VwGH Ra 2015/10/0134

VwGHRa 2015/10/01349.8.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision des M B in O, vertreten durch die Sachwalterin B in O, diese vertreten durch Mag. Michael Leibel, Rechtsanwalt in 2020 Hollabrunn, Raiffeisenplatz 1/3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 5. November 2015, Zl. LVwG-AV-326/001-2015, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde: Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn), zu Recht erkannt:

Normen

MSG NÖ 2010 §6 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
MSG NÖ 2010 §6 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Erkenntnis vom 5. November 2015 hat das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung von Mindestsicherungsleistungen ab 8. September 2014 durch die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn abgewiesen.

2 Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass der 28-jährige beschäftigungslose Revisionswerber im gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter lebe, die auch seine Sachwalterin sei.

3 Im Dezember 2014 und im Februar 2015 seien Nachzahlungen von Familienbeihilfe, erhöhter Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Revisionswerber in der Höhe von insgesamt EUR 23.102,70 erfolgt.

4 Nach dem Vorbringen der Sachwalterin habe diese das Geld dazu verwendet, um Forderungen ihrer Gläubiger (für offene Umsatzsteuerzahlungen, offene Sozialversicherungsbeiträge, eine Kontoüberziehung und die Rückzahlung eines Darlehens) zu befriedigen. Nach diesem Vorbringen sei nur mehr ein Teilbetrag von EUR 2.000,-- vorhanden.

5 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes seien Ersparnisse, auch wenn sie aus Einkommensbestandteilen gebildet worden seien, die für die Bemessung von Mindestsicherungsleistungen nicht als Einkommen anzusehen seien, als Vermögen des Hilfesuchenden zu berücksichtigen.

6 Wenn die Sachwalterin vorbringe, sie habe das Geld für die Rückzahlung von Verbindlichkeiten verwendet, die sie eingegangen sei, um den Unterhalt des Revisionswerbers sicherzustellen, sei ihr entgegenzuhalten, dass die Familienbeihilfe ausschließlich für jene Person zu verwenden sei, für die sie gewährt werde. Es könne daher kein Zweifel daran bestehen, dass der Gesamtbetrag der nachgezahlten Leistungen von über EUR 23.000,-- zumindest in sozialrechtlicher Hinsicht als Vermögen des Revisionswerbers und nicht als Vermögen der Sachwalterin anzusehen sei. Die offenen Umsatzsteuerforderungen, Krankenkassenbeiträge, Kontoüberziehungen und dergleichen, seien ausschließlich dem Vermögensbereich der Sachwalterin und nicht jenem des Revisionswerbers zuzuordnen.

7 Da der Revisionswerber somit über ein Vermögen von mehr als EUR 23.000,-- verfüge, habe er keinen Anspruch auf Mindestsicherungsleistungen.

8 Weiters hat das Verwaltungsgericht ausgesprochen, dass eine Revision gegen dieses Erkenntnis nicht zulässig sei, weil die Entscheidung nicht von einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme.

Über die gegen dieses Erkenntnis gerichtete Revision hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

9 Zur Zulässigkeit der Revision wird geltend gemacht, dass der Frage grundsätzliche Bedeutung zukomme, ob die Familienbeihilfennachzahlung, die zur Begleichung von - letztlich zur Deckung des Lebensunterhaltes des Hilfesuchenden eingegangenen - Schulden verwendet worden sei, ein Vermögen des Hilfesuchenden darstelle.

10 Damit wird im Ergebnis eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG geltend gemacht. Die Revision ist daher zulässig und aus folgenden Gründen auch berechtigt:

11 Das Verwaltungsgericht vertrat die Auffassung, der Nachzahlungsbetrag von EUR 23.102,70 stelle ungeachtet des vorgebrachten Umstandes, dass nahezu der gesamte Betrag für die Tilgung von Schulden der Sachwalterin verwendet worden sei, jedenfalls ein Vermögen des Revisionswerbers dar, das der Gewährung von Mindestsicherungsleistungen entgegenstehe.

12 Zunächst ist dem Verwaltungsgericht zuzustimmen, dass auch Ersparnisse aus Einkommensteilen, die bei der Gewährung von Mindestsicherung außer Ansatz zu bleiben haben, als Vermögen im Sinn der Regelungen über die Mindestsicherung anzusehen sind (vgl. etwa zuletzt den hg. Beschluss vom 30. September 2015, Zl. Ra 2015/10/0084).

13 Sollte die Nachzahlung tatsächlich fast zur Gänze für die Begleichung von - zu welchem Zweck auch immer eingegangenen - Schulden der Sachwalterin verwendet worden sein, so wäre jedenfalls kein Barvermögen des Revisionswerbers in der Höhe des nachgezahlten Betrages vorhanden. Eine allenfalls bestehende Ersatzforderung des Revisionswerbers gegen seine Sachwalterin auf Grund einer zweckwidrigen Verwendung der Familienbeihilfen- und Kinderabsatzbetragsnachzahlungen könnte nur dann und nur insoweit zu den - vor Inanspruchnahme der Mindestsicherung einzusetzenden - eigenen Mitteln gezählt werden, als sie liquide oder doch zumindest rasch liquidierbar wäre (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur zu den Mindestsicherungsgesetzen der Länder etwa das Erkenntnis vom 23. Oktober 2012, Zl. 2012/10/0080). Entscheidend ist, ob der Hilfesuchende die erforderliche Leistung auf Grund seines Anspruches so rechtzeitig erhalten kann, dass er in seinem Bedarf nicht gefährdet wird. Andernfalls hat der Träger der Mindestsicherung in Vorlage zu treten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2014, Zl. Ro 2014/10/0004).

14 Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, der an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Revisionswerber nachgezahlte Betrag sei ungeachtet des Vorbringens der Sachwalterin über die bereits erfolgte Verwendung des Geldes zur Tilgung von Schulden jedenfalls als Vermögen des Revisionswerbers anzusehen, das der Gewährung von Mindestsicherungsleistungen entgegenstehe, beruht daher auf einer Verkennung der Rechtslage. Aufgrund dieser Verkennung hat sich das Verwaltungsgericht nicht weiter mit dem Vorbringen des Revisionswerbers, die Nachzahlung sei zur Begleichung von Schulden seiner Sachwalterin verwendet worden, auseinandergesetzt.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

16 Von der vom Revisionswerber beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013. Wien, am 9. August 2016

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