Normen
AVG §73 Abs2;
VwGG §27;
WStV 1968 §48a;
WStV 1968 §48b;
WStV 1968 §48c;
WStV 1968 §80;
WStV 1968 §88 Abs4;
WStV 1968 §99;
AVG §73 Abs2;
VwGG §27;
WStV 1968 §48a;
WStV 1968 §48b;
WStV 1968 §48c;
WStV 1968 §80;
WStV 1968 §88 Abs4;
WStV 1968 §99;
Spruch:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Nach dem Beschwerdevorbringen wurden dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 22. Jänner 1985 Kosten für die Entfernung und Aufbewahrung seines Fahrzeuges vom Aufstellungsort Wien 4, W-gasse n, im Betrag von S 1.260,-- unter Berufung auf § 89 a Abs. 7 und 7 a der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) und auf den anzuwendenden Tarif vorgeschrieben. Am 19. Februar 1985 gab der Beschwerdeführer, so seine Behauptung, innerhalb offener Frist eine Berufung gegen diesen Bescheid zur Post (die Postaufgabe an diesem Tag wurde glaubhaft gemacht). Der zur Entscheidung über die Berufung zuständige Berufungssenat der Stadt Wien habe "bis heute" (das war der 13. Dezember 1985) über die Berufung nicht entschieden, so daß Verletzung der Entscheidungspflicht nunmehr mit Säumnisbeschwerde geltend gemacht werde. Der angefochtene erstinstanzliche Bescheid möge vom Verwaltungsgerichtshof ersatzlos behoben werden, weil die gesetzmäßigen Voraussetzungen für die Entfernung des Fahrzeuges nicht vorgelegen seien.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Zulässigkeit der Säumnisbeschwerde steht die Nichterschöpfung des in den §§ 27 VwGG, 73 AVG 1950 geregelten Devolutionsrechtszuges entgegen:
Gemäß § 27 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Weg eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat.
Gemäß § 73 Abs. 1 AVG 1950 sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge der Parteien und Berufungen ohne unnötigen Aufschub spätestens aber sechs Wochen nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Nach Abs. 2 dieses Paragraphen geht, wenn der Partei innerhalb dieser Frist der Bescheid nicht zugestellt wird, auf ihr schriftliches Verlangen die Zuständigkeit zur Entscheidung an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Oberbehörde einzubringen.
Demnach war zu prüfen, ob der Berufungssenat der Stadt Wien oberste Behörde war, die im Verwaltungsverfahren angerufen werden konnte, sei es im Instanzenzug, sei es im Weg eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht.
Diese Frage ist auf Grund des B-VG idF der B-VG-Novelle 1962, BGBl. Nr. 205, und der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien (Wiener Stadtverfassung - WStV), LGBl. Nr. 28/1968 in der geltenden Fassung, das ist, was die nachfolgend zitierten Bestimmungen anlangt, in der Fassung des Gesetzes vom 17. März 1973, LGBL. Nr. 12, zu prüfen.
Vorauszuschicken ist, dass nach dem Beschwerdevorbringen die von der ersten Instanz gesetzte Amtshandlung, da es sich um die Entfernung eines Fahrzeuges von einer Gemeindestraße handelte, gemäß § 94 d Z. 15 StVO in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fiel.
Gemäß § 8 WStV sind zur Besorgung der Aufgaben der Gemeinde als Organe berufen unter anderem (Z. 1) der Gemeinderat und (Z. 9) der Berufungssenat. Gemäß § 99 Abs. 1 WStV entscheidet, sofern nicht durch ein Gesetz eine andere Rechtsmittelinstanz gegeben ist, in dem zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehörenden Angelegenheiten der Berufungssenat über Rechtsmittel gegen Verfügungen oder Entscheidungen des Magistrates. Nach Abs. 3 dieses Paragraphen ist gegen die Entscheidung des Berufungssenates ein weiteres Rechtsmittel nicht zulässig.
Daraus ergibt sich, dass im Instanzenzug der Berufungssenat der Stadt Wien die oberste Behörde im Sinne des § 27 VwGG darstellt.
Zu untersuchen ist ferner, ob es im Verhältnis zum Berufungssenat, abgesehen von dem bei ihm endenden Instanzenzug, eine sachlich in Betracht kommende Oberbehörde gibt.
