VwGH Ra 2015/08/0156

VwGHRa 2015/08/015628.12.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revisionen der Wiener Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30/3, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes 1.) vom 21. September 2015, Zl. W209 2004442-1/2E, und 2.) vom 21. September 2015, Zl. W209 2114195-1/2E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. P GmbH in Wien, vertreten durch Dr. Heinz-Wilhelm Stenzel, Rechtsanwalt in 1150 Wien, Geibelgasse 16, 2. Dr. U G in Wien, 3. Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1201 Wien, Adalbert Stifterstraße 65-67) zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1151 Abs1;
ASVG §4 Abs2;
ASVG §4 Abs4;
ASVG §4 Abs6;
ASVG §4;
ABGB §1151 Abs1;
ASVG §4 Abs2;
ASVG §4 Abs4;
ASVG §4 Abs6;
ASVG §4;

 

Spruch:

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Kostenersatzbegehren werden abgewiesen.

Begründung

I.

1. Die revisionswerbende Gebietskrankenkasse stellte mit (Ersatz‑)Bescheid vom 13. Juli 2011 fest, dass die Zweitmitbeteiligte auf Grund ihrer Beschäftigung als ärztliche Leiterin bei der erstmitbeteiligten Partei in der Zeit vom 7. März 1986 bis zum 31. März 1999 und vom 1. September 1999 bis 30. September 2007 der Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) versicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG und der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterliegt (Spruchpunkt 1.). Weiters wurden für die genannten Zeiträume die allgemeinen Beitragsgrundlagen und die Beitragsgrundlagen für Sonderzahlungen der Höhe nach festgestellt (Spruchpunkt 2).

2.1. Über den von der erstmitbeteiligten Partei gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch hat der Landeshauptmann von Wien mit Teilbescheid vom 22. Mai 2012 festgestellt, dass die Zweitmitbeteiligte auf Grund ihrer Tätigkeit bei der erstmitbeteiligten Partei in der Zeit vom 7. März 1986 bis 31. März 1999 und vom 1. September 1999 bis 30. September 2007 nicht der Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) versicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG und nicht der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterliegt. Stattdessen wurde festgestellt, dass die Zweitmitbeteiligte auf Grund ihrer Tätigkeit bei der erstmitbeteiligten Partei in der Zeit vom 1. Juli 1996 bis 31. März 1999 und in der Zeit vom 1. September 1999 bis 30. September 2007 der Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) versicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 4 ASVG unterliegt. Das Verfahren betreffe "lediglich die Versicherungspflicht" der Zweitmitbeteiligten. Um Feststellungen über die Höhe allenfalls vorzuschreibender Beiträge zu treffen, müsse zuerst rechtskräftig feststehen, ob und in welchem Zeitraum überhaupt eine Versicherungspflicht nach dem ASVG bestehe.

2. Gegen diesen Bescheid erhoben die erstmitbeteiligte Partei und die revisionswerbende Gebietskrankenkasse Berufungen.

Mit dem zu Ra 2015/08/0156 in Revision gezogenen Erkenntnis vom 21. September 2015 hat das Verwaltungsgericht der als Beschwerde zu behandelnden Berufung der erstmitbeteiligten Partei gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG teilweise stattgegeben, den angefochtenen (Teil‑)Bescheid behoben und festgestellt, dass die Zweitmitbeteiligte auf Grund ihrer Tätigkeit als ärztliche Leiterin der erstmitbeteiligten Partei im Zeitraum vom 20. April 1990 bis 31. Oktober 1992 der Vollversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 3 Z 11 ASVG (idF vor dem Arbeits- und Sozialrechts-Änderungsgesetz 1997 - ASRÄG 1997, BGBl. I Nr. 139) und der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen sei.

Mit dem zu Ra 2015/08/0157 in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht über die als Berufung zu behandelnde Beschwerde der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse gegen den genannten Teilbescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 22. Mai 2012 ausgesprochen, dass die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen werde (Spruchpunkt 1.). Der angefochtene Bescheid werde behoben und es werde (nochmals) festgestellt, dass die Zweitmitbeteiligte auf Grund ihrer Tätigkeit als ärztliche Leiterin der erstmitbeteiligten Partei im Zeitraum vom 20. April 1990 bis zum 31. Oktober 1992 der Vollversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 3 Z 11 ASVG und der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen sei.

Die Revision wurde in beiden Erkenntnissen für nicht zulässig erklärt.

