VwGH 2013/07/0060

VwGH2013/07/006025.9.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger, die Hofrätin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der W K in H, vertreten durch Mag. Anton Wurzinger, Rechtsanwalt in 8403 Lebring, Glyzinienhof, Jöss 2a, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 18. Februar 2013, Zl. ABT13-38.40-38/2010-9, betreffend Zurückweisung eines Antrages nach dem Abfallwirtschaftsgesetz 2002, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
AWG 2002 §42 Abs1 Z3;
AWG 2002 §44 Abs1;
AWG 2002 §50 Abs2;
AWG 2002 §52 Abs5;
AWG 2002 §73 Abs1 idF 2011/I/009;
AWG 2002 §73;
BauRallg;
GewO 1994 §360 Abs1;
GewO 1994 §360;
MinroG 1999 §178;
MinroG 1999 §179;
VwRallg;
WRG 1959 §102;
WRG 1959 §138 Abs1;
WRG 1959 §138 Abs6;
WRG 1959 §31 Abs3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 9. September 2008 begehrte die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihre Tochter, die Beseitigung und Entfernung von Anschüttungen der S. AG auf im Antrag näher bezeichneten, im Eigentum einer dritten Person stehenden Grundstücken der KG Kühberg. Begründend wurde ausgeführt, dass durch die ohne behördliche Genehmigung und ohne entsprechende Sicherheitsvorkehrungen für angrenzende Grundstücke und Brunnen durchgeführten Ablagerungen und Anschüttungen die Gefahr vermehrter Wasseransammlungen, Anschwemmungen und Beeinträchtigungen durch Schlamm und Steine auf im Eigentum der Beschwerdeführerin stehenden Grundstücken bestehe. Die Voraussetzungen eines unverzüglichen behördlichen Einschreitens nach § 73 Abs. 2 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) lägen vor.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz vom 21. November 2008 wurde der genannte Antrag als unzulässig zurückgewiesen. In der Begründung des Bescheides wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei bereits mit Bescheid der belangten Behörde vom 23. Juli 2008 verbindlich festgestellt worden, dass die verfahrensgegenständlichen Geländeanpassungen keiner Genehmigungspflicht gemäß § 37 Abs. 1 oder 3 AWG 2002 unterlägen. Aufgrund dieses Feststellungsbescheides und der im genannten Verfahren eingeholten Gutachten stehe außerdem fest, dass weder eine Beeinträchtigung benachbarter Grundstücke zu befürchten seien noch Tatbestände vorlägen, die ein Vorgehen nach § 73 Abs. 1 oder 2 AWG 2002 rechtfertigten.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung der Beschwerdeführerin wurde mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides der belangten Behörde vom 18. Februar 2013 als unbegründet abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass abfallpolizeiliche Behandlungsaufträge nach § 73 AWG 2002 nur von Amts wegen gegenüber dem Verpflichteten zu erlassen seien. Eine Parteistellung anderer Personen als des Verpflichteten sehe diese Bestimmung nicht vor. Die Beschwerdeführerin habe im Verfahren gemäß § 73 AWG 2002 mangels eines Rechtsanspruches und mangels eines rechtlichen Interesses keine Parteistellung. Es fehle ihr daher auch die Antragslegitimation zur Einleitung eines Verfahrens gemäß § 73 AWG 2002. Darüber hinaus sei das AWG 2002 auf Grund des bereits genannten rechtskräftigen Feststellungsbescheides auf die vorliegenden Schüttmaßnahmen nicht anzuwenden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, Spruchpunkt II. dieses Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Mit Eingabe vom 30. August 2013 übermittelte die Tochter der Beschwerdeführerin in deren Vertretung eine Ergänzung zur Bescheidbeschwerde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Auf den vorliegenden, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides in ihren Rechten verletzt, weil es die belangte Behörde unterlassen habe, die Parteistellung der Beschwerdeführerin zur Wahrung rechtlicher Interessen anzuerkennen.

Gemäß § 73 Abs. 1 AWG 2002 idF BGBl. I Nr. 9/2011 hat die Behörde, wenn Abfälle nicht gemäß den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, nach diesem Bundesgesetz erlassenen Verordnungen, nach EG-VerbringungsV oder nach EG-POP-V gesammelt, gelagert, befördert, verbracht oder behandelt werden (Z 1) oder die schadlose Behandlung der Abfälle zur Vermeidung von Beeinträchtigungen der öffentlichen Interessen (§ 1 Abs. 3) geboten ist (Z 2), die erforderlichen Maßnahmen dem Verpflichteten mit Bescheid aufzutragen oder das rechtswidrige Handeln zu untersagen.

Nach § 73 Abs. 2 AWG 2002 hat die Behörde bei Gefahr im Verzug die erforderlichen Maßnahmen unmittelbar anzuordnen und gegen Ersatz der Kosten durch den Verpflichteten nötigenfalls unverzüglich durchführen zu lassen.

