Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 2014 wurde die Beschwerde des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen von Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) vom 20. Jänner 2012, mit dem sein Antrag auf internationalen Schutz vom 19. August 2010 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm 2 Abs. 1 Z. 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen worden war, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A). Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B).
Zur Begründung traf das Bundesverwaltungsgericht nach Wiedergabe des Verfahrensganges folgende Feststellungen:
Der Revisionswerber sei Staatsangehöriger von Somalia und Angehöriger der Gruppe der Hawie. Er habe seinen Herkunftsstaat aufgrund der bürgerkriegsähnlichen Situation in Somalia verlassen. Der Revisionswerber sei im Jahr 2006 mit Misshandlungen von Seiten der radikal-islamistischen Gruppierung Al-Shabaab konfrontiert gewesen. Bis zum Jahr 2010 habe er "keine weiteren drastischen Eingriffe" von Seiten der Al-Shabaab "zu verzeichnen" gehabt. Im Jahr 2010 sei sein Vater bei einem Schussattentat von vier unbekannten jungen Leuten getötet worden. Sein Bruder sei dabei verletzt worden, der Revisionswerber habe flüchten können. Eine zielgerichtete Verfolgung gegen den Revisionswerber könne nicht festgestellt werden.
Zur Lage im Herkunftsstaat verwies das Bundesverwaltungsgericht auf die (im Rahmen der Darstellung des Verfahrensganges wiedergegebenen) Länderfeststellungen des Bundesasylamtes.
Unter dem Titel "Beweiswürdigung" verwies das Bundesverwaltungsgericht darauf, dass der Revisionswerber einerseits "eine Konfrontationssituation mit Angehörigen einer radikal-islamistischen Gruppierung im Jahr 2006" und andererseits ein Ereignis im Jahr 2010, bei dem sein Vater ums Leben gekommen und sein Bruder verletzt worden sein soll, ins Treffen geführt habe. Hinsichtlich des erstgenannten Ereignisses sei "mangels zeitlicher Relevanz zum Ausreisezeitpunkt keine besondere Gewichtung hinsichtlich eines Risikopotentials gegeben". Hinsichtlich des zweitgenannten Ereignisses sei festzuhalten, dass es sich aufgrund der Angaben des Revisionswerbers zum konkreten Hergang um einen Zwischenfall handle, der "sich geradezu als typischer Ausdruck der allgemeinen labilen Sicherheitssituation in Mogadischu bzw. Somalia insgesamt" darstelle. Den Angaben des Revisionswerbers sei nicht entnehmbar, dass die Angreifer den Revisionswerber "gerade als Person aufgrund einer ihm eigenen Eigenschaft oder einer zumindest ihm unterstellten politischen oder sonstigen Gesinnung" angreifen oder verfolgen hätten wollen. Insbesondere sei den Angaben des Revisionswerbers "nicht detailliert bzw. nachvollziehbar und daher glaubhaft" entnehmbar, dass Angehörige der Al-Shabaab-Miliz ihn als politischen Gegner oder Regierungsanhänger tatsächlich identifiziert hätten bzw. sich daraus "ein erhebliches Risikopotential mit relevanter Verfolgungsgeneigtheit ergeben würde" oder ihn allenfalls aus religiösen oder ethnischen Gründen verfolgen wollten. Dem "letztlich als gesteigert zu bezeichnenden Vorbringen" des Revisionswerbers, dass man ihn gleichsam als Spion ins Visir genommen habe, sei "bei einer Gesamtbetrachtung" der Angaben des Revisionswerbers zu den Vorfällen im Jahr 2010 keine Glaubwürdigkeit beizumessen.
In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht - nach Hinweisen auf die Rechtslage und auf die hg. Rechtsprechung -
im Wesentlichen aus, im konkreten Fall sei aus dem vom Revisionswerber "relevierten Vorfall und dem Gang der Ereignisse im Jahr 2010" eine "asylrelevante Verfolgungsbeabsichtigung von Seiten unbekannter Täter" nicht erkennbar. Der Revisionswerber sei selbst nicht politisch tätig gewesen; seinen Ausführungen sei "nicht glaubhaft entnehmbar" gewesen, dass man ihn seitens der genannten Miliz als politischen Gegner verfolgen hätte wollen. Der "durchaus Wahrheitsgehalt zuzubilligenden Situation im Jahr 2010" sei durch die Zuerkennung subsidiären Schutzes durch das Bundesasylamt Rechnung getragen worden. Eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung von Angehörigen des "Hauptclans der Hawie" sei weder behauptet worden noch aufgrund der vorliegenden Berichte ersichtlich. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergebe sich, dass die behauptete Furcht des Revisionswerbers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet sei.
