VwGH 2013/08/0212

VwGH2013/08/021223.9.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde des Ing. R K in Wien, vertreten durch Mag. Edgar Langeder, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stadiongasse 6-8, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 5. Juni 2013, Zl. 2013-0566-9-000761, betreffend Höhe der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 14. Februar 2013, Zl. 2011/08/0080, verwiesen, mit dem der Verwaltungsgerichtshof den dort angefochten Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben hat. In Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer zur Erhöhung der Freigrenzen vorgebracht habe, tatsächlich erhöhte Aufwendungen (in Form von geleisteten Rückzahlungsraten für die Kredite für Wohnraumbeschaffung einerseits bei W.

(EUR 425,13 monatlich) und andererseits bei B. (EUR 1.400,-- monatlich), sohin zusammen EUR 1.825,13 monatlich) gehabt und Zahlungsbelege für die Monate Oktober bis Dezember 2007 vorgelegt zu haben, hätte die belangte Behörde den Beschwerdeführer auffordern müssen, die tatsächlich gezahlten Kreditrückzahlungsraten näher nachzuweisen. Dies werde sie im fortzusetzenden Verfahren nachzuholen haben.

2. Mit dem in Beschwerde gezogenen Ersatzbescheid hat die belangte Behörde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer Notstandshilfe in Höhe von EUR 15,36 täglich ab 14. Jänner 2010 gemäß §§ 33 Abs. 1 bis 3 iVm §§ 20 Abs. 2 und 4, 36 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 lit. B sublit. a, 36a Abs. 1, 2, 5 Z. 2 AlVG sowie §§ 1 Abs. 1 Z 1, 6 Abs. 1, 2 und 8 NH-VO gebühre.

Im Berufungsverfahren habe der Beschwerdeführer am 16. Mai 2013 Folgendes zu Protokoll gegeben:

"Es besteht Einvernehmen darüber, dass in Hinblick auf die Berechnung der Notstandshilfe lediglich die Gewährung der Freigrenzenerhöhung für die Kredite der B. fraglich sind.

Der Kredit hinsichtlich des Einbaus des Liftes betrifft die Eigentümergemeinschaft des Hauses H.-gasse und ist nicht verfahrensgegenständlich (da bereits erledigt).

Ansonsten sind die Freigrenzen bzw. Freigrenzenerhöhungen korrekt angeführt und liegen keine weiteren Freigrenzenerhöhungsgründe vor.

Der Pa. ausgehändigt werden Kopien des Kontokorrentkredites der B. vom 23.2.1998 über S 2.600.000,00 (Laufzeit bis 31.8.1998), weiters die Kreditvereinbarung vom 31.1.1995 über S 500.000,00 (Laufzeit bis 1.2.2005), vom 25.4.1995 über S 900.000,00 (Laufzeit bis 5.6.2005) und der Zusatzvereinbarung vom 30.1.2004 (Laufzeit bis 30.6.2009).

Die von mir geleisteten Kreditrückzahlungen in Höhe von EUR 1.400,00 monatlich an die B. betrafen ausschließlich den Dachbodenausbau. Rechnungen habe ich teilweise vorgelegt. Ich werde bis längstens 28.5.2013 die noch fehlenden Unterlagen vorlegen (Bestätigung über die Laufzeitverlängerung, Nachweise über die erfolgten Rückzahlungen 2010 und allenfalls noch weitere Rechnungen)."

Ferner habe der Beschwerdeführer eine Kreditbestätigung aus dem Jahre 2006 und Belege über erfolgte Rückzahlungen im Ausmaß von jeweils EUR 1.400,-- am 4. Juni 2010, am 5. Juli 2010, am 4. August 2010, am 8. September 2010 und am 13. Oktober 2010 vorgelegt.

