VwGH 2010/12/0126

VwGH2010/12/012616.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Thoma, Dr. Pfiel und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Khorramdel, in der Beschwerdesache des X in Y, vertreten durch die Rechtsanwälte A und B, gegen die Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung, wegen A) Verletzung der Entscheidungspflicht i.A. Berufungsentscheidung über 1. den Feststellungsantrag betreffend Versetzung in den Ruhestand mit Ablauf des 30. September 2010 (2010/12/0126) und

2. die Zurückweisung des Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung über das Bestehen eines Aktivdienstverhältnisses über den 30. September 2010 hinaus (2010/12/0145) und B) Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung über das Bestehen eines Aktivdienstverhältnisses über den 30. September 2010 hinaus durch den Verwaltungsgerichtshof (2010/12/0146), den Beschluss gefasst:

Normen

12010E267 AEUV Art267;
62005CJ0432 Unibet VORAB;
AVG §73 Abs1;
BDG 1979 §163 Abs1;
B-VG Art132;
EURallg;
VwGG §27 Abs1;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §34 Abs1;
12010E267 AEUV Art267;
62005CJ0432 Unibet VORAB;
AVG §73 Abs1;
BDG 1979 §163 Abs1;
B-VG Art132;
EURallg;
VwGG §27 Abs1;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die beiden Beschwerden und der an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung werden zurückgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde und den vorgelegten Urkunden ergibt sich folgender Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer steht als Universitätsprofessor in einem öffentlich-rechtlichen Aktiv-Dienstverhältnis zum Bund. Er steht an der Universität Z in Verwendung und hat am 25. April 2010 das 65. Lebensjahr vollendet.

Der Beschwerdeführer stellte am 8. Dezember 2009 an das Amt der Universität Z (im Folgenden: Amt der Universität) den Antrag auf Erlassung eines Bescheides, mit dem festgestellt wird, dass er nicht (in Anwendung von § 163 Abs. 1 BDG 1979 bzw. § 13 Abs. 1 BDG 1979) mit 30. September 2010 als Universitätsprofessor in den Ruhestand trete, sondern, dass sein bestehendes öffentlichrechtliches Dienstverhältnis als Universitätsprofessor über den 30. September 2010 hinaus als das eines Beamten des Dienststandes weiterlaufe.

Der Beschwerdeführer vertrat im Wesentlichen den Standpunkt, § 163 Abs. 1 BDG 1979 enthalte (sowie übrigens auch die lex generalis § 13 Abs. 1 BDG 1979) mit seiner starren Altersgrenze eine unionsrechtlich verbotene Altersdiskriminierung, die unmittelbare Wirkung auf sein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zum Bund entfalte. Das Verbot der Altersdiskriminierung genieße Anwendungsvorrang vor entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts. Die Anwendung von Bestimmungen des nationalen Rechts, die dem allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz des Verbots der Altersdiskriminierung zuwiderliefen, sei ausgeschlossen. Das Amt der Universität habe daher § 163 Abs. 1 BDG 1979 unangewendet zu lassen. Sein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis werde daher über den 30. September 2010 hinaus als aktives Dienstverhältnis (und nicht bloß als Ruhestandsverhältnis) weiterlaufen. Da er noch eine Vielzahl hochinteressanter, ihn wissenschaftlich faszinierender Projekte bearbeiten bzw. fertig stellen wolle (was praktisch nur bei Einbettung in das universitäre Umfeld möglich sei), sei er an diesem Weiterbestand des Dienstverhältnisses aktiv interessiert. Diese Rechtsansicht habe er dem Amt der Universität mit Schreiben vom 27. Oktober 2009 mitgeteilt.

Im Zuge des Gesprächs über die Zielvereinbarung am 24. November 2009 sei ihm durch den Leiter des Amtes der Universität und Vizerektor bekannt gegeben worden, dass ihm auf Grund seines Schreibens vom 27. Oktober 2009 kein Bescheid zugehen werde und er keinen Anspruch auf Erlassung eines Bescheides habe. Er würde von Gesetzes wegen mit 30. September 2010 in den Ruhestand überführt und man werde einfach faktisch § 163 Abs. 1 BDG 1979 anwenden, mit der Folge, dass er wegen Erreichens der Altersgrenze des § 163 Abs. 1 BDG 1979 als mit 30. September 2010 in den Ruhestand getretener Universitätsprofessor behandelt werde. Eine förmliche Erledigung werde ihm nicht zugehen. Maßgeblich für diese Haltung des Amtes der Universität seien anscheinend weniger Überlegungen, die konkret seine Person beträfen, als vielmehr die Furcht vor einer Beispielswirkung der Nichtanwendung der Altersgrenze für andere Universitätsprofessoren oder gar Bundesbeamte generell.