Der Verwaltungsgerichtshof ist der Ansicht, dass die jeweilige, für die Organisation und das Handeln einer Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich maßgebende Organisationsnorm nicht ausdrücklich und mit den Worten des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes eine "sachlich in Betracht kommende Oberbehörde" normieren muss, damit von der Existenz einer solchen Behörde ausgegangen werden kann.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist u. a. sachlich in Betracht kommende Oberbehörde jene, die - bei Ausschluss eines ordentlichen Rechtsmittels - durch Ausübung des Weisungs- oder Aufsichtsrechtes den Inhalt der unterbliebenen Entscheidung hätte bestimmen können (Beschlüsse vom 4. Juli 1974, Z1. 989/74, und vom 25. Jänner 1983, Z1. 83/11/0005). Die Möglichkeit, den Verwaltungsgerichtshof mit einer Säumnisbeschwerde anzurufen, setzt voraus, dass die oberste Verwaltungsbehörde, die nach den in Frage kommenden Vorschriften das Recht hat, den Inhalt der unterbliebenen Entscheidung zu bestimmen, angerufen wurde und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat. Jede derartige Behörde ist sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im Sinne des § 73 Abs. 2 AVG 1950 und muss von der Partei zuvor im Devolutionsweg angerufen worden sein, damit eine Säumnisbeschwerde zulässig werden kann (Beschluss vom 13. September 1983, Slg. N.F. Nr. 11.131/A). Kommt ein Weisungsrecht gegenüber der säumigen Behörde nicht in Frage - wie z. B. gemäß § 102 Abs. 2 BDG gegenüber einer Disziplinarkommission oder der Disziplinaroberkommission - so genügt die Ausübung der Fach- und Dienstaufsicht gegenüber der säumigen Behörde, um der hiezu berufenen Behörde - im Falle des BDG dem zuständigen Ressortminister - die Stellung einer Oberbehörde im genannten Sinne zu verleihen (Beschluss vom 19. Mai 1982, Slg. N.F. Nr. 10.742/A, Seite 307 der Amtlichen Sammlung).
Es ist daher des näheren zu untersuchen, ob der Inhalt der Entscheidung des Berufungssenates der Stadt Wien von einem anderen Organ der Stadt Wien bestimmt werden kann oder ob solches Organ die Fach- oder Dienstaufsicht über den Berufungssenat ausübt.
Vorweg ist zu sagen, dass in den Organisationsbestimmungen betreffend den Berufungssenat (§§ 48 a bis 48 c WStV) weder eine Weisungsfreiheit der Mitglieder des Berufungssenates angeordnet ist (eine solche bedürfte, sofern es sich nicht um eine Kommission im Sinne des Art. 20 Abs. 2 B-VG handelt, einer bundes- oder landesverfassungsgesetzlichen Grundlage, vgl. Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 1980, Slg. Nr. 8833), noch genießen die Mitglieder des Berufungssenates die Privilegien der Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit (siehe § 48 b Abs. 3 und 4 WStV, wonach eine Abberufung der Beisitzer und Stellvertreter schlechthin jederzeit, z.T. aus wichtigen Gründen, zulässig ist). Die Mitglieder des Berufungssenates sind somit weisungsgebunden.
Die Wiener Stadtverfassung ist ferner daraufhin zu prüfen, welches Organ dem Berufungssenat oder einzelnen seiner Mitglieder Weisungen, betreffend die Entscheidungstätigkeit dieses Senates, erteilen kann.
Gemäß § 78 WStV wird der eigene Wirkungsbereich der Gemeinde unter anderem vom Gemeinderat und vom Berufungssenat ausgeübt. Gemäß § 80 Abs. 3 WStV sind der Bürgermeister und die übrigen Organe der Gemeinde für die Erfüllung ihrer dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugehörigen Aufgaben dem Gemeinderat verantwortlich: Nach Abs. 1 dieses Paragraphen ist der Gemeinderat innerhalb der gesetzlichen Grenzen berufen, die Gemeinde in Ausübung ihrer Rechte und Pflichten zu vertreten, für sie bindende Beschlüsse zu fassen und diese im geeigneten Wege vollziehen zu lassen. Nach Abs. 2 dieses Paragraphen hat der Gemeinderat die Interessen der Gemeinde allseitig zu wahren und für ihre Befriedigung durch gesetzliche Mittel zu sorgen.
Nach dem mit "Selbstbestimmung" überschriebenen § 82 WStV hat der Gemeinderat kraft des der Gemeinde zustehenden Rechtes der Selbstbestimmung in Gemeindeangelegenheiten innerhalb der gesetzlichen Grenzen organisatorische Beschlüsse in allen den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde betreffenden Angelegenheiten zu fassen. Nach § 83 leg. cit. hat der Gemeinderat "überhaupt" das Recht auf Oberaufsicht, d.h. das Recht, die Geschäftsführung aller Gemeindeämter in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches zu untersuchen oder untersuchen zu lassen, die Vorlage aller Akten zu verlangen und sich in einzelnen Fällen von besonderer Wichtigkeit die Genehmigung vorzubehalten. "Dieses Recht des Vorbehaltes der Genehmigung einzelner Fälle bezieht sich, da das Gesetz keinen Unterschied macht, auch auf die dem Berufungssenat nach § 99 zukommenden Fälle.