Der Beschwerdeführer habe im verfahrensgegenständlichen Zeitraum im gemeinsamen Haushalt mit seiner damaligen Ehegattin, Frau I. B.-K., sowie seinen minderjährigen Töchtern A. K. und

I. K. gewohnt. Seine damalige Gattin habe aus ihrem Dienstverhältnis bei R. ein schwankendes Einkommen erzielt, und zwar im Oktober 2009 in Höhe von EUR 2.865,21 brutto beziehungsweise EUR 1.891,85 netto, im November 2009 in Höhe von EUR 2.955,21 brutto beziehungsweise EUR 1.986,95 netto und im Dezember 2009 in Höhe von EUR 2.865,21 brutto beziehungsweise EUR 1.837,53 netto. Am 1. Oktober 2010 habe der Beschwerdeführer eine Beschäftigung bei H. aufgenommen und sich von der Vormerkung beim AMS abgemeldet.

Am 11. Jänner 2010 (Tag der Geltendmachung: 14. Jänner 2010) habe der Beschwerdeführer die Zuerkennung von Notstandshilfe beantragt. Im Antrag seien unter Punkt 13 "In meinem Haushalt

liegen erhöhte Aufwendungen ... vor" Kreditrückzahlungen in Höhe

von EUR 1.825,13 angeführt.

Im Zuge des Berufungsverfahrens habe der Beschwerdeführer die Zahlung von jeweils EUR 1.400,-- am 4. Juni 2010, am 5. Juli 2010, am 4. August 2010, am 8. September 2010 und am 13. Oktober 2010 nachgewiesen. Diese Summen seien auf sein Verrechnungskonto bei der B. eingezahlt und dienten der Tilgung der Kreditverträge Nr. xxxx in Höhe von EUR 188.949,37 sowie Nr. xxxx in Höhe von EUR 176.941,97; eine Aufgliederung der Kreditrate auf die beiden Konten (der Höhe nach) sei nicht bekanntgegeben worden. Die Laufzeit sämtlicher Kredite sei - wie aus der oben dargestellten Niederschrift vom 16. Mai 2013 ersichtlich - gemäß den vorliegenden Unterlagen seit 30. Juni 2009 beendet. Eine Bestätigung der Verlängerung der Laufzeit der Kredite sei trotz niederschriftlicher Aufforderung nicht vorgelegt worden, jedoch sei eine Zuordnung anhand der Belege über die Rückzahlungen zum Verrechnungskonto erwiesen. Der Beschwerdeführer sei monatlichen Zahlungsverpflichtungen in Höhe von EUR 1.400,-- zur Tilgung von Krediten in Höhe von insgesamt EUR 365.891,34 nachgekommen.

Anschließend gab die belangte Behörde eine Übersicht von 61, zwischen 24. November 1992 und 18. März 1997 ausgestellten Rechnungen in Tabellenform wieder, welche zu jeder Rechnung jeweils die Angabe der ausstellenden Firma, des Datums und des Betrages, sowohl in Schilling als auch in Euro, enthält. Diese Rechnungen seien laut der belangten Behörde vorgelegt worden.

Freigrenzenerhöhend wirkten sich - so die belangte Behörde weiter - die nachgewiesenen Kreditrückzahlungen an W. in Höhe von monatlich EUR 425,13 aus; dieser Betrag sei gesetzeskonform zur Hälfte, d.h. in Höhe von EUR 212,56, in Abzug zu bringen.

