VwGH 2007/18/0908

VwGH2007/18/090815.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des FK in W, vertreten durch Dr. Alois Eichinger, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. Oktober 2007, Zl. E1/102903/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

21964A1229(01) AssAbk Türkei Art12;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art8;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art9;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art30;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art31;
62003CJ0136 Dörr VORAB;
ARB1/80 Art14 Abs1;
ARB1/80 Art14;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
EURallg;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
21964A1229(01) AssAbk Türkei Art12;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art8;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art9;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art30;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art31;
62003CJ0136 Dörr VORAB;
ARB1/80 Art14 Abs1;
ARB1/80 Art14;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
EURallg;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 10. Oktober 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit März 1998 im Bundesgebiet und verfüge über einen mittlerweile unbefristeten Aufenthaltstitel.

Erstmals sei der Beschwerdeführer durch das Landesgericht für Strafsachen Wien am 10. Oktober 2003 nach § 83 Abs. 1 StGB (Vergehen der Körperverletzung) und den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB (Vergehen der versuchten Nötigung in zwei Fällen) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden.

Dem Urteil sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer am 8. Mai 2003 im Zuge von Streitigkeiten mit seiner früheren Lebensgefährtin um das gemeinsame Kind diese bedroht habe, er werde sie und ihre Familie umbringen, wenn sie ihm das Kind nicht bringe, er sei von der PKK und könne ihr mit deren Hilfe jederzeit etwas antun, er werde sie umbringen und "gehe halt für ein paar Jahre ins Gefängnis", um sie zum Verzicht auf die Obsorge für die gemeinsame Tochter zu nötigen.

Am 17. September 2003 habe der Beschwerdeführer seine frühere Lebensgefährtin mit der Äußerung bedroht, er werde sie oder ihre Familie umbringen, falls sie die zum vorherigen Sachverhalt aufgenommene Anzeige nicht zurückziehe, wobei er sie fest gepackt und sie zu wahrheitswidrigen Angaben bei der anzeigenden Polizeidienststelle zu nötigen versucht habe.

Von Mai 2000 bis April 2003 habe er seine damalige Lebensgefährtin durch wiederholtes Versetzen von Schlägen verletzt und ihr mehrfache Hämatome am Körper zugefügt.

Eine weitere Verurteilung sei durch das Landesgericht für Strafsachen Wien am 12. September 2006 nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 (Vergehen der schweren Körperverletzung) und § 107 Abs. 1 StGB (Vergehen der gefährlichen Drohung) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten erfolgt. (Nach Ausweis der Verwaltungsakten wurde der Beschwerdeführer mit dem genannten Urteil vom 12. September 2006 tatsächlich zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, wobei (lediglich) ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von neun Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.)

Der Beschwerdeführer habe im Februar 2006 einem männlichen Tatopfer mehrere Faustschläge gegen das linke Auge versetzt, es zu Boden geworfen und ihm sein Knie gegen den Hinterkopf gestoßen und ihm eine Prellung der linken Augenhöhlenregion verbunden mit einem operationsbedürftigen Augenhöhlenbogenbruch zugefügt. Danach sei er (mit einem Küchenmesser) gegen den Verletzten vorgegangen und habe das Küchenmesser durch die Luft gewirbelt, um ihn zumindest mit einer Verletzung und sohin gefährlich zu bedrohen.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien (vom 15. Mai 2007) sei der Beschwerdeführer gemäß § 198 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden. Der Beschwerdeführer sei schuldig erkannt worden, vom 1. April 2002 bis August 2002 sowie von Mai 2003 bis 14. Mai 2007 seine Unterhaltspflicht gegenüber seiner am 31. März 2002 geborenen Tochter gröblich verletzt zu haben.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die "genannten Urteile" erfüllten zweifelsfrei den im § 60 Abs. 2 FPG normierten Sachverhalt, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG gegeben seien.

Der Beschwerdeführer sei nach der Aktenlage mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet, die vom 1. Juni 2005 bis 12. Juni 2007 im Bundesgebiet gemeldet gewesen sei. Diese verfüge seit einem Jahr über keinen Aufenthaltstitel mehr und scheine das Bundesgebiet verlassen zu haben. Weitere familiäre Bindungen bestünden zu der bereits genannten Tochter, für die dem Beschwerdeführer offenbar kein Sorgerecht zukomme.