Das Vorliegen eines schutzwürdigen rechtlichen Interesses an der Erlassung des begehrten Feststellungsbescheides sei offenkundig. Es könne in einem geordneten Rechtswesen nicht sein, dass die Behörde erster Instanz einfach durch faktische Anwendung von Bestimmungen, deren Unionsrechtskonformität und Anwendbarkeit vom Betroffenen verneint werde, vollendete Tatsachen schaffe und ihre gegenteilige Rechtsansicht in der Praxis durchsetze, ohne dass dem Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt werde, den Standpunkt der Behörde mit geeigneten rechtlichen Mitteln überprüfen zu lassen. Dies gelte umso mehr, als es um eine durch Art. 21 der Europäischen Grundrechtscharta geschützte Position gehe.

Im Folgenden wurde ausführlich dargestellt, weshalb nach Ansicht des Beschwerdeführers ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung vorliege.

Mit Schriftsatz vom 29. Jänner 2010 stellte der Beschwerdeführer beim Amt der Universität den Antrag, dem Bund/der Republik Österreich im Wege einer einstweiligen Verfügung aufzutragen, den nunmehrigen Beschwerdeführer "über den 30. September 2010 hinaus als Universitätsprofessor in einem Beamtenverhältnis des Dienststandes zu behandeln" und zwar solange bis er die unwiderrufliche schriftliche Erklärung abgebe, aus dem aktiven Dienststand ausscheiden zu wollen, jedenfalls aber bis zu dem Zeitpunkt, zu dem durch die zuständige Dienstbehörde sein Feststellungsantrag vom 8. Dezember 2009 nach Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) rechtskräftig abgewiesen oder der Beschwerdeführer rechtskräftig gemäß § 14 oder § 15a BDG 1979 in den Ruhestand versetzt werde.

Mit Bescheid vom 15. März 2010 stellte das Amt der Universität zum Antrag des Beschwerdeführers vom 8. Dezember 2009 in Spruchpunkt 1. fest, dass er gemäß § 163 Abs. 1 BDG 1979 mit Ablauf des Studienjahres, in dem er das 65. Lebensjahr vollende - sohin mit 30. September 2010 - in den Ruhestand trete. In Spruchpunkt 2. wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung vom 29. Jänner 2010 als unzulässig zurückgewiesen.

Zu Spruchpunkt 1. wurde begründend ausgeführt, der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Argumentation betreffend des Anwendungsvorranges von Unionsrecht - und zwar der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf - gegenüber § 163 Abs. 1 BDG 1979 komme keine Berechtigung zu. In Art. 6 Abs. 1 der genannten Richtlinie sei normiert, dass ungeachtet des Art. 2 Abs. 2 die Mitgliedstaaten vorsehen könnten, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellten, sofern sie objektiv und angemessen seien und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen seien, gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Zweckes angemessen und erforderlich seien. Wie der Oberste Gerichtshof in seinem Urteil vom 18. Oktober 2006, 9 ObA 131/05p, festgestellt habe, diene die Festlegung eines Pensionsalters, das auf einer politischen Bewertung beruhe, nicht nur dazu, das Arbeitseinkommen im erforderlichen Ausmaß zu ersetzen, wenn das Risiko "Alter" dazu führe, dass dem Arbeitnehmer die Arbeit nicht mehr zugemutet werden könne, sondern verfolge zweifelsohne auch den Zweck, jungen Menschen, deren Existenz anderweitig noch nicht gesichert sei, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Dabei handle es sich - und ganz speziell dann, wenn der Staat selbst als Dienstgeber auftrete - um ein auch mit der Rechtfertigungsbestimmung der Richtlinie in Deckung zu bringendes sozialpolitisches Ziel. Zu beachten sei jedoch, dass auch die Mittel zur Erreichung eines legitimen Ziels angemessen und erforderlich sein müssten, das heiße, es müsse der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden. Der Anspruch auf Regelpension sei allgemein als ausreichend zu erachten, die Deckung der Lebenshaltungskosten des betroffenen Arbeitnehmers zu gewährleisten. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Richtlinie habe auch das deutsche BAG ausgesprochen, dass beispielsweise die tarifliche Altersgrenze für Piloten (60 Jahre) nicht gegen Art. 1, 2 der Richtlinie verstoße, sondern ein im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie legitimes Ziel im Rahmen des nationalen Rechts sei und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels auch angemessen und erforderlich seien (Urteil vom 21. Juli 2004, 7 AZR 589/03).

