VwGH 88/11/0036

VwGH88/11/00363.3.1989

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des CS in W, gegen die Bundespolizeidirektion Wien wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die am 6. Jänner 1988 erfolgte zwangsweise Abnahme von Kennzeichentafeln und eines Zulassungsscheines, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §46;
KFG 1967 §102 Abs12;
KFG 1967 §2 Z14;
KFG 1967 §36 lita;
KFG 1967 §64 Abs1;
StVO 1960 §20 Abs1 impl;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §26 Abs1;
StVO 1960 §52 lita Z10a;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1989:1988110036.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde bekämpft der Beschwerdeführer die am 6. Jänner 1988 um 18.00 Uhr in Wien 14., Hauptstraße auf Höhe Pfarrgasse durch einen Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien vorgenommene zwangsweise Abnahme von Kennzeichentafeln und Zulassungsschein für das als Motorfahrrad zugelassene Kraftfahrzeug mit dem polizeilichen Kennzeichen W 000. Er beantragt die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme.

Die belangte Behörde, die Bundespolizeidirektion Wien, hat eine Gegenschrift erstattet und einige das gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren betreffende Aktenstücke vorgelegt; sie beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat den betreffenden Sicherheitswachebeamten als Zeugen und den Beschwerdeführer als Partei im Rechtshilfeweg einvernehmen lassen und den Sicherheitswachebeamten ergänzend selbst als Zeugen einvernommen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 102 Abs. 12 KFG 1967 (in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung vor der 12. Kraftfahrgesetz-Novelle, BGBl. Nr. 375/1988) sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes berechtigt, Personen am Lenken oder an der Inbetriebnahme eines Fahrzeuges zu hindern, wenn diese hiedurch bestimmte im folgenden aufgezählte Verwaltungsübertretungen begehen oder begehen würden. Zu diesem Zweck sind, falls erforderlich, je nach Lage des Falles und Art des Fahrzeuges oder der Beladung Zwangsmaßnahmen, wie etwa Abnahme der Fahrzeugschlüssel, Absperren oder Einstellung des Fahrzeuges und dergleichen, anzuwenden. Zu den im einzelnen aufgezählten Verwaltungsübertretungen zählen solche nach § 36 lit. a und nach § 64 Abs. 1 erster Satz zweiter Halbsatz (§ 102 Abs. 12 lit. a und d) KFG 1967.

Erreicht ein einspuriges Kraftfahrzeug unter den in § 2 Z. 14 und 37a KFG 1967 genannten Bedingungen - nämlich auf gerader, waagrechter Fahrbahn bei Windstille mit einer Belastung von 75 kg -

eine erheblich höhere Geschwindigkeit als 40 km/h, so handelt es sich bei diesem Kraftfahrzeug keinesfalls mehr um ein Motorfahrrad (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. April 1986, Zlen. 85/02/0275, 0276). Es handelt sich dann dabei - je nach dem Hubraum - um ein Kleinmotorrad oder ein nicht diese Qualifikation aufweisendes Motorrad. In jedem Fall würde der Lenker eines solchen (nur) als Motorfahrrad zugelassenen Kraftfahrzeuges rechtswidrig handeln. Die Gefahr, daß er durch das fortgesetzte Lenken eines solchen Kfz. Verwaltungsübertretungen begehen könnte - etwa die im § 102 Abs. 12 angeführten Übertretungen nach § 36 lit. a und § 64 Abs. 1 KFG 1967 - würde die Abnahme von Kennzeichentafeln und Zulassungsschein rechtfertigen.

Es kommt daher im gegenständlichen Beschwerdefall entscheidend darauf an, ob der einschreitende Sicherheitswachebeamte den begründeten Verdacht hegen konnte, das vom Beschwerdeführer gelenkte Fahrzeug entspreche nicht den Zulassungsvoraussetzungen und der Beschwerdeführer würde durch das Lenken die genannten Übertretungen des KFG 1967 begehen.

