Normen
AVG §13 Abs3 idF 2008/I/005;
AVG §37;
AVG §39;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §13 Abs3 idF 2008/I/005;
AVG §37;
AVG §39;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 2.212,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Strafverfügungen des Magistrates der Stadt Wien (in der Folge: Magistrat) vom 1. Dezember 2010 und vom 29. November 2010 wurde der Beschwerdeführer jeweils der Verkürzung der Parkometerabgabe für schuldig erkannt und über ihn eine Geldstrafe in Höhe von jeweils EUR 35,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: jeweils 12 Stunden) verhängt.
In seinem beim Magistrat am 16. November 2012 eingelangten Schreiben mit Datum "15. 2012" brachte der Beschwerdeführer vor, erst durch die Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe Kenntnis von den Strafverfügungen erhalten zu haben, weil er seit 2009 andauernd ("mit Tagesunterbrechungen") im Krankenstand gewesen sei. Er habe ordnungsgemäß bei den Behörden und der Post bekannt gegeben, an seiner Postadresse nicht anwesend zu sein. Er stelle daher den Antrag, "die vorgegebenen Strafen auf zu heben und in das Anfangsstadion zu geben um ein ordentliches Verfahren zu bekommen".
Mit Schreiben vom 29. Jänner 2013 teilte der Magistrat dem Beschwerdeführer mit, dass die ersten Zustellversuche hinsichtlich der beiden Strafverfügungen am 15. Dezember 2010 bzw. am 13. Dezember 2010 erfolgt seien. Die Sendungen seien in der Folge am Postamt 1160 hinterlegt und am 16. Dezember 2010 bzw. am 14. Dezember 2010 erstmals zur Abholung bereit gelegen. Der Beschwerdeführer werde aufgefordert, den von ihm behaupteten Zustellmangel durch geeignete Beweismittel (Belege, Rechnungen oder dgl.) glaubhaft zu machen.
Der Beschwerdeführer antwortete mit Schreiben vom 6. Februar 2013, er habe den Einspruch erst am 16. November 2012 einbringen können, da er vorher nichts von den Strafverfügungen gewusst hätte. Er befinde sich seit zweieinhalb Jahren in Krankenstand und sei zum Zeitpunkt der Hinterlegungen ortsabwesend gewesen. Um das beweisen zu können, erteile er dem Magistrat die Vollmacht, "bei der WGKK, vorstellig zu werden und meine Krankenstände ab zu fragen. Außerdem gebe ich Ihnen weiters die Vollmacht, bei der Post an zu fragen, sowie bei den Behörden und Gerichten". Der Beschwerdeführer stellte den "Antrag, die Strafverfügungen ein zu stellen".
Mit Spruchpunkt I. des Bescheides vom 8. Februar 2013 wies der Magistrat den "Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 16. 11. 2012" zurück. Mit Spruchpunkt II. wies er den "Einspruch" gegen die oben genannten Strafverfügungen wegen Verspätung zurück.
Begründend führte er zunächst zur Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages aus, dass im Falle eines Zustellmangels eine Frist niemals zu laufen beginne, weshalb eine solche auch nicht habe versäumt werden können. Die Geltendmachung eines solchen Zustellmangels stelle daher keinen Wiedereinsetzungsgrund dar.
Die Zurückweisung des Einspruches gegen die Strafverfügungen begründete der Magistrat im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer mit dem bloßen Einwand der Ortsabwesenheit einen Zustellmangel nicht habe glaubhaft machen können. Sei es einer Behörde nicht möglich, entscheidungsrelevante Sachverhalte alleine zu ermitteln, so sei die Partei zur Mitwirkung verpflichtet. Trage die Partei trotzdem nichts zur Wahrheitsfindung bei, müsse die Behörde keine weiteren Ermittlungen anstellen. Da die Strafverfügungen mit Wirkung der Zustellung am 15. bzw. 13. Dezember 2010 postamtlich hinterlegt worden seien, sei der am 16. November 2012 eingebrachte Einspruch wegen Verspätung zurückzuweisen gewesen.
In seiner gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und stellte den "Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, bzw. die Abweisung der Strafe, zu vollziehen".