In § 88 Abs. 4 WStV wird der Gemeinderat ausdrücklich unter Bezugnahme auf § 80 als oberstes beschließendes Organ bezeichnet, das aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit die Besorgung einzelner ihm gemäß Abs. 1 vorbehaltener Aufgaben auch dem Stadtsenat, einem Gemeinderatsausschuss oder dem Magistrat übertragen kann. Von einer Übertragung der dem Gemeinderat vorbehaltenen Aufgaben an den Berufungssenat ist nicht die Rede.
Die angeführten Bestimmungen der Wiener Stadtverfassung ergeben den Schluss, dass der Berufungssenat in seiner Tätigkeit im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde dem Gemeinderat als oberstem Organ in der Weise untersteht, dass dem Gemeinderat sowohl das Weisungs- als auch das Aufsichtsrecht zukommt. Vergleiche mit der Stellung der Bauoberbehörde für Wien und der Abgabenberufungskommission für Wien sind deshalb nicht anzustellen, weil diese zwei Behörden durch die Verfassungsbestimmung des Art. 111 B-VG ausdrücklich als besondere Kollegialbehörden bezeichnet werden, denen die Entscheidung in bestimmten Angelegenheiten in oberster Instanz zusteht. Daher kann die auf diese beiden Behörden bezogene Aussage, sie stünden auf gleicher Stufe mit der Landesregierung, nicht auf den Berufungssenat übertragen werden.
Dieser anhand der Wiener Stadtverfassung gewonnene Befund stimmt mit zahlreichen anderen Befundaufnahmen des Verwaltungsgerichtshofes über Organisationsstatuten von Gemeinden überein, wonach in der Regel der Gemeinderat als oberstes Organ anzusehen ist, welches im Wege des § 73 Abs. 2 AVG 1950 angerufen werden kann und auch angerufen werden muss, damit die Voraussetzungen einer Säumnisbeschwerde geschaffen werden (vgl. z.B. Erkenntnis vom 20. Juni 1969, Slg. N.F. Nr. 7606/A; Beschluss vom 8. Septeriber 1969, Slg. N.F. Nr. 7626/A; Beschluss vom 16. Jänner 1973, Slg. N.F. Nr. 8483/A; Beschluss vom 22. Jänner 1974, Slg. N.F. Nr. 9538/A; Erkenntnis vom 14. Jänner 1975, Slg. N.F. Nr. 8741/A).
Dieses aus der landesverfassungsgesetzlichen Rechtslage gewonnene Ergebnis stimmt mit der bundesverfassungsgesetzlichen Regelung der Gemeindeorgane insoferne überein, als sich aus Art:
118 Abs. 5 (in Verbindung mit Art. 112) B-VG, wonach alle Organe der Gemeinde Wien für die Erfüllung ihrer dem eigenen Wirkungsbereich zugehörigen Aufgaben dem Gemeinderat verantwortlich sind, ergibt, dass der Gemeinderat - in seiner Eigenschaft als einziges unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ der Gemeinde (Art. 117 Abs. 1 lit. a B-VG) - das oberste Organ der Gemeinde zu sein hat.
Aus diesen Erwägungen vermag der erkennende Senat die Rechtsansicht des Erkenntnisses vom 10. September 1984, Z1. 83/12/0058, im Hinblick darauf, dass der Berufungssenat der Stadt Wien gemäß § 99 Abs. 3 WStV im Instanzenzug oberste Behörde sei - dieser Ansicht ist auch der erkennende Senat -, sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass nach den Bestimmungen der Wiener Stadtverfassung in der in Streit stehenden Angelegenheit (damals: Vordienstzeitenanrechnung) auch kein anderes Organ als oberste Behörde im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht angerufen werden konnte, nicht zu teilen. Als solches oberstes Organ ist nach Ansicht des erkennenden Senates vielmehr der Gemeinderat anzusehen.
Da dieser aber vom Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen nicht im Wege eines Antrages nach § 73 Abs. 2 AVG 1950 angerufen wurde, sind die Voraussetzungen für eine Beschwerdeführung nach § 27 VwGG nicht gegeben.
Die Beschwerde war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen.
Wien, am 24. April 1986
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