VwGH Ra 2015/06/0049

VwGHRa 2015/06/004930.9.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Revision der revisionswerbenden Parteien Ing. O M und S M in P, vertreten durch die Pacher & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 1/II/3, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 11. Februar 2015, Zl. LVwG 50.14-2715/2014-28, betreffend eine Bauangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Gemeinderat der Gemeinde H; mitbeteiligte Partei: P P in G, vertreten durch Dr. Klaus Kollmann, Dr. Werner Stegmüller und Mag. Christoph Zauhar, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Reitschulgasse 1; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung, Hofgasse 15, 8010 Graz), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §68 Abs1;
VwRallg;
AVG §56;
AVG §68 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Gemeinde H hat den Revisionswerbern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1. Mit Bescheid vom 2. Juli 2013 erteilte der Bürgermeister der Gemeinde H den Revisionswerbern die Baubewilligung für die Errichtung eines Einfamilienwohnhauses mit überdachter Abstellfläche für zwei Pkw sowie Geländeveränderungen auf einem näher bezeichneten Grundstück unter Vorschreibung von Auflagen.

Dagegen berief die Mitbeteiligte mit Schriftsatz vom 12. Juli 2013.

Der Gemeinderat der Gemeinde H (die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde, im Folgenden: Gemeinderat) wies mit Bescheid vom 12. September 2013 die Berufung als unbegründet ab.

Mit Schriftsatz vom 12. September 2013 erhob die Mitbeteiligte dagegen Vorstellung (nunmehr Beschwerde).

2. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) hob mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 11. Februar 2015 den Bescheid des Gemeinderates auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an den Gemeinderat zurück; weiters sprach das LVwG aus, dass eine ordentliche Revision unzulässig sei.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid des Gemeinderates vom 12. September 2013 baue auf einem Bestand auf, der gegenüber der Mitbeteiligten nicht rechtwirksam bewilligt worden sei (Anmerkung: mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde H vom 29. Februar 2012 war die Baubewilligung für Geländeveränderungen und eine Steinschlichtung auf dem Baugrundstück erteilt worden). Die Mitbeteiligte habe in diesem Bauverfahren rechtzeitig ein zulässiges Vorbringen erstattet, das alle Anforderungen erfülle, die der Verwaltungsgerichtshof für das Vorliegen einer Einwendung im Rechtsinn verlange, indem sie sich als Unterliegerin des Baugrundstückes klar genug gegen Geländeveränderungen ausgesprochen habe, die zur Folge hätten, dass ihre Grundstücke von Oberflächenwässern des Baugrundstückes beeinträchtigt würden. Damit habe sie ihre Parteistellung im Bauverfahren nicht verloren. Da der Mitbeteiligten der Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde H vom 29. Februar 2012 nicht zugestellt worden sei, könne er ihr gegenüber auch keine Rechtswirksamkeit entfalten.

Die Veränderung der Abflussverhältnisse des Oberflächenwassers am Baugrundstück sei weder im ersten noch im zweiten Bauverfahren beurteilt worden, obwohl bekannt sei, dass der Baugrund aus wasserundurchlässigem Lehmboden bestehe. Insbesondere sei (auch) im gegenständlichen Bauverfahren - entgegen der Stellungnahme des bautechnischen Amtssachverständigen im erstinstanzlichen Verfahren - kein hydrologisches Gutachten zur Klärung der Frage vorgelegt bzw. eingeholt worden, wie sich durch die Geländeveränderungen die Abflussverhältnisse im Hinblick auf Menge und Richtung des Wassers veränderten, wohin durch die Geländeveränderungen das Wasser fließe und ob das Oberflächenwasser durch das Bauvorhaben vom Volumen her mehr oder weniger werde. Diese Fragen könnten nur auf Basis von (noch nicht vorhandenen) lesbaren Planunterlagen zu den Geländeveränderungen und der Steinschlichtung und unter Angabe der eingebrachten Materialien beurteilt werden. Die Berechnung des Retentionsvolumens der projektierten Retentionsanlage zur gedrosselten Einleitung der Niederschlagswässer von den versiegelten Flächen (Dachflächen vom Einfamilienhaus und Carport, Zufahrt und Besucherparkplatz) in den westlich des Baugrundstückes verlaufenden Regenwasserkanal in der Expertise des Mag. N. könne eine hydrologische Beurteilung nicht ersetzen (wird näher ausgeführt). Auch die im erstinstanzlichen Baubescheid vorgeschriebenen Auflagen machten die Einholung eines hydrologischen Gutachtens nicht überflüssig (wird gleichfalls näher ausgeführt).

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG könne das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde die notwendigen Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen habe. Die Behörde sei dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen sei.

Bei der bestehenden Sach- und Rechtslage sei nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorzugehen, der angefochtene Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen gewesen, weil der maßgebliche Sachverhalt von der Baubehörde noch nicht festgestellt worden sei und es dazu noch weiterer Sachverhaltsermittlungen (insbesondere der Vorlage bzw. Einholung eines hydrologischen Gutachtens) bedürfe, die das LVwG weder rascher erledigen noch kostensparender durchführen könne.

