VwGH 2013/11/0184

VwGH2013/11/018415.10.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerden von 1. W B,

2. R J, 3. P K, alle in L, alle vertreten durch Mag. Tomasz Gaj, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 12, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Oberösterreich vom 1.) 24. Juni 2013, Zl. VwSen-253282/5/Lg/MG,

  1. 2.) 24. Juni 2013, Zl. VwSen-253284/3/Lg/MG, und
  2. 3.) 24. Juni 2013, Zl. VwSen-253286/5/Lg/MG, betreffend Übertretungen des AVRAG (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §63 Abs1 impl;
EMRK Art6;
StGB §32;
StGB §33;
StGB §34;
StGB §35;
VStG §19 Abs2;
VStG §19;
VStG §51e Abs4;
VwGG §39 Abs2 Z6;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §63 Abs1 impl;
EMRK Art6;
StGB §32;
StGB §33;
StGB §34;
StGB §35;
VStG §19 Abs2;
VStG §19;
VStG §51e Abs4;
VwGG §39 Abs2 Z6;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

1. Die erst- und drittangefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Erst- und dem Drittbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. Die Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers wird als unbegründet abgewiesen.

Der Zweitbeschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheiden wurden die Beschwerdeführer jeweils für schuldig erkannt, sie hätten als zur Vertretung nach außen Berufene ihres Unternehmens drei namentlich genannte Dienstnehmer von 3. bis 11. Mai 2011 unter Nichteinhaltung der Kollektivvertragslohnhöhe beschäftigt. Sie hätten damit als verwaltungsstrafrechtlich Verantwortliche nach § 9 Abs. 1 VStG gegen § 7b Abs. 1 iVm § 7i Abs. 3 Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) verstoßen, weshalb über sie gemäß § 7i Abs. 3 AVRAG jeweils eine Geldstrafe von EUR 7.500,-- (pro unterentlohntem Dienstnehmer EUR 2.500,--, Ersatzfreiheitsstrafe 72 Stunden) verhängt wurde.

Dagegen richten sich die vorliegenden Beschwerden, zu denen die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorlegte und eine Gegenschrift mit dem Antrag erstattete, die Beschwerden kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Da die vorliegenden Beschwerden mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof bereits anhängig waren, sind gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG, BGBl. I Nr. 122/2013, darauf die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 weiter anzuwenden.

1.2. § 51e VStG in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 hat (auszugsweise) folgenden Wortlaut:

"Öffentliche mündliche Verhandlung (Verhandlung) § 51e. (1) Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine

öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) ...

(3) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von einer Berufungsverhandlung absehen, wenn

1. in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder

  1. 2. sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder
  2. 3. im angefochtenen Bescheid eine 500 EUR nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder

    4. sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet

    und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Berufungswerber hat die Durchführung einer Verhandlung in der Berufung zu beantragen. Etwaigen Berufungsgegnern ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Der unabhängige Verwaltungssenat kann ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten läßt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegensteht.

(5) ..."

1.3. Die vorliegend anzuwendenden Bestimmungen des AVRAG idF BGBl. I Nr. 98/2012, lauten (auszugsweise):

"Ansprüche gegen ausländische Arbeitgeber mit Sitz in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat

§ 7b. (1) Ein Arbeitnehmer, der von einem Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraumes als Österreich zur Erbringung einer fortgesetzten Arbeitsleistung nach Österreich entsandt wird, hat unbeschadet des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Rechts für die Dauer der Entsendung zwingend Anspruch auf

1. zumindest jenes gesetzliche, durch Verordnung festgelegte oder kollektivvertragliche Entgelt, das am Arbeitsort vergleichbaren Arbeitnehmern von vergleichbaren Arbeitgebern gebührt;