Familiäre Bindungen bestünden auch zu einem am 16. April 2007 geborenen Sohn, mit dem und dessen Mutter der Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt gemeldet sei. Das Kind und seine Mutter, die angebliche nunmehrige Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, seien slowakische Staatsangehörige. Nach der Aktenlage sei davon auszugehen, dass diese zur Niederlassung im Bundesgebiet nicht berechtigt seien. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 5. März 2007 sei der Beschwerdeführer aufgefordert worden, die Anmeldebestätigung seiner Lebensgefährtin vorzulegen, widrigenfalls angenommen werden müsse, dass diese nicht zur Niederlassung im Sinne des § 51 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG berechtigt sei. In der dazu ergangenen Stellungnahme habe der Beschwerdeführer lediglich angegeben, dass die Lebensgefährtin "zum Aufenthalt in Österreich nach den EU-Richtlinien für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten jedenfalls ohne Formalitäten berechtigt" sei. Es sei nicht dargelegt worden, dass sie die im § 51 NAG geforderten Voraussetzungen für einen mehr als dreimonatigen Aufenthalt im Bundesgebiet erfülle. Ebensowenig sei dargelegt worden, dass sie ihre Niederlassung (und damit das Erfüllen der erforderlichen Voraussetzungen) der Behörde angezeigt habe.

Weiters lebten im Bundesgebiet die Eltern und drei Geschwister des Beschwerdeführers, die alle österreichische Staatsbürger seien.

Es sei daher zweifelsfrei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit Dritter - dringend geboten sei. Durch die vorliegenden Verurteilungen und die Vielzahl der diesen zugrundeliegenden Straftaten habe der Beschwerdeführer eindrücklich seine offenbare Geringschätzung maßgeblicher in Österreich gültiger Rechtsvorschriften zu erkennen gegeben.

Diese Straftaten seien - wie in der Berufung versucht - einer Verharmlosung nicht zugänglich. Der Beschwerdeführer habe sich auch nicht durch eine vorangegangene Verurteilung davon abhalten lassen, neuerlich einschlägig strafbar zu werden. Es sei daher eine zu seinen Gunsten ausfallende Verhaltensprognose nicht möglich. Die Fremdenbehörde sei selbst bei Beurteilung des identen Sachverhaltes an die bei der Strafbemessung durch die Strafgerichte zu treffenden Erwägungen in keiner Weise gebunden. Es könne daher kein Zweifel bestehen, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten und sohin im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG zulässig sei.

Bei der gemäß § 66 Abs. 2 FPG durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen. Diese erweise sich jedoch als keinesfalls ausgeprägt, werde doch die einer jeglichen Integration zugrunde liegende soziale Komponente durch das wiederholte und schwerwiegende strafbare Verhalten entsprechend an Gewicht gemindert.

Die familiären Bindungen zu den (offenbar sehr wohl integrierten) Eltern und Geschwistern würden insoweit relativiert, als der Beschwerdeführer selbst längst volljährig sei und mit diesen nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Durch den Umstand, dass der Beschwerdeführer für seine Tochter kein Sorgerecht habe und seiner Unterhaltspflicht offenbar jahrelang nicht oder nur äußerst unzureichend nachgekommen sei, würden auch diese Bindungen erheblich relativiert.

Die gegenwärtige Lebensgefährtin und das gemeinsame Kind des Beschwerdeführers seien offenbar zur Niederlassung und daher zum ständigen Weiterverbleib im Bundesgebiet nicht berechtigt. Dass der Beschwerdeführer darüber hinaus offenbar auch noch verheiratet sei, vermöge angesichts der eingangs dargestellten Umstände seinen privaten Interessen kein zusätzliches Gewicht zu verleihen.

Es könne angesichts der vorliegenden Sozialversicherungsdaten auch von einer nachhaltigen Verfestigung am heimischen Arbeitsmarkt keine Rede sein. Wenn der Beschwerdeführer vermeine, er sei auch als LKW-Chauffeur beschäftigt gewesen und daher in Österreich auch beruflich bereits integriert, so scheine diese subjektive Einschätzung des Beschwerdeführers mit den objektiven Gegebenheiten nicht in Übereinstimmung zu bringen zu sein.

