VwGH 2011/05/0121

VwGH2011/05/012126.6.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail sowie den Hofrat Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde der Marktgemeinde P, vertreten durch Dr. HG, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom 26. Februar 2010, Zl. MA 26-564/09, betreffend Auskunftserteilung iA eines Flächenwidmungsplans (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §62 Abs1;
AVG §73 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
AVG §56;
AVG §62 Abs1;
AVG §73 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 9. September 2009 begehrte Rechtsanwalt Dr. H. G., der nunmehrige Vertreter der Beschwerdeführerin, vom Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 21 B, die Übersendung "sämtlicher in der Beilagenmappe 7. (…) zum Planentwurf 7853 enthaltenen Gutachten und Stellungnahmen betreffend die Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes in Kopie". Für den Fall der Nichtentsprechung werde die bescheidmäßige Erledigung des Antrages noch innerhalb der Kundmachungsfrist beantragt.

Mit Bescheid der MA 21 B vom 6. November 2009, Zl. MA 21 B - D 1372/09/3, wurde das "von Herrn Dr. H. G. gestellte Begehren" auf der Grundlage des § 1 Abs. 1 des Wiener Auskunftspflichtgesetzes in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 B-VG abgewiesen. Ebenso wurde das "gleichzeitig mündlich vorgetragene Begehren auf Aushändigung bzw. Übermittlung einer vollständigen Abschrift eines anlässlich der gegenständlichen Planung erstellten Verkehrsgutachtens" nach § 1 Abs. 5 des Wiener Auskunftspflichtgesetzes abgewiesen. Dieser Bescheid erging nach seiner Zustellverfügung an Rechtsanwalt Dr. H. G. und wurde ihm am 9. November 2009 zugestellt.

Am 20. November 2009 langte bei der MA 21 B die gegen diesen Bescheid gerichtete, von der Beschwerdeführerin im Wege ihres Vertreters (Rechtsanwalt Dr. H. G.) eingebrachte Berufung vom 17. November 2009 ein.

Der Berufungssenat der Stadt Wien beschloss in seiner Sitzung vom 26. Februar 2010, die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurückzuweisen. Der entsprechende Berufungsbescheid wurde der MA 21 B zwecks nachweislicher Zustellung der Bescheidausfertigung an die Beschwerdeführerin, zu Handen ihres Rechtsanwaltes Dr. H. G., übermittelt.

Am 27. Mai 2011 langte beim Gemeinderat der Gemeinde Wien der Devolutionsantrag der Beschwerdeführerin vom 25. Mai 2011 wegen behaupteter Säumnis des Berufungssenates der Stadt Wien hinsichtlich der Entscheidung über die Berufung vom 17. November 2009 ein.

Die MA 21 B veranlasste daraufhin die - bislang unterbliebene - Zustellung des am 26. Februar 2010 vom Berufungssenat der Stadt Wien beschlossenen Berufungsbescheides an die Beschwerdeführerin; die diesbezügliche Zustellung erfolgte am 20. Juni 2011.

Gegen den Berufungsbescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom 26. Februar 2010, Zl. MA 26-564/09, richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, in eventu Rechtswidrigkeit des Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht und Ersatz für die "regelmäßig anfallenden Kosten für Schriftsatzaufwand, Verhandlungsaufwand sowie für die Eingabegebühr im gebührenden Ausmaß" begehrt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift samt Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der am 20. Juni 2011 erlassene Bescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom 26. Februar 2010, mit dem die Berufung der Beschwerdeführerin als unzulässig zurückgewiesen wurde, erweist sich infolge Unzuständigkeit dieser Behörde als rechtswidrig.

§ 73 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 65/2002, lautet:

 73. (1) Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Sofern sich in verbundenen Verfahren (§ 39 Abs. 2a) aus den anzuwendenden Rechtsvorschriften unterschiedliche Entscheidungsfristen ergeben, ist die zuletzt ablaufende maßgeblich.