§ 73 AWG 2002 sieht die Erlassung eines verwaltungspolizeilichen Auftrages vor. Seine Struktur ähnelt derjenigen von verwaltungspolizeilichen Aufträgen in anderen Gebieten des Verwaltungsrechts.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass im AWG vielfach Regelungen den ihnen korrespondierenden Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) nachgebildet sind, weshalb in diesen Fällen auf die Rechtsprechung zur GewO zurückgegriffen werden kann, während bei anderen Regelungen des AWG dies nicht der Fall und ein Rückgriff unzulässig ist. Entscheidend für die Heranziehung der Rechtsprechung der GewO 1994 zum Verständnis von Regelungen des AWG ist die Vergleichbarkeit der Regelungen (vgl. dazu die Ausführungen im Erkenntnis vom 20. März 2013, Zl. 2012/07/0050).

Eine Vergleichbarkeit im Sinne dieser Judikatur liegt - hinsichtlich der nach Maßgabe der jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen bestehenden Verpflichtung der Behörde zur Anordnung entsprechender Maßnahmen und der diesbezüglich den Nachbarn eingeräumten Rechtsposition - zwischen den Bestimmungen des § 360 Abs. 1 GewO 1994 und des § 73 Abs. 1 AWG 2002 vor.

Gemäß § 360 Abs. 1 GewO 1994 hat die Behörde, wenn der Verdacht einer Übertretung der Bestimmung des § 366 Abs. 1 Z 1, 2 oder 3 (Verstöße gegen Bewilligungspflichten nach der GewO 1994) besteht, den Gewerbeausübenden bzw. den Anlageninhaber mit Verfahrensanordnung zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes innerhalb einer angemessenen, von der Behörde zu bestimmenden Frist aufzufordern. Wird dieser Anordnung innerhalb der gesetzten Frist keine Folge geleistet, so hat die Behörde mit Bescheid die zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustandes jeweils notwendigen Maßnahmen zu verfügen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat auf die Handhabung der nach § 360 GewO 1994 der Behörde zustehenden Zwangsgewalt zur Durchsetzung öffentlicher Interessen niemand einen Rechtsanspruch, der mit den Mitteln des öffentlichen Rechts verfolgbar wäre. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich um solche, die zu treffen vom Gesetzgeber der Behörde bei Vorliegen der angeführten Tatbestände aus öffentlichen Interessen aufgetragen wurde und deren Nichtergreifung eine Verletzung der Amtspflichten der Behörde darstellen würde. Dem Nachbarn kommt weder ein Antragsrecht zu, ein Verfahren nach § 360 GewO 1994 einzuleiten, noch ist ihm ein Anspruch auf Setzung eines behördlichen Verwaltungsaktes bestimmten Inhaltes eingeräumt (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 24. Oktober 2001, Zl. 2001/04/0173, und vom 27. Mai 2009, Zl. 2009/04/0104, jeweils mwN).

Gleiches gilt für die der Behörde eingeräumten Anordnungsbefugnisse nach den §§ 178 f Mineralrohstoffgesetz (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Mai 2002, Zl. 2002/04/0057, mwN; vgl. ferner das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 2007, Zl. 2005/04/0223, mwN).

Auch bei einem Verfahren über einen von Amts wegen erlassenen gewässerpolizeilichen Auftrag gemäß § 31 Abs. 3 Wasserrechtsgesetz 1959 (WRG 1959) handelt es sich um ein Einparteienverfahren, in welchem anderen Personen als dem Auftragsadressaten grundsätzlich (sofern im Auftrag nicht bereits eine konkrete Duldungsverpflichtung ausgesprochen wird) keine Mitspracherechte zukommen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. Oktober 2002, Zl. 98/07/0061, 0062, und vom 16. Juli 2010, Zl. 2010/07/0033, jeweils mwN). Nichts anderes ergibt sich für das Verfahren nach § 31 Abs. 3 WRG 1959 aus der - die Parteistellung im wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren und in weiteren, ausdrücklich aufgezählten Verfahren regelnden - Bestimmung des § 102 WRG 1959 (vgl. erneut das Erkenntnis, Zl. 98/07/0061, 0062).

Hingegen sieht § 138 Abs. 1 WRG 1959 ausdrücklich vor, dass der von einer eigenmächtigen Neuerung im Sinne dieser Bestimmung Betroffene (vgl. § 138 Abs. 6 WRG 1959) ein behördliches Einschreiten zur Erlassung eines wasserpolizeilichen Auftrages verlangen kann.