Die in § 163 Abs. 1 BDG 1979 festgelegte Altersgrenze für den Übertritt in den Ruhestand sei daher durch die Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt, sodass § 163 Abs. 1 BDG 1979 vom Amt der Universität als Dienstbehörde erster Instanz anzuwenden sei.

Zu Spruchpunkt 2., mit dem der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen wurde, vertrat das Amt der Universität die Ansicht, das Rechtsschutzinstrument der einstweiligen Verfügung sei weder im AVG noch im DVG vorgesehen. Es handle sich um ein prozessuales Sicherungsmittel, das nur im Rahmen der Gerichtsbarkeit vorgesehen sei (§ 378 Abs. 1 Exekutionsordnung). Da gemäß Art. 18 Abs. 1 B-VG die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden dürfe, dürfe das Amt der Universität als Dienstbehörde erster Instanz, die in Dienstrechtsverfahren das DVG anzuwenden habe, keine einstweilige Verfügung erlassen. Der unionsrechtlichen Argumentation des Beschwerdeführers sei zu entgegnen, dass auch die bloße Unanwendbarkeit von Bestimmungen des nationalen Rechts im Falle der Unvereinbarkeit mit Unionsrecht nicht bedeute, dass darüber hinaus im Analogieweg Rechtsbehelfe, die in anderen Rechtsgebieten vorgesehen seien, durch eine dafür unzuständige Verwaltungsbehörde herangezogen werden könnten bzw. müssten. Es liege auch kein Widerspruch von Bestimmungen des nationalen Rechts mit Art. 9 der Richtlinie 2000/78/EG vor, weil auch die Verwaltungsverfahrensgesetze geeignete Rechtsbehelfe, wie zum Beispiel einen Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides oder gegebenenfalls die Säumnisbeschwerde vorsähen, durch die der Rechtsschutz entsprechend gewahrt werde.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 24. März 2010 Berufung und stellte gleichzeitig einen Antrag auf Ausspruch der aufschiebenden Wirkung.

Mit Bescheid vom 27. April 2010 wies das Amt der Universität den Antrag, der Berufung die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ab.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 10. Mai 2010 Berufung.

Zu beiden genannten Berufungen erstattete der Beschwerdeführer jeweils Schriftsätze mit ergänzendem Vorbringen.

In den vorliegenden Säumnisbeschwerden beantragte der Beschwerdeführer, der Verwaltungsgerichtshof möge über seine Berufung vom 24. März 2010 gegen den Bescheid des Amtes der Universität vom 15. März 2010 selbst in der Sache erkennen und diesen dahin abändern, dass dem verfahrenseinleitenden Feststellungsantrag vom 8. Dezember 2009 Folge gegeben und festgestellt werde, dass der Beschwerdeführer nicht (in Anwendung von § 163 Abs. 1 BDG 1979 bzw. § 13 Abs. 1 BDG 1979) mit 30. September 2010 als Universitätsprofessor in den Ruhestand trete, sondern dass sein bestehendes öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis als Universitätsprofessor über den 30. September 2010 hinaus als das eines Beamten des Dienststandes weiterlaufe und dass seinem weiters gestellten Antrag vom 29. Jänner 2010 auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung des Inhaltes, es möge dem Bund/der Republik Österreich aufgetragen werden, den Beschwerdeführer über den 30. September 2010 hinaus (bis zu den näher genannten Endzeitpunkten) als Universitätsprofessor in einem Beamtenverhältnis des Dienststandes zu behandeln, stattgegeben werde.