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) iVm § 24 Abs. 4 VwGVG könne eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspreche. Dies sei hier der Fall.
Die Nicht-Zulassung der Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen mit einem Verweis auf den Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die außerordentliche Revision macht zur Zulässigkeit (unter anderem) geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf die hg. Erkenntnisse vom 28. Mai 2014, Zlen. Ra 2014/20/0017, 0018, und vom 13. November 2014, Zl. Ra 2014/18/0035) zu den Kriterien, wann gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine Verhandlung unterbleiben könne, abgewichen.
2. Die Revision ist zulässig und begründet.
2.1. Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in nunmehr ständiger Rechtsprechung, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. neben den vom Revisionswerber genannten Erkenntnissen vom 28. Mai 2014 und 13. November 2014 aus jüngerer Zeit etwa die hg. Erkenntnisse vom 29. April 2015, Zl. Ra 2014/20/0077, vom 28. April 2015, Zl. Ra 2014/19/0125, und vom 21. April 2015, Zl. Ra 2014/01/0154).
2.2. Im vorliegenden Fall ist das Bundesasylamt davon ausgegangen, dass das Vorbringen des Revisionswerbers zu den behaupteten Fluchtgründen mangels Glaubwürdigkeit - zur Gänze - der Entscheidung nicht zugrunde zu legen ist. Die diesbezüglich tragenden beweiswürdigenden Überlegungen der Verwaltungsbehörde beschränken sich - soweit ein konkreter Fallbezug hergestellt wird - auf folgende Darlegungen:
"Bei der ersten Befragung zu den Fluchtgründen haben Sie noch die Zwangsrekrutierung durch Al Schabaab-Anhänger als Hauptgrund genannt. Erst im Zuge der weiteren Befragung haben Sie Ihr Vorbringen hinsichtlich 'Tätigkeit des Vaters für die Regierung' ausgebaut. Nach eigenen Angaben hätten Sie sich nach den Vorfall (Tod des Vaters) noch rund drei Monate in Mogadischu versteckt und aufgehalten, während die Mutter und die Gattin nicht versteckt zuhause lebten. Bei tatsächlicher Gefährdung als 'Angehöriger eines politisch tätigen Menschen' - ihres Vaters - wären wohl auch diese Angehörigen gefährdet gewesen."
Sofern diesen Ausführungen zu entnehmen ist, bei späteren Angaben des Revisionswerbers - dieser wurde im Anschluss an die Erstbefragung am 19. August 2010 nur einmal vor dem Bundesasylamt am 19. Mai 2011 einvernommen - handle es sich um unglaubwürdige Steigerungen des Vorbringens, ist darauf hinzuweisen, dass es auf dem Boden der gesetzlichen Regelung des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 zwar weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt ist, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zwischen der Erstbefragung und späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2015, Zl. Ra 2014/19/0171, mwN). Davon kann im vorliegenden Fall - der Revisionswerber hat bei seiner Erstbefragung sowohl auf die Zwangsrekrutierung durch die Al-Shabaab als auch auf die Tötung des Vaters durch diese Gruppe hingewiesen - aufgrund der oben wiedergegebenen Begründung des Bundesasylamtes aber keine Rede sein.
Da die Begründung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung somit schon in dieser Hinsicht nicht mängelfrei erfolgte, durfte das Bundesverwaltungsgericht dieses tragende Begründungselement, auf das es sich nach Ausweis der oben wiedergegebenen Begründung - sieht man von dem nicht konkretisierten Verweis auf eine "Gesamtbetrachtung" bzw. auf "nicht detaillierte bzw. nachvollziehbare Angaben" ab - in seiner Beweiswürdigung alleine stützt, aber nicht ohne weiteres übernehmen und die so gewonnenen Feststellungen ohne Durchführung einer - vom Revisionswerber beantragten - mündlichen Verhandlung seiner Entscheidung zugrunde legen.
Dass das Bundesverwaltungsgericht vom Vorliegen des zweiten Tatbestandes des § 21 Abs. 7 BFA-VG ("wenn sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht") ausgegangen wäre, kann dem angefochtenen Erkenntnis nicht entnommen werden. Ein derartiger Fall liegt hier - das Bundesverwaltungsgericht hat (anders als das Bundesasylamt) zentrale Teile des Vorbringens des Revisionswerbers seiner Entscheidung als glaubwürdig zugrunde gelegt - auch nicht vor (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2015, Zl. Ra 2014/19/0014).
2.3. Die Entscheidung über die Beschwerde des Revisionswerbers setzte daher schon aus diesen Gründen eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht voraus, von der zu Unrecht Abstand genommen wurde.
3. Das angefochtene Erkenntnis war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Juni 2015
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