VwGH Ro 2014/10/0083

VwGHRo 2014/10/008328.10.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision der B P in Wien, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 13. Jänner 2014, Zl. VGW- 141/028/7161/2014, betreffend Mindestsicherung, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art13 Abs2 lita;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art13 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art16;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art18;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art25;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art7;
EURallg;
Mindestsicherung Vereinbarung Art15a B-VG 2010 Art4 Abs3 Z3;
MSG Wr 2010 §5 Abs2 Z2;
MSG Wr 2010 §5 Abs2;
NAG 2005 §51;
NAG 2005 §53a;
NAG 2005 §54 Abs5;
NAG 2005 §54a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Erkenntnis vom 13. Jänner 2014 hat das Verwaltungsgericht Wien den Mindestsicherungsantrag der Revisionswerberin vom 23. Juli 2013 gemäß § 5 Wiener Mindestsicherungsgesetz - WMG, LGBl. Nr. 38/2010, abgewiesen.

Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Revisionswerberin, eine nigerianische Staatsangehörige, im gemeinsamen Haushalt mit ihren beiden minderjährigen Kindern, die deutsche Staatsangehörige seien, in Wien lebe. Sie verfüge über eine Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005. Die Ehe der Revisionswerberin mit einem deutschen Staatsangehörigen sei am 24. Mai 2013 rechtskräftig geschieden worden.

Zur Beurteilung, ob ein Anspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung bestehe, sei zu prüfen gewesen, ob - neben einem rechtmäßigen Aufenthalt - einer der in § 5 Abs. 2 WMG angeführten Gleichstellungstatbestände verwirklicht sei. Sachverhaltsbezogen sei zu prüfen gewesen, ob die Revisionswerberin eine Familienangehörige eines in § 5 Abs. 2 Z. 2 WMG genannten Unionsbürgers sei. Für die Auslegung des Begriffs "Familienangehörige" könne auf die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Unionsbürgerrichtlinie), zurückgegriffen werden. Da die Ehe der Beschwerdeführerin mit dem Unionsbürger geschieden sei, sei sie jedoch nicht als Familienangehörige gemäß Art. 2 Z. 2 lit. a der Unionsbürgerrichtlinie anzusehen. Auch der Umstand, dass die Kinder der Revisionswerberin deutsche Staatsangehörige seien, verleihe der Revisionswerberin nicht die Stellung als Familienangehörige gemäß Art. 2 Z. 2 lit. d der genannten Richtlinie, weil ihr von ihren Kindern kein Unterhalt gewährt werde. Die Revisionswerberin verfüge auch über keinen der in § 5 Abs. 2 Z. 3 WMG genannten Aufenthaltstitel.

Da die Revisionswerberin somit österreichischen Staatsangehörigen nicht gleichgestellt sei, habe sie keinen Anspruch auf Mindestsicherung.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehle, ob eine Gleichstellung mit österreichischen Staatsangehörigen gemäß § 5 Abs. 2 Z. 3 WMG auch dann gegeben sei, wenn beim Drittstaatsangehörigen allenfalls die Voraussetzungen für ein Recht auf Daueraufenthalt vorlägen, ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" gemäß § 48 NAG jedoch nicht erteilt worden sei.

 

Über die gegen dieses Erkenntnis gerichtete ordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Da zu der hier relevanten und von der Revision aufgeworfenen Frage, ob Personen, deren auf die - ehemalige - Stellung als Angehöriger eines Unionsbürgers zurückzuführendes Aufenthaltsrecht trotz Scheidung der die Angehörigeneigenschaft begründenden Ehe aufrecht bleibt, zum nach dem WMG anspruchsberechtigten Personenkreis zählen, keine hg. Judikatur besteht, ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Die hier maßgeblichen Rechtsvorschriften haben (auszugsweise) folgenden Wortlaut:

Wiener Mindestsicherungsgesetz - WMG, LGBl. Nr. 38/2010, zuletzt geändert durch LGBl. Nr. 29/2013:

"§ 5. (1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu.

(2) Den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie sich rechtmäßig im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist:

...

2. Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der Schweiz, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG) erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben haben und deren Familienangehörige;

3. Personen mit einem Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG' oder 'Daueraufenthalt - Familienangehöriger', denen dieser Aufenthaltstitel nach § 45 oder § 48 NAG erteilt wurde oder deren vor In-Kraft-Treten des NAG erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigung als solche gemäß § 81 Abs. 2 NAG in Verbindung mit der Verordnung der Bundesministerin für Inneres zur Durchführung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung - NAG-DV) weiter gilt;

..."

Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung, BGBl. I Nr. 96/2010 (Mindestsicherungsvereinbarung):

"Artikel 4

Personenkreis

(1) Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sind vorbehaltlich des Abs. 3 für alle Personen für die Dauer ihres gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland vorzusehen, die nicht in der Lage sind, die in Art. 3 genannten Bedarfsbereiche zu decken.

...

