VwGH 2013/22/0040

VwGH2013/22/004017.4.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des E, vertreten durch die Kocher & Bucher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 16. November 2012, Zl. 156.081/10-III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3 Z8;
NAG 2005 §11 Abs3 Z9;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §43 Abs3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2013:2013220040.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, ihm einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen zu erteilen, gemäß § 43 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 11. Mai 2004 unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. Am selben Tag habe er einen Asylantrag gestellt. Diesem Antrag sei in erster Instanz vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 8. Juli 2005 keine Folge gegeben worden. Unter einem sei der Beschwerdeführer ausgewiesen worden. Die dagegen erhobene Berufung habe der unabhängige Bundesasylsenat (UBAS) am 22. November 2006 abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof habe die Behandlung einer dagegen eingebrachten Beschwerde mit Beschluss vom 10. Dezember 2009 abgelehnt. Der UBAS habe im Rahmen seiner Entscheidung eine Abwägung im Sinn des Art. 8 EMRK durchgeführt. Es seien im Asylverfahren keine Tatsachen hervorgekommen, die im Zusammenhang mit der "Rückverbringung" des Beschwerdeführers "eine Berührung" seines Rechtes auf Privat- und Familienleben "bedeuten würde".

Den verfahrensgegenständlichen Antrag, der ab Inkrafttreten des FrÄG 2011 (BGBl. I Nr. 38) als auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 43 Abs. 3 NAG zu werten sei, habe der Beschwerdeführer am 15. Jänner 2010 eingebracht.

Nach Wiedergabe des Berufungsvorbringens des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde in ihrer Beurteilung nach Art. 8 EMRK - auf das hier Wesentliche zusammengefasst - darauf ab, dass der - unbescholtene - Beschwerdeführer im Mai 2004 unrechtmäßig eingereist sei, einen unberechtigten Asylantrag gestellt habe, der bereits am 8. Juli 2005 in erster Instanz abgewiesen worden sei, und gegen ihn zu dieser Zeit auch bereits in erster Instanz eine Ausweisung erlassen worden sei.

Ein "Familienleben beziehungsweise eine Lebenspartnerschaft" führe der Beschwerdeführer nicht. Er nehme zwar regelmäßig an Aktivitäten der "Gemeinschaft 'Eine Gemeinde des Herrn Jesus Christus'" teil. Insoweit seien auch Bestätigungen über die "guten Charaktereigenschaften" des Beschwerdeführers vorgelegt worden. Dies sei aber nicht ausreichend, um eine "Schutzwürdigkeit dieses Privatlebens" annehmen zu können. Es sei mangels Konkretisierung davon auszugehen, dass es sich um "bloße Zufallsbekanntschaften, nicht aber Freundschaften" handle.

Jedenfalls wäre auch "zu bejahen", dass ein allfälliges schutzwürdiges Privatleben zu einer Zeit begründet worden sei, in dem sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen. Spätestens seit Vorliegen der Entscheidung des UBAS seien ihm alle Gründe bekannt gewesen, die seinem "weiteren Aufenthalt aufgrund asylrechtlicher Bestimmungen" entgegengestanden seien. Weder aufgrund der Entscheidung des Bundesasylamtes noch jener des UBAS habe sich der Beschwerdeführer bezüglich seines "Aufenthaltsstatus in Sicherheit (..) wiegen" dürfen. Daran ändere auch nichts, dass der im Asylverfahren erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei.

Der Beschwerdeführer sei seit seiner Einreise "keiner ordentlichen Beschäftigung" nachgegangen. Eine maßgebliche berufliche Integration liegt nicht vor. Die Behauptung, Zeitungen zugestellt zu haben, führe ebenfalls nicht zu einer nennenswerten beruflichen Integration. Überdies bestehe der Verdacht, dass der Beschwerdeführer zur Ausübung dieser Tätigkeit nicht befugt sei.

In der Stellungnahme vom 9. Februar 2012 habe der Beschwerdeführer angegeben, mit seiner selbständigen Tätigkeit etwa EUR 600,-- brutto ins Verdienen zu bringen. Eine Bestätigung für ein Einkommen aus behaupteten weiteren Aushilfstätigkeiten habe der Beschwerdeführer nicht vorgelegt. Es könne somit nicht davon ausgegangen werden, dass er selbsterhaltungsfähig sei, weil sein Einkommen den in § 293 ASVG für Einzelpersonen vorgesehenen Richtsatz unterschreite. Weiters verfüge er nach Auskunft des Magistrates der Stadt G nicht über die für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit erforderliche Gewerbeberechtigung. In der vom Beschwerdeführer beigebrachten Einstellungszusage seien sowohl die Art, der Umfang und das Ausmaß der beabsichtigen Beschäftigung als auch das zu erwartende Einkommen offen geblieben. Ihr könne daher keine entscheidungswesentliche Bedeutung beigemessen werden.

