Normen
AVG §17;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §62 Abs1;
AVG §63 Abs5;
B-VG Art133 Abs4;
B-VG Art133 Abs9;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §28 Abs1;
VwGVG 2014 §31;
VwGVG 2014 §7 Abs4;
ZustG §9 Abs3;
AVG §17;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §62 Abs1;
AVG §63 Abs5;
B-VG Art133 Abs4;
B-VG Art133 Abs9;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §28 Abs1;
VwGVG 2014 §31;
VwGVG 2014 §7 Abs4;
ZustG §9 Abs3;
Spruch:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom 12. August 2014 wurde die Revisionswerberin betreffend insgesamt 13 Glücksspielautomaten jeweils der Übertretung des § 52 Abs 1 Z 1 dritter Fall iVm § 2 Abs 4 Glücksspielgesetz (GSpG) für schuldig erkannt und über sie eine Geldstrafe von je EUR 3.000,-- sowie im Falle ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitstrafe von je 35 Stunden verhängt. Im Kopf des Straferkenntnisses wurde die Revisionswerberin persönlich als Empfängerin angegeben und das Straferkenntnis - an die Revisionswerberin adressiert - dieser durch Hinterlegung am 19. August 2014 zugestellt.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die am 13. November 2014 gegen das Straferkenntnis eingebrachte Beschwerde gemäß § 31 VwGVG als unzulässig zurück und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig.
Es legte dieser Entscheidung zugrunde, dass das Beschwerdevorbringen, wonach das angefochtene Straferkenntnis von der belangten Behörde im Rahmen einer Akteneinsicht am 12. November 2014 ausgehändigt und sohin zugestellt worden sei und die Beschwerdeerhebung deshalb mit 13. November 2014 rechtzeitig sei, im Akt keine Deckung finde. Das Straferkenntnis sei der Revisionswerberin vielmehr am 19. August 2014 durch Hinterlegung rechtsgültig zugestellt worden. Die Revisionswerberin sei im Verfahren erster Instanz nicht rechtsfreundlich vertreten gewesen. Sie sei erst im Beschwerdeverfahren anwaltlich vertreten. Das Straferkenntnis sei daher zu Recht an die Revisionswerberin persönlich adressiert und ihr bereits am 19. August 2014 durch Hinterlegung zugestellt worden. Eine Zustellung am 12. November 2014 sei daher nicht möglich. Die vierwöchige Beschwerdefrist habe vielmehr am 19. August 2014 begonnen und am 16. September 2014 geendet. Die erst am 13. November 2014 per Telefax erhobene Beschwerde sei deshalb jedenfalls verspätet.
Gegen diesen Beschluss erhob die Revisionswerberin Beschwerde gemäß Art 144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 19. Februar 2015, E 79/2015-4, ablehnte und die Beschwerde antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art 144 Abs 3 und 4 B-VG zur Entscheidung abtrat. In der Folge erhob die Revisionswerberin die vorliegende außerordentliche Revision, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Das Landesverwaltungsgericht Tirol legte die Akten vor. Die Landespolizeidirektion Tirol erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Bei einer Zurückweisung einer Beschwerde wegen Verspätung handelt es sich um einen verfahrensabschließenden Beschluss, der grundsätzlich mittels abgesonderter Revision bekämpft werden kann.
Nach Art 133 Abs 4 und 9 B-VG ist gegen einen solchen Beschluss des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs 3 leg cit) zu überprüfen.
Die vorliegende Revision erweist sich im Hinblick auf die dazu dargelegte Frage, ob der Revisionswerberin die Verspätung ihres Rechtsmittels vor Zurückweisung ihrer Beschwerde vorzuhalten gewesen wäre, als zulässig und berechtigt.
