VwGH 2009/02/0206

VwGH2009/02/020624.4.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Senatspräsidentin Dr. Riedinger sowie den Hofrat Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. Christoph Naske, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 21, gegen den Bescheid des Berufungssenates der Stadt Wien vom 29. April 2009, Zl. MA65 2327/2008, betreffend Kostenvorschreibung nach § 92 Abs. 3 StVO 1960 (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37
AVG §39 Abs2
AVG §45 Abs2
StVO 1960 §92 Abs1
StVO 1960 §92 Abs3
VersammlungsG 1953 §11
VersammlungsG 1953 §11 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2013:2009020206.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Gemeinde) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von € 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 29. April 2009 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 92 Abs. 3 StVO 1960 der Kostenersatz für das Entfernen der durch die Kundgebung „M. Parade008“ verursachten Verunreinigung (Glas, Dosen, Papier etc.) von einer näher bezeichneten Straße mit öffentlichem Verkehr vorgenommen durch die Stadt Wien, Magistratsabteilung 48 am 1. Mai 2008 von 19.25 bis 21.00 Uhr sowie von 23.15 bis 23.40 Uhr, in der Höhe von € 192,67 vorgeschrieben.

In der Begründung dieses Bescheides wird u.a. ausgeführt, im Zuge einer Demonstrationsveranstaltung sei an dem oben bezeichneten Ort die Fahrbahn durch größere Mengen an Abfall (Dosen, Flaschen, Papier) verunreinigt worden und habe von der Magistratsabteilung 48Straßenreinigung gereinigt werden müssen.

Der Beschwerdeführer bestreite in der Berufung zwar nicht den Tatbestand der Verschmutzung der Straße (durch Abfall) und die Notwendigkeit der von der Behörde vorgenommenen Straßenreinigung, wende aber im Wesentlichen ein, er habe die zu Grunde liegende Demonstration bei der Veranstaltungspolizei angemeldet, ansonsten habe er aber nichts damit zu tun gehabt, weshalb ihm als bloßen Anmelder die Kosten nicht auferlegt werden dürften.

Mit Schreiben vom 30. April 2008 habe der Beschwerdeführer bei der Bundespolizeidirektion Wien eine am 1. Mai 2008 stattfindende Kundgebung (mit der Bezeichnung „E. Parade008“) angemeldet und auch darauf hingewiesen, dass „ein Kundgebungsleiter erst vor Ort ernannt“ werde. In der Folge sei ein solcher Kundmachungsleiter jedoch nicht ernannt und vom Beschwerdeführer auf Anfrage der Behörde keine für die Versammlung verantwortliche Person bekannt gegeben worden.

Soweit der Beschwerdeführer jede Verantwortung für die von ihm angemeldete Versammlung von sich weise, sei ihm entgegenzuhalten, dass § 11 des Versammlungsgesetzes vorrangig dem Leiter der Versammlung bzw. den von ihm zu bestellenden Ordnern die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung übertrage. Damit sei die durch § 19 des Versammlungsgesetzes strafsanktionierte Pflicht verbunden, gesetzwidrigen Äußerungen und Handlungen entgegenzutreten und im Fall der Nichtbefolgung der Anordnungen, die Versammlung aufzulösen.

Diese Verpflichtung treffe jedoch zur ungeteilten Hand auch denjenigen, der eine Versammlung (Kundgebung, Demonstration) bei der Behörde angemeldet habe, wenn wie im vorliegenden Falle ein solcher Versammlungsleiter gar nicht bestellt bzw. der Behörde nicht bekannt gegeben worden sei.