Zwar habe der Beschwerdeführer eine "Deutschprüfung, Stufe A2," absolviert. Das von ihm besuchte Sprachinstitut "Afrikazentrum C(..) A(..)" erfülle aber nicht die Anforderungen nach § 9b NAG-DV.

Der Beschwerdeführer sei in Nigeria aufgewachsen und spreche die Sprache seines Heimatlandes. Seine Mutter und Schwester lebten nach wie vor dort.

Bei Berücksichtigung aller Umstände sei im Rahmen der nunmehr neuerlich durchgeführten Abwägung nach Art. 8 EMRK zum Ergebnis zu kommen, dass "keine berücksichtigungswürdigen Gründe festgestellt werden" könnten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (28. Jänner 2013) nach den Bestimmungen des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 50/2012 richtet.

§ 11 Abs. 3 und § 43 Abs. 3 NAG (jeweils samt Überschrift) lauten:

"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. …

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
  3. 4. der Grad der Integration;
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

    9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

    …."

    "'Niederlassungsbewilligung'

§ 43. …

(3) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine 'Niederlassungsbewilligung' zu erteilen, wenn

1. kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und

2. dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

...."

Zu den Voraussetzungen des § 43 Abs. 3 Z 2 iVm § 11 Abs. 3 NAG verweist der Beschwerdeführer - wie den Ausführungen im angefochtenen Bescheid zufolge bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemacht - auf seinen seit 2004 durchgehenden Aufenthalt im Bundesgebiet, seine rege Anteilnahme am "sozialen und kulturellen Leben in G", seine jahrelange selbständige Erwerbstätigkeit als Zeitungszusteller, die beigebrachte Einstellungszusage sowie auf Kenntnisse der deutschen Sprache.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist aber nicht zu erkennen, dass der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet wäre.

Es ist - worauf auch die belangte Behörde abgestellt hat - festzuhalten, dass der Beschwerdeführer einen unberechtigten Asylantrag gestellt hat und durch seinen Verbleib in Österreich trotz Abweisung seines Asylbegehrens und trotz Erlassung einer Ausweisung den geltenden Einwanderungsbestimmungen zuwidergehandelt hat. Sein Verhalten stellt somit eine relevante Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dar. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten öffentlichen Interesses - ein hoher Stellenwert zu (vgl. statt vieler etwa das hg. Erkenntnis vom 19. September 2012, Zl. 2012/22/0117).

Das sich nach dem Gesagten ergebende öffentliche Interesse hatte die belangte Behörde unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles gegen die gegenläufigen privaten Interessen des Beschwerdeführers - das Bestehen eines Familienlebens macht er auch in der Beschwerde nicht geltend - abzuwägen. Die in diesem Sinn von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung ist nicht zu beanstanden. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände wurden von der belangten Behörde bei ihrer Beurteilung ausreichend berücksichtigt. Selbst unter Berücksichtigung des Vorhandenseins von Kenntnissen der deutschen Sprache sind die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände - schon auf Basis des Beschwerdevorbringens, weshalb es den geltend gemachten Verfahrensfehlern an Relevanz fehlt - aber insgesamt nicht von einem solchen Gewicht, dass ihm unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein Aufenthaltstitel hätte erteilt und akzeptiert werden müssen, dass er mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen.

Bei der Bewertung des Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich, durfte die belangte Behörde im Sinn des § 11 Abs. 3 Z 8 NAG auch berücksichtigen, dass er auf der Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihm während des Asylverfahrens zugekommen war, nicht damit rechnen durfte, er werde dauernd in Österreich bleiben können. Dies gilt umso mehr für die Zeit ab Rechtskraft der gegen ihn erlassenen Ausweisung. Dass die Dauer des Asylverfahrens dem Beschwerdeführer nicht habe angelastet werden können, ändert an dieser Beurteilung nichts, zumal sich das Ausmaß der während der Zeit, die die Prüfung seines Asylbegehrens insgesamt in Anspruch genommen hat, erfolgte Integration nicht als dergestalt darstellt, dass ein aus Art. 8 EMRK resultierender Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu bejahen gewesen wäre.

Zusammenfassend ist es somit fallbezogen nicht zu beanstanden, wenn die belangte Behörde davon ausgeht, es sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht geboten, dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel zu erteilen.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 17. April 2013

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