Weiters beantragte der Beschwerdeführer, der Verwaltungsgerichtshof möge unmittelbar auf unionsrechtlicher Basis eine vorläufige Anordnung erlassen, deren Inhalt mit der bereits im Verwaltungsverfahren beantragten einstweiligen Verfügung ident ist.

Der Beschwerdeführer führt zur Berechtigung der Säumnisbeschwerde aus, er sei sich dessen bewusst, dass mit der Einbringung der Säumnisbeschwerde vor Ablauf der Sechsmonatsfrist Neuland betreten werde. Dies sei jedoch deswegen geboten, weil bei Berücksichtigung unionsrechtlicher Grundsätze die Entscheidungsfrist für die oberste Verwaltungsbehörde in dieser Angelegenheit, die einen Unionsrechtsbezug aufweise, keineswegs die vollen sechs Monate betrage, sondern vielmehr deutlich darunter liege. Aus der Anwendung der in der Judikatur des EuGH (insbesondere EuGH 19. September 2006, C-506/04 , Graham J. Wilson, und zuletzt EuGH 18. März 2010, C-317/08 , C-318/08 , C-319/08 , C- 320/08 , Alassini u.a.) entwickelten Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sowie des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes sei nämlich abzuleiten, dass der effektive Zugang zu dem für eine Entscheidung über die Sach- und Rechtslage zuständigen Gericht im Sinne des Unionsrechts (Art. 267 AEUV) binnen einer angemessenen Frist gegeben sein müsse. Dementsprechend hätten die Verwaltungsbehörden in Angelegenheiten mit Unionsrechtsbezug, wie der gegenständlichen, so zügig zu entscheiden, dass ein effektiver Schutz des Antragstellers in seinen unionsrechtlich gewährleisteten Rechten durch ein echtes Gericht noch so rechtzeitig möglich sei, dass kein Rechtsverlust in diesen Rechten infolge Säumnis eintrete. Für den konkreten Fall bedeute dies, dass die Behörde so rechtzeitig über die Berufung zu entscheiden habe, dass dem Beschwerdeführer jedenfalls noch die Möglichkeit bleibe, vor Eintritt des Rechtsverlustes effektiven Rechtsschutz vor einem echten Gericht zu erlangen. Die Berufungsbehörde als belangte Behörde wäre daher dazu verbunden gewesen, in zeitlicher Hinsicht so zu entscheiden, dass dem Beschwerdeführer die Berufungsentscheidung noch so rechtzeitig vor dem Ablauf des 30. September 2010 zugehe, dass dieser erforderlichenfalls noch vor dem genannten Termin den Verwaltungsgerichtshof als echtes Gericht anrufen und dort (den unionsrechtlich gebotenen) vorläufigen Rechtsschutz begehren könne. In Anwendung des soeben Ausgeführten sei die der belangten Behörde zur Verfügung stehende Entscheidungsfrist im anhängigen Berufungsverfahren bereits vor einiger Zeit abgelaufen.

Das unionsrechtlich gebotene Ergebnis stehe daher fest. Der Beschwerdeführer müsse schon jetzt den Zugang zu einem echten Gericht im Sinne des Unionsrechts (das sei im gegenständlichen Fall der Verwaltungsgerichtshof) haben. Nach Ansicht des Beschwerdeführers stünden verschiedene rechtliche Wege offen, um zu diesem Ergebnis zu gelangen: Gemäß § 73 Abs. 1 AVG hätten die Behörden oder der unabhängige Verwaltungssenat ohne unnötigen Aufschub spätestens aber sechs Monate nach Einlangen des entsprechenden Antrages den Bescheid zu erlassen. Es handle sich also um eine Höchstfrist, nicht eine Frist, die in jedem Falle zu Verfügung stehe. Es sei bei unionsrechtskonformer Interpretation geboten, die Entscheidungsfrist für die Verwaltungsbehörde in Angelegenheiten mit Unionsrechtsbezug allenfalls kürzer zu bemessen, nämlich jedenfalls so, dass dem unionsrechtlichen Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes Rechnung getragen werde.