Die belangte Behörde rechtfertigt die angefochtene Maßnahme damit, daß der betreffende Sicherheitswachebeamte die vom Beschwerdeführer mit dem als Motorfahrrad zugelassenen Kraftfahrzeug eingehaltene Fahrgeschwindigkeit mit 70 km/h geschätzt habe. Diese Schätzung sei auf Grund Nachfahrens mit dem Dienstfahrzeug in gleichbleibendem Abstand unter gleichzeitigem Ablesen der Geschwindigkeit vom Tachometer erfolgt.

Der Beschwerdeführer bestreitet, mit einer höheren Geschwindigkeit als 40 km/h gefahren zu sein. Sein Fahrzeug sei gar nicht in der Lage gewesen, eine höhere Geschwindigkeit zu erreichen.

Der Verwaltungsgerichtshof geht von der durch seine Ortskenntnis in Verbindung mit einschlägigen Straßenkarten geprägten Sachverhaltsannahme aus, daß die gegenständliche Straßenstrecke (zumindest nahezu) eben ist und gerade verläuft.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Schätzung der Fahrgeschwindigkeit eines Fahrzeuges durch Organe der Straßenaufsicht dann als verläßlich anzusehen, wenn sie durch Nachfahren mit einem Dienstfahrzeug in gleichbleibendem Abstand unter gleichzeitigem Ablesen der Geschwindigkeit vom Tachometer des Dienstfahrzeuges erfolgt (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Mai 1985, Zl. 83/03/0355). Erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen können auf diese Weise auch festgestellt werden, wenn der Tachometer des Dienstfahrzeuges nicht geeicht ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. September 1987, Zl. 87/03/0093). Voraussetzung hiefür ist jedoch, daß das Nachfahren über eine Strecke und über eine Zeitspanne erfolgt, die lange genug sind, um die Einhaltung derselben Geschwindigkeit wie der des beobachteten Fahrzeuges prüfen und sodann das Ablesen der eigenen Geschwindigkeit ermöglichen zu können. Dazu kommt, daß es in der Regel auch einer gewissen Zeit bedarf, um die eigene Fahrgeschwindigkeit auf die des beobachteten Fahrzeuges einzustellen.

Die Anhaltung des Beschwerdeführers durch den Sicherheitswachebeamten und die nachfolgenden Amtshandlungen erfolgten in Wien 14., Hauptstraße auf Höhe Pfarrgasse. Nach Darstellung der belangten Behörde sei der Sicherheitswachebeamte auf den Beschwerdeführer auf Höhe Albert-Schweitzer-Gasse, nach eigener Aussage des Sicherheitswachebeamten als Zeugen auf Höhe Pevetzgasse aufmerksam geworden. Die Entfernung zwischen diesen maßgeblichen Punkten beträgt laut Straßenkarte 300 bzw. 400 m, nach der Zeugenaussage des Sicherheitswachebeamten 700 m. Selbst wenn man von der kürzesten der danach in Betracht kommenden Streckenlängen ausgeht, konnte der Sicherheitswachbeamte - der das vom Beschwerdeführer gelenkte Kraftfahrzeug erstmals vor ihm fahrend und nach der Kreuzung mit der Albert-Schweitzer-Gasse beschleunigend wahrgenommen hat - auf dieser Strecke die eigene Fahrgeschwindigkeit auf die des vom Beschwerdeführer gelenkten Kraftfahrzeuges einstellen und einige Zeit mit gleicher Geschwindigkeit in gleichbleibendem Abstand nachfahren. Die Länge der Beobachtungsstrecke und die Dauer der Beobachtung im Nachfahren in gleichbleibendem Abstand reichten aus, um eine insoweit verläßliche Schätzung der Fahrgeschwindigkeit des Kraftfahrzeuges vorzunehmen, als dieses erheblich schneller als 40 km/h gefahren ist. Zur Feststellung einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung wie der vorliegenden brauchte der Tachometer des nachfahrenden Dienstfahrzeuges nicht geeicht zu sein.