In den im Wesentlichen gleichlautenden Erkenntnissen traf das Verwaltungsgericht die Feststellung, dass die Zweitmitbeteiligte in der Zeit vom 1. Mai 1986 bis zum 31. März 1999 und vom 1. September 1999 bis 30. September 2007 als ärztliche Leiterin iSd § 12 Abs. 3 Wiener Krankenanstaltengesetz (Wr. KAG), LGBl. Nr. 23/1987, der erstmitbeteiligten Partei (einem selbständigen Ambulatorium iSd § 1 Abs. 3 Z 5 Wr. KAG) tätig gewesen sei. Eine schriftliche Vereinbarung über die zu erbringende Leistung liege nicht vor. Mündlich sei vereinbart worden, dass die Zweitmitbeteiligte die Nachfolge des bisherigen Leiters des ärztlichen Dienstes habe antreten sollen. Die Zweitmitbeteiligte habe der erstmitbeteiligten Partei an zwei Wochentagen (zunächst Montag und Mittwoch, dann Dienstag und Donnerstag) im Ausmaß von insgesamt fünf Wochenstunden persönlich, und von Montag bis Freitag (ganztags) telefonisch als ärztliche Leiterin zur Verfügung gestanden und die ärztliche Fachaufsicht ausgeübt. Die Bestellung zur ärztlichen Leiterin sei mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 8. Juni 2000 genehmigt worden.

Darüber hinaus habe die Zweitmitbeteiligte im Institut der erstmitbeteiligten Partei auch Tätigkeiten als Fachärztin für physikalische Medizin ausgeübt. Diese hätten die Behandlung von Patienten sowie die Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen umfasst. Vom 1. Jänner 1978 bis 19. April 1990 und vom 1. November 1992 bis zum 30. Juni 2005 sei die Zweitmitbeteiligte zudem in einem Angestelltenverhältnis zur Stadt Wien gestanden. In den letzten sechs Jahren ihrer Beschäftigung habe die Zweitmitbeteiligte im Institut der erstmitbeteiligten Partei auch privat ordiniert.

Die wesentlichen Betriebsmittel für ihre Tätigkeiten am Institut der erstmitbeteiligten Partei seien der Zweitmitbeteiligten von der erstmitbeteiligten Partei zur Verfügung gestellt worden. Als ärztliche Leiterin sei sie nicht an bestimmte Arbeitszeiten gebunden gewesen. Sie sei in dieser Funktion auch keinen Weisungen ihres Dienstgebers unterlegen, wie und wann sie die ihr übertragenen Aufgaben wahrnehmen solle.

Sodann führte das Verwaltungsgericht weiter aus:

"Die Tätigkeit als Fachärztin für physikalische Medizin für das Institut ist nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens, weil der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides ausdrücklich nur die Tätigkeit als ärztliche Leiterin nennt und somit über weitere Tätigkeiten für das Institut nicht bescheidmäßig abgesprochen wurde. Näheres dazu ist der rechtlichen Beurteilung weiter unten zu entnehmen. Feststellungen hinsichtlich dieser Tätigkeit erübrigen sich daher."

Die Zweitmitbeteiligte habe sich im Fall der Verhinderung (der Ausübung der Tätigkeit als ärztliche Leiterin) von einem geeigneten Vertreter ihrer Wahl vertreten lassen können, den sie ab April 2000 auch selbst habe bezahlen müssen. Diese Vertretungsbefugnis habe sie auch regelmäßig im Falle der Verhinderung wegen Urlaubs oder Krankheit ohne Rücksprache mit der Institutsleistung genutzt.

Seit dem 1. Jänner 1978 sei die Zweitmitbeteiligte ordentliches Mitglied der Ärztekammer.

Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der festgestellte Beschäftigungsbeginn (1. Mai 1986) weiche zwar vom bekämpften Bescheid ab, das Datum entspreche jedoch den Angaben der Zweitmitbeteiligten und sei auch vom Geschäftsführer der erstmitbeteiligten Partei, Dr. M., in der Verhandlung vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien im Wesentlichen bestätigt worden. Für den von den Behörden zuvor mit 7. März 1986 festgelegten Beschäftigungsbeginn lägen keine Anhaltspunkte vor. An diesem Tag habe die Zweitmitbeteiligte lediglich ihr Diplom als Fachärztin für physikalische Medizin erlangt.

