VwGH Ra 2014/06/0047

VwGHRa 2014/06/00475.11.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Revisionen 1. der W GmbH in G, vertreten durch die Hohenberg Strauss Buchbauer Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Hartenaugasse 6, und 2. der Landeshauptstadt Graz, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 10. September 2014, Zl. LVwG 50.25-3744/2014-8, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung, Hofgasse 15, 8010 Graz; mitbeteiligte Partei: Mag. E K in G, vertreten durch Mag. Dr. Gerit Katrin Jantschgi, Rechtsanwältin in 8020 Graz, Mariahilferstraße 20/EG),

Normen

AVG §37;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;
AVG §37;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;

 

Spruch:

1. zu Recht erkannt:

Der Revision der erstrevisionswerbenden Partei wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Graz hat der erstrevisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. den Beschluss gefasst:

Die Revision der zweitrevisionswerbenden Partei wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Verfahrensgegenständlich ist ein Baubewilligungsansuchen (vom 10. September 2012) der erstrevisionswerbenden Partei (Bauwerberin) betreffend die Errichtung einer Wohnanlage für 32 Wohneinheiten, einer Tiefgarage mit 35 PKW-Abstellplätzen und einer Einfriedung (Stützmauer), die Vornahme von Geländeveränderungen und den Abbruch eines Einfamilienwohnhauses auf näher genannten Grundstücken.

2. Mit Bescheid des Stadtsenats der Stadt Graz vom 6. Februar 2012 wurde der Bauwerberin die Bewilligung zur plan- und beschreibungsgemäßen Errichtung des vorgenannten Bauvorhabens unter Auflagen erteilt.

Die Mitbeteiligte erhob Berufung.

In Stattgebung der Berufung der Mitbeteiligten wurden mit Bescheid der Berufungskommission der Stadt Graz vom 25. Juni 2014 der Bauwerberin entsprechend der im Berufungsverfahren vorgelegten "Projektfestlegung" mit näher genannten Einreichplänen gemäß § 66 Abs. 4 AVG weitere Auflagen vorgeschrieben, im Übrigen wurde die Berufung der Mitbeteiligten als unzulässig zurückgewiesen.

3. Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG), das mit dem in Revision gezogenen Beschluss vom 10. September 2014 der Beschwerde stattgab, den Bescheid aufhob und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG an die Berufungskommission der Stadt Graz zurückverwies (Punkt I.) und aussprach, dass gegen diesen Beschluss gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig ist (Punkt II.).

Zur Begründung wurde (auf das Wesentliche zusammengefasst) ausgeführt, die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts in Bezug auf das nachbarrelevante Beweisthema der Verbringung der Oberflächenwässer sowie die Hintanhaltung einer sonstigen Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung bzw. unzumutbaren Beeinträchtigung nach § 57 Abs. 2 Stmk BauG sei noch nicht erfolgt. Es sei weder ein schlüssiges, nachvollziehbares und in der Folge auch überprüfbares hydrologisches Fachgutachten vorgelegt, noch sei ein solches von Amtssachverständigenseite erstellt worden.

Da die Berufungsbehörde den maßgeblichen Sachverhalt in zentralen Punkten nicht festgestellt habe, überdies auf bereits mit dem Verfahrensgegenstand befasste Sachverständige zurückgreifen könne, sei auch unter Beachtung grundrechtlicher Überlegungen nicht davon auszugehen, dass es dem Verwaltungsgericht möglich sei, den maßgebenden Sachverhalt rascher festzustellen, zumal auch noch nachvollziehbare Projektunterlagen vorzulegen sein würden. Es seien keine Indizien erkennbar, welche eine Kostenersparnis bei Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nahelegten. Im Ergebnis sei demnach die Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen gewesen.

Eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG, der grundsätzliche Bedeutung zukomme, sei nicht zu beurteilen gewesen.

4. Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Bauwerberin mit dem Antrag, in der Sache gemäß § 42 Abs. 4 VwGG selbst zu entscheiden, der Revision Folge zu geben und den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass die Beschwerde der Mitbeteiligten abgewiesen werde, in eventu, den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Landeshauptstadt Graz macht in ihrer außerordentlichen Revision geltend, durch die zu Unrecht erfolgte Aufhebung des Bescheides der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz in ihrem Recht auf Selbstverwaltung verletzt zu sein.

Das LVwG legte die Akten vor.

Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

5.1. Über die Revision der Bauwerberin:

§ 28 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"4. Abschnitt

Erkenntnisse und Beschlüsse

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

  1. 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
  2. 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

..."

Was die Frage der Zulässigkeit einer kassatorischen Entscheidung durch das LVwG betrifft, ist auf das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, zu verweisen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dort mit dieser Frage auseinandergesetzt und dargelegt, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist. Die nach § 28 VwGVG von der meritorischen Entscheidungspflicht verbleibenden Ausnahmen sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.

Das LVwG hat seine kassatorische Entscheidung damit begründet, dass hinsichtlich des nachbarrelevanten Beweisthemas der Verbringung der Oberflächenwässer bisher kein hydrologisches Gutachten eingeholt worden sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat im vorzitierten Erkenntnis vom 26. Juni 2014 ausgeführt, das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System verlange, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werde, und diese "wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden

...".

Da im vorliegenden Fall bis auf die Frage der Einleitung von Oberflächenwässern auf das Baugrundstück der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde und keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, die Verwaltungsbehörde habe die Entscheidung in diesem Punkt an das Verwaltungsgericht delegieren wollen, hat das LVwG schon deshalb § 28 VwGVG verkannt (vgl. dazu auch die hg. Erkenntnisse vom 4. August 2015, Zl. Ra 2015/06/0039, sowie vom 30. September 2015, Zl. Ra 2015/06/0049).

Spruchteil I. des angefochtenen Beschlusses erweist sich demnach wegen Verkennung des § 28 VwGVG als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Da der über die Frage der Zulässigkeit der Revision absprechende Spruchpunkt II. des angefochtenen Beschlusses, der alleine nicht zu bestehen vermag, und Spruchpunkt I. in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, war der angefochtene Beschluss zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte im Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

5.2. Über die Revision der Landeshauptstadt Graz:

Der Fall gleicht hinsichtlich Sachverhalt und Rechtsfrage jenem, den der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 30. Juni 2015, Zl. Ra 2015/06/0048, entschieden hat. Gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG kann daher auf die Begründung dieses Beschlusses verwiesen werden.

Aus den in diesem Beschluss genannten Gründen war auch die vorliegende Revision gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen. Wien, am 5. November 2015

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