An der Glaubwürdigkeit des Zeugen bestehen keine Zweifel. Es entspricht der Lebenserfahrung, daß durch bloßes Betrachten ohne technische Hilfsmittel eine technische Manipulation, die ein Erreichen einer höheren Fahrgeschwindigkeit als der Bauartgeschwindigkeit eines Motorfahrrades herbeizuführen geeignet ist, nicht (unbedingt) wahrgenommen werden kann. Der Sicherheitswachebeamte hat auch die vom Beschwerdeführer vermißte Erklärung, wieso er beim Verdacht einer technischen Manipulation das Kraftfahrzeug nicht sogleich sichergestellt habe, gegeben, indem er (am 31. August 1988 vor dem Rechtshilfegericht) ausführte, er habe vermeiden wollen, "daß man die Jugendlichen dann dadurch kriminalisiert, daß die Anzeige zum Jugendgerichtshof geht". Dafür, daß der Sicherheitswachebeamte dem Beschwerdeführer bewußt zu Unrecht anlastet, erheblich schneller als 40 km/h gefahren zu sein, bestehen keine Anhaltspunkte - abgesehen davon, daß dies der Beschwerdeführer auch gar nicht geltend macht. Sein in dem dem Rechtshilfegericht am 27. Oktober 1988 vorgelegten Schreiben geäußerter Verdacht, der Sicherheitswachebeamte habe sich beim Ablesen der Fahrgeschwindigkeit geirrt, kann nach dem oben Gesagten im Hinblick auf die Unbedenklichkeit des Vorganges der Schätzung der Fahrgeschwindigkeit des Beschwerdeführers als unbegründet angesehen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof nimmt somit als erwiesen an, daß der Beschwerdeführer das als Motorfahrrad zugelassene Kraftfahrzeug am 6. Jänner 1988 gegen 18 Uhr mit einer erheblich höheren Geschwindigkeit als der Bauartgeschwindigkeit eines Motorfahrrades gelenkt hat. Den Beweisanträgen des Beschwerdeführers, die auf den Nachweis abzielen, daß an dem in Rede stehenden Kraftfahrzeug weder vor noch nach dem Vorfall technische Veränderungen durchgeführt wurden, brauchte keine Folge gegeben zu werden. Zum einen geht der Verwaltungsgerichtshof von der - von der belangten Behörde teilweise zugestandenen - Richtigkeit der Behauptung des Beschwerdeführers aus, daß technische Überprüfungen des Fahrzeuges durch den ÖAMTC (am 20. Jänner 1988) und durch die Bundesprüfanstalt für Kraftfahrzeuge (am 9. Februar 1988) ergeben hätten, das Fahrzeug habe eine Höchstgeschwindigkeit von nur 42 km/h erreichen können. Ein Rückschluß von diesen Überprüfungsergebnissen, die zwei bzw. fünf Wochen nach dem Vorfall erzielt wurden, auf die zum Zeitpunkt des Vorfalles erreichbare Geschwindigkeit ist keinesfalls zwingend. Dasselbe gilt für den Umstand, daß nach Behauptung des Beschwerdeführers näher genannte Personen zu nicht näher genannten Zeiten vor dem 6. Jänner 1988 mit dem Fahrzeug (mit)gefahren seien und bestätigen könnten, das Fahrzeug habe auch vor dem Vorfall "eine erheblich über 40 km/h gelegene Höchstgeschwindigkeit" nicht erreichen können. Schließlich ist auch ein technisches Sachverständigengutachten entbehrlich, weil das Beweisthema, "daß an diesem Fahrzeug technische Eingriffe nicht festzustellen sind", nicht zielführend ist, da das Unterbleiben solcher Eingriffe nach den Erfahrungen des täglichen Lebens nicht mehr nachweisbar ist, und der Umstand, daß mit einem Moped mit einem Hubraum von (bloss) 50 cm3 eine Geschwindigkeit von 70 km/h gar nicht erzielbar ist", notorisch ist, insofern nicht sonstige technische Änderungen an dem Fahrzeug vorgenommen worden sind.

Der Sicherheitswachebeamte konnte auf Grund seiner Schätzung davon ausgehen, daß das vom Beschwerdeführer gelenkte Fahrzeug erheblich schneller als 40 km/h fuhr. Dies rechtfertigte nach dem oben Gesagten die Vornahme der angefochtenen Maßnahme. Die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 3. März 1989

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