Die Revisionswerberin moniert als wesentlichen Verfahrensmangel die unterlassene Einräumung der Möglichkeit zur Stellungnahme zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde. Wäre ihr die Verspätung vorgehalten worden, hätte sie auf die Vollmachtsbekanntgabe ihres Rechtsvertreters vom 18. Juni 2014 und das Datum 12. November 2014 auf der Kopie des Straferkenntnisses hingewiesen. Der Rechtsvertreter der Revisionswerberin habe bereits am 18. Juni 2014 eine Rechtfertigung für die Revisionswerberin eingebracht und sich gleichzeitig auf eine erteilte Bevollmächtigung gemäß § 10 Abs 1 AVG berufen. Eine Zustellung des Straferkenntnisses wäre seither gemäß § 9 Abs 3 ZustG nur an ihn möglich gewesen. Im Rahmen der Akteneinsicht am 12. November 2014 sei die mit der am 18. Juni 2014 eingebrachten Rechtfertigung bekanntgegebene Bevollmächtigung der erstinstanzlichen Behörde angezeigt und die Empfangsbestätigung vorgelegt worden, woraufhin eine mit 12. November 2014 datierte Kopie des Straferkenntnisses ausgehändigt worden sei. Das Original des Straferkenntnisses habe der Rechtsvertreter der Revisionswerberin bis dato nicht erhalten.
Der Revision angeschlossen sind unter anderem eine Kopie der mit 18. Juni 2014 datierten Rechtfertigung sowie eine Kopie des mit 12. November 2014 datierten Straferkenntnisses. Im Verwaltungsakt sind überdies die mit 18. Juni 2014 datierte Rechtfertigung samt Hinweis auf die gemäß § 10 Abs 1 AVG an den rechtsfreundlichen Vertreter der Revisionswerberin erteilte Bevollmächtigung und ein diesbezüglicher Sendebericht vom 18. Juni 2014 samt erläuterndem Schreiben des Rechtsvertreters vom 2. Dezember 2014, sämtliches per Telefax am 2. Dezember 2014 an die Landespolizeidirektion Tirol übermittelt, ersichtlich.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012, BGBl I Nr 51/2012, ist die Rechtsfrage, ob eine Berufung rechtzeitig oder verspätet eingebracht wurde, aufgrund von Tatsachen zu entscheiden, welche die Behörde festzustellen hat. Dabei ist der Partei gemäß § 45 Abs 3 AVG Gelegenheit zu geben, vom Ermittlungsergebnis Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Dem Rechtsmittelwerber ist selbst eine nach dem Akteninhalt offenkundige Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten (vgl VwGH vom 6. März 2014, 2012/11/0061). Die Verletzung dieser Verfahrensvorschrift führt zu einem rechtserheblichen Verfahrensmangel, wenn nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei dessen Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl VwGH vom 27. Jänner 2012, 2008/02/0286 und vom 18. Februar 2015, 2012/10/0229).
Diese Rechtsprechung gilt auch für die hier anzuwendende Rechtslage nach der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012. Bei der Prüfung der Rechtzeitigkeit einer Beschwerde handelt es sich um eine Rechtsfrage gemäß § 28 Abs 1 VwGVG, die, wenn Anhaltspunkte für die Verspätung vorliegen, von Amts wegen zu erfolgen hat (vgl VwGH vom 24. März 2015, Ra 2015/09/0011). Das Verwaltungsgericht hat dazu nach amtswegigen Erhebungen Tatsachen festzustellen.
Gemäß § 38 VwGVG sind soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG in Verwaltungsstrafsachen die Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG mit Ausnahme des 5. Abschnittes des II. Teils, und des Finanzstrafgesetzes - FinStrG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Gemäß § 24 VStG sind unter anderem die §§ 37 erster Satz sowie 45 Abs 3 AVG in Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden. Demnach ist den Parteien vom Verwaltungsgericht auch außerhalb einer mündlichen Verhandlung bereits im Rahmen der amtswegigen Prüfung der Rechtzeitigkeit der Beschwerde Gelegenheit zu geben, zu dabei hervorkommenden Tatsachen und Ermittlungsergebnissen Stellung zu nehmen.