Dass die Zweitmitbeteiligte als ärztliche Leiterin nicht an bestimmte Arbeitszeiten gebunden gewesen sei, ergebe sich aus dem Wr. KAG, das eine derartige Bindung nicht vorsehe (§ 13 Abs. 1a Wr. KAG). Der Tätigkeitsbereich als ärztliche Leiterin ergebe sich aus § 7 Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (KAKuG), BGBl. Nr. 1/1957. Die Anwesenheitsverpflichtung der ärztlichen Leiterin im Ausmaß von fünf Wochenstunden sei unstrittig in dem zwischen dem Institut der erstmitbeteiligten Partei und der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse abgeschlossenen Werkvertrag festgelegt worden.

Soweit sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten widersprüchliche Angaben hinsichtlich der Gestaltungsmöglichkeiten sowie der Aufzeichnung und Kontrolle der Arbeitszeit ergeben würden, würden sich diese nur auf die von der erstmitbeteiligten Partei für die Zweitmitbeteiligte erbrachten Tätigkeiten als Fachärztin für physikalische Medizin beziehen, die nicht Gegenstand der Beschwerdeverfahren seien. Insofern erübrige sich auch die Vernehmung der zu diesem Beweisthema beantragten Zeugen.

Der Zweitmitbeteiligten sei nur im Verhinderungsfall ein Vertretungsrecht zugekommen. Das ergebe sich - abgehen von § 12 Abs. 5 Wr. KAG - unmittelbar aus der von ihr übernommenen Tätigkeit, die grundsätzlich eine persönliche Arbeitspflicht voraussetze, die nicht nach Gutdünken auf andere geeignete Personen überbunden werden könne.

Beweiswürdigend sei auch zu berücksichtigen, dass die Zweitmitbeteiligte in einem Schreiben an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 26. Juni 2006 - anwaltlich vertreten - mitgeteilt habe, im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses für die erstmitbeteiligte Partei tätig geworden zu sein. Erst nachdem die revisionswerbende Gebietskrankenkasse der Zweitmitbeteiligten am 3. August 2006 mitgeteilt habe, dass ein Pflichtversicherung als freie Dienstnehmerin iSd § 4 Abs. 4 ASVG bei Ärzten nicht in Betracht komme, habe sie ihr Vorbringen in Richtung eines (echten) Dienstverhältnisses gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG geändert.

In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, nach der vom 1. Juli 1996 bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung des § 4 Abs. 4 ASVG sei die Versicherungspflicht auf Grund eines freien Dienstvertrages u.a. ausgeschlossen gewesen, wenn die Tätigkeit bereits eine Pflichtversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz (§ 2 Abs. 1 FSVG) unterlegen sei oder hätte unterliegen können. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 FSVG seien die ordentlichen Kammerangehörigen einer Ärztekammer, sofern sie freiberuflich tätig seien, in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen pflichtversichert. In der vom 1. Jänner 1998 bis 31. Juli 2001, vom 1. August 2001 bis 31. Dezember 2005 und vom 1. Jänner 2006 bis 31. Juli 2009 geltenden Fassung (des § 4 Abs. 4 ASVG) sei die Versicherungspflicht auf Grund eines freien Dienstvertrages u. a. ausgeschlossen gewesen, wenn eine freiberufliche Tätigkeit ausgeübt worden sei, die eine Zugehörigkeit zu einer gesetzlichen Berufsvertretung (Kammer) begründet habe.

Gemäß § 4 Abs. 3 Z 11 ASVG seien (vom 1. Jänner 1988 bis 31. Dezember 1999) den Dienstnehmern u.a. Personen hinsichtlich ärztlicher Tätigkeiten iSd § 20a Abs. 1 des Ärztegesetzes 1984 gleichgestanden.