Mit den - im Wesentlichen gleich lautenden - angefochtenen Bescheiden (von denen sich der erstangefochtene Bescheid (protokolliert zur hg. Zahl 2013/17/0863) auf die Strafverfügung vom 1. Dezember 2010 und der zweitangefochtene Bescheid (protokolliert zur hg. Zahl 2013/17/0864) auf jene vom 29. November 2010 bezieht) gab die belangte Behörde jeweils der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 8. Februar 2013, "mit welchem der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen wurde", keine Folge und bestätigte den "Zurückweisungsbescheid". Sie stellte nach Darstellung des Verfahrensganges fest, es sei unbestritten, dass die Strafverfügungen nach einem ersten Zustellversuch am 15. Dezember 2010 bzw. 13. Dezember 2010 ab dem 16. Dezember 2010 bzw. 14. Dezember 2010 durch Hinterlegung beim "Zustellpostamt 1106" zugestellt worden seien. Die Rechtsmittelfrist habe daher mit Ablauf des 30. Dezember 2010 bzw. 28. Dezember 2010 geendet. Es seien dagegen aber keine Einsprüche eingebracht worden. Nach Wiedergabe des § 71 AVG führte die belangte Behörde abschließend aus, dass der Berufungswerber in seinem gesamten Vorbringen nichts über den Zeitpunkt mitgeteilt habe, an dem er von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt habe, weshalb schon aus diesem Grunde der Berufung keine Folge zu geben gewesen sei.
Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, mit denen der Beschwerdeführer inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht.
Das Verwaltungsgericht Wien legte Verwaltungsakten vor und verzeichnete dafür Kosten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Verbindung der beiden Beschwerden zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung erwogen:
In den Beschwerdefällen sind gemäß § 79 Abs. 1 VwGG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.
Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 ZustellG regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument gemäß § 17 Abs. 1 ZustellG im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist gemäß § 17 Abs. 2 ZustellG in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
Das hinterlegte Dokument ist gemäß § 17 Abs. 3 ZustellG mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 ZustellG wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss gemäß § 71 Abs. 2 AVG binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Parteierklärungen nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, d. h. es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. März 2013, Zl. 2010/15/0188). Wenn der Inhalt eines von einer Partei gestellten Anbringens unklar ist, ist die Behörde entsprechend den ihr gemäß § 37 iVm § 39 AVG obliegenden Aufgaben verpflichtet, den Antragsteller zu einer Präzisierung seines Begehrens aufzufordern. Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens ist es der Behörde jedoch verwehrt, diesem eine abweichende, eigene Deutung zu geben, selbst wenn das Begehren, so wie es gestellt wurde, von vornherein aussichtslos oder gar unzulässig wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Oktober 2013, Zl. 2012/06/0185, mwN).
Zunächst ist festzuhalten, dass das am 16. November 2012 beim Magistrat eingelangte Schreiben des Beschwerdeführers keineswegs einen eindeutigen Inhalt aufweist. Der Magistrat wäre daher verpflichtet gewesen, den Beschwerdeführer zu einer Präzisierung seines Vorbringens aufzufordern. Dies hat er aber unterlassen und das genannte Schreiben ohne jegliches Ermittlungsverfahren als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (verbunden mit einem Einspruch gegen die Strafverfügungen vom 1. Dezember 2010 und vom 29. November 2010) gedeutet. In der Folge hat der Magistrat mit Spruchpunkt I. seines Bescheides vom 8. Februar 2013 diesen vermeintlichen Antrag zurückgewiesen, wobei sich die Begründung darin erschöpft, dass die Geltendmachung eines Zustellmangels keinen Wiedereinsetzungsgrund darstelle.
Auch die belangte Behörde hat kein diesbezügliches Ermittlungsverfahren zum Parteiwillen durchgeführt. Vielmehr hat sie sich im Wesentlichen darauf beschränkt, die erstinstanzliche Zurückweisung des angeblichen Wiedereinsetzungsantrages zu bestätigen und begründend auszuführen, der Beschwerdeführer habe nichts über den Zeitpunkt mitgeteilt, an dem er von der "Zulässigkeit der Berufung" Kenntnis erlangt habe. Auf die Zulässigkeit der "Berufung" kommt es aber nicht an. Auch wenn man annehmen wollte, die belangte Behörde habe damit den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses gemeint, so erwiesen sich die angefochtenen Bescheide auch insofern als mangelhaft, als der Beschwerdeführer in seinem Antwortschreiben vom 6. Februar 2013 vorgebracht hat, er habe den Einspruch erst am 16. November 2012 einbringen können, weil er "vorher" nichts von den Strafverfügungen gewusst hätte. Wäre die belangte Behörde davon ausgegangen, dass diese Angabe nicht hinreichend genau sei, dann hätte sie den Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG (idF des Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetzes 2007, BGBl. I Nr. 5/2008) auffordern müssen, dieses Vorbringen zu präzisieren. Auch das hat sie aber unterlassen.
Darüber hinaus ist es für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich, ob die angefochtenen Bescheide die gesamte Berufung, also auch jene gegen die Zurückweisung des Einspruchs als verspätet, erledigen.
Aufgrund der der belangten Behörde offensichtlich in Verkennung der Rechtslage unterlaufenen Mängel erweisen sich die angefochtenen Bescheide als rechtswidrig.
Die angefochtenen Bescheide waren gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihrer Inhalte aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGH aF in Verbindung mit § 3 Z 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 21. August 2014
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