Deutschland ausgestellter Aufenthaltstitel entzogen bzw. eine Wiedereinreise nach Deutschland gewährt werde, der Prüfung durch die nationalen Behörden und Gerichte unterworfen, wie dies etwa auch in Art. 11 der Rückführungsrichtlinie vorgesehen sei.

4 Im Ergebnis sei festzuhalten, "dass angesichts der massiven Delinquenz des (Revisionswerbers) in Zusammenschau damit, dass auch das in Deutschland bestehende Familienleben - insbesondere trotz Risikoschwangerschaft der Lebensgefährtin - den (Revisionswerber) nicht von der wiederholten gewerbsmäßigen Begehung strafrechtlich relevanter Tatbestände Abstand nehmen ließ und dadurch das vom (Revisionswerber) als wesentliche soziale Komponente gegen die Dauer des Einreiseverbotes sprechende Argument eine entscheidende Beeinträchtigung erfahren hat, davon auszugehen ist, dass der Grund für die Verhängung des Einreiseverbotes erst nach Ablauf von zehn Jahren weggefallen sein wird". "Die durch das strafbare Verhalten bewirkte Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen", so das Bundesverwaltungsgericht weiter, "und den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung eines mit zehn Jahren befristeten Einreiseverbotes kann kein geringeres Gewicht beigemessen werden, als die Auswirkungen der Maßnahme auf die Lebenssituation des (Revisionswerbers)".

5 Den Ausspruch über die Nichtzulassung der Revision gemäß § 25a Abs. 1 VwGG begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass die Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche, noch eine Rechtsprechung fehle, noch die vorliegende Rechtsprechung als uneinheitlich zu beurteilen sei. Die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur sei zwar "zu früheren Rechtslagen" ergangen, sie sei jedoch auf die "meist völlig gleichlautenden Bestimmungen" der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Akten des Verfahrens vorgelegt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG insbesondere vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, indem es das vom Revisionswerber in Deutschland geführte Familienleben nicht in gebotener Weise berücksichtigt habe. Das verhängte Einreiseverbot sei auch im Hinblick darauf unverhältnismäßig, dass die gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG mögliche Höchstdauer von zehn Jahren ausgeschöpft worden sei, obwohl der Revisionswerber zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt worden sei, also zu (nur) einem Drittel des Strafmaßes, bis zu dem nach § 53 Abs. 3 (Z 1 iVm Z 5) FPG noch kein unbefristetes, sondern ein höchstens zehnjähriges Einreiseverbot zulässig sei.

8 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Vorerkenntnis vom 30. Juni 2015 ausgeführt, dass bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Revisionswerbers - darauf abzustellen ist, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist, und außerdem auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen ist, wobei auch das in Deutschland geführte Familienleben in den Blick genommen werden muss. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass das Ausschöpfen der vorgesehenen Höchstfristen nicht regelmäßig schon dann erfolgen darf, wenn einer der Fälle des § 53 Abs. 2 Z 1 bis 9 bzw. des Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG vorliegt.

10 Das Bundesverwaltungsgericht lässt in seiner Entscheidungsbegründung jedoch eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose, welche ein Einreiseverbot in der nach § 53 Abs. 3 Z 1 FPG möglichen Höchstdauer rechtfertigen würde, vermissen. Es stützt sich in erster Linie darauf, dass der Revisionswerber auch durch die (Risiko‑)Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin nicht von der Begehung der Straftaten abgehalten worden sei. Weiters werden der "lange Tatzeitraum" (August 2013 bis Mai 2014), die mehrfache Tatwiederholung und die Höhe des Schadens sowie die "Bagatellisierung" durch den Revisionswerber ins Treffen geführt. Warum der Wegfall der Gefährdung aber erst nach zehn Jahren - und nicht etwa, wie vom BFA angenommen, schon nach acht Jahren - erwartet werden kann, bleibt offen. Dazu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht zwar Feststellungen zum in Deutschland geführten Familienleben des Revisionswerbers getroffen und auf die mögliche Kontaktpflege durch Telefonate und Besuche in seinem Herkunftsstaat hingewiesen hat, aber zuletzt - in Missachtung der Bindungswirkung des Vorerkenntnisses - wieder betont hat, das diesbezügliche Vorbringen des Revisionswerbers sei nicht zielführend, weil die Frage, inwieweit ein für Deutschland ausgestellter Aufenthaltstitel entzogen bzw. eine Wiedereinreise nach Deutschland gewährt werde, der Prüfung durch die nationalen Behörden und Gerichte unterworfen sei.

11 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

12 Von der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 24. Mai 2016

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