2. bezahlten Urlaub nach § 2 UrlG, sofern das Urlaubsausmaß nach den Rechtsvorschriften des Heimatstaates geringer ist; nach Beendigung der Entsendung behält dieser Arbeitnehmer den der Dauer der Entsendung entsprechenden aliquoten Teil der Differenz zwischen dem nach österreichischem Recht höheren Urlaubsanspruch und dem Urlaubsanspruch, der ihm nach den Rechtsvorschriften des Heimatstaates zusteht; ausgenommen von dieser Urlaubsregelung sind Arbeitnehmer, für die die Urlaubsregelung des BUAG gilt;

3. die Einhaltung der kollektivvertraglich festgelegten Arbeitszeitregelungen;

4. Bereithaltung der Aufzeichnung im Sinne der Richtlinie des Rates über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen (91/533/EWG) in Österreich durch den Arbeitgeber oder den mit der Ausübung des Weisungsrechts des Arbeitgebers gegenüber den entsandten Arbeitnehmern Beauftragten.

(2) ...

...

Strafbestimmungen

§ 7i. (1) ...

(2) ...

(3) Wer als Arbeitgeber/in ein/en Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. Sind von der Unterentlohnung höchstens drei Arbeitnehmer/innen betroffen, beträgt die Geldstrafe für jede/n Arbeitnehmer/in 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall 4 000 Euro bis 50 000 Euro.

(4) ...

..."

2. Zu den Beschwerden des Erst- und des Drittbeschwerdeführers:

2.1. Die (bereits rechtsanwaltlich vertretenen) Beschwerdeführer haben in ihren Berufungen ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Zum Entfall der Verhandlung wird in den angefochtenen Bescheiden ausgeführt, diesem stehe Art. 6 EMRK nicht entgegen, da es sich "nur um zu lösende Rechtsfragen" gehandelt habe.

2.2. Nach § 51e Abs 3 VStG kann von einer Verhandlung jedoch nur dann abgesehen werden, wenn neben der Erfüllung einer der Voraussetzungen der Z 1 bis 4 leg. cit. keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Gegenständlich lagen aber Verhandlungsanträge vor, sodass die belangte Behörde nur bei Erlassung verfahrensrechtlicher Bescheide gemäß § 51e Abs. 4 VStG von einer Verhandlung hätte absehen können. Da es sich bei der vollinhaltlichen Bestätigung der erstinstanzlichen Straferkenntnisse jedoch nicht um verfahrensrechtliche Bescheide handelte, kam ein Entfall der mündlichen Verhandlung nicht in Betracht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2013, Zl. 2013/07/0122, mwN).

2.3. Ausgehend davon hat die belangte Behörde ihre Verfahren mit wesentlicher Mangelhaftigkeit belastet, weshalb die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben waren.

2.4. Von den beantragten mündlichen Verhandlungen vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden. Im gegebenen Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass einzig die belangte Behörde als Tribunal im Verwaltungsstrafverfahren die Anforderungen des Art. 6 EMRK erfüllen konnte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2011, Zl. 2010/04/0123, mit Verweis auf Rechtsprechung des EGMR).

3. Zur Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers:

3.1. Anders als der Erst- und der Drittbeschwerdeführer hat der Zweitbeschwerdeführer in seiner (ebenfalls durch einen Rechtsanwalt erhobenen) Berufung das Straferkenntnis nur hinsichtlich der Strafhöhe angefochten und keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt. Daraus (sowie aus dem Zusammenhang mit den Strafverfahren gegen den Erst- und den Drittbeschwerdeführer und dem Umstand, dass die Berufungen aller drei Beschwerdeführer am selben Tag durch denselben Rechtsanwalt erhoben wurden) ergibt sich, dass im Fall des Zweitbeschwerdeführers bewusst auf die Durchführung einer Berufungsverhandlung verzichtet wurde.

