VwGH 2012/04/0130

VwGH2012/04/013022.4.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde 1. der Mag. BN in L und 2. der GS in L, beide vertreten durch Dr. Felix Graf, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Liechtensteinerstraße 27, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 3. Juli 2012, Zl. UVS- 414-008/E10-2011, betreffend Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage (weitere Partei: Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft; mitbeteiligte Partei: K, vertreten durch Dr. Arnulf Summer, Dr. Nikolaus Schertler, Mag. Nicolas Stieger, Dr. Thomas Kaufmann und Mag. Andreas Droop, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Kirchstraße 4), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13;
AVG §56;
GewO 1994 §74 Abs1;
GewO 1994 §74 Abs3;
GewO 1994 §74;
GewO 1994 §77 Abs1;
GewO 1994 §77;
StVO 1960 §1 Abs1;
AVG §13;
AVG §56;
GewO 1994 §74 Abs1;
GewO 1994 §74 Abs3;
GewO 1994 §74;
GewO 1994 §77 Abs1;
GewO 1994 §77;
StVO 1960 §1 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 zu ersetzen.

Begründung

1. Die Beschwerdeführerinnen sind Miteigentümerinnen zweier Liegenschaften in L, die jeweils westlich unmittelbar an eine im Eigentum der mitbeteiligten Partei stehende Liegenschaft angrenzen.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 4. Februar 2011 wurde der mitbeteiligten Partei die gewerbebehördliche Betriebsanlagengenehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer "Saalwirtschaft" in dem auf ihrer Liegenschaft befindlichen Vereinshaus samt Entnahme von Grundwasser für Kühlzwecke im Sommer und für eine Wärmepumpe im Winter unter Auflagen erteilt.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufungen der Beschwerdeführerinnen ab und bestätigte den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz mit der Maßgabe, dass die im Spruch angeführte Grundstücksnummer berichtigt und die aufgezählten Plan- und Beschreibungsunterlagen ergänzt wurden.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die "Sache" des Genehmigungsverfahrens werde durch das Genehmigungsansuchen bestimmt. Es sei daher von dem durch den Antrag und dessen Änderungen und Ergänzungen beschriebenen Projekt auszugehen gewesen. Laut Genehmigungsansuchen sollte ab 22 Uhr der Zu- und Abgang zur Betriebsanlage ausschließlich über den ostseitig neu errichteten, ebenerdigen Notausgang erfolgen. Die unmittelbar vor diesem ostseitigen Zugang befindliche Verkehrsfläche sei "unstrittig ins öffentliche Gut übernommen worden" und daher nicht der Betriebsanlage zuzurechnen. Da es sich um eine öffentliche Verkehrsfläche handle, sei der Kundenverkehr - insbesondere die damit einhergehenden Lärmentwicklungen - auf dieser Fläche weder im Rahmen des gewerbetechnischen noch des medizinischen Gutachtens zu berücksichtigen gewesen. Den Gutachten zufolge seien weder unzumutbare Beeinträchtigungen durch Lärm noch eine Gesundheitsgefährdung der Berufungswerberinnen zu erwarten. Für den Fall einer Änderung des "Status" der Fläche - etwa wenn durch Wegfall der entsprechenden Verordnung diese "nicht (mehr) zum Gemeingebrauch erklärt" sei - könne die Betriebsanlage nach 22 Uhr nicht mehr betreten oder verlassen werden, außer es werde eine Änderung der Betriebsanlage genehmigt.

3. Mit Beschluss vom 10. Oktober 2012, B 1063/12-6, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der zunächst an diesen gerichteten Beschwerde ab und trat diese unter einem gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichthof zur Entscheidung ab.

4. Die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - die Abweisung der Beschwerde.

Die Beschwerdeführerinnen hielten in ihrer Replik die gestellten Anträge aufrecht.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 sind, soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) nicht anderes bestimmt ist, in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

5.1. Die maßgebliche Bestimmung der GewO 1994, BGBl. Nr. 194/1994 idF BGBl. I Nr. 135/2009, lautet:

"8. Betriebsanlagen

§ 74. (1) Unter einer gewerblichen Betriebsanlage ist jede örtlich gebundene Einrichtung zu verstehen, die der Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit regelmäßig zu dienen bestimmt ist.

(2) Gewerbliche Betriebsanlagen dürfen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

1. das Leben oder die Gesundheit des

Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen Familienangehörigen oder des nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen eingetragenen Partners, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden; als dingliche Rechte im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten auch die im § 2 Abs. 1 Z 4 lit. g angeführten Nutzungsrechte,

2. die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub,

Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen,

(...)

(3) Die Genehmigungspflicht besteht auch dann, wenn die Gefährdungen, Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteiligen Einwirkungen nicht durch den Inhaber der Anlage oder seine Erfüllungsgehilfen, sondern durch Personen in der Betriebsanlage bewirkt werden können, die die Anlage der Art des Betriebes gemäß in Anspruch nehmen.

(...)"

5.2. Vorweg ist festzuhalten, dass die belangte Behörde zu Recht davon ausgeht, dass die "Sache", über die sie im Genehmigungsverfahren zu entscheiden hat, durch das Genehmigungsansuchen bestimmt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1991, 91/04/0185, 0186). Im gewerberechtlichen Genehmigungsverfahren sind die Einreichunterlagen zugrunde zu legen und diese auf ihre Genehmigungsfähigkeit zu prüfen. Dementsprechend umfasst die behördliche Genehmigung auch nur das in diesen Unterlagen beschriebene Projekt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. März 2013, 2012/04/0017, mwN).