(2) Wird der Bescheid nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen, so geht auf schriftlichen Antrag der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, wenn aber gegen den Bescheid Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat erhoben werden könnte, auf diesen über (Devolutionsantrag). Der Devolutionsantrag ist bei der Oberbehörde (beim unabhängigen Verwaltungssenat) einzubringen. Er ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

(3) Für die Oberbehörde (den unabhängigen Verwaltungssenat) beginnt die Entscheidungsfrist mit dem Tag des Einlangens des Devolutionsantrages zu laufen."

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes über die Auskunftspflicht, LGBl. Nr. 20/1988 idF LGBl. Nr. 29/1999 (Wiener Auskunftspflichtgesetz), lauten (auszugsweise):

"§ 1. (1) Die Organe des Landes und der Gemeinde Wien sowie der durch Landesgesetz geregelten Selbstverwaltung haben über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskunft zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht.

§ 3. …

(3) Wird die Auskunft ausdrücklich verweigert oder nicht fristgerecht erteilt, hat das Organ auf Antrag des Auskunftswerbers innerhalb von drei Monaten ab Antrag mit schriftlichem Bescheid zu entscheiden, ob die Auskunft zu erteilen ist. Wird die Auskunft nachträglich erteilt, endet die Pflicht zur Bescheiderlassung.

(6) … Eine Berufung ist nur gegen Bescheide des Magistrats zulässig.

§ 4. Die Gemeindeorgane besorgen die in diesem Gesetz geregelten Aufgaben im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde."

Gemäß § 8 der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien, LGBl. Nr. 28/1968 in der verfahrensgegenständlich anzuwendenden Fassung LGBl. Nr. 37/2009 (Wiener Stadtverfassung-WStV), sind zur Besorgung der Aufgaben der Gemeinde als Organe u.a. der Gemeinderat (Z. 1), der Berufungssenat (Z. 11) sowie der Magistrat (Z. 12) berufen.

Gemäß § 99 Abs. 1 leg. cit. entscheidet, sofern nicht durch ein Gesetz eine andere Rechtsmittelinstanz gegeben ist, in den zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehörenden Angelegenheiten der Berufungssenat über Rechtsmittel gegen Verfügungen oder Entscheidungen des Magistrats. Gegen Bescheide des Berufungssenates ist eine Berufung unzulässig, und zwar auch dann, wenn der Berufungssenat auf Grund eines Devolutionsantrages als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde entscheidet (§ 99 Abs. 3 WStV).

Gemäß § 105 Abs. 2 WStV vollzieht der Magistrat alle behördlichen Angelegenheiten, soweit hiefür nicht andere Organe zuständig sind.

Das Auskunftsbegehren bezieht sich auf eine Flächenwidmungs- und Bebauungsplanangelegenheit, somit iSd § 139 Bauordnung für Wien auf den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde. Die nach § 1 Abs. 1 Wiener Auskunftspflichtgesetz in einer solchen Angelegenheit zuständigen Gemeindeorgane besorgen diese Aufgabe ebenfalls im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde (§ 4 Wiener Auskunftspflichtgesetz). Der Instanzenzug verläuft - jeweils in Ermangelung einer anderslautenden Anordnung - vom Magistrat an den Berufungssenat, gegen dessen Bescheide eine Berufung unzulässig ist (§§ 99 und 105 Abs. 2 WStV).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist hinsichtlich des Berufungssenates der Stadt Wien der Gemeinderat sachlich in Betracht kommende Oberbehörde (vgl. dazu den Beschluss eines verstärkten Senates vom 24. April 1986, Zl. 85/02/0281, und nachfolgend z.B. die Beschlüsse vom 26. Februar 1997, Zl. 97/12/0014, und vom 18. Mai 2004, Zl. 2004/05/0037).

Die Beschwerdeführerin hat sich mit ihrem Devolutionsantrag vom 25. Mai 2011 somit zu Recht an den Gemeinderat der Gemeinde Wien als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde gewandt.

