VwGH 2010/08/0198

VwGH2010/08/019827.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf in 1150 Wien, Ullmannstraße 54, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 18. August 2010, Zl. Senat-WU-10-1011, betreffend Übertretung des ASVG (mitbeteiligte Partei: C E in U, vertreten durch MMag. Barbara Frik-Baumgärtel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 14, weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §111;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §33 Abs2;
AVG §66 Abs4;
VStG §32 Abs2;
VStG §32;
VStG §44a Z1;
ASVG §111;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §33 Abs2;
AVG §66 Abs4;
VStG §32 Abs2;
VStG §32;
VStG §44a Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung des Erstmitbeteiligten gegen ein erstinstanzliches Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 23. Februar 2010 Folge gegeben, die erstinstanzliche Entscheidung behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG eingestellt.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Erstmitbeteiligte sei mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 23. Februar 2010 einer Übertretung gemäß § 33 Abs. 1 und Abs. 1a in Verbindung mit § 111 Abs. 2 ASVG in drei Fällen für schuldig erkannt worden und es seien über den Erstmitbeteiligten Geldstrafen von jeweils EUR 730,-

- (Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils 48 Stunden) verhängt worden. Im Schuldspruch des Straferkenntnisses sei es als erwiesen angesehen worden, dass der Erstmitbeteiligte auf einer näher bezeichneten Baustelle drei namentlich und mit dem Geburtsdatum bezeichnete polnische Staatsangehörige - D als Bauhelfer zur Montage von Plastikfolien vom 25. März 2008 bis zum 1. April 2008, G als Bauhelfer zur Abdichtung eines Fundaments vom 17. März 2008 bis zum 1. April 2008 und R als Bauhelfer zur Montage von Plastikfolien vom 17. März 2008 bis zum 1. April 2008 - entgegen der Bestimmung des § 33 Abs. 1 ASVG beschäftigt habe, wonach der Dienstgeber jedem von ihm beschäftigten, nach diesem Bundesgesetz in der Krankenversicherung Pflichtversicherten (Vollversicherte und Teilversicherte) vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden habe. Es sei auch keine schrittweise Meldung gemäß § 33 Abs. 1a ASVG erfolgt.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass gemäß § 44a Z. 1 VStG der Spruch eines Bescheides, wenn er nicht auf Einstellung laute, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten habe. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedeute dies, dass die Tat hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben sei, dass die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht werde und die Identität der Tat unverwechselbar feststehe. Der Umfang der notwendigen Konkretisierung sei vom einzelnen Tatbild abhängig.

Tatbildlich im Sinne des § 33 Abs. 1 in Verbindung mit § 111 Abs. 1 Z. 1 ASVG handle ein Dienstgeber bei Bestehen einer Pflichtversicherung in der Krankenversicherung des von ihm beschäftigten Dienstnehmers. Das Bestehen einer Pflichtversicherung in der Krankenversicherung sei daher ein wesentliches Tatbestandsmerkmal einer Übertretung nach § 33 Abs. 1 in Verbindung mit § 111 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 ASVG und müsse einem Beschuldigten innerhalb der einjährigen Verfolgungsverjährungsfrist im Rahmen einer Verfolgungshandlung zur Last gelegt werden.

Bezogen auf den gegenständlichen Tatvorwurf bedeute dies eine konkrete Tatbeschreibung dahingehend, dass für die drei polnischen Beschäftigten eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung bestanden habe. Weder die Beschreibung, dass diese Personen vom Dienstgeber zu einem bestimmten Zeitpunkt beschäftigt bzw. arbeitend angetroffen worden seien, noch die Zitierung des Gesetzeswortlautes könnten die Feststellung, dass die betreffenden Personen in der Krankenversicherung pflichtversichert gewesen seien, ersetzen. Im Hinblick darauf, dass dem Beschwerdeführer innerhalb der einjährigen Verfolgungsverjährungsfrist keine konkrete Tatanlastung im Sinne der oben angeführten Ausführungen zur Last gelegt worden sei, sei der Berufung Folge zu geben gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie der Mitbeteiligte - eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 33 Abs. 1 ASVG haben die Dienstgeber jede von ihnen beschäftigte, nach diesem Bundesgesetz in der Krankenversicherung pflichtversicherte Person (Vollversicherte und Teilversicherte) vor Arbeitsbeginn beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden, wobei diese Anmeldeverpflichtung auch in zwei Schritten erfüllt werden kann (§ 33 Abs. 1a ASVG).

Für die nur in der Unfall- und Pensionsversicherung sowie für die nur in der Unfallversicherung nach § 7 Z 3 lit. a ASVG Pflichtversicherten gilt § 33 Abs. 1 ASVG mit der Maßgabe, dass die Meldungen beim Träger der Krankenversicherung, der beim Bestehen einer Krankenversicherung nach diesem Bundesgesetz für sie sachlich und örtlich zuständig wäre, zu erstatten sind (§ 33 Abs. 2 ASVG).