Auch die in § 27 Abs. 1 VwGG genannte Sechsmonatsfrist sei keine absolute, der obersten Behörde in jedem Fall zur Verfügung stehende Frist. Bei Berücksichtigung unionsrechtlicher Grundsätze sei es nach Ansicht des Beschwerdeführers in Erfüllung der Pflicht zur unionsrechtskonformer Interpretation nationalen Rechts geboten, entweder als "das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz" im Sinne von § 27 Abs. 1 VwGG auch die unionsrechtlichen Grundsätze zu verstehen oder die maximale Frist von sechs Monaten entsprechend zu verkürzen und damit eine kürzere als die Sechsmonatsfrist zu Grunde zu legen.

Schließlich sei es denkbar, direkt Unionsrecht anzuwenden und im konkreten Fall eine weniger als sechs Monate dauernde Entscheidungsfrist in Anwendung der erwähnten in der Judikatur des EuGH entwickelten Grundsätze unmittelbar aus Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG abzuleiten.

Die der belangten Behörde im anhängigen Berufungsverfahren zur Verfügung stehende Entscheidungsfrist sei bereits "vor einiger Zeit" abgelaufen.

Das gebotene Ergebnis stehe also unionsrechtlich fest. Angesichts der bis dato gegebenen Untätigkeit der obersten Verwaltungsbehörde könne der (effektive) Weg zu einem Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV nur über die hier vorgelegte Säumnisbeschwerde erreicht werden.

Ad A)

Die Säumnisbeschwerden sind unzulässig.

Die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde ist bezogen auf den Zeitpunkt ihrer Erhebung zu prüfen (vgl. z.B. die hg. Beschlüsse vom 29. Mai 2008, Zlen. 2008/07/0019 und 2008/07/0020). Die Erhebung der Säumnisbeschwerde ist gemäß § 27 Abs. 1 VwGG vor Ablauf von sechs Monaten - sofern nicht gesetzlich etwas anderes angeordnet ist, was im Beschwerdefall nicht zutrifft - nicht zulässig.

Die vorliegenden Säumnisbeschwerden wurden am 27. Juli 2010 zur Post gegeben und langten am 28. Juli 2010 beim Verwaltungsgerichtshof ein; sie wurden somit mehr als neun Wochen vor dem 30. September 2010, mit dessen Ablauf der Beschwerdeführer gemäß § 163 Abs.1 BDG 1979 in den Ruhestand tritt, bzw. neun Wochen vor Ablauf der Sechsmonatsfrist gerechnet ab Einlangen seiner Berufung (25. März 2010) erhoben. Der Beschwerdeführer hält seine - gemessen an § 27 VwGG - verfrüht eingebrachten Säumnisbeschwerden für zulässig, damit der Verwaltungsgerichtshof zuständig wird, rechtzeitig den von ihm als unionsrechtlich geboten angesehenen vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren (Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung betreffend den Fortbestand seines Aktivdienstverhältnisses über den 30. September 2010 hinaus). Es ist im Beschwerdefall daher zu prüfen, ob gemäß dem unionsrechtlichen Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes in der vorliegenden Fallkonstellation eine Verkürzung der nach innerstaatlichem Recht geltenden Sechsmonatsfrist des § 27 VwGG auf den Zeitpunkt der Erhebung der Säumnisbeschwerden durch den Beschwerdeführer geboten ist. Für eine solche Entscheidung ist aber bei Zugrundelegung der konkreten Umstände des Beschwerdefalls unter Berücksichtigung einer angemessenen Frist für die Verfassung der Säumnisbeschwerden und die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über einen damit verbundenen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes keine mehr als neunwöchige Frist vor dem Eintritt des Ereignisses, durch das dem Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen ein unwiederbringlicher Schaden durch Eingriff in eine seiner Ansicht nach dem Unionsrecht geschützte Rechtsposition droht, erforderlich.

Die Unzulässigkeit der verfrüht eingebrachten Säumnisbeschwerde kann auch nicht dadurch heilen, dass die Entscheidungsfrist nach Erhebung der verfrühten Säumnisbeschwerde bis zur Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof abläuft (vgl. dazu sinngemäß den hg. Beschluss vom 28. Jänner 2004, Zl. 2003/12/0147, sowie zum Devolutionsantrag gemäß § 73 Abs. 1 AVG Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz, § 73, Rz. 98, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Deshalb erübrigt sich im Beschwerdefall auch eine Prüfung, ob und wann der Beschwerdeführer vor Ablauf der sechsmonatigen Frist eine zulässige Säumnisbeschwerde hätte erheben können.