Voraussetzung für den Übergang der Entscheidungspflicht im Sinn des § 73 Abs. 2 AVG ist weiters, dass der Bescheid nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen wurde.

"Erlassung" eines Bescheides bedeutet Erzeugung einer Rechtsnorm bestimmter Art; als Norm rechtlich existent wird ein intendierter Bescheid daher nur und erst dann, wenn das Erzeugungsverfahren abgeschlossen, das heißt, wenn das zeitlich letzte Erzeugungstatbestandsmerkmal - das ist in der Regel die Mitteilung des behördlichen Willensaktes nach außen - verwirklicht worden ist (siehe Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, Anm. 2) zu § 56 AVG). Ein (schriftlicher) Bescheid ist erst mit der Zustellung bzw. Ausfolgung seiner schriftlichen Ausfertigung an eine Partei als erlassen anzusehen; nur ein erlassener Bescheid kann Rechtswirkungen erzeugen (vgl. z.B. den hg. Beschluss vom 18. Februar 1988, Zl. 88/09/0002, und das hg. Erkenntnis vom 20. März 2001, Zl. 2000/11/0336). Auch in Ansehung von Bescheiden kollegial eingerichteter Verwaltungsbehörden kommt es nicht auf den Zeitpunkt der inneren Willensbildung des Verwaltungsorgans, sondern auf den der Erlassung des Bescheides - bei schriftlichen Bescheiden also auf den der Zustellung an die Partei - an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 2012, Zl. 2008/04/0045, mwN, sowie VfSlg. 9428/1982 und 13111/1992).

Der bekämpfte Berufungsbescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom 26. Februar 2010 wurde demnach erst mit seiner Zustellung an den Vertreter der Beschwerdeführerin am 20. Juni 2011 - und somit außerhalb der Entscheidungsfrist des § 73 Abs. 1 AVG - rechtswirksam erlassen. Der am 27. Mai 2011 bei der Oberbehörde eingelangte Devolutionsantrag erweist sich daher als zulässig.

Liegen die Voraussetzungen für einen Devolutionsantrag vor, so geht mit dem Einlangen des Antrages bei der Oberbehörde die Zuständigkeit zur Entscheidung über den zugrunde liegenden Antrag an diese Behörde über; ein nach diesem Zeitpunkt durch die Unterbehörde erlassener Bescheid ist infolge Unzuständigkeit dieser Behörde, unabhängig davon, ob die Unterbehörde tatsächlich schuldhaft säumig im Sinn des § 73 Abs. 2 letzter Satz AVG war, sowie ohne Rücksicht darauf, wann die Unterbehörde von der Anrufung der Oberbehörde Kenntnis erlangt und wann das zuständige Organ den Bescheidentwurf durch seine Unterschrift genehmigt hat, rechtswidrig (siehe Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 234 zu § 73, und die dort zitierte Judikatur).

Die belangte Behörde verkennt in ihrer Gegenschrift, dass auch die Zuständigkeit einer Kollegialbehörde nach dem Zeitpunkt der Erlassung des von ihr beschlossenen Bescheides, nicht aber nach dessen Beschlussfassung, zu beurteilen ist. Da mit dem Einlangen des Devolutionsantrages am 27. Mai 2011 der Gemeinderat zur Entscheidung über die Berufung der Beschwerdeführerin zuständig wurde, erweist sich der am 20. Juni 2011 durch den Berufungssenat der Stadt Wien erlassene Berufungsbescheid infolge Unzuständigkeit als rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Da eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht stattgefunden hat, kommt die Zuerkennung von Verhandlungsaufwand nicht in Betracht. Ebenso wenig gebührt ein Kostenersatz hinsichtlich der Eingabengebühr, da Gebietskörperschaften gemäß § 24 Abs. 3 Z 3 VwGG von der Entrichtung der Eingabengebühr befreit sind.

Wien, am 26. Juni 2013

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