Insgesamt erweise sich das dem Beschwerdeführer sohin zuzusprechende Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet als zwar gewichtig, keinesfalls jedoch besonders ausgeprägt. Dem stehe das hohe öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten gegenüber. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen keinesfalls schwerer als das in seinem Fehlverhalten gegründete hohe öffentliche Interesse "an seinem Verlassen und Fernbleiben des Bundesgebietes". Der Beschwerdeführer könne den Kontakt zu seinen Familienangehörigen - wenn auch eingeschränkt - vom Ausland aus "wahrhaben", diese Einschränkung werde er im öffentlichen Interesse zu tragen haben. Auch könne der Beschwerdeführer seinen Sorgepflichten allfällig auch vom Ausland aus nachkommen. Diese Entscheidung stehe auch einem allfälligen Verbleib des Beschwerdeführers in der Heimat seines (zweiten) Kindes und seiner Lebensgefährtin grundsätzlich nicht entgegen. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erweise sich sohin auch im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG als zulässig.

Ein Sachverhalt gemäß § 61 FPG sei in Hinblick auf den Zeitpunkt der Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht gegeben.

Mangels sonstiger, besonderer zugunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die belangte Behörde angesichts des vorliegenden Sachverhaltes von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer bringt unter anderem vor, dass das österreichische Verfahren, wie es derzeit ausgestaltet sei, nicht der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, entspreche. Die Verwaltungsbehörden könnten die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet ohne Erhalt der Stellungnahme einer zustimmenden Stelle nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie treffen, obwohl gegen ihre Entscheidung bloß die Erhebung von Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts mit Einschränkungen zulässig sei. Dies entspreche nicht den einschlägigen Vorschriften, sodass das Verfahren mangelhaft geblieben sei.

1.2. Diesem Beschwerdevorbringen ist zunächst zu erwidern, dass die Richtlinie 64/221/EWG durch Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, mit Wirkung vom 30. April 2006 aufgehoben wurde. Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides war die Richtlinie 64/221/EWG somit nicht mehr in Kraft.

2.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat für den Geltungsbereich der für die Verfahrensgarantien nunmehr maßgebenden Richtlinie 2004/38/EG bereits ausgesprochen, dass die Rechtsschutzgarantien der Art. 30 und 31 dieser Richtlinie für türkische Staatsangehörige gelten, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (in der Folge: ARB) zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 2009, Zl. 2007/18/0038, mit Bezugnahme auf die Judikatur des EuGH).

Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist es geboten, für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB zukommt, den Instanzenzug zu einem Tribunal einzurichten und somit auf sie

§ 9 Abs. 1 Z. 1 FPG anzuwenden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2009, Zl. 2008/22/0928, mwN).

2.2. Gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat (erster Spiegelstrich) nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt; (zweiter Spiegelstrich) nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben; (dritter Spiegelstrich) nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

Für den erstmaligen Erwerb der Rechtsposition im Sinne des ersten Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB kommt es unter anderem auf die ununterbrochene Fortdauer der Beschäftigung durch mindestens ein Jahr an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2007, Zl. 2005/09/0096).

Bereits diese Voraussetzung liegt gegenständlich nicht vor. Zutreffend hat die belangte Behörde dargelegt, dass von einer nachhaltigen Verfestigung des Beschwerdeführers am heimischen Arbeitsmarkt angesichts der vorliegenden Sozialversicherungsdaten keine Rede sein könne. Der Versicherungsdatenauszug weist als längste durchgehende Beschäftigung eine Tätigkeit des Beschwerdeführers als Arbeiter im Zeitraum vom 6. November 2002 bis 10. Juni 2003, somit im Ausmaß von ca. sieben Monaten auf.

2.3. Die Berechtigung nach Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB hängt vom Vorliegen der folgenden Voraussetzungen ab:

a) Der Betroffene muss ein Familienangehöriger des türkischen Arbeitnehmers sein,

b) letzterer muss dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates angehören,

c) der Familienangehörige muss die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, und

d) er muss in diesem Mitgliedstaat seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz über drei Jahre haben (vgl. zu diesen Kriterien das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2009, mwN).

In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid hatte der Beschwerdeführer unter anderem darauf hingewiesen, dass sich sein Vater bereits seit über 20 Jahren in Österreich aufhalte. Gemäß einem im Akt aufliegenden Auszug aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) ist der Vater des Beschwerdeführers jedenfalls seit 4. November 1991 durchgehend an derselben Adresse in W mit Hauptwohnsitz gemeldet.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer seit März 1998 in Österreich aufhält. Seine Einreise ist somit im Alter von 16 Jahren erfolgt.