Der zeitlich gesehen erste Kredit bei der B. sei am 31. Jänner 1995 "vereinbart" worden; hinsichtlich der Kreditrückzahlungen an die B. entfielen 3,275 % auf nachgewiesene zeitnahe Rechnungen, nämlich die letzten zehn aus obiger Tabelle ersichtlichen Rechnungen ab November 1994 im Ausmaß von insgesamt EUR 11.982,85 (in Relation zum gesamten Kreditvolumen im Ausmaß von EUR 365.891,34). Zusätzlich freigrenzenerhöhend wirkten sich daher nur 3,275 % der Kreditrate von EUR 1.400,00, d.h. EUR 45,85 aus; dieser Betrag sei gesetzeskonform zur Hälfte, d.h. im Ausmaß von EUR 22,93 in Abzug zu bringen. Eine Berücksichtigung der anderen vorgelegten Rechnungen aus der Zeit von November 1992 bis Oktober 1994 sei nicht zulässig, da die dafür aufgewendeten Mittel bei logischer Betrachtung jedenfalls nicht aus Krediten stammen könnten, die ab 31. Jänner 1995 gewährt worden seien (und zudem keine Erstreckung der Zahlungsziele bis in den Februar 1995 ersichtlich sei). Weitere Freigrenzenerhöhungsgründe seien nicht behauptet beziehungsweise hinsichtlich der Kreditrückzahlungen in einem höheren Ausmaß nicht nachgewiesen worden. Die dem Beschwerdeführer an sich gebührende Notstandshilfe - ohne Anrechnung des Partnereinkommens - betrage EUR 37,35 täglich.

Einkommen

EUR

1.905,44

 

- Werbekostenpauschale

EUR

11,--

 

- Freigrenze für Ihre Gattin

EUR

495,--

 

- Freigrenze für Alice

EUR

247,50

 

- Freigrenze für Iris

EUR

247,50

 

- Kredit (zur Hälfte)

EUR

22,93

 

- Kredit (zur Hälfte)

EUR

212,56

 

anrechenbares Einkommen

EUR

668,95

(gerundet 669 x 12 Monate/365 Tage)

ergebe einen Anrechnungsbetrag von EUR 21,99 täglich und reduziere sich die dem Beschwerdeführer an sich gebührende Notstandshilfe in Höhe von EUR 37,35 auf EUR 15,36 täglich. Durch die Einführung der Mindestsicherung per 1. September 2010 ergebe sich in seinem Fall keine Änderung: Sein Haushaltseinkommen in Höhe von EUR 1.905,44 übersteige den für ihn gültigen Mindeststandard in Höhe von EUR 1.384,--.

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, die Summen der im Parteiengehör thematisierten Rechnungen könnten nicht stimmen, vermutlich hätte jemand auf die Währungsumrechnung vergessen, sei zuzustimmen. Aus diesem Grund seien im verfahrensgegenständlichen Bescheid sämtliche Rechnungen einzeln aufgeführt und die Summen zur besseren Nachvollziehbarkeit in beiden Währungen (ATS und EUR) angegeben worden. Die belangte Behörde habe die Entscheidung des AMS aufzuheben und seiner Berufung stattzugeben gehabt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Die Beschwerde rügt, die belangte Behörde habe es unterlassen, ihrer Ermittlungspflicht ordnungsgemäß nachzukommen und die erforderlichen Beweise zu erheben. Sie hätte den Beschwerdeführer auffordern müssen, nachzuweisen, wie die im bekämpften Bescheid aufgeführten Rechnungen mit den festgestellten Krediten zeitlich im Zusammenhang stünden und woraus sich diese vermeintliche zeitliche Diskrepanz ergebe, wenn sie der Auffassung gewesen sei, dass ihr der zeitliche Konnex fragwürdig erscheine. Sie habe den Beschwerdeführer jedoch nicht darauf hingewiesen, dass dieser Nachweise dafür erbringen hätte müssen. Er habe sich zu Recht darauf verlassen, dass die von ihm beigebrachten Unterlagen hinreichend bescheinigten, dass die von ihm bedienten Kredite der Finanzierung der vorgelegten Rechnungen dienten.

