VwGH Ro 2014/10/0043

VwGHRo 2014/10/00439.11.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision des P E in R, vertreten durch Dr. Peter Bergt, Rechtsanwalt in 6410 Telfs, Lumma 6, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 9. Dezember 2013, Zl. IIIa1-F-10.182/3, betreffend Versagung einer Rodungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

ForstG 1975 §17 Abs2;
ForstG 1975 §17 Abs3;
ForstG 1975 §17 Abs4;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RO2014100043.J00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1 1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Imst (der Erstbehörde) vom 7. November 2013 wurde ein Antrag des Revisionswerbers vom 13. März 2013 auf Erteilung der forstrechtlichen Bewilligung für die dauernde Rodung des Grundstückes Nr. 153/2, KG R., mit einer gesamten Rodefläche von

2.468 m2 zum Zwecke der "Agrarstrukturverbesserung" gemäß § 17 Abs. 1 bis 3 Forstgesetz 1975 (ForstG) abgewiesen.

2 Die Erstbehörde legte diesem Bescheid maßgeblich das Gutachten eines forstfachlichen Amtssachverständigen vom 25. Juni 2013 zugrunde, dem zufolge der nördlichen Hälfte der Rodefläche - in Übereinstimmung mit dem Waldentwicklungsplan - eine hohe Bedeutung für die Schutz-, eine mittlere Bedeutung für die Wohlfahrts- sowie eine geringe Bedeutung für die Erholungsfunktion zukomme. Die hohe Schutzfunktion sei in der hochwasserreduzierenden Wirkung der Weichholzau, welche sich 1 bis 2 m über dem Wasserspiegel des Inns befinde, begründet. Die mittlere Bedeutung für die Erfüllung der Wohlfahrtsfunktion ergebe sich aus den vorhandenen Waldbeständen direkt angrenzend zur Inntalautobahn, welche zu einer Verbesserung der Luftsituation und so zu einem ausgeglichenen Gesamtklima beitrügen. Dem südlichen Teil der Rodungsfläche komme - in Übereinstimmung mit dem Waldentwicklungsplan - eine mittlere Bedeutung für die Schutz-, eine hohe Bedeutung für die Wohlfahrts- und eine geringe Bedeutung für die Erholungsfunktion zu. Die mittlere Bedeutung für die Schutzfunktion sei durch den größeren Abstand zum Inn und somit die geringere Gefahr von Überflutungen als im nördlicheren Weichholzaubereich begründet. Die hohe Bedeutung für die Erfüllung der Wohlfahrtsfunktion ergebe sich aus den vorhandenen Waldbeständen, welche zu einer Verbesserung der Luftsituation und so zu einem ausgeglicheren Gesamtklima beitrügen.

3 2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. Dezember 2013 wies der Landeshauptmann von Tirol (die belangte Behörde) eine dagegen erhobene Berufung des Revisionswerbers gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet ab.

4 Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die gegenständliche Fläche sei eindeutig als Wald im Sinne des § 1a ForstG zu qualifizieren, was auch nicht bestritten worden sei.

5 Die Bewertung der betroffenen Rodefläche bezogen auf deren Schutz-, Wohlfahrts- und Erholungsfunktion durch den forstfachlichen Amtssachverständigen sei schlüssig und nachvollziehbar. Diesen Ausführungen sei der Revisionswerber nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten: Soweit er die forstfachlichen Ausführungen für widersprüchlich halte, weil diese den südlichen Teil der beantragten Rodefläche anders bewerteten als deren nördlichen Teil, habe der Amtssachverständige nachvollziehbar dargelegt, dass für die Bewertung der Schutzfunktion die hochwasserreduzierende Wirkung der betroffenen Waldfläche ausschlaggebend sei. Es sei für die belangte Behörde nachvollziehbar, dass jenem Teil der Rodefläche, der zum Inn eine geringere Entfernung aufweise, eine höhere Schutzfunktion zukomme als dem weiter entfernten südlichen Teil der Rodefläche. Der Hinweis der Berufung darauf, dass das von der Rodung betroffene Grundstück vom Inn durch einen Damm - nämlich den Straßenkörper der Inntalautobahn - getrennt sei, vermöge die Bewertung der betroffenen Waldfläche durch den forstfachlichen Amtssachverständigen nicht in Zweifel zu ziehen. Für die Frage der Wertigkeit der vom Vorhaben betroffenen Rodungsfläche seien die vom Revisionswerber ins Treffen geführten Rodungen im Umgebungsbereich nicht relevant.

