Normen
AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §45 Abs3
AVG §46
VStG §49 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwRallg
ZustG §17 Abs3
ZustG §17 Abs4
ZustG §21 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1989:1988020180.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.670,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen
Begründung
Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat E, vom 14. Mai 1987 wurde der Beschwerdeführer einer Übertretung der StVO 1960 für schuldig erkannt. Über ihn wurde eine Geldstrafe (Ersatzarreststrafe) verhängt. Die die Strafverfügung enthaltende Postsendung konnte laut dem im Verwaltungsstrafakt erliegenden Rückschein bei einem ersten Zustellversuch am 19. Mai 1987 nicht zugestellt werden; nachdem ein für den 20. Mai 1987 angekündigter zweiter Zustellversuch erfolglos geblieben war, wurde die Sendung an diesem Tage beim Postamt F hinterlegt und lag ebenfalls vom 20. Mai 1987 an zur Abholung bereit.
Gegen diese Strafverfügung brachte der Beschwerdeführer einen Einspruch ein, den er am 4. Juni 1987 zur Post gab.
In dem darauf hin eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren erging ein Straferkenntnis der Erstbehörde vom 7. September 1987. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Die belangte Behörde teilte dem Beschwerdeführer mit Erledigung vom 4. November 1987 mit, daß der Einspruch gegen die Strafverfügung vom 14. Mai 1987 offensichtlich verspätet eingebracht wurde, weil die Einspruchsfrist ‑ ausgehend vom Tag der Hinterlegung - bereits am 3. Juni 1987 geendet hätte. Sie richtete an den Beschwerdeführer die Aufforderung: „Sollten Sie am Tag der Hinterlegung von der Abgabestelle abwesend gewesen sein, werden Sie zur Bekanntgabe des Tages der Rückkehr zu dieser (§ 4 Zustellgesetz), zur Glaubhaftmachung Ihrer Abwesenheit und zur Vorlage von Beweismitteln hinsichtlich des Tages. Ihrer Rückkehr zur Abgabestelle aufgefordert.“
Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. November 1987 nach. Darin teilte er der belangten Behörde mit: „Ich wohne in den Sommermonaten immer vorübergehend bei meiner Mutter ... in H .... Im betreffenden Zeitraum von 20.5.1987 bis 3.6.1987 habe ich mich ebenfalls bei meiner Mutter aufgehalten und nur zweimal in der Wohnung .... Nachschau gehalten.“
Daraufhin erging über „Ersuchen“ der belangten Behörde ein „Zurückweisungsbescheid“ der Erstbehörde vom 13. Mai 1988, mit dem der Einspruch „vom 4.6.1987“ gegen die Strafverfügung vom 14. Mai 1987 „gemäß § 68 Abs. 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG 1950) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen“ wurde.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Zurückweisungsbescheid vom 13. Mai 1988 bestätigt. Mit Bescheid der belangten Behörde vom selben Tag wurde das Straferkenntnis vom 7. September 1987 behoben und das Verwaltungsstrafverfahren „ab Einspruchserhebung gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG 1950 eingestellt“.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Gerichtshof hat erwogen:
1. Mit dem zweiten Bescheid der belangten Behörde vom 10. August 1988 wurde das Verwaltungsstrafverfahren von der Erhebung des Einspruches an, damit insbesondere das Straferkenntnis vom 7. September 1987, aufgehoben. Spruch und Begründung dieses Bescheides stehen zueinander zwar insofern in Widerspruch, als nach dem Spruch die Einstellung nach § 45 Abs. 1 lit. a VStG 1950 erfolgte, also weil die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet, in der Begründung aber auf die Rechtskraft der Strafverfügung vom 14. Mai 1987 und die damit gegebene Unzulässigkeit der Einleitung und Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahrens verwiesen wird. Es wurde dadurch aber jedenfalls jener - zumindest objektiv rechtswidrige - Zustand beseitigt, der in der zu gleicher Zeit durch die Erstbehörde verfügten Zurückweisung des Einspruches und dem aufrechten Bestand des Straferkenntnisses wegen derselben Verwaltungsübertretung bestand. Daher gehen alle Ausführungen des Beschwerdeführers über die Verletzung des Grundsatzes „ne bis in idem“ ins Leere. Das Ergebnis des angefochtenen Bescheides in Verbindung mit dem zweiten Bescheid der belangten Behörde vom 10. August 1988 ist jedenfalls, daß der Beschwerdeführer wegen der den Anlaß aller Verfahren bildenden Verwaltungsübertretung (einmal - nämlich mit der Strafverfügung vom 14. Mai 1987) rechtskräftig bestraft wurde und daß der Einspruch gegen diese Strafverfügung verspätet erfolgt ist. Letzteres ist ausschließlicher Inhalt des angefochtenen Bescheides und nicht etwa auch die Frage, ob der Beschwerdeführer die Verwaltungsübertretung begangen hat. Eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides wegen Widerspruches zu der mit dem zweiten Bescheid § 45 Abs. 1 lit. gegeben sein.