Insbesondere zu der Annahme, dass die Revisionswerberin im behördlichen Verwaltungsstrafverfahren nicht rechtsfreundlich vertreten war und deshalb das Straferkenntnis zu Recht von der Landespolizeidirektion Tirol persönlich an die Revisionswerberin adressiert und am 19. August 2014 durch Hinterlegung zugestellt worden sei, hat es das Landesverwaltungsgericht Tirol unterlassen, der Revisionswerberin Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dies stellt einen erheblichen Verfahrensmangel dar, zumal nicht auszuschließen ist, dass das Landesverwaltungsgericht Tirol nach Hinweis auf die nach dem Vorbringen der Revisionswerberin der Verwaltungsstrafbehörde am 18. Juni 2014 per Telefax übermittelte Rechtfertigung samt Berufung gemäß § 10 Abs 1 AVG auf die dem rechtsfreundlichen Vertreter erteilte Vollmacht zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können.
Die Revision erweist sich bereits insofern als berechtigt.
Sollte im fortzusetzenden Verfahren das Landesverwaltungsgericht Tirol zu dem Ergebnis kommen, dass bereits vor Erlassung des Straferkenntnisses der Rechtsvertreter der Revisionswerberin im Zusammenhang mit der Einbringung der Rechtfertigung mit am 18. Juni 2014 übermittelten Schriftsatz durch Berufung auf die erteilte Vollmacht gemäß § 10 Abs 1 letzter Satz AVG die Bevollmächtigung gegenüber der Strafbehörde bekannt gab, die auch die Zustellbevollmächtigung einschließt (vgl VwGH vom 28. Mai 2013, 2012/05/0157), wird zu beachten sein, dass gemäß § 9 Abs 1 ZustG, soweit in den Verfahrensvorschriften nicht anderes bestimmt ist, die Parteien und Beteiligten andere natürliche oder juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften gegenüber der Behörde zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen können (Zustellungsvollmacht). Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat die Behörde, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist (§ 9 Abs 3 ZustG).
Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Kenntnisnahme von einem Bescheid im Zuge einer Akteneinsicht durch einen Parteienvertreter bzw der Umstand, dass diesem tatsächlich eine Kopie eines Bescheides zukommt, der im Original nicht dem im Verfahren ausgewiesenen Vertreter der Partei sondern der Partei selbst zugestellt wurde, den in der unterlassenen Zustellung an den Parteienvertreter gelegenen Verfahrensmangel nicht heilen (vgl VwGH vom 30. September 1999, 99/02/0102, vom 12. April 1999, 98/11/0289, und vom 27. Mai 1999, 99/02/0083). Sollte nach dem Vorbringen in der Revision dem Vertreter der Revisionswerberin tatsächlich erst im Zuge der Akteneinsicht am 12. November 2014 eine mit diesem Tag datierte Kopie des Bescheides zugekommen sein, ist somit im fortzusetzenden Verfahren zu beachten, dass dies einen allfälligen Zustellmangel gemäß § 9 Abs 3 ZustG nicht heilt. In diesem Fall ist vielmehr davon auszugehen, dass eine rechtsgültige Zustellung des Straferkenntnisses bisher nicht erfolgt ist. Im Einparteienverfahren (als solches stellt sich das behördliche Verwaltungsstrafverfahren dar) setzt die Erhebung einer Beschwerde zwingend die Erlassung eines damit angefochtenen Bescheides voraus (vgl VwGH vom 30. September 1999, 99/02/0102 zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012). Die gegen das Straferkenntnis erhobene Beschwerde der Revisionswerberin wäre diesbezüglich nicht als verspätet, sondern mangels rechtsgültiger Erlassung eines zugrundeliegenden Bescheides als unzulässig zurückzuweisen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl II 518/2013 idF BGBl II 8/2014.
Wien, am 18. November 2015
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