VwGH 2012/04/0156

VwGH2012/04/01566.3.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde der X in Y, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend vom 6. November 2012, GZ 91.508/062099-I/3/12, betreffend die Verleihung der Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur", zu Recht erkannt:

Normen

IngG 1973 §1 Abs1 Z2;
IngG 1990 §4 Abs1 Z1 litb;
IngG 1990 §4 Abs1 Z1;
IngG 2006 §2 Z1 lita;
IngG 2006 §2 Z1 litb;
IngG 2006 §4 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Verleihung der Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" vom 8. August 2012 mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 2 Z. 1 des Ingenieurgesetzes 2006, BGBl. I Nr. 120 (IngG 2006), ab.

Begründend führte sie im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe am 23. Juni 2007 die Berufsreifeprüfung an der Höheren Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt Mödling abgelegt. Am 26. Juni 2012 habe sie die Diplomprüfung an der Höheren Technischen Bundes- Lehr- und Versuchsanstalt Wiener Neustadt auf dem Fachgebiet "Bautechnik-Hochbau" abgelegt.

Hinsichtlich der erforderlichen Praxis (nach der Reifeprüfung) habe sie dem Antrag einen Praxisnachweis des Amtes der Burgenländischen Landesregierung, ausgestellt am 27. Juli 2012, beigefügt. Dem Praxisnachweis zufolge sei sie seit dem 4. September 2001 als Vertragsbedienstete in der Abteilung 8 - Straßen-, Maschinen- und Hochbau beschäftigt und habe näher konkretisierte Aufgaben erledigt. Laut Mitteilung ihres Abteilungsvorstandes habe die Beschwerdeführerin seit dem 4. September 2001 - ebenfalls näher bezeichnete - Tätigkeiten ausgeführt, bei denen gehobene Kenntnisse auf Fachgebieten vorausgesetzt werden, auf denen Reife- und Diplomprüfungen abgelegt werden können.

Rechtlich folgerte die belangte Behörde, Voraussetzung für die Verleihung der Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" sei gemäß § 2 Z. 1 IngG 2006 u.a. die Absolvierung einer mindestens dreijährigen fachbezogenen Praxis, die gehobene Kenntnisse auf jenen Fachgebieten voraussetzt, auf denen Reife- und Diplomprüfungen abgelegt werden können. Als Praxis iSd § 2 Z. 1 lit. b IngG 2006 könne nur jene praktische Betätigung berücksichtigt werden, die die Antragstellerin in einem Zeitraum absolviert habe, in welchem sie bereits über die gehobenen Fachkenntnisse, die diese Praxis voraussetzt, verfügte. Da die Beschwerdeführerin die Diplomprüfung an der Höheren Technischen Bundes- Lehr- und Versuchsanstalt Wiener Neustadt auf dem Fachgebiet "Bautechnik, Ausbildungsschwerpunkt Hochbau" am 26. Juni 2012 abgelegt habe, könne nur davon ausgegangen werden, dass sie auch erst ab diesem Zeitpunkt über gehobene Kenntnisse des Fachgebiets "Bautechnik, Ausbildungsschwerpunkt Hochbau" verfügt habe. Anhaltspunkte dafür, dass sie bereits vor Absolvierung der Diplomprüfung über diese Kenntnisse verfügt habe bzw. dass sie noch vor Beginn des fraglichen dreijährigen Praxiszeitraumes ein Niveau an fachlicher Qualifikation erlangt habe, das dem mit Abschluss der Reifeprüfung an einer einschlägigen Höheren Technischen Lehranstalt verbundenen mindestens gleichwertig gewesen sei, seien den von ihr vorgelegten Unterlagen nicht zu entnehmen. Ihre Praxis nach der Reifeprüfung umfasse einen Monat und einen Tag (gerechnet bis zum Ausstellungsdatum des Praxisnachweises). Damit habe die Beschwerdeführerin dem Erfordernis der dreijährigen fachbezogenen Praxis dem zeitlichen Umfang nach nicht entsprochen. Ihr Antrag sei daher mangels Vorliegens einer mindestens dreijährigen fachbezogenen Praxis iSd § 2 Z. 1 lit. b IngG 2006 abzuweisen gewesen. "Außerhalb des Verfahrens" sei im Übrigen darauf hinzuweisen, dass die bislang vorgelegten Nachweise - aus näher dargestellten Gründen - noch nicht ausgereicht hätten, um "gehobene Tätigkeiten" im Sinne der zitierten Vorschrift zu belegen.

Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid dahin abzuändern, dass dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 8. August 2012 auf Verleihung der Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" stattgegeben werde, hilfsweise den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 2 Z. 1 IngG 2006 ist die Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" Personen zu verleihen, die die Reife- und Diplomprüfung nach dem Lehrplan inländischer höherer technischer und gewerblicher oder höherer land- und forstwirtschaftlicher Lehranstalten erfolgreich abgelegt (lit. a) und eine mindestens dreijährige fachbezogene Praxis absolviert haben, die gehobene Kenntnisse auf jenen Fachgebieten voraussetzt, auf denen Reife- und Diplomprüfungen abgelegt werden können (lit. b).