In den Beschwerdeverfahren sei strittig, ob die Zweitmitbeteiligte auf Grund ihrer Tätigkeit als ärztliche Leiterin bei der erstmitbeteiligten Partei in persönlicher Abhängigkeit in einem Dienstverhältnis iSd § 4 Abs. 2 ASVG gestanden oder freie Dienstnehmerin iSd § 4 Abs. 4 ASVG gewesen sei. Ihre sonstigen Tätigkeiten für die erstmitbeteiligte Partei, insbesondere jene als Fachärztin für physikalische Medizin, seien nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens. Zwar sei weder dem Spruch noch der Begründung des Teilbescheides des Landeshauptmannes von Wien eine Einschränkung auf die Tätigkeit als ärztliche Leiterin zu entnehmen. Maßgeblich sei jedoch der erstinstanzliche (Ersatz‑)Bescheid der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse, dessen Spruch ausdrücklich nur auf die Tätigkeit als ärztliche Leiterin abstelle. Dieser Spruch bilde die Sache des Einspruchsverfahrens vor dem Landeshauptmann und sei daher auch äußerster Rahmen für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Von einer (untrennbaren) Verschränkung der Tätigkeiten, wie der Landeshauptmann gemeint habe, sei nicht auszugehen, weil sich die Tätigkeiten (Leitung des ärztlichen Dienstes einerseits und Behandlung von Patienten andererseits) sowohl inhaltlich als auch nach ihrem Ursprung völlig trennen ließen.

Der Zweitmitbeteiligten sei hinsichtlich ihrer Tätigkeit als Leiterin des ärztlichen Dienstes kein "generelles Vertretungsrecht" zugekommen. Das ergebe sich bereits aus § 12 Abs. 4 Wr. KAG. Die Art ihrer Tätigkeit würde eine ständige Überbindung der Arbeitspflicht auf Dritte von vornherein ausschließen, weil sich dies nachteilig auf die Kontinuität bzw. Qualität der übernommenen Verpflichtung auswirken würde und somit mit dieser nicht im Einklang stünde. Es könne sich daher nur um eine Vertretungsmöglichkeit für Einzelfälle wie Urlaub oder Krankheit handeln. Die erstmitbeteiligte Partei habe nicht behauptet, dass sich die Zweitmitbeteiligte über die genannten Einzelfälle hinaus habe vertreten lassen. Es habe schon aus diesem Grund persönliche Arbeitspflicht bestanden.

Die Zweitmitbeteiligte habe ihre Tätigkeit ausschließlich in den Betriebsräumlichkeiten der erstmitbeteiligten Partei ausgeübt. Dieser Umstand sei jedoch nicht unterscheidungskräftig, weil die Ausübung der Tätigkeit (Leitung des ärztlichen Dienstes) der Natur der Sache nach nur im Institut der erstmitbeteiligten Partei möglich gewesen sei.

Die Zweitmitbeteiligte habe ihre Arbeitszeit (jedenfalls als ärztliche Leiterin) frei gestalten können. Sie sei diesbezüglich weder an Weisungen ihres Dienstgebers gebunden gewesen, noch habe sie sich an den betrieblichen oder organisatorischen Erfordernissen orientieren müssen. Dies träfe auch dann zu, wenn sich aus den gesetzlichen Vorgaben des Wr. KAG tatsächlich eine tägliche Anwesenheitsverpflichtung des ärztlichen Leiters ableiten ließe. Die Zweitmitbeteiligte sei in persönlicher Unabhängigkeit tätig gewesen. Es liege ein freier Dienstvertrag iSd § 4 Abs. 4 ASVG vor.

In der vom 1. Juli 1996 bis 31. Dezember 1997 geltenden Fassung des § 4 Abs. 4 ASVG sei die Versicherungspflicht auf Grund eines freien Dienstvertrages (u.a.) ausgeschlossen gewesen, wenn die Tätigkeit bereits eine Pflichtversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz unterlag oder hätte unterliegen können, wobei gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 FSVG, auf den die Bestimmung ausdrücklich verweise, die ordentlichen Kammerangehörigen einer Ärztekammer, sofern sie freiberuflich tätig gewesen seien, in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen pflichtversichert gewesen seien.