Im Übrigen war die vom Beschwerdeführer - nach dem oben gesagten zu Unrecht - als unionsrechtswidrig empfundene Situation, wonach er in Ermangelung einer bis dahin rechtskräftigen Entscheidung der Verwaltung über seine Anträge im Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Säumnisbeschwerden noch kein Gericht anrufen konnte, auch auf sein eigenes Verhalten zurückzuführen. Es wäre nämlich dem Beschwerdeführer oblegen, seine beiden bei der Dienstbehörde erster Instanz eingebrachten Anträge im Hinblick auf das gemäß § 163 Abs. 1 BDG 1979 in Verbindung mit seinem Geburtsdatum von vornherein feststehende Datum seiner Ruhestandsversetzung mit Ablauf des 30. September 2010 bereits so rechtzeitig zu stellen, dass selbst unter Berücksichtigung der Frist für einen Devolutionsantrag bei Säumigkeit der Dienstbehörde erster Instanz nach § 73 AVG und jener einer Säumnisbeschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde nach § 27 VwGG die Erhebung einer zulässigen Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof möglich gewesen wäre, die eine zeitgerechte Entscheidung über einen damit verbundenen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zugelassen hätte. Besondere Umstände, warum dem Beschwerdeführer bei dieser Ausgangslage nicht bereits vor dem Studienjahr 2009/2010 die Stellung seiner Anträge möglich gewesen wäre, hat er nicht vorgebracht; solche Gründe sind dem Verwaltungsgerichtshof auch nicht erkennbar.

Die Säumnisbeschwerden waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Erhebung vor Ablauf der Entscheidungsfrist als unzulässig zurückzuweisen (vgl. z.B. die hg. Beschlüsse vom 30. Jänner 2008, Zl. 2007/16/0195, oder jeweils vom 2. Juli 2002, Zl. 2002/12/0058, Zl. 2002/12/0059, Zl. 2002/12/0060).

Ad B)

Grundsätzlich ist - zu der vom Beschwerdeführer beantragten Erlassung einer einstweiligen Anordnung - auszuführen, dass der Verwaltungsgerichtshof der Rechtsprechung des EuGH folgend bereits mehrmals nicht ausgeschlossen hat, auf Grundlage der unmittelbaren Anwendung von Gemeinschaftsrecht - über die im kassatorischen System der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgegebene Möglichkeit, der gegen einen Bescheid erhobenen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und den angefochtenen Bescheid im Falle seiner Rechtswidrigkeit aufzuheben, hinaus - einstweilige Anordnungen mit der Wirkung zu treffen, dem Antragsteller eine Rechtsposition vorläufig einzuräumen, deren Einräumung mit dem angefochtenen Bescheid auf der Grundlage einer (möglicherweise dem Unionsrecht widersprechenden) nationalen Rechtsvorschrift verweigert wurde (vgl. z.B. die hg. Beschlüsse vom 26. September 2005, Zl. AW 2005/10/0029 = VwSlg. 16.723 A/2005 oder vom 9. Dezember 2005, Zl. AW 2005/17/0016).

Einstweilige Anordnungen haben die Funktion, vorläufigen Rechtsschutz bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren. Im Beschwerdefall ist daher der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung schon deshalb unzulässig, weil vom Verwaltungsgerichtshof bereits eine Entscheidung in der Hauptsache (im Sinne der Zurückweisung der vorliegenden Säumnisbeschwerden) erging. Der Grundsatz der Effektivität verlangt nicht, dass die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats die Möglichkeit vorsieht, im Rahmen eines nach dem Recht dieses Mitgliedstaats unzulässigen Antrags den Erlass vorläufiger Maßnahmen durch das zuständige nationale Gericht zu erlangen (vgl. das Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 13. März 2007, Unibet (London) Ltd und Unibet (International) Ltd/Justitiekanslern, Rs. C-432/05 , Sammlung der Rechtsprechung 2007 Seite I-02271, Rn. 73).

Wien, am 16. September 2010

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