Nach § 4 Abs. 2 Z. 2 IngG 2006 sind dem Antrag auf Verleihung dieser Berechtigung u.a. Nachweise über die Ausbildung und über die Praxis anzuschließen.

Durch die Nachweise über die Praxis hat der Bewerber gemäß § 4 Abs. 4 IngG 2006 glaubhaft zu machen, dass er eine Praxis absolviert hat, die fachbezogene Kenntnisse auf jenen Fachgebieten voraussetzt, auf denen Reife- und Diplomprüfungen abgelegt werden können.

Nach § 4 Abs. 5 IngG 2006 ist bei Bewerbern (u.a.) gemäß § 2 Z. 1 bei Vorlage der Nachweise der Praxis der fachbezogenen Kenntnisse auf jenen Fachgebieten, auf denen Reife- und Diplomprüfungen abgelegt werden können, als gegeben anzunehmen, wenn diese im Zeugnis durch den Arbeitgeber bestätigt werden. Der Aussteller haftet für die Richtigkeit der Bestätigung.

2. Anders als das IngG 1973, das in seinem § 1 Abs. 1 Z. 2 als Verleihungsvoraussetzung eine entsprechende Praxis nach Abschluss des Studiums vorsah, verlangt § 2 Z. 1 lit. b IngG 2006 (wie schon davor § 4 Abs. 1 Z. 1 lit. b IngG 1990) nicht mehr, dass die Praxis erst nach Absolvierung der vorgeschriebenen Prüfungen zurückgelegt wird. Sie kann demnach auch schon vor dem Studienabschluss erworben worden sein, wenn die gehobenen Kenntnisse vor dem Studienabschluss auf andere Art erworben wurden (vgl. in diesem Sinn bereits zur Vorgängerbestimmung des § 4 Abs. 1 Z. 1 IngG 1990: Krejci/Pany/Schwarzer, Ziviltechnikerrecht2 (1997), S. 303).

Nichts anderes ergibt sich auch aus der einschlägigen hg. Rechtsprechung zu § 4 Abs. 1 Z. 1 IngG 1990, in der implizit immer wieder vorausgesetzt wurde, dass die erforderliche Praxis auch schon vor dem Studienabschluss auf andere Art erworben worden sein konnte. Allerdings wurde erkannt, dass als Praxis im obigen Sinne nur jene praktische Bestätigung berücksichtigt werden kann, die der Bewerber in einem Zeitraum absolvierte, in welchem er bereits über die erforderlichen Kenntnisse verfügte. Auch seien darunter nur solche Kenntnisse zu verstehen, über die Absolventen der als weitere Verleihungsvoraussetzung genannten Lehranstalten regelmäßig verfügen (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 18. Oktober 1994, Zl. 94/04/0163, vom 22. November 1994, Zl. 94/04/0210, vom 28. November 1995, Zl. 95/04/0176, vom 30. Jänner 1996, Zl. 95/04/0246, vom 19. März 1996, Zlen. 94/04/0239 und 94/04/0227, vom 18. Juni 1996, Zl. 94/04/0159, vom 10. Dezember 1996, Zl. 96/04/0204, u.a.).

3. Ausgehend davon ist die Beschwerde zunächst im Recht, wenn sie darauf hinweist, dass die als Verleihungsvoraussetzung geforderte Praxis nach § 2 Z. 1 lit. b IngG 2006 nicht erst nach Absolvierung der Prüfungen nach § 2 Z. 1 lit. a IngG 2006 erlangt werden kann. Das setzt aber voraus, dass schon vor diesen Prüfungen eine Praxis absolviert wird, die gehobene Kenntnisse auf jenen Fachgebieten voraussetzt, auf denen Reife- und Diplomprüfungen abgelegt werden können, und der Bewerber bei Ablegung der Praxis bereits über diese Kenntnisse verfügt. Insoweit lässt sich die oben wiedergegebene hg. Rechtsprechung zu § 4 Abs. 1 Z. 1 IngG 1990 auch auf die Rechtslage nach dem IngG 2006 übertragen (vgl. aber die geänderten Voraussetzungen zur "fachbezogenen Praxis" statt "Berufspraxis" sowie zu den "gehobenen Kenntnissen" statt "höheren Fachkenntnissen", deren geänderte Bedeutung in den Gesetzesmaterialien näher erläutert wird (1431 BlgNR 22. GP, S. 2f)).