In der vom 1. Jänner 1998 bis 31. Juli 2001, vom 1. August 2001 bis 31. Dezember 2005 und vom 1. Jänner 2006 bis 31. Juli 2009 geltenden Fassung des § 4 Abs. 4 ASVG sei die Versicherungspflicht auf Grund eines freien Dienstvertrages (u.a.) ausgeschlossen gewesen, wenn eine freiberufliche Tätigkeit ausgeübt worden sei, die die Zugehörigkeit zu einer gesetzlichen Berufsvertretung (Kammer) begründet habe. Hinsichtlich der vom 1. Jänner 1998 bis 31. Juli 2009 geltenden Fassungen des § 4 Abs. 4 ASVG lasse sich den Erläuterungen der Regierungsvorlage 179 BlgNR 24. GP entnehmen, dass die Zugehörigkeit zur Kammer ohne das zusätzliche Erfordernis der förmlichen Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit zur Erfüllung des Ausnahmetatbestandes genüge. Diese Ansicht decke sich auch mit der des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger, wonach eine Ärztin, die als angestellte Ärztin in die Ärzteliste eingetragen sei und als Dienstnehmerin eine Beschäftigung als Schulärztin ausübe, nach Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse entweder nach § 4 Abs. 2 ASVG pflichtversichert oder als Wohnsitzarzt nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG versichert sei und auf Grund des Ausnahmetatbestandes § 4 Abs. 4 lit. c ASVG eine Pflichtversicherung als freie Dienstnehmerin nach § 4 Abs. 4 ASVG jedenfalls ausgeschlossen sei.

Da die Zweitmitbeteiligte im beschwerdegegenständlichen Zeitraum den Beruf einer Ärztin ausgeübt habe und Mitglied der Ärztekammer sei, ziehe der Umstand, dass sie sich auf Grund eines freien Dienstvertrages zur Erbringung von Dienstleistungen verpflichtet habe, keine Gleichstellung mit einer Dienstnehmerin iSd § 4 Abs. 2 ASVG nach sich.

Vor dem 1. Juli 1996 seien freie Dienstnehmer iSd § 4 Abs. 4 ASVG nicht in die Pflichtversicherung nach dem ASVG eingebunden gewesen. Zu prüfen sei jedoch, ob die Tätigkeit - ab Inkrafttreten des § 4 Abs. 3 Z 11 ASVG am 1. Jänner 1998 bis zum Außerkrafttreten am 31. Dezember 1999 - der Vollversicherungspflicht nach dieser Bestimmung unterlegen sei.

Der Versicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 3 Z 11 ASVG unterlägen Ärzte, die ausschließlich wohnsitzärztliche Tätigkeiten ausübten (Wohnsitzärzte). Wohnsitzärztliche Tätigkeiten seien solche, die weder in einem Angestelltenverhältnis ausgeübt würden noch einer Ordinationsstätte bedürften. Keiner Ordinationsstätte bedürften ärztliche Tätigkeiten, die ausdrücklich vom Ordinationserfordernis ausgenommen seien (vgl. § 45 Abs. 3 Ärztegesetz 1998 und § 19 Abs. 3 Ärztegesetz 1984), Ordinationsvertretungen und Tätigkeiten in Kranken- und Kuranstalten. Mit der Ausübung einer derartigen Tätigkeit werde der Arzt allerdings noch nicht zum Wohnsitzarzt, sondern nur dann, wenn er ausschließlich solche Tätigkeiten durchführe, also weder Tätigkeiten im Rahmen eines echten Dienstverhältnisses noch als freiberuflich niedergelassener Arzt ausübe. Die Tätigkeit als ärztliche Leiterin bei der erstmitbeteiligten Partei, einer Kuranstalt, bedurfte zwar keiner Ordinationsstätte. Die Zweitmitbeteiligte sei jedoch vom 1. Jänner 1978 bis 19. April 1990 und vom 1. November 1992 bis zum 30. Juni 2005 in einem Angestelltenverhältnis zur Stadt Wien gestanden. Damit scheide die Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs. 3 Z 11 ASVG im fraglichen Zeitraum (1. Jänner 1988 bis 31. März 1999 und 1. September 1999 bis 31. Dezember 1999) vom 1. Jänner 1988 bis 19. April 1990 und vom 1. November 1992 bis 31. Dezember 1999 aus, wodurch auch die Übergangsbestimmung des § 572 Abs. 4 ASVG nicht zur Anwendung komme.

Somit sei der angefochtene Bescheid "zu beheben" und lediglich für die Zeit vom 20. April 1990 bis zum 31. Oktober 1992 festzustellen, dass die beschwerdegegenständliche Tätigkeit der Zweitmitbeteiligten für die erstmitbeteiligte Partei der Vollversicherungspflicht nach § 4 Abs. 3 Z 11 ASVG unterlegen sei. Gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG sei für den genannten Zeitraum auch die Versicherungspflicht nach dem AlVG festzustellen.