2. Zu prüfen bleibt aber, ob die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Annahme der belangten Behörde, die Strafverfügung vom 14. Mai 1987 sei dem Beschwerdeführer am 20. Mai 1987 zugestellt worden und damit am 3. Juni 1987 in Rechtskraft erwachsen, zutrifft oder nicht.
Die belangte Behörde stützt diese Annahme darauf, daß der Beschwerdeführer über Vorhalt der offensichtlichen Verspätung seines Einspruches angegeben habe, vom 20. Mai 1987 bis 3. Juni 1987 von seiner Abgabenstelle abwesend gewesen zu sein. Daher habe er von dem am 19. Mai erfolgten ersten Zustellversuch und damit von einem ihn betreffenden Zustellvorgang Kenntnis erlangt.
Der belangten Behörde ist insofern recht zu geben, als nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei einer Zustellung zu eigenen Handen nach § 21 Zustellgesetz der Empfänger bereits durch die Verständigung vom erfolglosen ersten Zustellversuch und durch die Aufforderung, in der für die Vornahme des zweiten Zustellversuches bestimmten Zeit zur Annahme des Schriftstückes anwesend zu sein, Kenntnis davon erlangen kann, daß ihm ein behördliches Schriftstück zugestellt werden soll. Diese Möglichkeit allein würde bewirken, daß die in der Folge durchgeführte Hinterlegung die rechtswirksame Zustellung der Strafverfügung vom 14. Mai 1987 zur Folge hatte (vgl. dazu u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Jänner 1987, Zl. 86/02/0157).
Trotzdem ist die Argumentation der belangten Behörde unzutreffend, weil der Beschwerdeführer im Vorhalt der offensichtlichen Verspätung seines Einspruchs auf die nach Meinung der belangten Behörde vom 20. Mai 1987 bis 3. Juni 1987 laufende Rechtsmittelfrist hingewiesen wurde und - anders als in dem in der Gegenschrift der belangten Behörde erwähnten Verspätungsvorhalt vom 5. Juli 1988 betreffend die Berufung gegen den „Zurückweisungsbescheid“ vom 13. Mai 1988, in dem ausdrücklich auch auf den Tag des ersten Zustellversuches Bezug genommen wurde - nach seiner allfälligen Abwesenheit von der Abgabestelle „am Tag der Hinterlegung“ gefragt wurde. Wenn er als Reaktion darauf erklärt hat, „im betreffenden Zeitraum von 20.5.1987 bis 3.6.1987“ grundsätzlich von seiner Abgabestelle abwesend gewesen zu sein, so kann aus dieser Erklärung nicht ohne weiteres geschlossen werden, er sei am 19. Mai 1987 - also an einem von der belangten Behörde überhaupt nicht erwähnten Tag - anwesend gewesen.
Die belangte Behörde hat diese für den angefochtenen Bescheid entscheidende Annahme auf Grundlage eines mangelhaften Sachverhaltes getroffen. Dem von der belangten Behörde in der Gegenschrift zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. September 1987, Zl. 86/14/0170, läßt sich nichts für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides entnehmen. Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil an Beilagen lediglich eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides beizubringen war und nur die hiefür entrichteten Stempelgebühren ersetzt werden können.
Wien, am 18. Jänner 1989
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