4. Die belangte Behörde scheint im angefochtenen Bescheid auch davon auszugehen, dass in Ausnahmefällen die erforderlichen "gehobenen Kenntnisse" auch auf andere Art und Weise als durch Ablegung der Prüfungen nach § 2 Abs. 1 lit. a IngG 2006 erworben werden können. Sie verneint in ihrer Entscheidung aber "Anhaltspunkte dafür, dass (die Beschwerdeführerin) bereits vor Abschluss der Höheren Technischen Lehranstalt über gehobene Kenntnisse auf dem Fachgebiet 'Bautechnik, Ausbildungsschwerpunkt Hochbau' verfügt" habe. In der Gegenschrift erläutert die belangte Behörde ihren Rechtsstandpunkt dahingehend, dass keine Ausbildungsnachweise vorgelegt worden seien, welche auf das Vorliegen gehobener Kenntnisse vor dem 26. Juni 2012 (Ablegung der Diplomprüfung durch die Beschwerdeführerin) schließen ließen. Nach Ansicht der belangten Behörde wären ausschließlich Ausbildungen für einen derartigen Nachweis geeignet gewesen, nicht aber eine Tätigkeit, selbst wenn diese gehoben wäre.

Bei diesen Überlegungen übersieht die belangte Behörde vor allem die neu geschaffene Regelung des § 4 Abs. 5 IngG 2006. In der Regierungsvorlage zum IngG 2006 (1431 BlgNR 22. GP, S. 3) wurde zu dieser Regelung sowie zur ebenfalls neuen Bestimmung des § 4 Abs. 4 leg. cit. Folgendes ausgeführt:

"Neu sind die Bestimmungen der § 4 Abs. 4 und Abs. 5.

Durch Abs. 4 wird festgeschrieben, dass die im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens nachzuweisende Berufspraxis lediglich glaubhaft zu machen ist.

Die Glaubhaftmachung bezweckt lediglich, die Richtigkeit einer Tatsache bloß wahrscheinlich zu machen. Tatsachen, die kraft Gesetzes glaubhaft zu machen sind, bedürfen keines Beweises. Diese Bestimmung dient der Verwaltungsvereinfachung.

Durch Abs. 5 werden die Verwaltungsverfahren bzw. der Nachweis der Praxis insofern erleichtert, als die Bestätigung der fachbezogenen Praxis durch den Arbeitgeber als ausreichend angesehen wird.

Dem Grundsatz der materiellen Wahrheitsforschung wird in den Fällen kein wesentlicher Abbruch getan, in denen das Gesetz bloße 'Glaubhaftmachung' vorsieht (vgl. § 49 Abs. 4, § 53 Abs. 1 lit. a AVG) sowie in den Falle der gesetzlichen Vermutung (§ 45 Abs. 1 AVG).

Durch die in Abs. 5 vorgesehene gesetzliche Vermutung wird es in einer Vielzahl von Verfahren zu einer ins Gewicht fallenden Abkürzung der Dauer bzw. einem Automatismus kommen."

Der Gesetzgeber hat somit in § 4 Abs. 5 IngG 2006 aus Gründen der Verfahrensvereinfachung eine gesetzliche Vermutung aufgestellt, wonach - sprachlich nicht einwandfrei formuliert - offenkundig der Nachweis der nach § 2 Z. 1 lit. b IngG 2006 geforderten Praxis dann als gegeben anzunehmen ist, wenn diese im vorgelegten Zeugnis durch den Arbeitgeber ausreichend konkret bestätigt wird. Dieser Neuregelung kommt auch im gegenständlichen Verfahren Bedeutung zu, weil die Beschwerdeführerin der belangten Behörde nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid einen Praxisnachweis ihres Arbeitgebers vorgelegt hat, demzufolge die Beschwerdeführerin ab dem 4. September 2001 Tätigkeiten ausgeführt hat, bei denen gehobene Kenntnisse auf Fachgebieten vorausgesetzt werden, auf denen Reife- und Diplomprüfungen abgelegt werden können. Aufgrund dieser Bestätigung ist der Nachweis der Praxis der fachbezogenen Kenntnisse auf jenen Fachgebieten, auf denen Reife- und Diplomprüfungen abgelegt werden können, gemäß § 4 Abs. 5 IngG 2006 als gegeben anzunehmen. Weiterer Nachweise - wie von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift angesprochen - bedurfte es in diesem Punkt nicht. Es lässt sich daher auch nicht argumentieren, dass der belangten Behörde keine Anhaltspunkte für die Erfüllung der Verleihungsvoraussetzung des § 2 Z. 1 lit. b IngG 2006 vorgelegen seien, zumal diese Voraussetzung durch die Bestätigung des Arbeitgebers als nachgewiesen anzunehmen ist.

5. Zusammenfassend war daher die Abweisung des Verleihungsantrages der Beschwerdeführerin mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 2 Z. 1 lit. b IngG 2006 nicht rechtmäßig.

Der angefochtene Bescheid war daher aus den genannten Gründen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Wien, am 6. März 2013

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