Es habe sich erübrigt, Nachforschungen nach der Person des Versammlungsleiters anzustellen. Die Vermutung des Beschwerdeführers, die Personaldaten des Versammlungsleiters würden ohnehin bei der Bundespolizeidirektion Wien, Büro für Vereinsund Versammlungsgelegenheiten aufscheinen, gehe insoweit ins Leere, als in diesem Fall wohl dieser und nicht der Beschwerdeführer zum Ersatz der Reinigungskosten herangezogen worden wäre. Sei kein Versammlungsleiter bestellt oder bekannt gegeben worden, so träfen die Pflichten des Veranstalters eben jenen, der gegenüber der Behörde namens des Veranstalters aufgetreten sei; das sei der Beschwerdeführer als Anmelder.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschiften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

In der Beschwerde wird u.a. eingewendet, die belangte Behörde habe eindeutig festgestellt, dass die Verunreinigung durch eine Versammlung entstanden sei, welche der Beschwerdeführer lediglich angemeldet habe. Die belangte Behörde habe aber nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer selbst die Straße verunreinigt habe. Schon aus diesem Grunde hätte die Behörde die Kosten jenen Personen vorschreiben müssen, welche die Straße tatsächlich verunreinigt hätten, nicht aber dem Beschwerdeführer, welcher unstrittig an der Verunreinigung überhaupt nicht beteiligt gewesen sei. Der Beschwerdeführer selbst habe der Vorschrift des § 92 Abs. 1 StVO 1960 in keiner Weise zuwidergehandelt. Im Übrigen habe er auch nicht die geringste Möglichkeit gehabt, eine Verunreinigung im Rahmen einer Versammlung nach dem Versammlungsgesetz zu unterbinden. Selbst wenn der Beschwerdeführer Versammlungsleiter gewesen wäre, hätte er keinerlei Anordnungsmacht besessen, welche ihm erlaubt hätte, eine Verunreinigung der Straße zu verhindern.

Das Verbot der Verunreinigung von Straßen richte sich an jeden Rechtsunterworfenen. Es sei daher jeder Versammlungsteilnehmer selbst dafür verantwortlich, dass die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften eingehalten würden. Eine allfällige Verletzung durch einzelne Versammlungsteilnehmer könne nicht dazu führen, dass der Beschwerdeführer selbst die Straße verunreinigt habe und sohin für die Kostenfolgen haften solle.

Die von der belangten Behörde offenkundig versuchte Kausalitätskette befinde sich außerhalb jeder Adäquanz. Nehme man eine derart weitreichende Kausalität an, müssten die Hersteller des Unrats zum Kostenersatz verhalten werden, weil auch deren Verhaltennämlich die Herstellung von Flaschen und Verpackungzweifellos conditio sine qua non für die schlussendlich erfolgte Verunreinigung sei. Dass deren Verpflichtung zum Kostenersatz nicht gesetzmäßig wäre, sei wohl offensichtlich, ebenso verhalte es sich aber mit dem Beschwerdeführer, der lediglich an der Anmeldung der Versammlung beteiligt gewesen sei, mit den tatsächlichen Vorgängen vor Ort jedoch nichts zu tun gehabt habe.

Gemäß § 92 Abs. 1 StVO 1960 ist jede gröbliche oder die Sicherheit der Straßenbenützer gefährdende Verunreinigung der Straße durch feste oder flüssige Stoffe, insbesondere durch Schutt, Kehricht, Abfälle und Unrat aller Art, sowie das Ausgießen von Flüssigkeiten bei Gefahr einer Glatteisbildung verboten.

Nach Abs. 3 leg. cit. können Personen, die den Vorschriften der vorhergehenden Absätze zuwiderhandeln, abgesehen von den Straffolgen, zur Entfernung, Reinigung oder zur Kostentragung für die Entfernung oder Reinigung verhalten werden.