In seiner im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens abgegebenen Stellungnahme vom 6. Februar 2007 hatte der Beschwerdeführer unter anderem ausgeführt, am 24. März 1998 "zwecks der Familiengemeinschaft" nach Österreich eingereist zu sein. Nach Ausweis der Verwaltungsakten wurde dem Beschwerdeführer zunächst ein vom 2. März 1998 bis 25. Juli 1998 gültiger Aufenthaltstitel für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft - ausgenommen Erwerbstätigkeit" erteilt, der in weiterer Folge jedenfalls vom 6. Juli 1998 bis 20. Juni 1999 sowie vom 25. Mai 1999 bis 19. Juni 2000 verlängert wurde. Soweit den Verwaltungsakten entnommen werden kann, wurde dem Beschwerdeführer auch ein vom 6. Juni 2001 bis 17. Juni 2004 gültiger Aufenthaltstitel für "jeglichen Aufenthaltszweck" erteilt. Schließlich weist der Verwaltungsakt einen vom 25. Mai 2004 bis 24. Mai 2014 gültigen Niederlassungsnachweis des Beschwerdeführers aus.

Nach den von der belangten Behörde nicht widersprochenen Ausführungen des erstinstanzlichen Bescheides verfüge der Beschwerdeführer "seit 1998" über Niederlassungsbewilligungen.

Gemäß einem ZMR-Auszug war der Beschwerdeführer jedenfalls vom 25. März 1998 bis 30. September 2002 mit Hauptwohnsitz an der Adresse seines Vaters gemeldet.

Im Akt liegt ferner eine Arbeitsbestätigung vom 29. April 2004 auf, wonach der Vater des Beschwerdeführers seit 17. Oktober 2003 in einer näher genannten "Firma" als Gebäudereiniger beschäftigt und sein Dienstverhältnis derzeit ungekündigt sei.

Die dargestellten Umstände bieten gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer die Rechtsstellung nach Art. 7 ARB zukommen könnte. Zur Frage, seit wann der Vater des Beschwerdeführers dem regulären Arbeitsmarkt angehört, trifft der angefochtene Bescheid jedoch keine Feststellungen. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob der Beschwerdeführer in den Jahren nach seiner Einreise die Berechtigung nach Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB bereits erworben hat. Dass dem Vater des Beschwerdeführers am 26. Mai 2003 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, wäre in diesem Fall nicht von Relevanz, weil sich ab dem Zeitpunkt der Verwirklichung der Voraussetzungen des Art. 7 ARB mit dem Recht des Betroffenen auf Beschäftigung auch dessen Recht auf Aufenthalt verselbständigt (vgl. erneut das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2009, mwN).

Der Rechtsstellung nach Art. 7 ARB hätte der Beschwerdeführer im Falle deren bereits erfolgten Erwerbs nur durch eine Maßnahme nach Art. 14 ARB oder durch eine Abwesenheit über einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlustig gehen können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2009, Zl. 2008/21/0508, mwN). Mit einem in den Verwaltungsakten aufliegenden Bescheid des Landratsamtes Straubing-Bogen vom 12. März 2007 wurde der Beschwerdeführer aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, nachdem er sich von einem nicht näher bekannten Zeitpunkt bis zu einer am 2. März 2007 erfolgten Kontrolle unrechtmäßig in Deutschland aufgehalten hätte. Feststellungen über die Umstände und die Dauer der Abwesenheit des Beschwerdeführers von Österreich trifft die belangte Behörde in diesem Zusammenhang jedoch nicht.

Käme dem Beschwerdeführer die Berechtigung nach Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB zu, hätte er im Sinn der zitierten hg. Rechtsprechung Anspruch auf ein Verfahren vor einem Tribunal. In diesem Fall wäre zur Entscheidung über die gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung nicht die belangte Behörde, sondern der unabhängige Verwaltungssenat zuständig gewesen.

Auf der Grundlage der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen kann somit die - auch ohne konkrete Geltendmachung durch den Beschwerdeführer aufzugreifende (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/18/0229, mwN) - Frage, ob die belangte Behörde zur Erlassung des angefochtenen Bescheides zuständig war, nicht abschließend beurteilt werden.

Das Fehlen derartiger Feststellungen stellt einen die Beurteilung der Zuständigkeit der belangten Behörde hindernden und somit relevanten Verfahrensmangel dar.

3. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 15. September 2010

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