3.1.1. Die belangte Behörde ging von einer fahrlässigen Tatbegehung aus und wies die (eingeschränkte) Berufung im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die Unterentlohnung von drei Arbeitnehmern um jeweils über 50% dem Schutzzweck des § 7i AVRAG (Sicherung des Wettbewerbs in der EU und Schutz grundlegender Rechte von Arbeitnehmern) widerspreche und damit nicht so weit hinter dem deliktstypischen Unrechts- und Schuldgehalt zurückbleibe, dass ein Absehen von der Strafe gerechtfertigt sein könnte. Hingegen sei die große Höhe der Unterentlohnung in gleich drei Fällen als straferschwerend zu werten, während als strafmildernd lediglich die geständige Verantwortung (durch Einschränkung der Berufung auf die Strafhöhe) anzusehen sei. Da die verhängten Geldstrafen lediglich je 25% des Gesamtstrafrahmens von bis zu EUR 10.000,-- betrügen, seien sie im Hinblick auf den Unrechtsgehalt der Taten und das Verschulden vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer trotz diesbezüglicher Aufforderungen seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse nicht offengelegt hatte, angemessen.

3.1.2. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Strafzumessung und bringt zusammengefasst vor, die belangte Behörde hätte ihr Ermessen nicht gesetzeskonform ausgeübt und ihre Ermessensübung nicht ausreichend begründet. Sie habe ausschließlich auf die Erschwerungsgründe abgestellt. Mildernd hätte berücksichtigt werden müssen, dass die unterentlohnte Beschäftigung nur 8 Tage gedauert habe und der Erfolgsunwert daher gering sei. Außerdem sei nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde - anders als in einigen (nicht näher dargestellten) Parallelverfahren - in den gegenständlichen Verfahren die Strafen nicht auf das gesetzliche Minimum herabgesetzt habe.

3.2. Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt:

3.2.1. Die Strafbemessung innerhalb eines gesetzlichen Strafrahmens stellt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Ermessensentscheidung dar. Gemäß Art. 130 Abs. 2 B-VG (in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung) liegt im Bereich des verwaltungsbehördlichen Ermessens Rechtswidrigkeit dann nicht vor, wenn die Behörde von diesem Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat. Es obliegt der Behörde, in Befolgung der Anordnung des § 60 AVG, der gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden ist, in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgeblichen Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsstrafverfahrens und für die Nachprüfung des Ermessensaktes auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erforderlich ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. August 2014, Zl. 2011/10/0083, mwN).

3.2.2. Soweit der Beschwerdeführer einen Milderungsgrund darin erblickt, dass das strafbare Verhalten "nur 8 Tage gedauert" habe, ist dem zu entgegnen, dass ein besonderer Milderungsgrund des Nichtbeharrens im strafbaren Verhalten weder dem § 19 VStG noch den dort angeführten Bestimmungen des Strafgesetzbuches zu entnehmen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. November 1995, Zl. 93/05/0141; siehe auch das hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 1997, Zl. 97/07/0036).

Schließlich ist die Beschwerdebehauptung, die belangte Behörde habe ausschließlich auf die Erschwerungsgründe abgestellt, aktenwidrig, da die geständige Verantwortung (durch Einschränkung der Berufung auf die Strafhöhe) ausdrücklich als mildernd berücksichtigt wurde.

Vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer trotz diesbezüglicher Aufforderungen durch die belangte Behörde seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse nicht offengelegt hatte, ist angesichts des gesetzlichen Strafrahmens von bis zu EUR 10.000,--, der jeweils nur zu einem Viertel ausgeschöpft wurde (Geldstrafe von EUR 2.500,-- pro unterentlohntem Arbeitnehmer), im Lichte der oben wiedergegebenen Erwägungen der belangten Behörde zur Strafbemessung keine Überschreitung des der belangten Behörde nach § 19 VStG zukommenden Ermessens zu erkennen.

3.3. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

3.4. Von der beim Verwaltungsgerichtshof beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, zumal der Beschwerdeführer schon bei der belangten Behörde, einem Tribunal im Sinne der EMRK, eine mündliche Verhandlung hätte beantragen können, darauf aber verzichtet hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2014, Zl. 2011/03/0192, mwN).

4. Die Kostenentscheidungen beruhen (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 15. Oktober 2015

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