VwGH 2013/22/0009

VwGH2013/22/000919.11.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schweda, über die Beschwerde der H in W, vertreten durch Mag. Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 8/6, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 21. September 2012, Zl. 321.866/2-III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §293;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ASVG §293;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres (in der Folge kurz als "Behörde" bezeichnet) den Antrag der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, vom 13. Oktober 2011 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm § 11 Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe den gegenständlichen beim Landeshauptmann von Wien gestellten Antrag gemäß § 46 Abs. 1 NAG auf die angestrebte Familienzusammenführung mit ihrem in Österreich rechtmäßig niedergelassenen und staatenlosen Ehegatten gestützt.

Der Ehegatte der Beschwerdeführerin erhalte Mindestsicherung in Höhe von EUR 649,27 monatlich. Der Mietzins betrage EUR 156,53. Weiters sei von der Beschwerdeführerin ein Arbeitsvorvertrag, der bis 1. März 2013 gültig sei, betreffend ein ihr in Aussicht gestelltes Arbeitsverhältnis mit einem monatlichen Bruttoverdienst von EUR 1.180,-- vorgelegt worden. Laut Brutto-Netto-Rechner des Bundesministeriums für Finanzen ergebe das monatlich EUR 1.162,35 netto. Der Bezug von bedarfsorientierter Mindestsicherung sei - wie bisher der Bezug von Sozialhilfe - kein Einkommensbestandteil.

Der Betrag der vollen freien Station gemäß § 292 Abs. 3 ASVG in Höhe von EUR 260,35 sei einmalig von den Mietkosten abzuziehen. Da der Ehegatte der Beschwerdeführerin aber weniger als den Betrag der vollen freien Station bezahle, seien die Mietkosten nicht extra zu berücksichtigen. Das Einkommen des Ehegatten der Beschwerdeführerin müsse gemäß dem Richtsatz nach § 293 ASVG EUR 1.221,68 betragen. Das zukünftige Einkommen der Beschwerdeführerin in Höhe von EUR 1.162,35 sei daher nicht ausreichend.

Im Rahmen ihrer Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK berücksichtigte die Behörde, dass durch den Aufenthalt des Ehegatten der Beschwerdeführerin familiäre Bindungen in Österreich bestünden. Die Unterschreitung der Richtsätze gemäß § 293 ASVG rechtfertige die Annahme einer Gefahr der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft. Die Sicherung des Lebensunterhaltes stelle eine wichtige Grundvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels dar. Da keine glaubhaften oder sonst berücksichtigungswürdigen Sachverhalte bekannt seien, habe auch keine positive Prüfung in Bezug auf § 11 Abs. 3 NAG erfolgen können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen gerichtete Beschwerde nach Aktenvorlage durch die Behörde erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im September 2012 sind die Bestimmungen des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 50/2012 anzuwenden.

Die Beschwerde wirft der Behörde eine unrichtige Berechnung insoweit vor, als die Mietzinsbelastung mit EUR 156,53 deutlich geringer sei als der Wert der freien Station nach § 292 Abs. 3 ASVG in der Höhe von EUR 260,35, sodass allein aus dieser Differenz von EUR 103,82 der Fehlbetrag von EUR 59,33 ausgeglichen werde. Diesem Beschwerdevorbringen ist entgegenzuhalten, dass gemäß § 11 Abs. 5 zweiter und dritter Satz NAG feste und regelmäßige eigene Einkünfte durch regelmäßige Aufwendungen, insbesondere durch Mietbelastungen, geschmälert werden, wobei einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 ASVG festgelegten Höhe (Wert der vollen freien Station) unberücksichtigt bleibt und zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte führt; eine Anrechnung auf das notwendige Einkommen bei Unterschreitung der Mietkosten bis zur Höhe des Wertes der vollen freien Station ist nicht vorgesehen.

Im Übrigen bestreitet die Beschwerdeführerin die oben dargelegte Berechnung der Behörde ihres in Aussicht stehenden Einkommens nicht.

Die Beschwerde verweist weiters auf das zur Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ergangene Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 4. März 2010, C-578/08 , Rs Chakroun, in dem der Gerichtshof (unter Rz. 48) zum Ausdruck gebracht hat, dass die Unterschreitung eines vorgegebenen Mindesteinkommens nicht ohne eine konkrete Prüfung der Situation des einzelnen Antragstellers die Ablehnung der Familienzusammenführung zur Folge haben darf.

Die Behörde wäre demnach verpflichtet gewesen, eine individuelle Prüfung dahingehend vorzunehmen, ob der Lebensunterhalt trotz Unterschreitens der gesetzlich normierten Richtsätze gesichert sei. Damit ist die Beschwerde im Recht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung eine nur geringfügige Unterschreitung des nach der österreichischen Rechtslage maßgeblichen Richtsatzes nach § 293 ASVG von Bedeutung sein kann (vgl. das Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2009/21/0002).

Bei der konkreten Prüfung der Situation der Antragstellerin ließ die Behörde den bloß geringen Fehlbetrag von EUR 59,33 monatlich und die niedrigen Mietkosten des zusammenführenden Ehegatten der Beschwerdeführerin in Höhe von EUR 156,53 unberücksichtigt. Sie hat somit die nach dem angeführten Urteil des Europäischen Gerichtshofes gebotene Einzelfallprüfung nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am 19. November 2014

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