Ferner stellt die Rechtsprechung im Zusammenhang mit baupolizeilichen Aufträgen bei der Beantwortung der Frage, ob Nachbarn einen auf die Einleitung eines baubehördlichen Auftragsverfahrens oder die Aufrechterhaltung eines baupolizeilichen Auftrages gerichteten Rechtsanspruch haben, darauf ab, ob das Gesetz den Nachbarn Parteistellung einräumt (vgl. einerseits zur Verneinung eines Rechtsanspruchs des Nachbarn auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages zur Untersagung der Bauausführung nach der Oö. Bauordnung 1994 idF LGBl. Nr. 70/1998 die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 21. Mai 2007, Zl. 2004/05/0236, mwN, und andererseits zu Fällen eines bestehenden Rechts zur Antragstellung die hg. Erkenntnisse vom 23. Juni 2010, Zl. 2006/06/0024, vom 23. November 2010, Zl. 2009/06/0098, und vom 31. Juli 2012, Zl. 2012/05/0005).

Nach dem Vorgesagten ist somit festzuhalten, dass die den Nachbarn in den Genehmigungsverfahren nach den verschiedenen Materiengesetzen eingeräumte Rechtsstellung häufig lediglich auf die Abwehr einer die gesetzlich geschützten nachbarlichen Interessen beeinträchtigenden behördlichen Genehmigung gerichtet ist. Ihre Rechtsstellung erstreckt sich aber nicht auf ein etwaiges verwaltungspolizeiliches Verfahren (vgl. nochmals das bereits zitierte Erkenntnis, Zl. 2002/04/0057). Den Nachbarn bzw. den vom potentiellen Auftragsadressaten verschiedenen Personen steht daher ein Rechtsanspruch auf Erlassung verwaltungspolizeilicher Zwangsmaßnahmen nicht zu, es sei denn, die jeweiligen Materiengesetze sehen anderes vor und räumen diesen Personen ausdrücklich Parteistellung ein.

Diese Grundsätze lassen sich auf Grund der ähnlichen Struktur und Systematik auch auf das AWG 2002 übertragen. In den Behandlungsanlagen betreffenden Genehmigungsverfahren nach dem AWG 2002 wird den Nachbarn explizit eine auf das konkrete Genehmigungsverfahren beschränkte Parteistellung eingeräumt (vgl. zu den Rechten der Nachbarn die §§ 42 Abs. 1 Z 3, 44 Abs. 1, 50 Abs. 2 und 52 Abs. 5 AWG 2002).

Hingegen ist in dem die Erlassung abfallpolizeilicher Behandlungsaufträge regelnden § 73 AWG 2002 eine derartige Parteistellung von Nachbarn nicht vorgesehen. Ein auf die Erlassung eines derartigen Behandlungsauftrages gerichteter Antrag eines Nachbarn ist daher mangels Antragslegitimation zurückzuweisen bzw. kann allenfalls als Anregung zum behördlichen Einschreiten angesehen werden.

Die Rechtsansicht der belangten Behörde, die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die Zurückweisung ihres Antrages auf Erlassung einer abfallpolizeilichen Maßnahme gemäß § 73 AWG 2002 sei unbegründet, weil ihr mangels Parteistellung keine Antragslegitimation zustehe, begegnet daher keinen Bedenken.

In der Beschwerde wird gerügt, der von der belangten Behörde zur Entscheidungsbegründung herangezogene Feststellungsbescheid der belangten Behörde vom 23. Juli 2008 (betreffend die fehlende Bewilligungspflicht der verfahrensgegenständlichen Geländeanpassungen gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 3 AWG 2002) wäre "zumindest im gegenständlichen Verfahren" gemäß § 68 Abs. 3 AVG von Amts wegen abzuändern gewesen.

Abgesehen davon, dass gemäß § 68 Abs. 7 AVG auf die Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG zustehenden Abänderungs- und Behebungsrechts niemandem ein Rechtsanspruch zusteht, zeigt die Beschwerdeführerin mit diesem Vorbringen schon auf Grund ihrer fehlenden Antragslegitimation in einem Verfahren nach § 73 AWG 2002 keine Verletzung von Rechten durch den - allein die Zurückweisung ihres Antrages auf behördliches Einschreiten gemäß § 73 Abs. 2 AWG 2002 bestätigenden - Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides auf.

Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeergänzung ferner die Notwendigkeit einer neuerlichen wasserrechtlichen Bewilligung und die Anwendbarkeit des § 39 WRG 1959 in Bezug auf die gegenständlichen Schüttmaßnahmen anspricht, verlässt sie den Gegenstand des angefochtenen Bescheides. Im vorliegenden Fall geht es allein um die Frage der Parteistellung bzw. der Antragslegitimation in einem Verfahren nach § 73 AWG 2002 und nicht um die Frage der wasserrechtlichen Bewilligungspflicht der gegenständlichen Anschüttungen oder um deren Beurteilung vor dem Hintergrund des § 39 WRG 1959.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 79 Abs. 11 VwGG und § 3 der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 25. September 2014

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