(3) Rechtsansprüche auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sind für alle Personen vorzusehen, die zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind. Dazu gehören jedenfalls

...

3. EU-/EWR-BürgerInnen, Schweizer Staatsangehörige und deren Familienangehörige, jeweils soweit sie durch den Bezug dieser Leistungen nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren würden;

4. Personen mit einem Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt-EG' oder 'Daueraufenthalt-Familienangehörige';

..."

Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 144/2013:

"§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

  1. 1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
  2. 2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

    3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

...

§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;

...

§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

...

§ 54. (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

...

(5) Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 und 2 erfüllen und

1. die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet;

...

§ 54a. (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, erwerben das Daueraufenthaltsrecht, wenn sie sich fünf Jahre ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. ...

(2) Vor Ablauf der Fünfjahresfrist erwerben diese Angehörigen das Daueraufenthaltsrecht in den in § 53a Abs. 4 und 5 genannten Fällen.

..."

Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Unionsbürgerrichtlinie):

"Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1. 'Unionsbürger' jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;

2. 'Familienangehöriger'

a) den Ehegatten;

...

Artikel 3

Berechtigte

(1) Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

...

Artikel 7

Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate

(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c) - bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung,

die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

- über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstabens a), b) oder c) erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.

(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a), b) oder c) erfüllt.

(3) Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe a) bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft dem Unionsbürger, der seine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger nicht mehr ausübt, in folgenden Fällen erhalten:

...

Artikel 13

Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder bei

Beendigung der eingetragenen Partnerschaft

...

(2) Unbeschadet von Unterabsatz 2 führt die Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder die Beendigung der eingetragenen Partnerschaft im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b) für Familienangehörige eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, nicht zum Verlust des Aufenthaltsrechts, wenn

a) die Ehe oder die eingetragene Partnerschaft im Sinne von

Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b) bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens oder bis zur Beendigung der eingetragenen Partnerschaft mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Aufnahmemitgliedstaat, oder

b) dem Ehegatten oder dem Lebenspartner im Sinne von

Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b), der nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, aufgrund einer Vereinbarung der Ehegatten oder der Lebenspartner oder durch gerichtliche Entscheidung das Sorgerecht für die Kinder des Unionsbürgers übertragen wird oder

...

Bevor die Betroffenen das Recht auf Daueraufenthalt erwerben, bleibt ihr Aufenthaltsrecht an die Voraussetzung geknüpft, dass sie nachweisen können, dass sie Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und dass sie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder dass sie bereits im Aufnahmemitgliedstaat als Familienangehörige einer Person gelten, die diese Voraussetzungen erfüllt. Als ausreichende Existenzmittel gelten die in Artikel 8 Absatz 4 vorgesehenen Beträge.

Die betreffenden Familienangehörigen behalten ihr Aufenthaltsrecht ausschließlich auf persönlicher Grundlage.

Artikel 16

Allgemeine Regel für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen

(1) Jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, hat das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft.

(2) Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben.

...

Artikel 18

Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt durch bestimmte Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen

Unbeschadet des Artikels 17 erwerben die Familienangehörigen eines Unionsbürgers, auf die Artikel 12 Absatz 2 und Artikel 13 Absatz 2 Anwendung finden und die die dort genannten Voraussetzungen erfüllen, das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben.

...

Artikel 25

Allgemeine Bestimmungen bezüglich der Aufenthaltsdokumente

(1) Die Ausübung eines Rechts oder die Erledigung von Verwaltungsformalitäten dürfen unter keinen Umständen vom Besitz einer Anmeldebescheinigung nach Artikel 8, eines Dokuments zur Bescheinigung des Daueraufenthalts, einer Bescheinigung über die Beantragung einer Aufenthaltskarte für Familienangehörige, einer Aufenthaltskarte oder einer Daueraufenthaltskarte abhängig gemacht werden, wenn das Recht durch ein anderes Beweismittel nachgewiesen werden kann.

..."

Die Revisionswerberin bringt u.a. vor, dass sie von 2005 bis 2013 mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet gewesen sei und mit diesem bis 2010 in Wien im gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Auf sie träfen daher die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 lit. a der Unionsbürgerrichtlinie zu, sodass sie weiterhin über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht als Familienangehörige verfüge und somit anspruchsberechtigt nach dem WMG sei.

Bereits dieses Vorbringen führt die Revision zum Erfolg.

Die Materialien zur Mindestsicherungsvereinbarung, 677 BlgNR XXIV. GP , führen zu Art. 4 Abs. 3 Z. 3 Folgendes aus:

"Zu Art. 4 Abs. 3 Z. 3 ist zunächst festzuhalten, dass nur jene EWR-BürgerInnen einen Anspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung haben sollen, die zu einem Aufenthalt im Inland berechtigt sind. Die Frage der Aufenthaltsberechtigung richtet sich dabei ausschließlich nach den entsprechenden fremdenrechtlichen Bestimmungen.