Unter einem „Zuwiderhandeln“ im Sinne des § 92 Abs. 3 StVO 1960 wird nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ein mit einer Vorschrift in Widerspruch stehendes Verhalten (Tun oder Unterlassen) verstanden. Auch ein nicht strafbares Zuwiderhandeln (z.B. ohne Verschulden) verpflichtet nach Abs. 3 zur Kostentragung. Die für die Entfernung von Gegenständen oder für die Reinigung der Straße zunächst der Behörde entstandenen Kosten stellen für diese einen Schaden dar, für dessen Ersatzpflicht aber nicht jeder verantwortlich ist, der eine notwendige Bedingung dafür gesetzt hat. Der Schädiger hat vielmehr für den adäquaten Schaden einzustehen, der dann herbeigeführt ist, wenn seine Ursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolges nicht aber völlig ungeeignet erscheinen muss und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde (vgl. die bei Pürstl, StVO, 12. Aufl., in E 11 zu § 92 wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Nach § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz, BGBl. Nr. 98/1953 idgF. muss derjenige, der eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, dies wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde (§ 16) schriftlich anzeigen. Die Anzeige muss spätestens 24 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen.

Nach § 11 Abs. 1 Versammlungsgesetz haben zunächst deren Leiter und Ordner für die Wahrung des Gesetzes und für die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Versammlung Sorge zu tragen.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. haben sie gesetzwidrigen Äußerungen oder Handlungen sofort entgegenzutreten. Wenn ihren Anordnungen keine Folge geleistet wird, ist die Versammlung durch deren Leiter aufzulösen.

Auch wenn in erster Linie das Verbot der Verunreinigung der Straße jeden unmittelbar trifft, der die unzulässige Verschmutzung der Straße herbeiführt, trifft nach § 11 Abs. 2 des Versammlungsgesetzes den Versammlungsleiter und die Ordner der Veranstaltung die Verpflichtung, gesetzwidrigen Handlungen, worunter auch eine gesetzwidrige Verschmutzung der Straßen (vgl. § 92 Abs. 1 StVO 1960) durch Demonstrationsteilnehmer fällt, entgegenzuwirken. Ein Verschulden dieser primär für eine gesetzeskonforme Abwicklung einer Versammlung verantwortlichen Personen könnte u.a. darin gelegen sei, dass sie der Verunreinigung der genannten Straßenabschnitte durch Versammlungsteilnehmer nicht in geeigneter Form entgegengetreten sind.

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 19. Juni 1997, B 873/97, VfSlg. 14.869) gilt der Versammlungsveranstalter bis zu einem allfälligen anderslautenden Beschluss der Versammelten als zur Leitung und Ordnung der Versammlung berufene Person. Wenn er es zur Erfüllung seiner Aufgabe für notwendig hält, hat er ausreichend Ordner zu bestellen, die ihn bei Erfüllung seiner Aufgaben unterstützen. Diesen Ausführungen schließt sich der Verwaltungsgerichtshof an.

Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer die gegenständliche Versammlung (Demonstration) als Veranstalter angemeldet hat und dabei offen ließ, wer Leiter der Veranstaltung sein sollte. Auch über ausdrückliche Aufforderung der belangten Behörde vom 26. November 2008 hat der Beschwerdeführer keinen Versammlungsleiter genannt bzw. nach eigenen Angaben mangels Kenntnis nennen können, sondern lediglich darauf verwiesen, dass dieser den polizeilichen Behörden (mutmaßlich dem Büro für Vereinsund Versammlungsangelegenheiten) bekannt sein müsste.

Nach der hg. Rechtsprechung besteht eine Mitwirkungspflicht der Partei dort, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden, was insbesondere bei jenen in der Person des Antragstellers gelegenen Voraussetzungen der Fall sein wird, deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann; diesfalls ist die Partei selbst zu entsprechendem Vorbringen und Beweisanbot verpflichtet (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I, 2. Auflage, S. 556 f., unter E 126 zu § 39 AVG angeführte hg. Rechtsprechung).

Wie in der Begründung des angefochtenen Bescheidesin Übereinstimmung mit der Aktenlagefestgehalten wurde, hat die belangte Behörde keine weiteren Nachforschungen nach der Person des Versammlungsleiters angestellt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es unmöglich gewesen wäre, diesbezüglicheinsbesondere nach dem Hinweis des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 10. Dezember 2008ergänzende Ermittlungen von Amts wegen im Sinne der vorzitierten hg. Judikatur durchzuführen. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anders lautenden Bescheid gelangt wäre, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 24. April 2013

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