Hätte die belangte Behörde den Beschwerdeführer entsprechend aufgefordert, zu ihren Bedenken im Hinblick auf den zeitlichen Zusammenhang der Rechnungen mit den Krediten Stellung zu nehmen bzw. Belege vorzulegen, so hätte der Beschwerdeführer erläutern können, dass die der belangten Behörde nachgewiesenen Kredite einen zuvor bestehenden Überziehungsrahmen abgelöst hätten; der Beschwerdeführer habe damit die Zinsenhöhe und damit seine Kreditverbindlichkeiten insgesamt reduzieren können. Im Übrigen hätte er darauf verweisen können, dass viele der vorgelegten Professionistenrechnungen Monate, manchmal erst Jahre später zur Zahlung fällig geworden seien, weil Mängelbebebungen durch die Professionisten (z.B. Baumeister, Zimmerer, Dachdecker) oftmals mit erheblicher Verzögerung durchgeführt worden seien und die Bezug habenden Rechnungen erst nach mängelfreier Fertigstellung des jeweiligen Gewerks zur Zahlung fällig gewesen seien.

2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde einen relevanten Verfahrensmangel auf.

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer monatlichen Zahlungen in Höhe von EUR 1.400 zur Tilgung von Krediten nachgekommen sei. Sie brachte davon jedoch nur 3,275 % (bzw. die Hälfte dieses Betrages) freigrenzenerhöhend in Abzug, da sie lediglich die letzten zehn der vorgelegten Rechnungen als ausreichenden Nachweis für den Umstand erachtete, dass der Beschwerdeführer diese mit Mitteln aus den ab 31. Jänner 1995 stammenden Krediten beglichen habe.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer die von ihr vertretene Ansicht, wonach es zwischen den im Jahr 2010 beglichenen Kreditraten iHv jeweils EUR 1.400,-- und den dazu vorgelegten Rechnungen aus der Zeit von November 1992 bis Oktober 1994 an einem entsprechenden zeitlichen Zusammenhang fehle, vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zur Kenntnis gebracht und ihm somit keine Möglichkeit zu einer diesbezüglichen Aufklärung eingeräumt.

Da sich das Recht auf Parteiengehör auf den von der Behörde gemäß § 37 AVG festzustellenden maßgebenden Sachverhalt bezieht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2014, Zl. 2012/08/0283, mwN) und im vorliegenden Fall ein solcher sachverhaltsbezogener Umstand klärungsbedürftig war, hätte sie dem Beschwerdeführer dazu im Rahmen des Parteiengehörs die Möglichkeit zur Stellungnahme einräumen müssen. Gemäß § 37 iVm § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien das bisherige Ergebnis des Ermittlungsverfahrens vorzuhalten, das sind insbesondere all jene rechtserheblichen Tatsachen, die das zuständige Organ als erwiesen erachtet (vgl. erneut das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2014, Zl. 2012/08/0283, mwN; zum Überraschungsverbot vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2012, Zl. 2012/08/0148, mwN).

Dies war im vorliegenden Fall umso eher geboten, als der Beschwerdeführer schon im Berufungsverfahren (mit an die belangte Behörde gerichtetem Schreiben vom 26. Mai 2013) vorgebracht hatte, dass der monatliche Rückzahlungsbetrag an die B. von EUR 1.400,-- im vollen Umfang als Berechnungsbasis heranzuziehen gewesen sei und die belangte Behörde ausdrücklich um einen Terminvorschlag gebeten hat, sollte diesbezüglich noch eine genauere Klärung erforderlich sein.

Die belangte Behörde hätte ihre Ermittlungspflicht erst erfüllt, wenn der Beschwerdeführer einer Aufforderung der belangten Behörde, den Zusammenhang zwischen den im Jahr 2010 getätigten Zahlungen und dem im Jahr 1995 aufgenommenen (verlängerten) Kredit nachzuweisen, im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen wäre (vgl. die im Vorerkenntnis Zl. 2011/08/0080 zitierte Rechtsprechung).

Da die belangte Behörde bei Vermeidung der dargelegten Ermittlungs- und Begründungsmängel zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können, kommt dem aufgezeigten Verfahrensmangel auch Relevanz zu.

3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die Umsatzsteuer im pauschalierten Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist.

Wien, am 23. September 2014

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