6 Somit sei die Erstbehörde zu Recht von einem besonderen öffentlichen Interesse an der Erhaltung der betroffenen Fläche als Wald ausgegangen, weshalb eine auf § 17 Abs. 2 ForstG gestützte Rodungsbewilligung nicht zulässig sei.

7 Der Revisionswerber bringe vor, zum Erhalt seiner Landwirtschaft und damit zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz sei eine Aufstockung seiner landwirtschaftlichen Flächen dringend notwendig; er habe schon vergeblich versucht, andere Flächen zu erwerben. Die beabsichtigte Agrarstrukturverbesserung durch die beantragte Rodung sei daher unabdingbar, um seinen landwirtschaftlichen Betrieb wirtschaftlich weiter führen zu können. Die Erstbehörde übersehe, dass ohne die beabsichtigte Agrarstrukturverbesserung der wirtschaftliche Betrieb in seiner Existenz gefährdet sei. Dies beweise insbesondere das (vom Revisionswerber schon im erstbehördlichen Verfahren vorgelegte) Gutachten des gerichtlich beeideten landwirtschaftlichen Sachverständigen DI D.N.

8 In diesem Gutachten werde - so die belangte Behörde weiter -

ausgeführt, dass die beantragte Rodung "in erster Linie ihr Augenmerk auf die Erhaltung eines vitalen landwirtschaftlichen Betriebes richten" müsse; der Hof des Revisionswerbers erfülle "mit der angestrebten Umstrukturierung von Milchvieh auf Mutterkühe viele dieser Aspekte: regionale Lebensmittelproduktion, biologische, nachhaltige Wirtschaftsweise, eine angepasste und aussterbende Tierrasse mit dem Originalen Braunvieh, der Schutz des Ländlichen Raumes mit seiner schönen Landschaft als Ganzes". Weiters müsse es "im öffentlichen Interesse gelegen sein, wenn ein landwirtschaftlicher Betrieb in einem Umfeld von rückläufigen Betriebszahlen und weniger werdenden landwirtschaftlichen Flächen die Produktion aufrecht erhält und durch nachhaltig produzierte biologische Lebensmittel eine bessere Energiebilanz in der Landwirtschaft zu erreichen versucht (weniger Verkehr, ein geschlossener Nährstoffkreislauf mit eigenem Futter für die eigenen Tiere, regionaler Produktabsatz, etc.)".

9 Nach den Ausführungen in dem vom Revisionswerber vorgelegten Gutachten - so die belangte Behörde weiter - werde der vom Revisionswerber beabsichtigte landwirtschaftliche Betrieb insbesondere dem Ziel einer nachhaltigen Landwirtschaft gerecht; einer solchen Zielsetzung sei durchaus ein öffentliches Interesse zuzuerkennen. Allerdings lasse sich aus dem Privatgutachten nicht ableiten, dass bei Nichtumsetzung des beantragten Vorhabens der landwirtschaftliche Betrieb des Revisionswerbers in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet sei; daher bewerte die belangte Behörde im Einklang mit der Erstbehörde das Interesse an der Erhaltung der von der Rodung betroffenen Waldfläche höher als das Interesse an der vom Revisionswerber vorgesehenen Agrarstrukturverbesserung.

10 Es lägen somit die Voraussetzungen für die Erteilung einer forstrechtlichen Bewilligung (auch) gemäß § 17 Abs. 3 ForstG nicht vor.

11 3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Revision im Sinn des § 4 Abs. 1 erster Satz Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz - VwGbk-ÜG.

12 Das gemäß Art. 151 Abs. 51 Z. 9 B-VG an die Stelle der belangten Behörde getretene Landesverwaltungsgericht Tirol hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, ohne eine Gegenschrift zu erstatten.