3. Gegen diese Erkenntnisse richten sich die Revisionen der Gebietskrankenkasse. Die erstmitbeteiligte Partei und die Zweitmitbeteiligte haben Revisionsbeantwortungen erstattet.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Verwaltungsgericht hat die Ansicht vertreten, dass es sich bei den Tätigkeiten der Zweitmitbeteiligten für die erstmitbeteiligte Partei als ärztliche Leiterin bzw. als Fachärztin für physikalische Medizin um zwei trennbare Tätigkeiten handle, die einer getrennten rechtlichen Beurteilung zu unterziehen seien. Der erstinstanzliche Bescheid der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse vom 13. Juli 2011 habe nur über die Tätigkeit der Zweitmitbeteiligten als ärztliche Leiterin, nicht jedoch über ihre Tätigkeit als Fachärztin abgesprochen. Über die dadurch begrenzte Sache des Beschwerdeverfahrens könne das Verwaltungsgericht nicht hinausgehen.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die revisionswerbende Gebietskrankenkasse im genannten Bescheid nicht die Ansicht vertreten hat, die Tätigkeiten als ärztliche Leiterin und als Fachärztin für physikalische Medizin für die erstmitbeteiligte Partei wären im Hinblick auf den Eintritt einer Pflichtversicherung getrennt zu beurteilen. Im erstinstanzlich festgestellten Sachverhalt findet sich keine Einschränkung der Beurteilung der Tätigkeit der Zweitmitbeteiligten. Die zusammenfassende Bezeichnung der Tätigkeit im Spruch (hier als "ärztliche Leiterin") ändert nichts daran, dass Sache des Verwaltungsverfahrens die Beurteilung der Pflichtversicherung der Zweitmitbeteiligten auf Grund ihrer Tätigkeit für die erstmitbeteiligte Partei im genannten Zeitraum ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt darauf verwiesen, dass das Nebeneinanderbestehen eines abhängigen Arbeitsverhältnisses und eines freien Dienstverhältnisses bzw. eines Werkvertragsverhältnisses - vor dem Hintergrund der rechtlichen Zulässigkeit und der Voraussetzungen einer Vertragsverbindung - zu einem Dienstgeber nicht ausgeschlossen ist; für die Bejahung einer rechtswirksamen Trennung solcher Rechtsverhältnisse kommt es entscheidend auf den Parteiwillen, die objektive Trennbarkeit und auf Überlegungen unter dem Gesichtspunkt arbeitsrechtlicher Schutzprinzipien an. Besteht aber eine solche zeitliche und sachliche Verschränkung der beiden Tätigkeitsbereiche, die es im Zweifel ausschließt, zwei jeweils zeitgleich bestehende, jedoch getrennte Beschäftigungsverhältnisse zum selben Dienstgeber nebeneinander anzunehmen, dann kommt es bei der Beurteilung der Ausübung dieser beiden Tätigkeiten durch denselben Dienstnehmer darauf an, ob in seinem rechtlichen Verhältnis zum Dienstgeber insgesamt die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG überwiegen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. November 2004, Zl. 2002/08/0283, mwN, und vom 31. Jänner 2007, Zl. 2005/08/0178).

Infolge der ungerechtfertigten Einschränkung der Beurteilung der Tätigkeit der Zweitmitbeteiligten durch das Verwaltungsgericht und in Anbetracht der vom Verwaltungsgericht unterlassenen Feststellungen zu allen Aspekten der Tätigkeit der Zweitmitbeteiligten ist es dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich, eine abschließende Beurteilung einerseits zur Frage der Trennbarkeit der Tätigkeitsbereiche des Zweitmitbeteiligten und andererseits zur Frage vorzunehmen, ob eine Abwägung sämtlicher Merkmale des (jeweiligen) Dienstverhältnisses für eine abhängige Beschäftigung iSd § 4 Abs. 2 ASVG spricht.

Ergänzend ist anzumerken, dass § 4 Abs. 6 ASVG nicht nur die Reihenfolge der Prüfung der Frage der Pflichtversicherung nach § 4 ASVG festlegt, sondern diese Frage auch zum Gegenstand eines einzigen Verfahrens macht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. März 2012, Zl. 2009/08/0135). Von verschiedenen Seiten erhobene Rechtsmittel bieten keinen Anlass, über den einheitlichen Streitgegenstand in mehreren Entscheidungen (großteils wiederholend) abzusprechen.

Die angefochtenen Erkenntnisse waren gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Ein Kostenersatz findet gemäß § 47 Abs. 5 VwGG nicht statt.

Wien, am 28. Dezember 2015

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