Auch wenn auf den ersten Blick einiges darauf hindeute, dass schon mit der ersten Geländeveränderung mit Steinschlichtung die Abflussverhältnisse zum Nachteil der Mitbeteiligten verändert worden seien, sei damit aber noch nicht gesagt, dass nicht im Zusammenwirken beider zeitlich knapp hintereinander erfolgten Geländeveränderungen am Baugrundstück - wobei Teile des Baugrundstückes von beiden Geländeveränderungen betroffen gewesen seien - erst jener für die Mitbeteiligte nicht tragbare Abflusszustand herbeigeführt worden sei. Damit könne aber auch nur eine Gesamtbeurteilung der Geländeveränderungen am Baugrundstück die Frage der Veränderung der Abflussverhältnisse des Oberflächenwassers zufriedenstellend beantworten. Dem Einbezug der ersten Geländeveränderungen in das gegenständliche Bauvorhaben stehe der gegenüber der Mitbeteiligten nicht rechtswirksam erlassene Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde H vom 29. Februar 2012 nicht entgegen.

Zusammengefasst sei festzuhalten, dass die beantragte Bewilligung zur Errichtung eines Einfamilienwohnhauses mit überdachter Abstellfläche für zwei Pkw sowie Geländeveränderungen auf dem näher genannten Bauplatz erst dann (allenfalls unter Vorschreibung von vollstreckbaren Auflagen) erteilt werden könne, wenn das Bauprojekt (allenfalls nach einer Projektänderung) dergestalt sei, dass die Oberflächenwässer vom Baugrundstück nicht auf die Grundstücke der Mitbeteiligten gelangten.

Mangels Vorliegens der in Art. 133 Abs. 4 B-VG genannten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision sei eine ordentliche Revision nicht zulässig.

3. Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, in der Sache gemäß § 42 Abs. 1 iVm Abs. 4 VwGG selbst zu entscheiden, der Revision Folge zu geben und den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass der Beschwerde vom 26. September 2013 nicht stattgegeben werde, in eventu, den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, in eventu den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben sowie gemäß den §§ 47 ff VwGG den Aufwandersatz im gesetzlichen Ausmaß zuzusprechen.

Das LVwG legte die Akten vor.

Die Mitbeteiligte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurück-, in eventu als unbegründet abzuweisen.

Der Gemeinderat beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision Folge zu geben und den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass die Beschwerde der Mitbeteiligten als unbegründet abgewiesen werde, in eventu der Revision Folge zu geben und den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 28 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"4. Abschnitt

Erkenntnisse und Beschlüsse

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

  1. 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
  2. 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

..."

Was die Frage der Zulässigkeit einer kassatorischen Entscheidung durch das LVwG betrifft, ist auf das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, zu verweisen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dort mit dieser Frage auseinandergesetzt und dargelegt, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist. Die nach § 28 VwGVG von der meritorischen Entscheidungspflicht verbleibenden Ausnahmen sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.

Das LVwG hat seine kassatorische Entscheidung damit begründet, dass hinsichtlich der behaupteten Veränderung der Abflussverhältnisse des Oberflächenwassers am Baugrundstück durch die Geländeveränderungen bisher kein hydrologisches Gutachten eingeholt worden sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat im vorzitierten Erkenntnis vom 26. Juni 2014 ausgeführt, das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System verlange, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werde, und "wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden

...".

Da im vorliegenden Fall bis auf die Frage der Einleitung von Oberflächenwässern auf das Baugrundstück der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde und keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, die Verwaltungsbehörde habe die Entscheidung in diesem Punkt an das Verwaltungsgericht delegieren wollen, hat das LVwG schon deshalb § 28 VwGVG verkannt (vgl. dazu etwa auch das hg. Erkenntnis vom 4. August 2015, Zl. Ra 2015/06/0039).

Die Revisionswerber machen auch geltend, das LVwG habe entgegen dem ausdrücklichen Gesetzestext und der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung einer anderen Verwaltungsbehörde (im vorliegenden Fall: des Bürgermeisters der Gemeinde H vom 29. Februar 2012) verkannt.

Die Ausführungen im angefochtenen Beschluss lassen nicht den Schluss zu, dass das LVwG sich selbst nicht an diesen Bescheid gebunden erachtete. Das LVwG ist hingegen mit seiner Ansicht im Recht, dass mangels Zustellung des Bescheides des Bürgermeisters der Gemeinde H vom 29. Februar 2012 an die Mitbeteiligte dieser ihr gegenüber nicht formell rechtskräftig geworden ist, kann doch im Mehrparteienverfahren die formelle Rechtskraft für die jeweilige Partei zu verschiedenen Zeitpunkten eintreten (vgl. dazu Hengstschläger/Leeb a.a.O. Rz 11).

5. Spruchteil I. des angefochtenen Beschlusses erweist sich demnach wegen Verkennung des § 28 VwGVG als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Da der über die Frage der Zulässigkeit der Revision absprechende Spruchpunkt II. des angefochtenen Beschlusses, der alleine nicht zu bestehen vermag, und Spruchpunkt I. in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, war der angefochtene Beschluss zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte im Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Der Antrag der Mitbeteiligten auf Zuerkennung von Aufwandersatz war abzuweisen, weil einer mitbeteiligten Partei gemäß § 47 Abs. 3 VwGG nur im Falle der Abweisung der Revision ein Anspruch auf Aufwandersatz zukommt.

Wien, am 30. September 2015

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