II.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13 1. Für die Behandlung der vorliegenden (Übergangs‑)Revision gemäß § 4 Abs. 1 VwGbk-ÜG gelten gemäß § 4 Abs. 5 vorletzter Satz VwGbk-ÜG die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung - mit einer hier nicht in Betracht kommenden Maßgabe - sinngemäß.

14 2.1. Gemäß § 17 Abs. 1 ForstG ist die Verwendung von Waldboden zu anderen Zwecken als für solche der Waldkultur (Rodung) verboten.

15 Unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 1 kann die Behörde gemäß § 17 Abs. 2 ForstG eine Bewilligung zur Rodung erteilen, wenn ein besonderes öffentliches Interesse an der Erhaltung dieser Fläche als Wald nicht entgegensteht.

16 Ein besonderes, einer Rodungsbewilligung nach § 17 Abs. 2 ForstG entgegenstehendes öffentliches Interesse an der Walderhaltung ist nach den Gesetzesmaterialien (RV zur Novelle BGBl. I Nr. 59/2002, 970 BlgNR 21. GP , 32) dann gegeben, wenn es sich um Waldflächen handelt, denen mittlere oder hohe Schutzwirkung, mittlere oder hohe Wohlfahrtswirkung oder hohe Erholungswirkung gemäß Waldentwicklungsplan zukommt. Ob dies im konkreten Fall zutrifft, ist von der Forstbehörde anhand des Gutachtens eines forstlichen Sachverständigen zu beurteilen, wobei dem Waldentwicklungsplan eine wesentliche Indizwirkung zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2013, Zl. 2011/10/0164, mwN).

17 2.2. Dem angefochtenen Bescheid liegt das unter anderem auf den Waldentwicklungsplan gestützte Gutachten eines forstfachlichen Amtssachverständigen vom 25. Juni 2013 zugrunde, dem zufolge dem nördlichen Teil der zur Rodung beantragten Fläche hohe Schutzfunktion und eine mittlere Wohlfahrtsfunktion, dem südlichen Teil der Rodungsfläche mittlere Schutzfunktion und eine hohe Wohlfahrtsfunktion zukommt.

18 Die Revision wendet sich gegen diese auf sachverständiger Grundlage vertretene Auffassung der belangten Behörde lediglich mit dem Vorbringen, der Revisionswerber habe "klare Widersprüche im Gutachten des Amtssachverständigen aufgezeigt", wobei - wie im Verwaltungsverfahren - auf den den Inn vom betroffenen Grundstück trennenden Straßenkörper der Inntalautobahn hingewiesen wird. Offensichtlich sei der Amtssachverständige bei seiner Beurteilung nicht von "den natürlichen Gegebenheiten" ausgegangen. Dessen Ausführungen seien auch insofern "widersprüchlich", als nach diesen der südliche Teil der Rodungsfläche geringere Bedeutung für die Schutzfunktion habe als der nördliche Teil.

19 Mit diesem Vorbringen tritt die Revision allerdings den dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Ausführungen des forstfachlichen Amtssachverständigen - wie schon im Verwaltungsverfahren - nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen. Die belangte Behörde hat in ihren beweiswürdigenden Ausführungen auf nachvollziehbare und schlüssige Weise begründet, weshalb sie nicht von dem behaupteten Widerspruch im Gutachten des Amtssachverständigen ausgehe.

20 Die Hinweise der Revision darauf, dass auf benachbarten Grundstücken eine Motocross-Strecke bewilligt bzw. ein Wochenendhaus genehmigt worden sei und dass auf bestimmten weiteren Grundstücken "erst eine Rodung" stattgefunden habe, vermag daran nichts zu ändern.

21 3.1. Da somit sowohl ein in der Schutzwirkung als auch ein in der Wohlfahrtsfunktion begründetes besonderes öffentliches Interesse an der Walderhaltung (vgl. § 17 Abs. 2 ForstG) vorliegt, kommt die Erteilung einer Rodungsbewilligung gemäß § 17 Abs. 3 ForstG nur in Betracht, wenn ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche das öffentliche Interesse an der Erhaltung dieser Fläche als Wald überwiegt.