Nach § 111 ASVG begehen Dienstgeber, im Falle einer Bevollmächtigung nach § 35 Abs. 3 ASVG die Bevollmächtigten, die der ihnen auf Grund dieses Bundesgesetzes obliegenden Verpflichtung (unter anderem) zur Erstattung von Meldungen und Anzeigen nicht oder nicht rechtzeitig nachkommen, eine Verwaltungsübertretung und werden von der Bezirksverwaltungsbehörde in näher genannter Weise bestraft.

2. Gemäß § 31 Abs. 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2 und 3 VStG) vorgenommen worden ist.

Verfolgungshandlung ist jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung u. dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat (§ 32 Abs. 2 VStG).

Der Verfolgungshandlung muss entnommen werden können, wegen welcher Tat sich die Verfolgung der Behörde gegen die beschuldigte Person richtet. Im Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053, VwSlg. 11.894/A, wurde in Ansehung der Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat im Sinne des § 44a lit. a (nunmehr § 44a Z 1) VStG ausgeführt, dass dieser Bestimmung dann entsprochen werde, wenn a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er (im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren und gegebenenfalls auch in einem Wiederaufnahmeverfahren) in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und b) der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Das an die Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat zu stellende Erfordernis wird nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall ein verschiedenes, weil an den erwähnten Rechtsschutzüberlegungen zu messendes, sein. Diese Rechtsschutzüberlegungen sind auch bei der Prüfung der Frage anzustellen, ob eine taugliche Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG vorliegt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. April 1992, Zl. 91/09/0199).

3. Dem vorgelegten Verwaltungsakt ist zu entnehmen, dass dem Mitbeteiligten die Aufforderung zur Rechtfertigung durch die erstinstanzliche Behörde am 18. April 2008 zugestellt wurde. In dieser Aufforderung zur Rechtfertigung wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, "wie am 1.4.2008 anlässlich einer Kontrolle auf der Baustelle (…) festgestellt wurde", drei namentlich und durch Angabe des Geburtsdatums bezeichnete Personen in näher spezifizierter Weise ("als Bauhelfer zur Montage von Plastikfolien" bzw. "als Bauhelfer zur Abdichtung eines Fundaments") über einen jeweils genannten Zeitraum beschäftigt und diese Personen entgegen den Bestimmungen des § 33 Abs. 1 ASVG nicht vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger angemeldet zu haben.

§ 111 ASVG enthält verschiedene Tatbilder, sodass für eine Verfolgungshandlung iS des § 32 VStG erforderlich ist, dass sich die Behörde auf die im Einzelfall konkret vorgeworfenen Tatbestandselemente bezieht. § 33 Abs. 1 ASVG sieht eine Verpflichtung zur Meldung für jede beschäftigte, der Pflichtversicherung entweder in der Krankenversicherung oder (iVm Abs. 2) in der Unfall- und Pensionsversicherung unterliegende Person vor. Es genügt daher für eine ausreichende Präzisierung des Tatbildes des § 111 ASVG in der Deliktskonstellation einer unterlassenen Meldung, wenn die Aufforderung zur Rechtfertigung den Hinweis darauf enthält, dass eine Gesetzesverletzung "entgegen den Bestimmungen des § 33 Abs. 1 ASVG" vorgeworfen wird.

Damit lag aber eine innerhalb der Frist für die Verfolgungsverjährung (§ 111 Abs. 3 ASVG) eine wirksame Verfolgungshandlung betreffend die vorgeworfene Tat der Verletzung der Meldepflicht nach § 33 Abs. 1 ASVG vor. Dieser Tatvorwurf umfasst - für den Fall, dass es der Behörde nicht gelingt, einen Beschäftigungsumfang festzustellen, dass daraus verlässlich auf einen die Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden Anspruchslohn geschlossen werden kann - auch den Vorwurf eines Verstoßes gegen § 33 Abs. 2 ASVG. Zutreffend ist freilich, dass im Straferkenntnis sodann nachprüfbare Feststellungen dazu zu treffen sind, in welchem Umfang Arbeitsverpflichtungen bestanden und ob sohin - bezogen auf die einzelnen betroffenen Arbeitnehmer - eine Meldepflicht nach § 33 Abs. 1 oder nach § 33 Abs. 2 ASVG bestand. Derartige Feststellungen können aber auch im Verfahren zweiter Instanz nachgeholt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 2010, Zl. 2009/08/0262).

4. Da die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens wegen eingetretener Verfolgungsverjährung somit nicht der Rechtslage entspricht, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 27. April 2011

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