Weiters ist klarzustellen, dass die umfassende Gleichbehandlungspflicht nur denjenigen EWR-BürgerInnen und Schweizer Staatsangehörigen zukommt, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben (Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG). Für ihre Familienangehörigen ist das Vorhandensein eines abgeleiteten Freizügigkeitsrechts erforderlich."

Gemäß Art. 4 Abs. 3 der Mindestsicherungsvereinbarung sind von den Landesgesetzgebern Rechtsansprüche auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung für alle Personen vorzusehen, die zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind. Primäre Anknüpfung ist somit das Recht zum dauernden Aufenthalt. In den Ziffern 1 - 5 dieser Bestimmung werden Personengruppen aufgezählt, die jedenfalls aufgrund eines solchen dauernden Aufenthaltsrechts anspruchsberechtigt sind, wobei in der Z. 3 u. a. Unionsbürger und deren Familienangehörige genannt werden. Wie sich unter Berücksichtigung der oben wiedergegebenen Materialien eindeutig ergibt, sind davon alle Personen umfasst, denen ein Aufenthaltsrecht nach der ausdrücklich genannten Unionsbürgerrichtlinie zukommt, das seine Grundlage in der Stellung als Familienangehörige eines das Freizügigkeitsrecht in Anspruch nehmenden Unionsbürgers hat.

Gemäß § 5 Abs. 2 Z. 2 WMG sind unter der Voraussetzung des rechtmäßigen Aufenthalts und der Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges u.a. Unionsbürger, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 NAG erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben haben, und deren Familienangehörige den österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt und daher anspruchsberechtigt.

Das Gesetz stellt somit auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger ab, deren Aufenthaltsrecht nicht vom Vorhandensein ausreichender Existenzmittel abhängt (siehe insbesondere §§ 51 und 53a NAG sowie die Art. 7 und 16 der Unionsbürgerrichtlinie) und die daher für die Gewährung von Mindestsicherung in Betracht kommen. Wenn das Gesetz das Anspruchsrecht auf "deren Familienangehörige" ausdehnt, so sind damit im Sinn der Mindestsicherungsvereinbarung, die vom WMG umgesetzt wird, - wie oben dargestellt - jene Personen zu verstehen, denen ein Aufenthaltsrecht nach der Unionsbürgerrichtlinie zukommt, das seine Grundlage in der Stellung als Familienangehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers hat.

Die Scheidung der Ehe eines Unionsbürgers, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, führt unter den weiteren Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 lit. a Unionsbürgerrichtlinie für dessen Familienangehörige nicht zum Verlust des Aufenthaltsrechts, wenn die Ehe bis zur Einleitung des Scheidungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Aufnahmemitgliedstaat. Dies deckt sich mit der Regelung des § 54 Abs. 5 NAG. Solche Personen können nach Art. 18 der Unionsbürgerrichtlinie und § 54a NAG ein Daueraufenthaltsrecht erwerben.

Bei einem gemäß Art. 13 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie weiter bestehenden Aufenthaltsrecht handelt es sich - anders als etwa beim Recht, das mit dem Titel "Daueraufenthalt - EG" erteilt wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. August 2015, Zl. 2012/10/0207) - um ein unmittelbar aus dem Unionsrecht erfließendes Aufenthaltsrecht, das national bloß zu beurkunden ist und unabhängig davon besteht, welcher Aufenthaltstitel dem Berechtigten erteilt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 2014, Zl. 2013/22/0320).

Gemäß Art. 25 der Unionsbürgerrichtlinie darf die Ausübung eines Rechts oder die Erledigung von Verwaltungsformalitäten für eine unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte Person nicht vom Besitz der dort genannten Dokumente abhängig gemacht werden, wenn das Aufenthaltsrecht durch ein anderes Beweismittel nachgewiesen werden kann.

Träfen daher - wie die Revisionswerberin bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgebracht hat - die Voraussetzungen des Weiterbestehens eines Aufenthaltsrechts gemäß Art. 13 Abs. 2 lit. a der Unionsbürgerrichtlinie zu, so wäre die Revisionswerberin weiterhin als Person anzusehen, der ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, das seine Grundlage in der - früheren - Angehörigeneigenschaft zu einem Unionsbürger hat, der sein Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen hat. Nach den obigen Ausführungen gehörte sie somit zum Kreis der Anspruchsberechtigten gemäß § 5 Abs. 2 Z. 2 WMG.

Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er solche Personen - entgegen Art. 25 der Unionsbürgerrichtlinie - nicht unter dem Begriff "deren Angehörige" subsumiert wissen wollte.

Das Verwaltungsgericht hat sich somit in Verkennung der Rechtslage nicht mit dem Vorbringen der Revisionswerberin auseinandergesetzt, dass ihr gemäß Art. 13 Abs. 2 lit. a der Unionsbürgerrichtlinie trotz Scheidung der Ehe mit einem Unionsbürger, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, weiterhin ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukomme.

Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am 28. Oktober 2015

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