22 Als dabei zu berücksichtigendes öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der Fläche kommt - fallbezogen - aus der beispielhaften Aufzählung des § 17 Abs. 4 ForstG nach dem gesamten Vorbringen des Revisionswerbers die "Agrarstrukturverbesserung" in Betracht.

23 3.2. In dieser Hinsicht ist die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung zutreffend davon ausgegangen, dass ein in der Agrarstrukturverbesserung begründetes öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche dann zu bejahen ist, wenn die Rodung eine Maßnahme darstellt, die für die Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebes unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung dieses Betriebes oder dem gleichermaßen bedeutsamen Blickwinkel der Erfordernisse eines zeitgemäßen Wirtschaftsbetriebes notwendig ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2010/10/0130, mwN); rein privatwirtschaftliche Nützlichkeits- oder Zweckmäßigkeitserwägungen reichen zur Begründung eines öffentlichen Interesses an einer anderweitigen Verwendung von Waldboden (unter dem Gesichtspunkt der Agrarstrukturverbesserung) nicht aus (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Juni 2013, Zl. 2012/10/0133, mwN, sowie die Judikaturnachweise bei Brawenz/Kind/Wieser, ForstG4 E 53a bis 53c zu § 17).

24 In diesem Zusammenhang bringt der Revisionswerber vor, er habe "ausreichend und aufschlussreich dargelegt", dass er zur Erhaltung seines landwirtschaftlichen Betriebes unbedingt eine Flächenaufstockung brauche; unabhängig von der Art der weiteren Führung des Betriebes sei davon auszugehen, dass eine Existenzgefährdung des Betriebes vorliege. Diese Existenzgefährdung für den Betrieb des Revisionswerbers liege "evident auf der Hand"; die belangte Behörde hätte "dahingehend" Ermittlungen auch von Amts wegen führen müssen.

25 Mit diesem - bereits in der Berufung gegen den erstbehördlichen Bescheid erstatteten - Vorbringen wird allerdings gar nicht konkret dargelegt, inwiefern die vom Revisionswerber angestrebte Flächenaufstockung unter dem Gesichtspunkt der Existenzsicherung seines Betriebes oder dem Blickwinkel der Erfordernisse eines zeitgemäßen Wirtschaftsbetriebes notwendig wäre.

26 3.3. Die belangte Behörde hat ihrer Beurteilung dieses Vorbringens des Revisionswerbers das von diesem selbst vorgelegte Gutachten des gerichtlich beeideten Sachverständigen DI D.N. zugrunde gelegt, welches zur Beurteilung des konkreten öffentlichen Interesses an der Agrarstrukturverbesserung durch die beantragte Rodung eine "vereinfachte Bewirtschaftbarkeit" durch eine "geringfügige Flächenarrondierung", den Umstand, dass aus verschiedenen in der Begründung des angefochtenen Bescheides wiedergegebenen Aspekten (vgl. oben Rz 8) die angestrebte "Umstrukturierung von Milchvieh auf Mutterkühe" wünschenswert sei, sowie eine "bessere Energiebilanz in der Landwirtschaft" durch "nachhaltig produzierte biologische Lebensmittel" ins Treffen führt.

27 Wenn die belangte Behörde angesichts dieses Vorbringens des Revisionswerbers zu dem von ihm geltend gemachten öffentlichen Interesse an der Agrarstrukturverbesserung und unter Zugrundelegung des vom Revisionswerber selbst vorgelegten Gutachten zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche das öffentliche Interesse an der Erhaltung dieser Fläche als Wald nicht überwiege (vgl. § 17 Abs. 3 ForstG), so ist dies durch den Gerichtshof nicht zu beanstanden. Weiterer Erhebungen durch die belangte Behörde bedurfte es in diesem Zusammenhang - entgegen der Auffassung des Revisionswerbers - nicht.

28 4. Aus diesen Gründen war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

29 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Z. 1 und § 4 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 und der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 9. November 2016

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