Der verfahrensgegenständliche Antrag auf Betriebsanlagengenehmigung wurde bereits in erster Instanz mit Schreiben der mitbeteiligten Partei vom 13. Juli 2010 derart abgeändert, dass er lautete:

"Der Zugang zur Betriebsanlage (bzw Abgang) erfolgt nach 22:00 Uhr nicht mehr über die Stiege, die nach Ansicht der BH Bregenz Teil der Betriebsanlage ist. Der Zugang zur Betriebsanlage (bzw Abgang) erfolgt nach 22:00 Uhr stattdessen ebenerdig, und zwar ausschließlich von und zu Flächen, die gemäß § 9 Straßengesetz zum Gemeingebrauch erklärt werden. (...)"

Mit Schreiben vom 22. Oktober 2010 teilte die mitbeteiligte Partei konkretisierend mit:

"(...) Der Hauptein- und -ausgang wird somit nach 22:00 Uhr geschlossen, und der Nebenein- und -ausgang, der ebenerdig auf das künftige öffentliche Gut führt, dient dann als Ein- und Ausgang und auch als Fluchtweg, weil der Hauptein- und -ausgang naturgemäß nicht mehr als Notausgang gelten kann. (...)"

5.3. Die Beschwerde bringt vor, für die an den Nebenein/ausgang angrenzende Fläche könne nichts anderes gelten als für die der Hauptstraße zugewandte Stiege. Auch als zum Gemeingebrauch erklärt, sei die dem Nebenein/ausgang direkt vorgelagerte Fläche der Betriebsanlage zuzuordnen und dementsprechend seien die davon ausgehenden Lärmemissionen zu berücksichtigen.

5.3.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargetan hat, ist zwischen Betriebsanlagen im Sinne des § 74 Abs. 1 GewO 1994 und Straßen mit öffentlichen Verkehr im Sinne des § 1 Abs. 1 StVO grundsätzlich zu unterscheiden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2006, 2003/04/0130).

Der Verwaltungsgerichtshof hat zuletzt im hg. Beschluss vom 29. April 2014, Ro 2014/04/0014, festgehalten, dass Vorgänge außerhalb der Betriebsanlage, die von Personen herrühren, die die Anlage der Art des Betriebes gemäß in Anspruch nehmen (Kunden), gemäß § 74 Abs. 3 GewO 1994 in der durch die Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399, geänderten Fassung nicht zu berücksichtigen sind (vgl. weiter etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 2006, 2003/04/0190, mwN; siehe weiters zur Abgrenzung gegenüber der hg. Rechtsprechung zur Rechtslage vor der genannten Novelle das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1996, 94/04/0096).

Die Rechtsansicht der belangten Behörde, die von öffentlichen Zugangswegen zur gegenständlichen Betriebsanlage ausgehenden, durch Kunden dieser Betriebsanlage verursachten Lärmemissionen außerhalb der Betriebsanlage hätten im Genehmigungsverfahren außer Betracht zu bleiben, ist somit nicht zu beanstanden.

5.4. Die Beschwerdeführerinnen verweisen jedoch darauf, dass zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides die Gemeindevertretung die Außenflächen des Vereinshauses noch nicht "zum Gemeingebrauch erklärt" gehabt habe. Der erstinstanzliche Bescheid stamme vom 4. Februar 2011, während die Erklärung der Gemeindevertretung am 24. Mai 2011 ergangen sei. Die belangte Behörde habe diesen Bescheid insofern rechtswidrig bestätigt, als auch bis zum Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung am 26. März 2012 die Genehmigung "(hypothetisch) für den Fall der Übernahme der 'schraffierten' Außenflächen" in das öffentliche Gut erteilt worden sei. Die Widmung als Verkehrsfläche der in Rede stehenden Fläche sei in diesem Zeitpunkt weder beschlossen noch verordnet worden. Eine derartige hypothetische Erteilung einer Betriebsanlagengenehmigung sei im Gesetz nicht vorgesehen, sondern habe sich ein Genehmigungsbescheid auf bestehende Eigentums- und Widmungsverhältnisse zu beziehen. Die Erklärung vom 24. Mai 2011 sei auch insofern unbeachtlich, als sie nicht die Widmung als "Straße" im Sinne des Vorarlberger Straßengesetzes umfasse. Zudem verfolge die Erklärung "ganz offensichtlich in Kollusion mit dem antragstellenden K" den Zweck, die Einwendungsmöglichkeiten der Nachbarn in Bezug auf diese Flächen zu beschneiden.

5.4.1. Bei der Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit einer Betriebsanlage hat die Behörde von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihrer Entscheidung auszugehen und hiebei nicht konkret absehbare Entwicklungen außer Betracht zu lassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. November 2001, 98/04/0075).

Zur Frage der Widmung des verfahrensgegenständlich umstrittenen Grundstückteiles zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids, hielt die belangte Behörde bloß fest, "unbestrittenermaßen wurde die in Rede stehende Fläche ins öffentliche Gut übernommen". Tatsächlich wurde jedoch die Durchführung dieser Übernahme durch die Gemeindevertretung bereits in der Berufung bestritten. Mangels Feststellungen zum fraglichen Umwidmungsvorgang durch die Gemeinde kann nicht beurteilt werden, ob zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids die von Personen, die die Anlage der Art des Betriebes entsprechend in Anspruch nehmen, ausgehenden Lärmemissionen im Bereich des Liegenschaftsanteils vor dem seitlichen Ein-/Ausgangsbereich als gemäß § 74 Abs. 3 GewO 1994 nicht (mehr) der Betriebsanlage zurechenbar anzusehen waren und daher zu Recht bei der Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit außer Betracht gelassen wurden. Das Unterlassen von Feststellungen zur behaupteten "Übernahme ins öffentliche Gut" der Zugangsfläche stellt einen Feststellungsmangel dar, der eine erschöpfende rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes hindert.

5.5. Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 22. April 2015

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